T 0400/10 () of 11.1.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T040010.20130111
Datum der Entscheidung: 11 Januar 2013
Aktenzeichen: T 0400/10
Anmeldenummer: 05012602.8
IPC-Klasse: B62D 47/02
B62D 31/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Zweigliedriger Gelenkomnibus
Name des Anmelders: Daimler AG
Name des Einsprechenden: MAN Nutzfahrzeuge Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 607 314 wurde mit der am 1. Februar 2010 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung zurückgewiesen. Dagegen hat die Einsprechende am 24. Februar 2010 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 1. Juni 2010 eingereicht.

II. Es fand am 11. Januar 2013 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.

Anspruch 1 wie erteilt hat folgenden Wortlaut:

"Zweigliedriger Gelenkomnibus (1), dessen mindestens zwei Radachsen (6,7) aufweisender Vorderwagen (2)über das Drehgelenk (4) mit dem eine Radachsenanordnung aufweisenden Hinterwagen (3) verbunden ist, wobei die Radachsenanordnung des Hinterwagens (3) zwei in einem Abstand hintereinander angeordnete Radachsen (8,9) umfasst, wobei der Gelenkomnibus (1) als Niederflurbus ausgebildet und mit seitlichen Sitzen (10) ausgestattet ist und wobei die Radhäuser (11) der Omnibusräder erhaben vom Fußboden in den Innenraum des Gelenkomnibusses (1) hineinragen,

dadurch gekennzeichnet, dass die vordere Radachse (8) des Hinterwagens (3) angetrieben und mit einer Doppelbereifung oder einer Supersinglebereifung versehen ist und die hintere Radachse (9) des Hinterwagens (3) gelenkt ist, wobei zwischen den seitlichen Radhäusern (11) der beiden Radachsen (8 und 9) des Hinterwagens (3) jeweils ein Fußbodenbereich (12) liegt, der als gemeinsamer Fußraumbereich für auf den Radhäusern (11) entgegengesetzt angeordnete Sitze oder Doppelsitze (Visavis-Sitze 10) nutzbar ist."

III. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf D1 (DE-A-27 46 723) und D3 (DE-A1-29 34 314) keine erfinderische Tätigkeit aufweise. D1 offenbare sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 mit der einzigen Ausnahme der Merkmale, wonach (i) "zwischen den seitlichen Radhäusern der beiden Radachsen des Hinterwagens jeweils ein Fußbodenbereich liegt" und wonach (ii) "der Fußbodenbereich als gemeinsamer Fußraumbereich für auf den Radhäusern entgegengesetzt angeordnete Sitze oder Doppelsitze (Visavis-Sitze) nutzbar ist". Somit ergebe sich ausgehend von D1, bei Verwendung einer Doppelachse als Radachse des Hinterwagens (siehe D1, Seite 5, letzter Absatz; Seite 9, letzter Absatz), für den Fachmann die objektive Aufgabe, die Sitzplätze derart anzuordnen, dass kein für den Personentransport nutzbarer Raum verlorengehe. Der Fachmann würde bei der Suche nach einer Lösung der gestellten Aufgabe auch auf das Dokument D3 stoßen, welches einen Stadtomnibus, insbesondere einen Niederflurbus (D3, Beschreibung Seite 3, erster Absatz ; Seite 4, vorletzter Absatz) offenbart, und aus demselben technischen Gebiet von D1 stammt. Der Fachmann werde D3 näher in Betracht ziehen, weil die Figuren 3 und 4 von D3 offensichtlich eine Sitzanordnung für einen Doppelsitz zeigten, bei der, durch die Anordnung eines Doppelsitzes auf dem Radhaus der Hinterachse, kein Platz durch die in den Innenraum hineinragenden Radhäuser verlorengehe. Folglich werde der Fachmann in naheliegender Weise diese Lösung auf den aus D1 bekannten Gelenkomnibus übertragen. Dies bedeute bei dem aus D1 bekannten Gelenkomnibus lediglich, dass die aus D3 bekannte Lösung zweifach angewendet werde. Der Fachmann werde nämlich auf den jeweiligen Radhäuser der beiden Radachsen der Doppelachse jeweils einen Doppelsitz anordnen, und damit unmittelbar zu den obigen Merkmalen (i) und (ii) und damit zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen. Dabei ergäben sich für den Fachmann auch keine besonderen Schwierigkeiten, weil es bekannt und fachüblich sei, die Radachsen bei einer Doppelachse in einem hinreichendem Abstand anzubringen (siehe z.B. D4 (GB-A-2 134 864), Figur 4). Selbst falls es für das Einrichten des Fußbodenbereichs eines etwas größeren Achsenabstands bedürfe, sei dies ohne weiteres vom Fachmann zu bewerkstelligen. Insgesamt sei also der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf D1 und D4 nicht erfinderisch.

