European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:T033110.20130712 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 12 Juli 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0331/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 03011484.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | G02B 21/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung zur Dioptrieneinstellung von Mikroskopen | ||||||||
Name des Anmelders: | Leica Microsystems (Schweiz) AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Carl Zeiss AG | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 15. Dezember 2009 über die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents 1 369 728 in geändertem Umfang. Dieses Patent betrifft ein Mikroskop mit einer Einstellhilfe zur Sehfehler-Korrektur.
Hauptthema im Einspruchsverfahren war ein Einwand unter Art. 100(a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit). In ihrer Entscheidung sah die Einspruchsabteilung die Offenbarung der Druckschrift
D5: DE-C2-43 20 597
als nächstliegenden Stand der Technik an. Nach ihrer Auffassung basierte der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er sich in naheliegender Weise für den Fachmann aus der Kombination der Lehren aus der Druckschrift D5 und der Veröffentlichung
D9: Firmenprospekt "MultiVision**(TM) von Carl Zeiss"
ergeben würde.
Die von der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsanträge 1 - 4 wurden als nicht gewährbar erachtet. Dagegen befand die Einspruchsabteilung, dass unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen das Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags 5 in geänderter Fassung aufrecht erhalten werden könne (vgl. Art. 101(3)(a) EPÜ).
II. In ihrer Beschwerdebegründung vom 9. April 2010 beantragte die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, bzw. auf Basis der bestehenden Hilfsanträge 1 bis 5. In ihren schriftlichen Eingaben führte sie aus, dass die Druckschrift D5 als nächstliegender Stand der Technik ungeeignet sei und dass stattdessen die Druckschrift D1 (WO96/28752) als nächstliegender Stand der Technik anzusehen sei. Hilfsweise beantragte sie eine mündliche Verhandlung.
III. Die Einsprechende beantragte in ihrer am 17. April 2010 eingegangenen Beschwerdebegründung, die Zwischenentscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen. Auch die Einsprechende beantragte hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
IV. Mit einem Ladungsbescheid vom 24. April 2013 lud die Kammer zu einer mündlichen Verhandlung am 12. Juli 2013. In diesem Bescheid erläuterte die Kammer, dass in der mündlichen Verhandlung für die Frage der erfinderischen Tätigkeit zunächst erörtert werden sollte, ob die Druckschrift D5 wie in der Zwischenentscheidung ausgeführt als nächstliegender Stand der Technik anzusehen sei, oder die Druckschrift D1, wie dies von der Patentinhaberin vertreten werde.
In der mündlichen Verhandlung, an deren Ende die vorliegende Entscheidung verkündet wurde, beantragte die Patentinhaberin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patentes in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2009 eingereichten Hilfsantrags 1, des am 28. Oktober 2007 eingereichten Hilfsantrags 2 oder eines der in der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2009 eingereichten Hilfsanträge 3 und 4. Hilfsweise beantragte die Patentinhaberin die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden.
Die Einsprechende beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin sowie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag der Patentinhaberin (Anspruch 1 des erteilten Patents) lautet wie folgt:
"Mikroskop, insbesondere Operationsmikroskop, mit einer Einstellungshilfe zur Sehfehler-Korrektur mit zwei Hauptstrahlengängen (2), die mindestens ein Hauptobjektiv (10), einen Vergrößerungswechsler (7), mindestens ein Umlenkelement (5) für einen Zubehör-Anschluss (6), mindestens eine Tubuslinse (4), eine Zwischenbild-Ebene (3) und je ein Okular (1) durchsetzen;
mit einer Einblendvorrichtung für eine Fokussiermarke (13), die mittels einer Lichtquelle (9), und mindestens einem weiteren Umlenkelement (8) in mindestens einen Hauptstrahlengang (2) als Bild (3a) einblendbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass die Fokussiermarke (13) bei Bedarf in der Zwischenbild-Ebene (3) als Bild, abgebildet wird
und dass das weitere Umlenkelement (8) unterhalb der Tubuslinse (4) in den Hauptstrahlengang (2) einklappbar bzw. aus dem Hauptstrahlengang (2) entfernbar angeordnet ist".
Die restlichen Ansprüche 2 bis 10 sind auf Anspruch 1 rückbezogen.
