European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:T041610.20130226 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 Februar 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0416/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 97121716.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | G02C 7/02 G02C 7/06 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Brillenglas mit sphärischer Vorderseite und multifokaler Rückseite, sowie Verfahren zu seiner Herstellung | ||||||||
Name des Anmelders: | Carl Zeiss Vision GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Essilor International (Comp. Générale d'Optique)SA Indo Internacional S.A. Signet Amorlite Inc. |
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Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet ihre am 8. Februar 2010 eingegangene Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 11. Dezember 2009, mit der das europäische Patent Nr. 0 857 993 widerrufen wurde. Dieses Patent hat ein Verfahren zur Herstellung von Brillengläsern mit einer Gleitsichtfläche zum Gegenstand.
II. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung war der Hauptantrag wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens nicht gewährbar. Der erste Hilfsantrag wurde als nicht gewährbar erachtet, weil das Erfordernis von Artikel 83 EPÜ nicht erfüllt sei. Der zweite Hilfsantrag wurde wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit als nicht gewährbar erachtet.
III. In der die mündliche Verhandlung vom 9. Oktober 2012 fortsetzenden mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2013, an deren Ende die vorliegende Entscheidung verkündet wurde, beantragte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags, eingereicht mit Schreiben vom 7. September 2012, dort als "Neuer 1. Hilfsantrag" bezeichnet. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 02) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
In dieser Verhandlung brachte die Einsprechende 02 Einwände gemäß Regel 80 EPÜ, Artikel 83 EPÜ, Artikel 123(2) EPÜ und weitere Einwände gemäß Artikel 54 und 56 EPÜ gegen den Hauptantrag der Patentinhaberin vor. Die weiteren Einsprechenden 01 und 03 haben zu diesem Hauptantrag im Beschwerdeverfahren weder in der Sache schriftlich Stellung genommen, noch haben sie an der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2013 teilgenommen. Die ehemalige Einsprechende 04 hat ihren Einspruch kurze Zeit vor der letztgenannten mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Im Verfahren wurden folgende Druckschriften genannt:
E2: EP-A-0 809 126
E3: EP-A-0 281 754
E4: US-A-5 402 607
E9: US-A-2 878 721
E13: DOZ, Ausgabe 6 (1994), Seiten 26 - 34. G. Littmann: "Möglichkeiten für neue Brillengläser im 21. Jahrhundert"
E15a: DE-A-42 10 008
E30a: EP-A-0 880 046
E30b: JP-291048/96.
IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
" Verfahren zur Herstellung von Brillenlinsen (1) mit einer Gleitsichtfläche, dadurch gekennzeichnet, dass die Brillenlinse (1) aus Halbfabrikaten mit sphärischen oder asphärisch rotationssymmetrischen konvexen Vorderflächen (2) mit wenigen unterschiedlichen Radien so hergestellt werden, dass die gesamte individuell erforderliche dioptrische Wirkungsanpassung mit der als Gleitsichtfläche ohne Punkt- und Achsensymmetrie ausgebildeten Rückfläche (3) der Brillenlinse (1) erfolgt, wobei ausgehend von einer vorher bestimmten Startfläche mindestens eine individuelle Optimierung der Form der Rückfläche (3) für den späteren Nutzer vorgenommen wird, und als Randbedingung für die Optimierung der Hornhautscheitelabstand und/oder Aniseikonie und/oder die Vorneigung der Fassung und/oder die Fassungsform und/oder die Zentrierung und/oder die Pupillendistanz und/oder spezielle Gebrauchssituationen eingehen".
Die Ansprüche 2 bis 11 sind abhängige Ansprüche.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Regel 80 EPÜ, Artikel 123(2)und (3) EPÜ.
2.1 Nach Auffassung der Einsprechenden 02 besteht Anspruch 1 im Wesentlichen aus einer Kombination der erteilten Ansprüche 1, 4 und 6, wobei jedoch zusätzliche Änderungen vorgenommen wurden. Zum Beispiel sei folgender Ausdruck aus dem erteilten Anspruch 4 gestrichen worden: "?so dass die dioptrischen Rezeptwerte in allen Punkte oder in endlich vielen dicht beieinander liegenden Punkten auf der dem Auge zugewandten Fläche des Brillenglases festgelegt werden". Nach Ansicht der Einsprechenden 02 ist das Fehlen dieses Merkmals nicht in der ursprünglichen Patentanmeldung offenbart (Artikel 123(2) EPÜ) und ist die Streichung außerdem nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst (Regel 80 EPÜ). Ebenso definiere der vorliegende Anspruch 4, dass "Stützpunkte ? als Startwerte vorgegeben werden", was eine nicht zulässige Änderung des Ausdrucks "dioptrischen Rezeptwerte in allen Punkten oder in endlich vielen dicht beieinander liegenden Punkten" aus dem erteilten Anspruch 4 darstelle, weil der vorliegende Anspruch lediglich "Stützpunkte" anstatt alle oder endlich viele dicht beieinander liegende Punkte erfordere.
