T 0276/10 () of 17.1.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T027610.20130117
Datum der Entscheidung: 17 Januar 2013
Aktenzeichen: T 0276/10
Anmeldenummer: 01113410.3
IPC-Klasse: A61B 17/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zum Entfernen von Körpersteinen mit einem intrakorporalen Lithotripter
Name des Anmelders: Ferton Holding SA
Name des Einsprechenden: Karl Storz GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Klarheit (ja)
Unzulässige Erweiterung (nein)
Ausführbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1321/04
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr. 1 163 883 in geändertem Umfang ist am 10. Dezember 2009 zur Post gegeben worden. In der Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass der damals gültige Hilfsantrag den Anforderungen der Artikel 84 und 56 EPÜ genügte.

II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen diese Entscheidung am 11. Februar 2010 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr wurde am 12. Februar 2010 entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 16. April 2010 eingereicht.

III. Mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit.

IV. Am 17. Januar 2013 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Parteien die folgenden abschließenden Anträge stellten:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, eingereicht am 6. Dezember 2012 als Anspruch 1 des Hilfsantrags II

- Ansprüche 2 bis 12 wie erteilt

- Beschreibung und Figuren wie erteilt.

V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Hinzufügungen und Streichungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 sind durch die Kammer kenntlich gemacht):

"Vorrichtung zum Entfernen von Körpersteinen [deleted: mit einem ], umfassend einen intrakorporalen Lithotripter[deleted: , welcher ]und einen elektrisch angesteuerten Ultraschallwandler, wobei der intrakorporale Lithotripter als Wellenleiter eine Metallsonde aufweist, die für eine mit ihrem distalen Ende veranlaßte Steinzertrümmerung in den Arbeitskanal eines Endoskops eingesetzt und durch [deleted: einen elektrisch angesteuerten ]den Ultraschallwandler zu longitudinalen Schwingungen angeregt wird,

dadurch gekennzeichnet, daß die über den Ultraschallwandler elektrisch angesteuerte Schwingungsanregung der Metallsonde (7) auf eine mit einem reversibel angetriebenen Schlagteil (24) der Vorrichtung gesteuerte Ausbildung einer Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde (7) umschaltbar ist."

Die Ansprüche 2 bis 12 sind abhängige Ansprüche.

VI. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung von Bedeutung:

D1: EP-A-0 421 285

D6: EP-B-0 317 507

D8: Privatgutachten von Prof. Dr.-Ing. Helmut Ermert, Ruhr-Universität Bochum, vom 14.12.2000

D10: R. Vorreuther et al., "Pneumatische versus elektrokinetische ureteroskopische Lithotripsie", Aktuelle Urologie 27 (1996), S. 306-310, Georg Thieme Verlag

D11: DE-A-2 412 690

D12: M. Sakulin et al., "Verfahren zur Steinzerstörung in den ableitenden Harnwegen", Elektrotechnik und Maschinenbau 90(4), S. 156-163.

VII. Die von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

(a) Klarheit

- Im Anspruch 1 sei völlig offen, in welcher Beziehung das Schlagteil zur beanspruchten Vorrichtung stehe. Insbesondere ließe sich dem Anspruch nicht entnehmen, in welcher Weise das Schlagteil als Bestandteil der Vorrichtung die Ausbildung einer "Stoß- bzw. Druckwelle" in der Metallsonde "steuern" soll. Zudem sei im Anspruch unklar, ob der Antrieb des Schlagteils ebenfalls zur Vorrichtung gehöre.

- Die Definition im Anspruch 1, wonach die Vorrichtung einen Ultraschallwandler umfasst, stehe im Widerspruch zur Darstellung in der Beschreibung, insbesondere in Spalte 3, Zeilen 13 bis 14, wonach die Vorrichtung aus einem Ultraschallwandler besteht.

(b) Unzulässige Erweiterung

Es sei den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht zu entnehmen, dass die Vorrichtung den beanspruchten Lithotripter und den beanspruchten Ultraschallwandler umfasse, ohne dass letzterer auch Teil des Lithotripters sei.

