T 0140/10 () of 18.3.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T014010.20140318
Datum der Entscheidung: 18 März 2014
Aktenzeichen: T 0140/10
Anmeldenummer: 98101115.8
IPC-Klasse: G01N 27/12
G01N 33/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Sonde zum Messen von flüchtigen Bestandteilen in einer wässrigen Lösung
Name des Anmelders: Sellmer-Wilsberg, Sylvia, Dr.
Wilsberg, Hans-Werner
Name des Einsprechenden: Biotechnologie Kempe GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 113
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragt, die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Die Einsprechende hat keine mündliche Verhandlung beantragt.

II. Die Patentinhaber (Beschwerdegegner) beantragen dagegen die Beschwerde zurückzuweisen.

III. Die Kammer hat in einer Mitteilung vom 16. Dezember 2013 den Parteien ihre vorläufige Meinung mitgeteilt und angekündigt, dass sie beabsichtigt ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

IV. Mit Schreiben vom 13. Februar 2014 hat die Beschwerdeführerin daraufhin mitgeteilt, dass sie an ihrer zuvor vertretenen Auffassung festhält.

V. Der unabhängige Anspruch 1 in der Fassung, die der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zu Grunde lag, lautet wie folgt:

"Verwendung einer Sonde zum Messen von flüchtigen Bestandteilen in einer wässrigen Lösung, wie der Bestimmung der Alkoholkonzentration einer wässrigen Lösung, mit einem Sondenkörper (1) mit einem durchgehenden Lumen (11) und einer quer zum Lumen verlaufend angeordneten Membran (6), die das Lumen nach außen hin abtrennt und mit einem innerhalb des Lumens mit Abstand zu der Membran in einem Gehäuse (8c) angeordneten Halbleitergassensor (8), wobei eine von der äußeren Atmosphäre und Umgebung abgetrennte mit Luft gefüllte Meßkammer (9) innerhalb des Gehäuses (8c) bis zur Membran (6) hin ausgebildet ist, die über einen Druckentlastungskanal (20) mit der äußeren Atmosphäre verbunden ist und der Sensor (8) auf die durch Membran (6) in die Meßkammer (9) permeierenden Gase mit einer Änderung des elektrischen Widerstandes anspricht, dadurch gekennzeichnet, dass der Druckentlastungskanal (20) ständig offen ausgebildet ist und ein Abfluss von durch die Membran (6) in die Meßkammer (9) permeierenden Gase auf der Membran abgewandten Seite des Sensors (8) aus der Meßkammer (9) direkt in die Atmosphäre über den ständig offenen durchgehenden Druckentlastungskanal (20) bewirkt wird, und der Druckentlastungskanal (20) an einem Ende über eine Öffnung (82) des Gehäuses (8c) des Sensors (8) an die Meßkammer (9) angeschlossen ist und am anderen ausgangsseitigen Ende eine bezüglich der Größe definierte Auslaßöffnung (23) aufweist, so dass der durch die Membran (6) in die Meßkammer (9) permeierende Volumenstrom der Gase stets etwas größer ist als der Volumenstrom der aus der Meßkammer (9) über die Auslaßöffnung (23) des Druckentlastungskanals (20) in die Atmosphäre abfließenden Gase, wodurch der in der Meßkammer (9) infolge der eindiffundierenden Gase sich aufbauende Partialdruck begrenzbar ist und die ständige zu der Alkoholkonzentration der zu messenden Flüssigkeit proportionale Aufkonzentrierung des Alkohols in der Meßkammer ermöglicht."

VI. Die folgenden in dem Einspruchsverfahren zitierten Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung:

D1: DE-A-31 26 648

D4: DE-A-36 11 596

Entscheidungsgründe

1. Rechtliches Gehör (Artikel 113 EPÜ)

1.1 Die Einsprechende sieht einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ darin, dass der Vorsitzende der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung festgestellt hat, dass Einwände bezüglich Artikel 84 EPÜ nicht berücksichtigt würden, weil sie keine Einspruchsgründe darstellen. Es sei zwar richtig, dass Artikel 100 EPÜ den Artikel 84 EPÜ als Einspruchsgrund nicht nenne, aber im Falle von Änderungen müssten die Ansprüche allen Erfordernissen des EPÜ genügen. Dies werde aus Artikel 101(3)(b) EPÜ deutlich, wo angegeben ist, dass das Patent zu widerrufen sei, wenn es nicht den Erfordernissen des EPÜ genüge.

1.2 Sowohl die Abschrift der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als auch die angefochtene Entscheidung selbst weisen ausdrücklich darauf hin, dass als Einspruchsgründe gegen die geänderte Fassung der Ansprüche letztlich nur noch Verstöße gegen die Bestimmungen der Artikel 83, 54 und 56 EPÜ geltend gemacht wurden (vgl. Abschrift vom 20. November 2009, Seite 1, letzter Absatz; bzw. Entscheidung, Sachverhalt und Anträge, Punkt 4.9). Diese Aussagen wurden von der Einsprechenden nicht bezweifelt. Auch der Feststellung des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung, Einwände bezüglich Artikel 84 EPÜ würden nicht berücksichtigt, wurde seitens der Einsprechenden in der Verhandlung anscheinend nicht widersprochen. Es besteht kein Hinweis in der Akte, und es wurde von der Einsprechenden auch in der Beschwerdeschrift nicht behauptet, dass ihr verwehrt wurde, eine gegenteilige Meinung zu vertreten.