2.2 In ihrer Erwiderung nahm die Patentinhaberin auf die angefochtene Entscheidung Bezug, insbesondere auf Punkt 2.4.1, in welchem die Zulässigkeit des dem vorliegenden Hauptantrag entsprechenden damaligen Hilfsantrags 2 diskutiert und bejaht wurde.
2.3 Regel 80 EPÜ betrifft die Änderung des europäischen Patents. Sie lautet: "Unbeschadet der Regel 138 können die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen geändert werden, soweit die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 veranlasst sind, auch wenn dieser vom Einsprechenden nicht geltend gemacht worden ist". Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem vorliegenden Hauptantrag ist identisch mit dem des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 der angefochtenen Entscheidung. Laut Punkt 2.4.1 der Entscheidung wurde die Zulässigkeit dieses Antrags nach Regel 80 EPÜ von der Einspruchsabteilung bejaht, da durch Streichung des Ausdrucks: "so dass die dioptrischen Rezeptwerte in allen Punkten oder in endlich vielen Punkten auf der dem Auge zugewandten Fläche des Brillenglases festgelegt werden" versucht wurde, den Einwand nach Artikel 83 EPÜ gegen den damaligen 1. Hilfsantrag zu beheben.
2.4 Da die Änderungen somit durch den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(b) EPÜ 1973 veranlasst sind, stehen sie nach Auffassung der Beschwerdekammer im Einklang mit den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ.
2.5 Zu den Einwänden der Einsprechenden 02 gemäß Artikel 123(2) EPÜ trug die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2013 vor, dass die Offenbarung für die Ansprüche 1 und 4, außer in den Ansprüchen 1, 4 und 6 des erteilten Patents, zudem in den Absätzen [0022], [0029] und [0033] der Patentschrift (identisch mit der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung) zu finden sei. Insbesondere entnimmt ihrer Meinung nach der Fachmann der Offenbarung in Absatz [0029]: "Häufig optimiert man ein Brillenglas in endlich vielen Punkten ...", dass eine solche Optimierung zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig ist. Deshalb sei die Streichung dieses Ausdrucks aus dem Anspruch 4 von der ursprünglichen Offenbarung gedeckt. Der Absatz [0033] offenbare außerdem eine individuelle Optimierung, so wie diese beansprucht werde. Diesbezüglich hat die Patentinhaberin auch auf Seite 11, 2. Absatz der angefochtenen Entscheidung, verwiesen.
2.6 Die Einspruchsabteilung hat sich in Punkt 2.4.2 der angefochtenen Entscheidung über die Zulässigkeit nach Artikel 123(2) und (3) EPÜ von Anspruch 1 gemäß dem damaligen 2. Hilfsantrag (der Anspruch 1 des vorliegenden Antrags entspricht) geäußert. Zur Offenbarung der beanspruchten Verfahrensschritte verwies sie auf die erteilten Ansprüche 1 und 6 in Verbindung mit den Merkmalen aus den Absätzen [0027] und [0046] der Patentschrift (Seite 5, 4. Absatz, und Seite 9, 2. Absatz, der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung entsprechend).
Zum damaligen Einwand der Einsprechenden, dass wegen der Rückbeziehung des erteilten Anspruchs 6 auf Anspruch 4 der in diesem Anspruch 4 definierte Verfahrensschritt "?so dass die dioptrischen Rezeptwerte in allen Punkte oder in endlich vielen dicht beieinander liegenden Punkten auf der dem Auge zugewandten Fläche des Brillenglases festgelegt werden" im unabhängigen Anspruch ebenso definiert werden sollte und dass das Weglassen dieses Merkmales eine unzulässige Erweiterung sei, verwies die Einspruchsabteilung auf die Offenbarung in Absatz [0046] der Patentschrift.
Darüber hinaus wies sie darauf hin, dass die Verwendung einer Startfläche als Ausgangspunkt für eine individuelle Optimierung der Form der Rückfläche auch an mehreren Stellen der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung beschrieben werde. Offenbarung dazu sei zum Beispiel auf Seite 5, letzter Absatz (entspricht Absatz [0029] der Patentschrift), und auf Seite 6, vorletzter Absatz (entspricht Absatz [0033] der Patentschrift), zu finden.
Schließlich bemerkte die Einspruchsabteilung, dass der Schutzbereich von Anspruch 1 gemäß dem damaligen Hilfsantrag 2 nicht über den des erteilten Patents hinausgehe, so dass dieser auch mit Hinblick auf Artikel 123(3) EPÜ zulässig sei.