(c) Ausführbarkeit

- Das Streitpatent enthalte keine ausführbare Lehre zum "Umschalten" zwischen der über den Ultraschallwandler elektrisch angesteuerten Schwingungsanregung in der Metallsonde und einer mit dem reversibel angetriebenen Schlagteil gesteuerten Ausbildung einer Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde. Der Begriff des "Umschaltens" sei nicht im Sinne eines "Zustandswechsels" zu interpretieren, da dieser nicht der üblichen Bedeutung des Begriffs "umschalten" entsprechen würde. Für das Umschalten zwischen einer periodischen und einer impulsförmigen Anregung durch den Ultraschallwandler sei im Absatz [0015] des Streitpatents explizit ein elektrischer Umschalter 21 vorgesehen, wobei diesbezüglich im Anspruch 2 ebenfalls der Begriff "umschaltbar" verwendet werde. Somit sei klar, dass mit "Umschalten" nur ein elektrisches Umschalten gemeint sein könne.

- Das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie hinsichtlich der Erzeugung von Stoß- bzw. Druckwellen in einer Metallsonde ausführen könne. Auch wenn in D6 der Ausdruck "onde de choc" verwendet werde, so zeige die experimentelle Untersuchung zur Ausführbarkeit D8, dass mit dem Lithotripter von D6 keine Stoßwellen in technisch relevantem Umfang erzeugt werden könnten. In einem Festkörper wie einer Metallsonde könnten auch keine Druckwellen in nennenswertem Maße entstehen.

- Somit sei das Patent gemäß Artikel 100(b) EPÜ zu widerrufen.

(d) Erfinderische Tätigkeit

- Die im Streitpatent zitierten Dokumente D6 und D1 stellten zwei jeweils verschiedene intrakorporale Lithotripter dar, zwischen denen der Fachmann entsprechend den vorliegenden Behandlungsanforderungen auswählen würde. Der Fachmann würde folglich die Vor- und Nachteile der jeweiligen Wirkmechanismen der Dokumente D6 und D1 erkennen und jeweils denjenigen Lithotripter in den Patienten einführen, der für die jeweilige Behandlung optimal in Frage käme. Die zu lösende Aufgabe bestünde darin, einen über D6 (bzw. D1) hinausgehenden alternativen Antrieb bereitzustellen. Es bedürfe somit keiner erfinderischen Tätigkeit, beide Lithotripter in einem Gerät zu vereinen und zwischen beiden Wirkmechanismen "umzuschalten", was auch einen kompletten Umbau der Vorrichtung bedeuten könne. Die Kombination von D6 und D1, bzw. von D1 und D6, würde folglich in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand führen. Alternativ dazu würde auch die Kombination von D1, D10 und D11 zum beanspruchten Gegenstand führen.

- Ferner würde auch D12 als nächster Stand der Technik den beanspruchten Gegenstand nahelegen. Alternativ böten sich auch die Kombinationen von D12 und D1, D1 und D12, oder D12 und das Ausführungsbeispiel der Figur 2 aus D6 an, um die fehlende erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 zu belegen.

VIII. Die von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

(a) Die dem Anspruch 1 des Streitpatents hinzugefügten Merkmale erfüllten das Klarheitsgebot. Aus Spalte 2, Zeilen 36 bis 45 des Streitpatents gehe klar hervor, dass die Vorrichtung aus einem Schlagteil und einem Ultraschallwandler bestünde. Darüber hinaus definiere Anspruch 1 des Streitpatents, dass die Vorrichtung einen intrakorporalen Lithotripter mit einer Metallsonde als Wellenleiter umfasse. Somit könne der Satzteil in Spalte 3, Zeilen 13 bis 14 der Beschreibung des Streitpatents (wonach die erfindungsgemäße Vorrichtung aus einem Ultraschallwandler "besteht") sinnvollerweise nicht so ausgelegt werden, dass die Vorrichtung ausschließlich aus einem Ultraschallwandler bestehen müsse. Das Schlagteil besitze anspruchsgemäß die Funktion, eine Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde anzuregen. Somit sei es nicht erforderlich, weitere Merkmale des Schlagteils, wie dessen Antrieb, in den Anspruch aufzunehmen.

(b) In der ursprünglichen Anmeldung gäbe es keine Offenbarung dafür, dass der intrakorporale Lithotripter der erfindungsgemäßen Vorrichtung den Ultraschallwandler umfassen müsse. Lediglich im ursprünglichen Anspruch 1 werde das Vorrichtungsmerkmal des Lithotripters spezifiziert. Auf Seite 3, letzter Absatz der ursprünglichen Anmeldung werde hingegen lediglich auf die Arbeitsprinzipien eines herkömmlichen Ultraschall-Lithotripters des Standes der Technik verwiesen.