VI. Die Argumente der Patentinhaberin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Erfindung betrifft ein Mikroskop mit einer Einstellhilfe zur Sehfehler-Korrektur. Als Einstellhilfen wurden bei Mikroskopen aus dem Stand der Technik in der Zwischenbildebene Fokussiermarken wie Fadenkreuze, Mikrometerscheiben oder "reticles" angeordnet, um eine partielle Verbesserung der Einstellbarkeit der Dioptrieneinstellung herbeizuführen, wie dies in dem Buch
D17: "Zeiss Microscopes for Microsurgery" von W.H. Lang und F. Muchel, Springer-Verlag 1981
dargestellt ist. In dieser Veröffentlichung wird auf Seite 16 unter Punkt b) im Detail auf die Dioptrieneinstellung eingegangen. Insbesondere wird hier offenbart, dass die Einstellung für den jeweiligen Benutzer immer vor der Inbetriebnahme des Instruments kontrolliert bzw. korrigiert werden soll. Wie in der Beschreibungseinleitung der Patentschrift erläutert, offenbart die Druckschrift D1 eine weitere Möglichkeit der automatischen Anpassung der Einstellung an die optischen Eigenschaften der Anwenderaugen. Diese Druckschrift ist nächstliegender Stand der Technik, da sich die D1 mit der gleichen Problematik wie das Patent beschäftigt, nach einer Verbesserung der Dioptrieneinstellung sucht und dabei zusätzlich noch die meisten Merkmale mit der Erfindung in Übereinstimmung hat (siehe Richtlinien für die Prüfung, G-VII, 5.1). Dagegen ist die von der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung genannte Druckschrift D5 als nächstliegender Stand der Technik ungeeignet und würde von einem Fachmann - ohne Vorkenntnis der Erfindung - auch nicht herangezogen werden, da die D5 explizit keine Einstellhilfe für eine Sehfeldkorrektur zeigt und sich somit schlichtweg nicht mit diesem Thema befasst. In Sp. 3, Zeilen 65 und 66 der D5 werden die Vorrichtungsteile " ein Einstellprisma 44 für die Augenweite und eine Okularlinse 45" genannt und wird eine Einstellung der Augenweite erwähnt, aber nichts über eine Dioptrieneinstellung des Okulars ausgesagt. Daraus folgt implizit, dass in dieser Vorrichtung das Okular anhand der damals üblichen, insbesondere aus dem Buch D17 bekannten Mitteln eingestellt wird. Auch die Druckschrift D9, deren Vorveröffentlichung bestritten ist, offenbar keine Sehfehler-Korrektur.
Die Einstellhilfe aus der Druckschrift D1 besteht aus einer mit Infrarotlicht beleuchteten Fokussiermarke (Fig. 1, Fadenkreuz 9; Fig. 3, 9a und 9b), welche in den Strahlengang des Mikroskops integriert ist und eine automatische Einstellung des Okulars ermöglicht. Die ständige Anwesenheit einer Fokussiermarke im Strahlengang ist ein Nachteil. Die Aufgabe der Erfindung kann in der Bereitstellung einer anderweitigen Hilfe zum Dioptrienausgleich gesehen werden. Diese Aufgabe wird durch die Merkmale des Anspruchs 1 gelöst. Im Unterschied zur Lehre der Druckschrift D1 wird eine Fokussiermarke mithilfe eines Umlenkelements bei Bedarf in der Zwischenbildebene des Mikroskops als Bild abgebildet; dieses Umlenkelement ist im Hauptstrahlengang einklappbar bzw. entfernbar angeordnet. Diese Lösung ist nicht naheliegend, da die Druckschrift D1 eine komplette, gut funktionierende, automatische Dioptrieneinstellung offenbart. Sollte der Fachmann statt der automatischen Einstellung aus der D1 eine manuelle Dioptrieneinstellung vorziehen, würde er auf die bekannte Lösung, wie sie aus dem Lehrbuch D17 ersichtlich ist, zurückgreifen: diese Lösung beruht auf einer im Hauptstrahlengang fest angeordneten Fokussierungsmarke, und entspricht somit nicht der im Anspruch 1 definierten Einstellungshilfe.