2.7 Die Beschwerdekammer teilt die Auffassung der Einspruchsabteilung, wonach die Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 durch die ursprüngliche Beschreibung, insbesondere Seite 5, 4. und 6. Absatz, und Seite 6, letzter Absatz (bzw. die entsprechenden Absätze [0027], [0029] und [0033] der Patentschrift), zusammen mit dem erteilten Anspruch 1 gestützt sind.
Insbesondere folgt auch aus dem zitierten letzten Absatz auf Seite 5, dass eine Optimierung "?in endlich vielen Punkte, die dicht genug liegen" oder "eine Optimierung in allen Punkten" ein fakultatives Merkmal ("Häufig optimiert man?") darstellt, das zwar vorteilhaft sein mag, aber keine unbedingte Notwendigkeit für das durchzuführende Verfahren ist. Die Streichung dieses Merkmals aus dem vorliegenden Anspruch 4 ist daher nicht zu beanstanden.
Da der Schutzbereich des Patents durch Anspruch 1 definiert ist, hat die Streichung eines Merkmals im abhängigen Anspruch 4 keine Erweiterung des Schutzbereichs zur Folge (Artikel 123(3) EPÜ).
Deshalb ist nach Auffassung der Beschwerdekammer der vorliegende Antrag im Hinblick auf Artikel 123 EPÜ zulässig.
3. Ausführbarkeit (Artikel 100(b) und 83 EPÜ 1973)
3.1 In der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2013 wandte die Einsprechende 02 unter Verweis auf Seite 3, Zeilen 43 - 48 der veröffentlichten Patentanmeldung, ein, dass die Patentanmeldung nicht offenbare, welche Herstellungsschritte beim beanspruchten Verfahren ausgeführt würden. Die Beschreibung offenbare lediglich konkret, dass das Verfahren von Halbfabrikaten mit sphärischen oder asphärisch rotationssymmetrischen konvexen Vorderflächen mit ca. 10 unterschiedlichen Radien ausgehe. Die weitere Information betreffe lediglich Zwecke oder Ziele der Berechnung der Rückseite der Linse ("?so hergestellt werden, dass die gesamte individuell erforderliche dioptrische Wirkungsanpassung mit einer Freiformfläche auf der dem Auge zugewandten Seite der Brillenlinse erfolgt, deren Form aus einer Optimierungsrechnung mit den Designerergebnissen als Optimierungsstart folgt"). Nach Auffassung der Einsprechenden 02 ermöglicht diese reine Zweckangabe dem Fachmann noch nicht, die Rückseite der Linse zu berechnen (Artikel 100(b) EPÜ 1973). Sollte andererseits eine solche Berechnung für den Durchschnittsfachmann ohne Probleme durchführbar sein, weise das beanspruchte Verfahren auch keine erfinderische Tätigkeit auf.
3.2 Die Patentinhaberin erwiderte in der mündlichen Verhandlung, dass dieser Einwand während des bisherigen Beschwerdeverfahrens von den Einsprechenden nicht vorgebracht worden und er deshalb als verspätet zurückzuweisen sei.
3.3 Die Kammer verweist diesbezüglich auf Punkt 2.2.2 der angefochtenen Entscheidung. Auf Seite 4, ab dem 3. Absatz, hat die Einspruchsabteilung zum Einwand, dass der Fachmann nicht im Stande sei, die Rückfläche des Gleitsichtglases zu berechnen, ausgeführt, dass dies für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt möglich war. Als Beleg hat sie dazu auf die Druckschrift E9 verwiesen.
Diese Druckschrift wurde im Jahr 1959 veröffentlicht, d.h. 28 Jahre vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents. Die Kammer teilt deshalb die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass der Fachmann aufgrund der Beschreibung und seines Fachwissens im Stande ist, das Verfahren aus Anspruch 1 durchzuführen. Daher ist der Gegenstand des Hauptantrags nach Artikel 83 EPÜ nicht zu beanstanden.
4. Patentierbarkeit
4.1 Neuheit
Druckschrift E2
4.1.1 Nach den Ausführungen der Einsprechenden 02 stellt die Druckschrift E2 zumindest Stand der Technik im Sinne von Artikel 54(3) EPÜ für die Vertragstaaten DE, FR, GB und IT dar. Nach ihrer Auffassung offenbart diese Druckschrift ein Verfahren zur Herstellung von Brillenlinsen, bei denen die gesamte individuell erforderliche dioptrische Wirkungsanpassung jeweils auf der als Gleitsichtlinse ausgebildeten Rückseite erfolgt (Spalte 7, Zeilen 14 - 54: kombinierter progressiver und torischer Verlauf auf der Rückseite). Weiter finde eine individuelle Optimierung der Form der Rückfläche statt (Spalte 7: "torischer Verlauf") und umfassten die dioptrischen Grenzwerte eine spezielle Gebrauchssituation (Spalte 8, ab Zeile 56: Anbringung eines 270°-Prismas). Die Vorderfläche einer derartigen Linse sei sphärisch (Spalte 16, Zeile 10). Hieraus folge implizit, dass der Fachmann bei der Herstellung dieser Linse von Halbfabrikaten mit sphärischen Vorderflächen ausgehe, da dies im Jahre 1997 aus wirtschaftlichen Gründen üblich gewesen sei (Ausgangsmaterial zur Linsenherstellung: Halbfabrikate mit sphärischen oder asphärisch rotationssymmetrischen konvexen Vorderflächen). Schließlich folge aus der Offenbarung in Spalte 8, Zeilen 49 - 52: "?an eyeglass lens for a wide range of users covering a range? can be realized", dass mit wenigen unterschiedlichen Halbfabrikaten ein großer Benutzerkreis abgedeckt werden könne. Deshalb offenbare die Druckschrift E2 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1.