(c) Ausführbarkeit

- Das Streitpatent offenbare klar (z.B. in Spalte 2, Zeilen 40 bis 45 und Spalte 5, Zeilen 48 bis 54), wie der beanspruchte Begriff "umschalten" zu verstehen sei, nämlich als ein Wechsel zwischen einer periodischen Schwingungsanregung der Metallsonde durch einen elektrisch angesteuerten Ultraschallwandler und einer mit einem reversibel angetriebenen Schlagteil erhaltenen Ausbildung einer Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde.

- Aus dem Verweis auf die Konstruktion des Lithotripters aus D6 im Streitpatent (Absatz [0004]) erhielte der Fachmann ausreichend Information, wie ein Gerät ausgestaltet sein sollte, um "Stoß- bzw. Druckwellen" in einer Metallsonde zu erzeugen. Zur konkreten Frage der Ausführbarkeit sei es nicht erforderlich, auf die physikalische Bedeutung der einzelnen Begriffe "Stoßwelle" und "Druckwelle" einzugehen, da das Streitpatent diesen Begriffen eine besondere Bedeutung zuordne, nämlich diejenige, dass eine Welle in einer Metallsonde durch Beaufschlagung eines reversibel angetriebenen Schlagteils erzeugt werde.

(d) Erfinderische Tätigkeit

- Selbst wenn der Fachmann durchaus die Vor- und Nachteile der jeweiligen Wirkmechanismen der Dokumente D6 und D1 erkennen würde, so wäre in diesen Dokumenten kein Hinweis gegeben, beide Wirkmechanismen in einem einzigen Gerät zu realisieren, insbesondere derart, dass zwischen den beiden Wirkmechanismen gewechselt werden könne. Ein derartiges Wechseln der Betriebsart des Lithotripters ohne Entnahme der bereits im Patienten eingeführten Metallsonde (wie im Beispiel des Absatzes [0016] des Patents erläutert wird) würde die gemäß Spalte 2, Zeilen 26 bis 30 des Streitpatents gestellte Aufgabe lösen, eine flexiblere Steinzertrümmerung zu gestatten.

- Eine analoge Argumentation würde auch hinsichtlich Dokument D12 zutreffen, in dem in den Abschnitten 4.2 und 5.2 zwei unterschiedliche intrakorporale Lithotripter offenbart würden, mit jeweils einem Ultraschallwandler und einem Schlagteil als Anregungsmittel. Analoge Gesichtspunkte seien hinsichtlich der weiteren herangezogenen Kombinationen von Dokumenten von Bedeutung.

- Demzufolge beruhe der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 12 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1 Die gegenüber Anspruch 1 des erteilten Streitpatents eingeführten Änderungen (siehe obigen Punkt V) definieren zunächst, dass die Merkmale des Schlagteils und des Ultraschallwandlers Bestandteile der beanspruchten Vorrichtung sind.

Dies wird einerseits in der zusammenfassenden Darstellung der erfindungsgemäßen Vorrichtung in Spalte 2, Zeilen 36 bis 45 des Streitpatents unmissverständlich offenbart. (Die Beschreibung des Streitpatents ist mit der der ursprünglichen Anmeldung identisch.) Darüber hinaus offenbart Spalte 2, Zeilen 31 bis 33 des Streitpatents, dass die erfindungsgemäße Vorrichtung im Anspruch 1 angegeben sei, der die Vorrichtung mit weiteren Merkmalen definiert, insbesondere mit einem intrakorporalen Lithotripter mit einer Metallsonde als Wellenleiter.

2.2 Es wäre folglich widersprüchlich, den von der Beschwerdeführerin herausgegriffenen Satzteil in Spalte 3, Zeilen 13 bis 14 der Beschreibung des Patents (wonach die erfindungsgemäße Vorrichtung aus einem Ultraschallwandler "besteht") so auszulegen, dass die Vorrichtung ausschließlich aus einem Ultraschallwandler bestehen soll.