Die Auffassung der Einsprechenden, die Einheit 20 in der Figur 3 der Druckschrift D1 sei eine Lichtquelle zur Beleuchtung der Fokussiermarke in der Zwischenbildebene, trifft nicht zu. Die Einheit 20 ist eine Bildliefervorrichtung für MRI-Daten vom betrachteten Objekt. Eine Fokussiermarke ist demgegenüber ein Gegenstand mit einer speziellen räumliche Erstreckung und einer speziellen Bestimmung.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents beruht deshalb auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Einsprechenden lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Druckschrift D1, Figur 3, zeigt eine Einstellhilfe für ein Mikroskop mit zwei Hauptstrahlengängen. In einer Zwischenebene sind Fadenkreuze 9a und 9b angeordnet, die mit Infrarotlicht angeleuchtet werden und eine automatische Einstellung des Okulars bewirken. Diese automatische Einstellung bildet einen ersten Unterschied zur manuellen Einstellungshilfe aus Anspruch 1 des Streitpatents. Da ein Benutzer eine automatische Einstellung als nachteilig empfinden mag, insbesondere wenn er eine manuelle Einstellung gewohnt ist und diese bevorzugt, kann die technische Aufgabe darin gesehen werden, die Vorrichtung aus D1 zu modifizieren um eine manuelle Einstellung zu ermöglichen (Teilaufgabe 1). Da laut Druckschrift D1, Seite 14, Zeile 26, das Fadenkreuz aus einer im Prinzip völlig durchsichtigen Scheibe besteht, eignet es sich nicht zum manuellen Einstellen. Deshalb muss das Fadenkreuz im Strahlengang sichtbar sein. Dazu bietet sich in der Vorrichtung aus Figur 3 der D1 die Bildliefervorrichtung 20 als Lichtquelle an. Mittels dieser Vorrichtung können Patientendaten in den Hauptstrahlengang eingespiegelt werden und ebenso allgemeine Muster oder eine Marke, z.B. eine Fokussiermarke.
Eine Daten- oder Symbole-Einspiegelung in den Hauptstrahlengang bei Operationsmikroskopen war vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents üblich, was nicht nur durch die Druckschrift D1, sondern auch durch die Veröffentlichung D9 belegt wird. Diese offenbart auf Seite 3 das Einspiegeln eines übergelagerten Bildes der aus CT- oder MR-Bildern gewonnenen Tumorkonturen mit Fadenkreuz. Insbesondere ist das Merkmal in Anspruch 1 "die Fokussierungsmarke (13) abgebildet wird" als funktionelles Merkmal aufzufassen, deshalb umfasst dieses Merkmal eine Bildliefervorrichtung mit geeignetem Muster auf dem Bildschirm.
Ein weiterer Unterschied zwischen der Vorrichtung aus der Figur 3 der D1 und dem Anspruchsgegenstand besteht in dem zusätzlichen Umlenkelement, das in der beanspruchten Vorrichtung einklappbar bzw. entfernbar angeordnet ist. Dies löst eine zweite Teilaufgabe, die von der ersten Teilaufgabe unabhängig ist und deshalb bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit getrennt betrachtet werden muss. Bei der Vorrichtung aus Figur 3 der Druckschrift D1 wird die Bildliefervorrichtung 20 über einen 45° Spiegel und einen schematisch angegebenen Strahlteiler in den Hauptstrahlengang eingespiegelt. Die Druckschrift D1 offenbart keine Einzelheiten über diesen Strahlteiler. Die zweite Teilaufgabe kann darin gesehen werden, den Hauptstrahlengang von nicht benötigten optischen Komponenten, zum Beispiel Strahlenteiler, zu befreien. Auf dem Gebiet der Mikroskope ist die Verwendung solcher schwenkbaren oder klappbaren Spiegel und Strahlenteiler fachüblich, was beispielsweise aus der Druckschrift D5, Figur 1, und Spalte 7, Zeilen 28 - 31 ("schnelle halbdurchlässige Rückschwingspiegel 81, 81' eingeschwenkt wird") hervorgeht.
Für die Lösung der Aufgabe der Bereitstellung einer manuellen Okulareinstellung anstatt einer automatischen Einstellhilfe, geht der Fachmann von der Offenbarung der Druckschrift D1, Figur 3 aus und wird sodann aufgrund seiner Fachkenntnis, wie z.B. in der Druckschrift D5 dokumentiert, zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen, ohne erfinderisch tätig zu werden.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerden
Die Beschwerden sind zulässig.