4.1.2 Dazu hat die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass die Druckschrift E2 weder die Herstellung einer Brillenlinse aus Halbfabrikaten offenbare, noch dass das Verfahren ausgehend von Linsen mit sphärischen oder asphärisch konvexen Vorderflächen mit wenigen unterschiedlichen Radien erfolge.
4.1.3 Die Kammer teilt die Auffassung der Patentinhaberin, dass sich in der Druckschrift E2 keine Offenbarung dafür findet, dass das Herstellungsverfahren mit Halbfabrikaten als Ausgangsmaterial durchgeführt wird und dass die Auswahl aus konvexen Vorderflächen mit wenigen unterschiedlichen Radien erfolgt.
Vielmehr erfolgt die Gestaltung der Vorderfläche nicht "aus einigen wenigen Halbfabrikate", sondern ist frei wählbar. So offenbart Spalte 24, Zeilen 31 - 41, sinngemäß dass "?die Oberfläche an der Objektseite frei für beliebige Zwecke verwendet werden (kann)", und "?es ist auch möglich, ein Brillenglas zu liefern, welches stark modisch ist. Hierzu kann die konvexe Vorderfläche an der Objektseite als modisch sphärische Oberfläche mit einer konstanten Basiskrümmung gestaltet werden". In Spalte 25, Zeilen 8 - 11, ist offenbart: "Außerdem können die Verwendungsmöglichkeien der objektseitigen Oberfläche des Brillenglases auf verschiedene Weise erweitert werden". Schließlich wird in Anspruch 22 der E2 die individuelle Gestaltung der objektseitigen Oberfläche mit dem Ziel definiert, die Randdicke des Gleitsichtglases dünner zu gestalten oder die astigmatische Aberration der Linse zu verbessern.
4.1.4 Das Verfahren aus Anspruch 1 ist daher neu im Hinblick auf die Offenbarung der Druckschrift E2.
Druckschrift E30a
4.1.5 Die Einsprechende 02 hat auch unter Hinweis auf die Druckschrift E30a die Neuheit des Verfahrens nach Anspruch 1 bestritten. Diese Druckschrift stelle ebenfalls Stand der Technik unter Artikel 54(3) EPÜ für die Vertragstaaten DE, FR, und GB dar, insofern als die Offenbarung durch die erste japanische Priorität (JP291048/96, Übersetzung in der Druckschrift E30b) gedeckt sei. Nach den Ausführungen der Einsprechenden offenbart die Druckschrift E30a die Herstellung progressiver Brillengläser (Seite 2, Zeile 10), die für spezielle Gebrauchssituationen optimiert werden können (Seite 2, Zeilen 31 - 36: Sport, Bürotätigkeit, Hobbys; Seite 3, Zeile 42: individuelle Benutzer und ihr Lifestyle). Die E30a nenne das Problem der Vorratshaltung von Halbfabrikaten (Seite 3, Zeilen 11 und 12) und strebe die Lösung an, diese Vorratshaltung zu verringern. Auf Seite 14, Zeile 34, werde offenbart, dass die Gleitsichtfläche auf der konvexen oder konkaven Linsenoberfläche für die Optimierung verschiedener Randbedingungen angepasst werden könne. Dies sei ebenso auf Seite 15, Zeilen 9 - 11, offenbart.
4.1.6 Die Patentinhaberin hat dagegen vorgetragen, dass ein wie im Anspruch definiertes Herstellungsverfahren der Linse aus Halbfabrikaten mit sphärischen oder asphärisch rotationssymmetrischen konvexen Vorderflächen mit wenigen unterschiedlichen Radien in der Druckschrift E30a nicht offenbart sei. Nach ihrer Meinung enthält die E30a eine genau entgegengesetzte Lehre. Seite 15, Zeilen 35 - 37, offenbare nämlich, dass dieses Verfahren es ermöglichen solle, den Aufwand und die Kosten der Herstellung und Einlagerung von Halbfabrikaten gänzlich zu vermeiden. Dies werde auch auf Seite 14, Zeile 52, offenbart, wonach beim Verfahrensschritt 3 die Gleitsichtlinse durch Bearbeitung des Ausgangsmaterials erzeugt werde, d.h. es werde kein Halbfabrikat, sondern ein Rohling bearbeitet.