IV. Die Beschwerdegegnerin vertrat den Standpunkt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch den vorliegenden Stand der Technik nicht nahegelegt werde. Es bestehe darüber Einigkeit, dass D1 sämtliche Merkmale des erteilten Anspruchs 1 mit der einzigen Ausnahme der besagten Merkmale (i) und (ii) offenbare. Jedoch sei der Anspruchsgegenstand ausgehend von D1 für den Fachmann nicht naheliegend.

Insbesondere werde der Fachmann das Dokument D3 gar nicht heranziehen, weil er dazu keine Anregung habe, da keine Bestuhlungsordnungen in D3 erwähnt seien. Lediglich aus den Figuren 3 und 4 entnehme man die Anordnung eines Doppelsitzes auf einem Radhaus. Jedoch fehle hierzu in D3 eine entsprechende technische Lehre. Hinzu komme, dass auch andere Bestuhlungsanordnungen bei der Suche nach der Lösung der gestellten Aufgabe in Betracht zu ziehen seien, wie z.B. eine bei der der Doppelsitz oberhalb der seitlichen Radhäuser der Doppelachse derart angebracht sei, dass der Achsabstand der Doppelachse durch den Doppelsitz überbrückt werde.

Selbst wenn der Fachmann D3 heranziehe, werde er nicht zur erfindungsgemäßen Lösung gelangen, weil D3 einen Omnibus mit nur einer Hinterachse zeige und damit die Anwendung dieser technischen Maßnahme bei einer Doppelachse gemäß D1 sich für den Fachmann nicht selbstverständlich und unmittelbar erschließe. Besonders sei zu beachten, wie in der Patentschrift (im Folgenden als EP-B bezeichnet) hervorgehoben, dass der "Abstand der beiden Radachsen 8 und 9 exakt auf den Abstand zwischen den Mittelebenen von zwei Visavis-Sitzen 10 abgestimmt" sein müsse (EP-B, Absatz [0025]). Dies sei bei dem Stand der Technik nicht der Fall und hielte den Fachmann auch davon ab, die in Rede stehende, aus D3 bekannte technische Maßnahme bei einer Doppelachse gemäß D1 anzuwenden. Es sei z.B. aus Figur 4 von D4 nicht ersichtlich, dass der Abstand zwischen den Radachsen (oder den Radhäusern oberhalb) der in D4 gezeigten Doppelachse ausreiche, um zwischen den beiden seitlichen Radhäuser einen Fußboden- oder Fußraumbereich einzurichten. Es sei auch allgemein aus dem Stand der Technik nicht bekannt, einen für das Einrichten eines Fußbodenraums ausreichenden Achsabstand bei einer Doppelachse vorzusehen. Eine Vergrößerung dieses Abstands sei auch nicht ohne weiteres möglich, da es zusätzliche komplexe Fragen hinsichtlich der Achsanordnung und Achsauslegung, sowie hinsichtlich des Antriebsstrangs aufwerfe. Die Aufnahme eines den Achsabstand betreffenden Merkmals in den Anspruch 1 sei aber nicht notwendig, da es sich nicht um ein erfindungswesentliches Merkmal handele, sondern nur um ein Ergebnis oder eine Folge der zur Erfindung gehörenden Betrachtungen. Insgesamt beruhe folglich der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist im Hinblick auf D1 und D3 keine erfinderische Tätigkeit auf. Es ist unstreitig, dass D1 mit der Ausnahme der Merkmale (i) und (ii) sämtliche Merkmale des erteilten Anspruchs 1 offenbart. Aus diesen Unterschieden ergibt sich die objektive Aufgabe, die Bestuhlungsanordnung derart vorzusehen, dass kein für den Personentransport nutzbarer Raum verlorengeht. Bei der Suche nach einer Lösung der gestellten Aufgabe würde der Fachmann nicht