2.3 Anspruch 1 definiert ferner, dass das Schlagteil der Vorrichtung die Eignung hat, in der ebenfalls zur Vorrichtung gehörenden Metallsonde eine Stoß- bzw. Druckwelle auszubilden. Demzufolge ist nach Auffassung der Kammer auch der Einwand der Beschwerdeführerin unzutreffend, dass das Schlagteil in keiner klaren Beziehung zur beanspruchten Vorrichtung stünde. Die Kammer vermag auch keine Berechtigung für die während der mündlichen Verhandlung nicht näher begründete Forderung der Beschwerdeführerin erkennen, dass der Anspruch auch explizit den Antrieb des Schlagteils als Bestandteil der Vorrichtung definieren müsse.

2.4 In der ursprünglichen Anmeldung ist das Merkmal des "intrakorporalen Lithotripters" als Bestandteil der erfindungsgemäßen Vorrichtung lediglich im ursprünglichen Anspruch 1 erwähnt. Der Anspruch definiert den "intrakorporalen Lithotripter" als ein Merkmal, das eine Metallsonde als Wellenleiter aufweist. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Passage auf Seite 3, letzter Absatz der ursprünglichen Anmeldung bezieht sich hingegen auf die Arbeitsprinzipien eines Gerätes des Standes der Technik, nämlich eines herkömmlichen Ultraschall-Lithotripters. Demzufolge besteht in der ursprünglichen Anmeldung keine Offenbarung dafür, dass der intrakorporale Lithotripter der erfindungsgemäßen Vorrichtung den Ultraschallwandler umfassen müsse, wie von der Beschwerdeführerin gefordert.

2.5 Aus den oben genannten Gründen ist der Anspruch 1 bezüglich der vorgenommenen Änderungen klar im Sinne von Artikel 84 EPÜ und steht im Einklang mit dem Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ.

3. Ausführbarkeit

3.1 Der Begriff "umschaltbar"

Wie im Streitpatent in Spalte 2, Zeilen 40 bis 45 und Spalte 5, Zeilen 48 bis 54 dargelegt wird, wird zwischen einer periodischen Schwingungsanregung der Metallsonde durch einen elektrisch angesteuerten Ultraschallwandler und einer mit einem reversibel angetriebenen Schlagteil erhaltenen Ausbildung einer Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde gewechselt (s. Ausdruck "Überwechseln").

Auch wenn im Anspruch 1 statt des Ausdrucks "wechseln" der Ausdruck "umschalten" bzw. "umschaltbar" verwendet wird, so ist es für den Fachmann unter Berücksichtigung der Beschreibung des Streitpatents klar, dass der Begriff des Umschaltens zwischen den beiden Anregungszuständen nicht nur auf die Betätigung eines elektrischen Schalters begrenzt zu sein hat, wie von der Beschwerdeführerin vertreten wurde. In der Tat wird im Absatz [0016] des Streitpatents ein Ausführungsbeispiel erläutert, in dem der Wechsel zwischen den beiden Anregungszuständen mechanisch erfolgt (durch Anziehung bzw. Lösung der mit dem Horn 4 des Ultraschallwandlers verbundenen Schraubkappe 28).

Somit enthält das Streitpatent hinsichtlich des Begriffs "umschaltbar" kein Defizit an Offenbarung.

3.2 Der Begriff "Stoß- bzw. Druckwelle"

3.2.1 Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass der Fachmann mittels eines Schlagteils in der Metallsonde "Stoß- bzw. Druckwellen" erzeugen könne.

3.2.2 Die Kammer kann diesem Einwand allerdings nicht folgen. Das Streitpatent beschreibt nämlich im Absatz [0004] den aus D6 bekannten intrakorporalen Lithotripter, in dem das proximale Ende einer Metallsonde mit einem pneumatisch angetriebenen Schlagteil beaufschlagt wird, um mit einer dadurch erhaltenen Stoßenergie eine die Metallsonde bis hin zu ihrem distalen Ende durchlaufende Welle (die in D6 als "onde de choc" bezeichnet wird) zu erzeugen. Diese Welle wird in den Absätzen [0004], [0007], [0015] und [0016] des Streitpatents als "Stoß- bzw. Druckwelle" bezeichnet. Insbesondere wird in Spalte 5, Zeilen 48 bis 54 dargelegt, dass die Ausbildung einer "Stoß- bzw. Druckwelle" in der Metallsonde durch die Ausübung einer Stoßkraft gegen den Massekörper 27 mittels des pneumatisch angetriebenen Schlagteils 24 erreicht wird.