4.1.7 Auch die Kammer erkennt in der Druckschrift E30a keine Offenbarung eines von Halbfabrikaten ausgehenden Herstellungsverfahrens; diese Ansicht wird außer durch die von der Patentinhaberin zitierten Stellen auch durch Seite 15, Zeilen 5 und 6, bestätigt, wonach es bei der Herstellung der progressiven Linse nicht erforderlich sei, Halbfabrikate einzulagern und zu verwalten, weil das Verfahren von der Gestaltung der progressiven Oberfläche ausgehe.
4.1.8 Das Verfahren aus Anspruch 1 ist daher ebenfalls in Bezug auf die Offenbarung der Druckschrift E30a neu.
4.2 Erfinderische Tätigkeit
Die Druckschriften E2 und E30a sind nachveröffentlicht und daher für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant.
Die Einsprechende 02 hat zwar in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2013 die Gültigkeit der Priorität des vorliegenden Patents erstmalig bezweifelt und daraus den Schluss gezogen, die Druckschrift E2 sei vorveröffentlichter Stand der Technik. Ihrer Auffassung nach war die Erfindung in der Prioritätsanmeldung nämlich nicht ausreichend beschrieben gewesen, um eine Nacharbeitung durch den Fachmann zu ermöglichen, weil dort das Beispiel einer erfindungsgemäßen Ausführung anhand der zwei Tabellen der Absätze [74] und [75] des vorliegenden Patents angegeben Linse gefehlt habe. Dieser neue Vortrag wurde von der Kammer nicht als überzeugend bewertet, weil die exemplarische Angabe der optischen und geometrischen Merkmale einer fertigen Linsenrückseite ohnehin noch keinen zusätzlichen Schluss auf die eigentliche Berechnung dieser Linsenrückseite erlaubt.
Daher ist die Frage der ausreichenden Offenbarung der Erfindung im Prioritätsdokument nicht anders zu bewerten als im vorliegenden Patent (vgl. Punkt 3 oben)
4.2.1 In der mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2013 führte die Einsprechende 02 ferner aus, dass die Druckschrift E3 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit darstelle, weil diese Druckschrift nicht nur eine Vorrichtung zur Herstellung von Linsen, sondern auch Einzelheiten solcher Linsen offenbare. So heiße es in Spalte 6, Zeilen 25 - 27, dass jegliche angemessen geformte dreidimensionale Oberfläche auf dem Rohling erzeugt oder geschliffen werden könne. In Spalte 7, Zeilen 13 - 17 werde offenbart, dass neben den Rezeptwerten für die Linse (sphärisch, Zylinder, Prisma) auch verschiedene zusätzliche Werte angegeben werden könnten. Schließlich werde in Spalte 2, Zeilen 18 - 22, offenbart, dass in Zukunft wahrscheinlich Linsen mit komplexeren Oberflächenformen den individuellen Erfordernissen mancher Augen besser gerecht werden könnten. Dazu schlage die Druckschrift E3 vor, die Linse zu optimieren, weil die dort offenbarte Vorrichtung und das Verfahren zur Linsenbearbeitung die Möglichkeit dazu böten. Die weiteren Verfahrenschritte aus dem Anspruch 1 seien nur konzeptioneller Natur und auf die Optimierung der Linsenfläche gerichtet. Solche Optimierungsschritte erforderten lediglich technisches Allgemeinwissen des Fachmanns auf diesem Gebiet und könnten deshalb keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit liefern.
Ebenso kann laut der Einsprechenden 02 die Druckschrift E15a als nächstkommender Stand der Technik angesehen werden, weil diese Druckschrift ein Verfahren zur Berechnung und Herstellung von Gleitsichtlinsen offenbare, in dessen Rahmen bei der Berechnung die individuellen Gebrauchsbedingungen (Hornhautscheitelabstand, Vorneigung der Fassung etc., siehe Spalte 2, ab Zeile 46) berücksichtigt würden. Das Verfahren aus Anspruch 1 unterscheide sich vom Herstellungsverfahren aus der Druckschrift E15a dadurch, dass beim beanspruchten Verfahren die rückseitige Linsenoberfläche eine Gleitsichtfläche sei, während bei der nach der E15a berechneten Linse die Vorderfläche die Gleitsichtfläche darstelle. Ausgehend von der Lehre der Druckschrift E15a stelle sich aufgrund der Tatsache, dass das Halbfabrikat die Gleitsichtflächetrage, die technische Aufgabe, die Notwendigkeit zu vermeiden, eine Vielzahl solcher Halbfabrikate auf Lager zu halten. Für dieses Lagerungsproblem biete die Druckschrift E3 die Lösung an: Hier werde in Spalte 5, Zeilen 27 - 35, offenbart, dass, ausgehend von einem Rohling mit zwei sphärischen Oberflächen 42 und 44, die rückseitige Fläche 44 geschliffen und fertig bearbeitet werde, um ihr eine andere, dem Rezeptwert entsprechende Form zu geben. Wie bereits ausgeführt, könne mit der Vorrichtung aus der E3 jede Linsenform gestaltet werden, also auch die in der Druckschrift E15a vorgeschlagene Gleitsichtfläche. Deshalb sei das Verfahren aus Anspruch 1 auch im Hinblick auf die Kombination der Lehren der Druckschriften E15a und E3 nicht erfinderisch.