2. Patentierbarkeit
2.1 Der Begriff "Fokussiermarke"
Aus den Ausführungen der Parteien ebenso wie aus der angegriffenen Entscheidung geht hervor, dass der Begriff "Fokussiermarke" unterschiedlich interpretiert wurde. Die Patentinhaberin hatte ihre Auffassung bekräftigt, dass im Streitpatent eine Fokussiermarke einen Gegenstand mit einer speziellen räumlichen Erstreckung und einer speziellen Bestimmung darstellt. Hingegen hatte die Einsprechende ausgeführt, das Merkmal in Anspruch 1 "die Fokussierungsmarke abgebildet wird" sei als funktionelles Merkmal aufzufassen. Daher würde dieses Merkmal zum Beispiel auch eine Bildliefervorrichtung mit patientenrelevanten Informationen auf dem Bildschirm, die während der Benutzung des Mikroskops zusätzlich in den Strahlengang zur Unterstützung des Operateurs eingeblendet werden, umfassen. Diese Ansicht wurde auch in der angegriffenen Entscheidung geteilt. Dort wird Folgendes augeführt: "Die Einblendvorrichtung (d.h. die Einheiten 93, 93' aus der D5) per se stellt bei der Darstellung eines geeigneten Musters bereits eine Einblendvorrichtung dar, die geeignet ist, eine Fokussiermarke darzustellen " (Entscheidung, Seite 5, 3. Absatz).
Der Begriff "Fokussiermarke" wird im Streitpatent mehrmals verwendet:
- In Absatz [0003] wird offenbart, dass "Fokussierstrichmarken" bzw. "Fadenkreuze" auf "Strichplatten" angebracht werden und üblicherweise in der Zwischenbildebene angeordnet sind.
- Bei der Würdigung der Druckschrift D1 in Absatz [0006] wird offenbart dass eine beleuchtete "Fokussiermarke" in den Strahlengang integriert wurde. Diese "Fokussiermarke" entspricht dem "Fadenkreuz" 9a, bzw. 9b aus der Figur 3 der D1.
- In Absatz [0020] wird die Einblendung der erfindungsgemäßen Fokussiermarke 13 erläutert, welche dadurch zustande kommt, dass die Lichtquelle 9 durch eine Strichplatte 12 hindurch erscheint (siehe auch die Figuren 1 und 2; ebenso die Bezugszeichenliste mit den Bezugszeichen 12 - Strichplatte; und 13 - Fokussiermarke).
Die Kammer schließt daraus, dass die in Anspruch 1 verwendete Bezeichnung "Fokussiermarke" einen spezifisch für die Dioptrieneinstellung bestimmten Gegenstand beschreibt im Einklang mit der Beschreibung des Streitpatents, die diese Interpretation stützt (Artikel 84 EPÜ).
Diese Auffassung steht auch im Einklang mit dem Anspruchswortlaut der Ansprüche. In Anspruch 1 wird neben der "Einblendvorrichtung für eine Fokussiermarke (13)" eine "Lichtquelle (9)" definiert; außerdem wird definiert dass die Fokussiermarke (13) abgebildet wird. In Anspruch 2 werden weitere Merkmale der "Lichtquelle (9)" definiert. Da die Merkmale "Fokussiermarke" und "Lichtquelle" in Anspruch 1 als zwei separate, in optischer Beziehung stehende Elemente definiert sind bietet Anspruch 1 nach Ansicht der Kammer keinen Raum für eine Interpretation dahingehend, dass die Fokussiermarke ein rein "funktionelles" Merkmal sein könnte.
2.2 Nächstliegender Stand der Technik
2.2.1 Im Einspruchsverfahren hatte die Einspruchsabteilung - ausgehend von einer breiteren Auslegung des Begriffs Fokussiermarke - die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des erteilten Patents verneint und war dabei von der Offenbarung der Druckschrift D5 ausgegangen, welche ihrer Meinung nach den nächstliegenden Stand der Technik bildete. Die Patentinhaberin hatte diese Auffassung unter Hinweis auf die Richtlinien für die Prüfung bestritten und hatte stattdessen die in der Patentschrift gewürdigte Druckschrift D1 als nächstliegender Stand der Technik genannt.