3.2.3 Allein aus dem geschilderten Verweis auf die Konstruktion des Lithotripters aus D6 erhält der Fachmann ausreichend Information, wie ein Gerät ausgestaltet sein sollte, um derartige "Stoß- bzw. Druckwellen" in einer Metallsonde zu erzeugen.

Zur konkreten Frage der Ausführbarkeit ist es insofern nicht erforderlich, auf die physikalische Bedeutung der einzelnen Begriffe "Stoßwelle" und "Druckwelle" einzugehen, da das Streitpatent diesen Begriffen eine besondere Bedeutung zuordnet, nämlich diejenige, dass eine Welle in einer Metallsonde durch Beaufschlagung eines reversibel angetriebenen Schlagteils erzeugt wird (siehe obigen Punkt 3.2.2). Somit wird im Streitpatent mindestens ein Weg zur Ausführung der Erfindung eindeutig aufgezeigt, so dass die Kammer in Anwendung ständiger Rechtsprechung die Erfindung als ausreichend offenbart ansieht (vgl. "Rechtsprechung der Beschwerde kammern des EPA", 6. Auflage 2010, II.A.3, insb. Teil b)).

3.2.4 Es kann folglich dahinstehen, ob in der Metallsonde von D6 tatsächlich keine Stoßwellen im strikten physikalischen Sinn erzeugt werden können, wie dies die Beschwerdeführerin mit Verweis auf die experimentelle Untersuchung D8 vertritt. Die zusätzliche Behauptung der Beschwerdeführerin, dass in einem Festkörper auch keine Druckwellen in nennenswertem Maße erzeugt werden können, wurde allerdings experimentell nicht belegt und ist für die Kammer auch nicht nachvollziehbar. Folglich steht außer Frage, dass durch Stöße des Schlagteils in der Metallsonde zumindest Druckwellen erzeugbar sind.

3.2.5 Die Beschwerdeführerin verwies auf die geltende Rechtsprechung der Beschwerdekammern, insb. auf die Entscheidung T 1321/04, wonach den in der Patentschrift verwendeten Begriffen die im einschlägigen Stand der Technik übliche Bedeutung zu geben sei, sofern ihnen nicht in der Beschreibung ein besonderer Sinn zugewiesen wird.

Die Kammer weist zusätzlich darauf hin, dass in der zitierten Entscheidung T 1321/04 (vgl. Punkt 2.3 der Gründe) ferner dargelegt wird, dass der Fachmann die verwendeten Begriffe im Hinblick auf die Gesamtheit des Inhalts der Patentschrift insb. unter Berücksichtigung des Ziels der Erfindung auslegt. Wie bereits unter obigem Punkt 3.2.3 erläutert wurde, wird aus dem technischen Gesamtzusammenhang der vorliegenden Patentschrift deutlich, dass unter dem Begriff "Stoß- bzw. Druckwelle" zumindest solche Wellen zu verstehen sind, die in einer Metallsonde durch Beaufschlagung durch ein reversibel angetriebenes Schlagteil erzeugt werden.

3.2.6 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auch hinsichtlich des Begriffs "Stoß- bzw. Druckwelle" ausführbar ist.

3.3 Demzufolge erfüllt die dem Gegenstand von Anspruch 1 zugrundeliegende Erfindung das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 ist unstrittig.

4.2 Entsprechend der Beschreibung des Streitpatents (siehe Spalte 2, Zeilen 36 bis 45), werden bei der erfindungsgemäßen Vorrichtung die Arbeitsprinzipien zweier herkömmlicher intrakorporaler Lithotripter, wie sie aus den jeweiligen Dokumenten D1 und D6 bekannt sind, in einem einzigen Gerät zusammengefügt, wobei zwischen einer periodischen Schwingungsanregung in der Metallsonde durch den Ultraschallwandler und einer durch den reversibel angetriebenen Schlagteil erhaltenen Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde umgeschaltet werden kann.

Bei dem aus D6 bekannten und im Streitpatent im Paragraph [0004] (s. insb. Spalte 2, Zeilen 9 bis 14) beschriebenen intrakorporalen Lithotripter wird das proximale Ende einer Metallsonde mit einem pneumatisch angetriebenen Schlagteil beaufschlagt, womit in der Metallsonde eine Stoß- bzw. Druckwelle erzeugt wird. D6 offenbart im Beispiel der Figur 1 ein reversibel angetriebenes Schlagteil (1) zur Erzeugung von Stoßwellen in einer als Wellenleiter dienenden Metallsonde (4), die in den Arbeitskanal eines Endoskops einsetzbar ist (Spalte 2, Zeilen 33 bis 48; Anspruch 1 und 6).