4.2.2 In der mündlichen Verhandlung bezweifelte die Patentinhaberin, dass das in der Druckschrift E3 offenbarte Verfahren überhaupt zur Herstellung von Gleitsichtflächen geeignet sei, weil solche Flächen keine Symmetrieeigenschaften aufwiesen. Andererseits benutze die Vorrichtung aus der E3 ein sphärisches Schneidwerkzeug, und es finde anschließend ein rotierender oder oszillierender Läppvorgang statt, weshalb nur symmetrische Oberflächen gestaltet werden könnten. Des Weiteren betreffe die Offenbarung der Druckschrift E3 im weitesten Sinne eine Vorrichtung zur Erzeugung verschiedenartigster Oberflächen und mache die E3 überhaupt keine Angaben über Gleitsichtlinsen oder deren Optimierung. Deshalb stelle diese Druckschrift keinen geeigneten Ausgangspunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit dar. Vielmehr solle der nächstliegende Stand der Technik nur ein solches Dokument sein, das die in Anspruch 1 angesprochene Problematik (individuelle Gestaltung von Gleitsichtgläsern anhand bestimmter Randbedingungen) zumindest erwähne. Deshalb sei die Druckschrift E15a als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten. Diese offenbare in Spalte 2, Zeilen 51 bis 54, drei individuelle Randbedingungen eines Nutzers (Hornhaut-Scheitelabstand, Vorneigung der Fassung, Fassungsform), die auch in Anspruch 1 als Randbedingungen zur Gestaltung eines Gleitsichtglases genannt würden. E15a offenbare eine Brillenlinse mit einer Mehrstärkenfläche und einer Rezeptfläche (siehe E15a, Anspruch 1). E15a gehe zu diesem Zweck von einem Halbfabrikat mit einer bereits vorgefertigten Mehrstärkenfläche aus (Spalte 2, Zeile 7). Die individuelle Herstellung der rückseitigen Rezeptfläche erfolge unter Berücksichtigung von zumindest einer individuellen Gebrauchsbedingung (E15a, Anspruch 8). Die eigentliche Gleitsichtfläche bleibe jedoch von dieser individuellen Optimierung unberührt, siehe Spalte 2, Zeile 22 bis 29. Somit enthalte die E15a die technische Lehre, von Halbfabrikaten mit vorgefertigten Gleitsichtflächen auszugehen und lediglich die gegenüberliegende Rezeptfläche individuell zu optimieren. Ausgehend von E15a liege der Erfindung des Anspruchs 1 die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Herstellung von Gleitsichtgläsern zu schaffen, das eine bessere Anpassung von Gleitsichtgläsern an die individuellen Gegebenheiten eines Nutzers erlaube und, ausgehend von lediglich einer geringen Zahl verschiedener Halbfabrikate, zudem kostengünstig ausgeführt werden könne. Gelöst werde diese Aufgabe dadurch, dass zum Einen Gleitsichtwirkung und Rezeptwirkung auf einer einzigen Fläche (der Rückfläche) vereint würden und diese Vereinigung und individuelle Herstellung für jeden Nutzer dazu genutzt würden, individuelle Gegebenheiten bei der Optimierung der Form der Rückfläche einfließen zu lassen. In der E15a finde sich darauf kein Hinweis. Im Gegenteil werde dort in der Beschreibung und in den Patentansprüchen mehrfach betont, dass die Linse separate und getrennte Rezept- und Mehrstärkenflächen aufweise und die individuelle Gestaltung der Rezeptfläche nicht dazu führe, dass diese eine Gleitsichtfläche werde (Spalte 2, Zeile 23). Somit finde sich in E15a weder ein Hinweis auf die erfindungsgemäße Vereinigung von Rezept- und Gleitsichtwirkung noch auf die individuelle Optimierung dieser Gesamtläche anhand bestimmter Randbedingungen.