2.2.2 Die von der Patentinhaberin zitierte Stelle der Richtlinien, Kapitel G-VII 5.1 "Bestimmung des nächstliegenden Stands der Technik", lautet:
"Unter dem nächstliegenden Stand der Technik ist die in einer einzigen Quelle offenbarte Kombination von Merkmalen zu verstehen, die den erfolgversprechendsten Ausgangspunkt für eine naheliegende Entwicklung darstellt, die zur beanspruchten Erfindung führt. Die erste Überlegung bei der Bestimmung des nächstliegenden Stands der Technik ist die, dass er auf einen ähnlichen Zweck oder eine ähnliche Wirkung wie die Erfindung gerichtet oder zumindest demselben Gebiet der Technik wie die beanspruchte Erfindung oder einem eng verwandten Gebiet zuzuordnen sein sollte " (Hervorhebungen durch die Kammer).
2.2.3 Das vorliegende Streitpatent betrifft ein Mikroskop mit einer Einstellhilfe zur Sehfehler-Korrektur für die Augen des Betrachters, siehe Absatz [0001] und Anspruch 1 der Patentschrift. In den Absätzen [0003] bis [0005] wird vorgetragen, dass im Stand der Technik zum Einstellen von Mikroskopokulare in der Zwischenbild-Ebene angeordnete Fokussiermarken bzw. auf Strichplatten angebrachten Fadenkreuze verwendet werden, womit eine manuelle Anpassung der Dioptrieneinstellung des Instruments zur Korrektur eines Sehfehlers ermöglicht wird. Dieser allgemeine Stand der Technik wird z.B. im Lehrbuch D19, Seiten 16 bis 19 dargestellt.
2.2.4 Im anschließendem Absatz [0006] der Patentschrift wird die Druckschrift D1 gewürdigt, die eine automatische Anpassung mittels einer mit Infrarotlicht beleuchtete Fokussiermarke ermöglicht.
2.2.5 Ebenso betrifft die beanspruchte Erfindung "ein Mikroskop, mit einer Einstellhilfe zur Sehfehler-Korrektur mit einer Einblendvorrichtung für eine Fokussiermarke" (Oberbegriff des Anspruchs 1) und führt im Kennzeichen das Merkmal auf, dass " die Fokussiermarke bei Bedarf in der Zwischenbild-Ebene (3) als Bild abgebildet wird ".
2.2.6 Für die Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik ist deshalb entscheidend, dass der Zweck der beanspruchten Erfindung eine weitere Entwicklung der Anpassung von Einstellhilfen zur Sehfehler-Korrektur bei Mikroskopen ist und dass die Wirkung durch Modifizierung der Anordnung von bekannten Fokussiermarken im Hauptstrahlengang ist.
2.2.7 Da sich die Druckschrift D1 eingehend mit dieser Problematik befasst (siehe Zusammenfassung der D1: "Die Erfindung betrifft ein Mikroskop, insbesondere ein Operationsmikroskop mit einer fernbedienbaren Verstelleinrichtung für ein Okular, wobei diese bevorzugt eine automatische Einstellung des Okulars in Abhängigkeit von optischen Eigenschaften eines Anwenderauges ermöglicht") und auf einen ähnlichen Zweck oder eine ähnliche Wirkung wie die Erfindung gerichtet ist, bildet sie unter den von der Einsprechenden zitierten Entgegenhaltungen den für die Erfindung realistischeren und erfolgsversprechenderen Ausgangspunkt und daher auch den nächstliegenden Stand der Technik.
2.2.8 Im Gegensatz dazu offenbart die Druckschrift D5 zwar ein Operationsmikroskop, und ist damit "zumindest demselben Gebiet der Technik wie die beanspruchte Erfindung oder einem eng verwandten Gebiet zuzuordnen". Diese Druckschrift offenbart jedoch nichts über eine Sehfehler-Korrektur oder Dioptrienanpassung. Ebenso wenig werden darin irgendwelche Fokussiermarken erwähnt. Nach Überzeugung der Kammer kann die Druckschrift D5 nicht als "nächstliegender" Stand der Technik gelten, weil sie weder die Problematik der Sehfehler-Korrektur ("Zweck") noch eine diesbezügliche Lösung ("Wirkung") offenbart.