Bei dem aus D1 bekannten und im Streitpatent im Paragraph [0003] (s. insb. Spalte 1, Zeilen 26 bis 30) beschriebenen intrakorporalen Lithotripter werden durch einen elektrisch angesteuerten Ultraschallwandler longitudinale Schwingungen in einer Metallsonde angeregt, die ebenfalls in den Arbeitskanal eines Endoskops einsetzbar ist (siehe D1, Spalte 1, Zeilen 17 bis 22; Spalte 2, Zeilen 47 bis 48; Spalte 3, Zeilen 20 bis 22).

4.3 Es ist folglich unerheblich, ob von D6 oder D1 als nächstkommendem Stand der Technik ausgegangen wird.

Die Vorrichtung des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Lithotripter von D6 dahingehend, dass die Vorrichtung einen elektrisch angesteuerten Ultraschallwandler umfasst und dass die über den Ultraschallwandler elektrisch angesteuerte Schwingungsanregung der Metallsonde auf eine mit dem reversibel angetriebenen Schlagteil der Vorrichtung gesteuerte Ausbildung einer Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde umschaltbar ist.

Andererseits unterscheidet sich die Vorrichtung des Anspruchs 1 vom Lithotripter von D1 dahingehend, dass die Vorrichtung ein reversibel angetriebenes Schlagteil umfasst und dass die über den Ultraschallwandler elektrisch angesteuerte Schwingungsanregung der Metallsonde auf eine mit dem reversibel angetriebenen Schlagteil der Vorrichtung gesteuerte Ausbildung einer Stoß- bzw. Druckwelle in der Metallsonde umschaltbar ist.

4.4 Die mit der beanspruchten Vorrichtung zu lösende Aufgabe ist gemäß Spalte 2, Zeilen 26 bis 30 des Streitpatents, "eine flexiblere Steinzertrümmerung zu gestatten". Dies hat offensichtlich die Bedeutung, die Vorrichtung derart zu gestalten, dass die Behandlung einfacher bzw. ergonomischer durchführbar wird und auch effizienter erfolgen kann, da die Behandlungszeit reduziert wird. Die objektiv zu lösende technische Aufgabe ist nach Ansicht der Kammer also die im Streitpatent angegebene und nicht, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, lediglich einen alternativen Antrieb bereitzustellen.

4.5 D6 und D1 stellen zwei jeweils verschiedene bekannte intrakorporale Lithotripter dar, zwischen denen der Fachmann entsprechend den vorliegenden Behandlungsanfor derungen auswählen würde. Der Fachmann würde demzufolge entweder das eine oder das andere Gerät in den Patienten endoskopisch einführen und es bei möglicherweise geänderten Behandlungsanforderungen auch wieder herausziehen und das jeweils andere Gerät endoskopisch einführen.

Selbst wenn der Fachmann durchaus die Vor- und Nachteile der jeweiligen Wirkmechanismen der Dokumente D6 und D1 erkennen würde, so wird in diesen Dokumenten kein Hinweis gegeben, beide Wirkmechanismen in einem einzigen Gerät zu realisieren, insbesondere in einem solchen Gerät, das zwischen den beiden Wirkmechanismen "umschaltbar" ist. Ein derartiges Wechseln zwischen den Betriebsarten des Lithotripters ohne Entnahme der bereits im Patienten eingeführten Metallsonde (wie im Beispiel des Absatzes [0016] des Patents erläutert wird) löst die gemäß Spalte 2, Zeilen 26 bis 30 des Streitpatents gestellte Aufgabe, eine flexiblere Steinzertrümmerung zu gestatten (s. Punkt 4.4 oben). Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Interpretation des Begriffs "umschaltbar" in dem Sinne, dass er auch einen kompletten Umbau des Geräts mit einem Auswechseln der Sonden beinhalten könne, wird von der Kammer nicht geteilt. Die beiläufige Erwähnung von Ultraschallschwingungen in Spalte 2, Zeile 12 von D6 kann nicht als Hinweis auf die erfindungsgemäße Lösung der objektiven Aufgabe angesehen werden.