Schließlich führte die Patentinhaberin zur Offenbarung der von der Einspruchsabteilung herangezogenen Druckschrift E13 aus, dass diese Publikation auf Seite 30 einen Abschnitt "Maßgeschliffene Brillengläser" enthalte. In der rechten Spalte oben auf Seite 30 werde ausgeführt, dass eine befriedigende Korrektur schwierig sein könne, wenn ein ungewöhnlicher Hornhaut/Scheitelabstand und/oder eine starke Vorneigung zu berücksichtigen seien. Es werde dann auf ein Verfahren zur Herstellung maßgeschliffener Brillengläser mit optimaler Korrektur verwiesen und ausgeführt: "Eine Patentanmeldung auf dieses Verfahren wurde erst kürzlich veröffentlicht". Die auf Seite 30 der E13 wiedergegebene Abbildung 2 sei eine Kopie der Figur 2 der E15a. Ganz offensichtlich verweise E13 hier auf E15a und kopiere die dort veröffentlichte Figur 2. E15a sei am 30. September 1993 offengelegt worden, E13 mit einem Druckdatum "6/94" verweise auf eine "kürzlich veröffentlichte" Patentanmeldung und damit, wie die Abbildung 2 deutlich mache, auf E15a. E13 beziehe sich somit lediglich auf E15a und füge dem Offenbarungsgehalt nichts hinzu, bestätige aber, dass die Druckschrift E15a ein realistischer Ausgangspunkt für den beanspruchten Gegenstand sei.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.
4.2.3 Die Einspruchsabteilung hatte in Abschnitt 2.4.4.2 der Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach vorliegendem Anspruch 1 (identisch mit Anspruch 1 des damaligen 2. Hilfsantrags) ausgeführt, dass sich dieses Verfahren von dem Verfahren gemäß dem damaligen Hauptantrag dadurch unterscheidet, dass es zusätzlich noch drei weiteren Schritte enthält:
a) die Gleitsichtfläche ist ohne Punkt- und Achsensymmetrie ausgebildet;
b) die Optimierung wird ausgehend von einer vorher bestimmten Startfläche vorgenommen; und
c) als Randbedingung für die Optimierung gehen unter Anderem der Hornhautscheitelabstand, die Vorneigung der Fassung oder die Pupillendistanz ein.
Nach Auffassung der Einspruchsabteilung sind diese Verfahrensschritte unabhängig voneinander und unabhängig von jenen von Anspruch 1 des Hauptantrags und lösen unabhängige Aufgaben. Sie müssten zur Feststellung des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit unabhängig voneinander dahingehend untersucht werden, ob sie vom Stand der Technik nahe gelegt seien.
4.2.4 Die Kammer vermag diese Einschätzung der Einspruchsabteilung aus folgenden Gründen nicht zu teilen: Bei der Frage nach dem Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit hat die Einspruchsabteilung den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß damaligem 2. Hilfsantrag mit dem Anspruchsgegenstand aus dem damaligen Hauptantrag verglichen und anschließend lediglich die Unterschiede zwischen diesen Ansprüchen für die Frage der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt. Der korrekte Ansatz wäre jedoch gewesen, zunächst die Unterschiede zwischen dem Verfahren nach Anspruch 1 gemäß dem damaligen 2. Hilfsantrag und dem nächstliegenden Stand der Technik festzustellen.
Bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (siehe Abschnitt 2.2.3.2 der Entscheidung) wurde als Unterschied zur Druckschrift E3 festgestellt, dass in der Druckschrift E3 die Offenbarung fehlt, dass die auf der Rückseite der Linse multifokale Fläche eine Gleitsichtfläche ist. Folglich kann die Druckschrift E3 auch keine Angaben zur Herstellung und individuellen Gestaltung der Gleitsichtoberfläche von Brillenlinsen, die bei der beanspruchten Erfindung eine zentrale Bedeutung einnehmen, gemacht haben. Deshalb kann nach Auffassung der Kammer diese Druckschrift auch keinen realistischen Ausgangspunkt bzw. nächstliegenden Stand der Technik bilden.
4.2.5 Die in der Druckschrift E15a gestellte technische Aufgabe betrifft dagegen - wie der vorliegende Anspruchsgegenstand - die Optimierung von Brillenlinsen, insbesondere solche mit Gleitsichtwirkung, für die individuelle Gebrauchssituation. Dazu werden in Spalte 1, Zeilen 30 - 35, insbesondere die dioptrische Wirkung, der Hornhautscheitelabstand, die Objektentfernungen und die Vorneigung der Fassung genannt; siehe ebenso den Abschnitt in Spalte 2, ab Zeile 46. Nach Auffassung der Kammer bildet diese Druckschrift den nächstliegenden Stand der Technik.
4.2.6 Das Verfahren aus Anspruch 1 unterscheidet sich von dem aus der Druckschrift E15a bekannten Verfahren dadurch, dass die gesamte individuell erforderliche dioptrische Wirkungsanpassung mit der als Gleitsichtfläche ohne Punkt- und Achsensymmetrie ausgebildeten Rückfläche der Brillenlinse erfolgt, wobei - ausgehend von einer vorher bestimmten Startfläche - mindestens eine individuelle Optimierung der Form der Rückfläche für den späteren Nutzer mit den im Anspruch angegebenen Randbedingungen vorgenommen wird. Das heißt, das sowohl der progressive Verlauf als auch die weiteren Randbedingungen bei der Berechnung der Rückfläche der Linse zusammen berücksichtigt werden. Die Linse wird aus einem Halbfabrikat mit einer sphärischen oder asphärisch rotationssymmetrischen konvexen Vorderfläche hergestellt.