2.3 Erfinderische Tätigkeit
2.3.1 Aus den unter Punkt 2.1 dargelegten Gründen bildet die Druckschrift D1 den nächstliegenden Stand der Technik.
2.3.2 Diese Druckschrift offenbart ein Operationsmikroskop (Ansprüche 11 und 14), mit einer Einstellungshilfe zur Sehfehler-Korrektur mit zwei Hauptstrahlengängen (Fig. 3: Strahlengänge 45a, 45b), die mindestens ein Hauptobjektiv (18), einen Vergrößerungswechsler (Zoom 14a, 14b), mindestens ein Umlenkelement für einen Zubehör-Anschluss (Spiegel/Strahlenteiler für Zubehör 19, 20)), mindestens eine Tubuslinse (nicht gezeichnet in Figur 3, jedoch implizit), eine Zwischenbild-Ebene (Ebene wo das Fadenkreuz 9a, 9b angeordnet ist) und je ein Okular (8a, 8b) durchsetzen, und mit einer Einblendvorrichtung für eine Fokussiermarke (9a, 9b), die mittels einer Lichtquelle (Infrarot LED 13) in mindestens einen Hauptstrahlengang einblendbar ist.
2.3.3 Das in Anspruch 1 definierte Mikroskop unterscheidet sich von der Vorrichtung aus der Druckschrift D1 dadurch, dass die Einblendvorrichtung mindestens ein weiteres Umlenkelement aufweist womit die Fokussiermarke in den Hauptstrahlengang eingeblendet wird. Außerdem kann die Fokussiermarke "bei Bedarf" in der Zwischenbild-Ebene als Bild abgebildet werden. Dazu ist das weitere Umlenkelement unterhalb der Tubuslinse in den Hauptstrahlengang einklappbar bzw. aus dem Hauptstrahlengang entfernbar angeordnet.
Dagegen ist beim Mikroskop aus der D1 die Fokussiermarke (Fadenkreuz) fest im Hauptstrahlengang angeordnet.
2.3.4 Zur technischen Aufgabe ausgehend von D1 haben sich die Parteien unterschiedlich geäußert. Nach Ansicht der Patentinhaberin liegt die Aufgabe der Erfindung in einer alternativen Lösung zum Dioptrienausgleich. Die Einsprechende hat vorgetragen, dass im Gegensatz zur Vorrichtung der D1, die eine automatische Dioptrieneinstellung aufweist, die Merkmale aus Anspruch 1 eine manuelle Dioptrieeinstellung definieren. Deshalb sei die technische Aufgabe darin zu sehen, eine manuelle Einstellmöglichkeit bereitzustellen.
2.3.5 Nach Auffassung der Kammer entnimmt der Durchschnittsfachmann der Druckschrift D1, dass der Verfasser dieser Patentanmeldung der Auffassung ist, dass eine manuelle Verstellung des Okulars während eines (längeren) Beobachtungsvorgangs unerwünscht ist und dass ein Verstellen des Okulars ohne Hantieren vorzuziehen ist, siehe D1, Seite 1, Zeilen 19 - 27. Diese Druckschrift offenbart deshalb eine automatische Einstellungshilfe zur Sehfehler-Korrektur. Der Ausgangspunkt für die Erfindung in der Druckschrift D1 bildeten die aus dem Stand der Technik bekannten Mikroskopen mit Handverstellung des Okulars, wie z.B. im Lehrbuch D17 offenbart.
2.3.6 Die Formulierung der technischen Aufgabe kann deshalb in dem Bereitstellen einer alternativen Einstellhilfe zur Sehfehler-Korrektur gesehen werden; nach Meinung der Kammer würde der Fachmann beim Lesen der Druckschrift D1 daraus keine Anregung dafür entnehmen, die Vorrichtung für eine manuelle Einstellhilfe abzuändern da der Verfasser dieser Druckschrift eine solche manuelle Einstellhilfe als nachteilig angibt. Aber auch wenn der Durchschnittsfachmann - wie von der Einsprechenden vorgetragen wurde - die automatische Einstellhilfe der D1 ablehnen würde, würde er zur Abänderung der Vorrichtung der Druckschrift D1 auf eine aus dem Stand der Technik (Lehrbuch D17) bekannte manuelle Dioptrieneinstellung zurückgreifen. Dazu müsste er in der Vorrichtung aus Figur 3 der D1 lediglich das Fadenkreuz, das in diesem Ausführungsbeispiel aus einer im Prinzip völlig durchsichtigen Scheibe besteht und mit einer Infrarot-Leuchtdiode angeleuchtet wird (Seite 14, letzter Absatz), durch ein herkömmliches Fadenkreuz ersetzen, siehe das Buch D17, Fig. 28 ("focusing aids").