nur auf D3 stoßen, sondern D3 auch näher in Betracht ziehen, weil D3 aus demselben technischen Gebiet wie D1 stammt und weil die Lehre von D3 unter anderem auch allgemein die Sitzanordnung im Omnibus betrifft (siehe D3, z.B. Anspruch 2; Beschreibung, Seite 4, letzter Absatz; Seite 6, letzter Absatz). Es ist somit für den Fachmann unmittelbar ersichtlich, dass die optimale Nutzung des Innenraums für den Personentransport auch gemäß D3 einen wichtigen Aspekt darstellt. Somit würde auch, bei Betrachtung der Figuren 3 und 4, dem Fachmann sicherlich nicht entgehen, dass ein Doppelsitz platzsparend auf dem Radhaus angebracht ist. Ausgehend von D1 würde sich folglich im Hinblick auf D3 die Anwendung dieser technischen Maßnahme als einfache Lösung der gestellten Aufgabe anbieten, indem nämlich die Doppelsitze auf den jeweiligen Radhäuser der Doppelachse des Omnibusses aus D1 angebracht werden. Dadurch würden auf jeder Seite des Omnibusses entgegengesetzt angeordnete Sitze oder Doppelsitze entstehen und gleichzeitig würde dadurch auch, zwischen diesen Doppelsitzen, ein entsprechender gemeinsamer Fußbodenbereich entstehen, gemäß den besagten Merkmalen (i) und (ii). Somit würde der Fachmann in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin kann die Kammer auf der Grundlage des vorliegenden Standes der Technik und der vorgebrachten Beweismittel nicht erkennen, dass hinsichtlich des für den gemeinsamen Fußbodenbereich notwendigen Achsabstandes der Doppelachse und der beim Stand der Technik üblichen Größe des Achsabstandes der Fachmann den oben genannten Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe nicht beschreiten würde. Die Beschwerdegegnerin hat keine Beweise vorgelegt, die die Behauptung untermauern könnten, wonach der fachübliche Achsabstand bei einer Doppelachse für die Einrichtung eines gemeinsamen Fußbodenbereichs in der Regel nicht ausreichen würde. Insbesondere läßt sich z.B. auf Grund der Figur 4 von D4 diese Behauptung nicht bestätigen, wenn man beachtet, dass lediglich der Achsabstand ausschlaggebend ist, da eine möglicherweise ungünstige Ausgestaltung des Radhauses bei ausreichendem Achsabstand ohne weiteres durch den Fachmann modifiziert werden kann. Es wurde von der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht durch handfeste Belege untermauert, dass etwaige kleinere Änderungen zur Anpassung des Achsabstandes den Fachmann mit besonderen Schwierigkeiten konfrontieren würden. Schließlich wird in der Patentschrift selbst auch gar nicht erwähnt, dass eine Anpassung des üblichen Achsabstandes überhaupt notwendig sei und dass etwaige Anpassungen das Überwinden von sich daraus ergebenden besonderen Schwierigkeiten erforderten. EP-B sagt nämlich lediglich aus, dass "um eine gute Bauraumausnutzung im Innenraum des Gelenkomnibusses 1 zu ermöglichen", der "Achsabstand A der beiden Achsen 8 und 9 exakt auf den Abstand zwischen den Mittelebenen von zwei Visavis- Sitzen 10 abgestimmt" ist (siehe EP-B, Absatz [0025]).

Insgesamt ergibt sich aus den obigen Gründen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art. 56 EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent wird widerrufen.

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