Folglich würde der Fachmann von D6 ausgehend in Verbindung mit D1, oder von D1 ausgehend in Verbindung mit D6, nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen.

4.6 Analog hierzu ist keinerlei Anregung gegeben, die Wirkmechanismen der Dokumente D1, D10 und D11 in einem einzigen Gerät zu realisieren.

D10 offenbart einen intrakorporalen Lithotripter, bei dem ein pneumatisch oder elektromagnetisch beschleunigtes Projektil (ähnlich dem beanspruchten "Schlagteil") eine Metallsonde so auslenkt, dass sie am Stein wie ein Hammer wirkt (s. Zusammenfassung). Insofern geht D10 nicht wesentlich über den Offenbarungsgehalt von D6 hinaus. Dokument D11 ist noch weniger relevant, da es sich hierbei um einen intrakorporalen Lithotripter mit einem andersartigen Wirkmechanismus handelt, mit dem mittels einer gepulsten Lichtquelle Stoßenergie an einer Sondenspitze am Stein erzeugt wird (Spalte 2, Zeilen 42 bis 52).

4.7 Das Dokument D12, oder die jeweiligen Kombinationen der Dokumente D1 und D12, bzw. D12 und D1, oder gar D12 und D6, führen aus folgenden Gründen ebenfalls nicht zur beanspruchten Vorrichtung.

In D12, Abschnitt 5.2 und Abbildung 4, wird ein intrakorporaler Lithotripter offenbart, bei dem eine Metallsonde (4) durch eine Membran (3) zu longitudinalen Bewegungen angeregt wird, wobei die durch die Elektroden (7) gebildete Funkenstrecke Stoßwellen erzeugt, die entlang der Metallsonde propagieren (s. die drei letzten Absätze auf Seite 158). Aufgrund der Tatsache, dass die Membran lediglich eine Auslenkung der an ihr befestigten Sonde bewirkt, aber keinen "Schlag" auf diese abgibt, kann die Membran nach Auffassung der Kammer nicht als ein dem beanspruchten "Schlagteil" entsprechendes Merkmal angesehen werden.

Darüber hinaus offenbart D12 im Abschnitt 4.2 eine weitere, separate Lithotripsie-Vorrichtung, in der ein Ultraschallwandler (ähnlich wie in D1) longitudinale Schwingungen in einer Metallsonde anregt. In D12 ist allerdings ebenfalls keinerlei Hinweis vorhanden, wonach der Fachmann beide besagten Lithotripter in einer einzigen Vorrichtung zusammenführen würde, die es erlaubt, zwischen beiden Anregungsarten in einer und derselben Metallsonde umzuschalten. In dem von der Beschwerdeführerin herangezogenen drittletzten Absatz auf Seite 158 von D12 werden lediglich die unterschiedlichen drahtförmigen Schalleiter für beide Anregungsarten verglichen, so dass nach Auffassung der Kammer keinerlei Offenbarung oder gar Hinweis dafür vorhanden ist, dass beide besagten Lithotripter dieselbe Sonde als Schalleiter benutzen.

Demzufolge legt D12 die beanspruchte Vorrichtung nicht nahe. Da D1 einen dem Abschnitt 4.2 von D12 ähnlich funktionierenden Ultraschall-Lithotripter offenbart, führt die Kombination von D12 und D1, bzw. D1 und D12, ebenfalls nicht zum beanspruchten Gegenstand.

Die während der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte Kombination des intrakorporalen, d.h. endoskopisch einführbaren Lithotripters aus D12 mit dem extrakorporalen Lithotripter gemäß Figur 2 aus D6, bei dem jedwede einführbare Sonde zur Übertragung von Druckwellen fehlt, führt aufgrund der besagten grundlegenden Andersartigkeit beider Lithotripter ebenfalls nicht zur beanspruchten Vorrichtung.

4.8 Aus den genannten Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und somit das Erfordernis von Artikel 56 EPÜ erfüllt.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 12 definieren bevorzugte Ausführungen und erfüllen somit ebenfalls dieses Erfordernis.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, eingereicht am 6. Dezember 2012 als Anspruch 1 des Hilfsantrags II

- Ansprüche 2 bis 12 wie erteilt

- Beschreibung und Figuren wie erteilt.

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