2.3.7 Mit dieser Maßnahme würde die so modifizierte Vorrichtung allerdings nicht alle Merkmale des Anspruchs 1 aufweisen, da in diesem Fall die Fokussiermarke (Fadenkreuz) fest in der Zwischenbildebene angeordnet sein würde - und nicht wie beansprucht in der Zwischenbild-Ebene als Bild über einen in den Hauptstrahlengang ein- bzw. aus ihm entfernbaren Umlenkelement abgebildet - mit den im Streitpatent beschriebenen Nachteilen.
2.3.8 Die Einsprechende führte aus, dass der Fachmann in der Vorrichtung aus Figur 3 der Druckschrift D1 die dort für eine Daten- oder Symbole-Einspiegelung in den Hauptstrahlengang vorgesehene Bildliefervorrichtung 20 benutzen würde um die Dioptrieneinstellung des Mikroskopokulars manuell einzustellen und er dabei implizit eine Fokussiermarke einspiegeln würde.
2.3.9 Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen: Zum einen offenbart die Druckschrift D1 eine Weiterentwicklung zu den bekannten manuellen Dioptrieneinstellungen, die mit einer sichtbaren Fokussiermarke im Strahlengang funktionieren; die Einstellung in der D1 findet jedoch automatisch statt und es ist keine für den Beobachter sichtbare Fokussiermarke in der Zwischenebene angeordnet. Falls der Fachmann auf eine solche automatisch Einstellung z.B. aus Kostengründen verzichten möchte, würde er unmittelbar die "klassische" Einstellmethode mit festem Fadenkreuz im Strahlengang aus dem Lehrbuch D17 wählen.
2.3.10 Zum anderen wird weder in der Druckschrift D1, noch in einer der weiteren Druckschriften aus dem Einspruch- bzw. Beschwerdeverfahren die Verwendung einer solchen Bildliefervorrichtung für die Darstellung einer Fokussiermarke zur Dioptrieneinstellung auf diesem Fachgebiet offenbart oder nahegelegt.
2.3.11 Darüber hinaus definiert die Vorrichtung aus Anspruch 1 des erteilten Patents als erfindungswesentliche Merkmale eine Fokussiermarke als Gegenstand nebst einer Lichtquelle, siehe dazu die Ausführungen in Punkt 2.1 supra. Die Vorrichtung aus der Druckschrift D1 würde diese Merkmale nicht aufweisen, selbst wenn diese - wie von der Einsprechenden vorgebracht wurde - zur manuellen Dioptrieneinstellung verwendet würde.
2.3.12 Die weiteren Druckschriften D5 und D9 betreffen in keiner Weise die Dioptrieneinstellung eines Mikroskops und offenbaren auch keine Fokussiermarke mit Lichtquelle im Sinne des Patents. Die dort vorhandenen Bildüberlagerungseinrichtungen dienen dazu, wahlweise zusätzliche Informationen wie zum Beispiel Fluoreszenslichtbilder des operierten Bereichs oder Endoskop-, Ultraschall, CT-oder MR-Bilder und weitere diagnostische Daten bzw. ein Fadenkreuz zur Anzeige des Wirkpunkts einer automatischen Autofokusfunktion - die nicht auf die Einstellung des Okulars zur Sehfehlerkorrektur wirkt - in den Strahlengang des Mikroskops einzuspeisen (vgl. D5, Anspruch 1 bzw.D9, Seite 3). Auch wenn diese überlagerten Bilder und Informationen nur dann für den Operateur des Mikroskops scharf abgebildet gesehen werden, wenn die - übrigens nicht offenbarte - Dioptrieneinstellung seinen Augen korrekt angepasst ist, stellen diese Bildüberlagerungseinrichtungen an sich noch keine Fokussierungsmarke mit Lichtquelle dar.
Aus diesem Grund sind auch die weiteren Ausführungen der Einsprechenden zu einer behaupteten Vorbenutzung eines der Druckschrift D9 entsprechenden "Carl Zeiss Operationsmikroskops OPMI Neuro Multivision" für die Entscheidung nicht von Bedeutung.
2.3.13 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Das Gleiche gilt für den Gegenstand der restlichen, auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 10.
3. Der von der Einsprechenden geltend gemachte Einspruchsgrund steht daher der Aufrechterhaltung des europäischen Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.