Im Gegensatz dazu lehrt die Druckschrift E15a, dass die Gleitsichtfläche ("Mehrstärkenfläche") die objektseitige Fläche (Vorderfläche) und die Rezeptfläche die augenseitige Fläche der Linse ist (Spalte 4, Zeilen 15 - 18). Diese Mehrstärkenfläche ist auf einem Halbfabrikat aufgebracht (Spalte 2, Zeilen 5 - 8, und Zeilen 24 - 26) und wird daher bei dem Verfahren der Druckschrift E15a nicht weiter bearbeitet. Die Optimierung dieser Linse durch Berücksichtigung der "individuellen Gebrauchsbedingungen" findet ausschließlich auf der augenseitigen Rezeptfläche statt, siehe Spalte 2, Zeile 46 - Spalte 3, Zeile 3.
4.2.7 Diese Unterschiede zwischen dem Verfahren aus Anspruch 1 und der Lehre der Druckschrift E15a lösen die technische Aufgabe, ein alternatives Herstellungs- und Optimierungsverfahren der Gleitsichtlinse bereitzustellen.
4.2.8 Die Offenbarung der Druckschrift E15a als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zur Optimierung einer Gleitsichtlinse illustriert das in der damaligen Zeit übliche Herstellungsverfahren, wobei bei der Herstellung von Gleitsichtlinsen die vorgefertigte Vorderfläche als Halbfabrikat mit einer Gleitsichtfläche für einen breiten Bereich von Gebrauchsituationen bereitgestellt wurde und anschließend die konkave augenseitige Fläche als Rezeptfläche mit den Rezeptdaten des Benutzers eingeschliffen wurde. Dies wird in der Druckschrift E15a mehrfach ausgeführt, z.B. Spalte 1, Zeile 50; Spalte 1, Zeile 64; Spalte 2, Zeilen 5 - 7; Spalte 2, Zeilen 22 ? 26; Spalte 4, Zeilen 15 ? 18. Weiterhin ist festzuhalten, dass bei den damaligen Herstellungsverfahren vor der Offenbarung der E15a die Rezeptflächen üblicherweise lediglich für die dioptrische Wirkung ausgelegt worden waren (E15a, Spalte 1, Zeilen 17 ? 29), d.h. für die sphärische, astigmatische und prismatische Wirkung. In der Druckschrift E15a wird zur Verbesserung vorgeschlagen, beim Entwurf der augenseitigen Rezeptfläche die individuellen Gebrauchsbedingungen des Brillenträgers zu berücksichtigen.
Da bei diesem bekannten Herstellungsverfahren aus wirtschaftlichen Gründen mit progressiven Vorderflächen vorgefertigte Halbfabrikate eingesetzt wurden (E15a, Spalte 1, Zeile 64) und das Verfahren in der Druckschrift E15a ebenso von einem solchen Halbfabrikat ausgeht, hätte nach Überzeugung der Kammer der Fachmann keinerlei Veranlassung gehabt, eine vollständig neue Lösung in Betracht zu ziehen, wobei erstens die Gleitsichtfläche auf die rückseitige Linsenfläche anzubringen war und zudem sämtliche individuelle Gebrauchsbedingungen in den Entwurf dieser rückseitigen Gleitsichtfläche integriert werden sollten. Deshalb ist das Verfahren aus Anspruch 1 nicht in naheliegender Weise aus der Druckschrift E15a selbst herleitbar.
4.2.9 Auch die Druckschrift E13, Seite 30, Abschnitt "Maßgeschliffene Brillengläser" kommt dem beanspruchten Verfahren nicht näher, da sich ? wie von der Patentinhaberin ausgeführt ? diese Druckschrift lediglich auf die "Patentanmeldung" E15a bezieht, und keine weiteren Einzelheiten zur Abänderung dieses Verfahrens nach E15a offenbart.
4.2.10 Die Druckschriften E3 und E4 enthalten keinerlei Einzelheiten zur Optimierung und individuellen Anpassung von Gleitsichtlinsen.
Das Verfahren aus Anspruch 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4.2.11 Aus diesen Gründen genügt das Patent gemäß Hauptantrag den Erfordernissen des EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
Nr. 1 bis 11 des Hauptantrags, eingereicht mit Schreiben vom 7. September 2012, dort als "Neuer 1.Hilfsantrag" bezeichnet.
Beschreibung und Zeichnungen: in der erteilten Fassung.