1.3 Aus diesen Gründen ist der Kammer nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf Gründe gestützt ist, zu denen die Einsprechende sich nicht äußern konnte. Insofern wurde das rechtliche Gehör der Einsprechenden im Sinne von Artikel 113 EPÜ nicht verletzt.

2. Mangelnde Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

2.1 Die Einsprechende sieht einen Mangel an Ausführbarkeit, da die Erfindung durch ein zu erreichendes Ergebnis angegeben wird. Im Anspruch 1 werde die Größe der Auslassöffnung dadurch definiert, dass die gewünschte Wirkung angegeben sei. Die Einspruchsabteilung habe aber nicht geprüft, ob die Größe nicht anderweitig genauer definiert werden könne wie das in den Richtlinien 2009 C-III, 4.10 gefordert sei. Darüber hinaus sei die angegebene Wirkung widersprüchlich: Im Anspruch sei definiert, dass der "in die Meßkammer (9) permeierende Volumenstrom der Gase stets etwas größer ist als der Volumenstrom der aus der Meßkammer ... in die Atmosphäre abfließenden Gase". Dies sei im Widerspruch zu der selbstverständlichen Tatsache, dass bei gleichbleibendem Druck der in die Messzelle ein- und ausströmende Volumenstrom gleich groß sein müsse.

2.2 Die von der Einsprechenden vorgebrachten Argumente betreffen eigentlich die Klarheit des Anspruchs. Die Tatsache, dass der Anspruch durch das zu erreichende Ergebnis definiert wird und nicht durch eine mögliche genauere Definition, könnte allenfalls einen - keinen Anspruchsgrund bildenden - Mangel an Klarheit darstellen. Dies wird auch deutlich durch die zitierte Stelle der Richtlinien, die Klarheitsprobleme anspricht.

Das gleiche gilt für die Definition der gewünschten Wirkung bezüglich der Volumenströme.

Die Einsprechende hat keinen Versuch gemacht zu zeigen, dass die mögliche mangelnde Klarheit durch eine entsprechende Offenbarung in der Beschreibung nicht kompensiert wird und daher ein Fall von mangelnder Ausführbarkeit vorliegt.

2.3 In der Beschreibung ist auch ausreichend offenbart, wie das Verhältnis von Ein- und Auslassöffnung gestaltet werden kann. In Absatz 20 wird ausgeführt: "Die Auslassöffnung des Druckentlastungskanals ist stets kleiner als die von der Membran abgedeckte Eintrittsbohrung der Sonde zur Messkammer. Bevorzugt kann die Auslassöffnung weniger als 10 % der Grösse dieser Eintrittsbohrung betragen." Weiter wird in Absatz 20 erklärt: "Die Auslassöffnung muss so klein sein, dass sie einen durch das Eindiffundieren der Gase durch die Membran in der Messkammer sich einstellenden ausreichenden Partialdruckaufbau ermöglicht." Andererseits soll durch den Druckentlastungskanal das Gas aus der Messkammer in die Atmosphäre entweichen, so dass ohne Rückdiffusion innerhalb der Messkammer ein Gasgemisch entsteht, "dessen Alkoholgehalt in ständigem Diffusions­gleich­gewicht mit der zu messenden Flüssigkeit F steht" (Absatz 28).

Mit diesen Angaben kann der Fachmann nach Auffassung der Kammer durch einfache Tests herausfinden, welche Öffnungsverhältnisse geeignet sind, damit für eine bestimmte wässrige Lösung sich ein Diffusionsgleichgewicht schnell einstellt.

3. Neuheit D1 (Artikel 54 EPÜ)

3.1 Dokument D1, insbesondere Figur 1, offenbart eine Sonde 200 zum Messen von flüchtigen Bestandteilen in einer wässrigen Lösung (siehe Seite 5, letzter Absatz) mit einem Sondenkörper mit einem durchgehenden Lumen 206 und einer quer zum Lumen verlaufend angeordneten Membran 205, die das Lumen nach außen hin abtrennt und mit einem innerhalb des Lumens mit Abstand zu der Membran in einem Gehäuse angeordneten Halbleitergassensor 30, wobei eine von der äußeren Atmosphäre und Umgebung abgetrennte mit Luft gefüllte Messkammer innerhalb des Gehäuses bis zur Membran hin ausgebildet ist. Die Messkammer hat eine Zuführungsleitung 207 zur Zuführung von Nullpunktluft und eine Ableitung 208 für die Nullpunktluft. Die Nullpunktluft dient zur Kalibrierung der Messzelle (Absatz zwischen Seite 13 und 14). Somit hat die Messzelle einen Druckentlastungskanal 208 mit der äußeren Atmosphäre verbunden ist. Der Sensor spricht auf die durch die Membran in die Messkammer permeierenden Gase mit einer Änderung des elektrischen Widerstandes an.

3.2 D1 offenbart jedoch nicht, dass der Druckentlastungs­kanal ständig offen ausgebildet ist, denn "nach dem Abschalten der Nullpunktluft stellt sich durch Nachdiffundieren des Messgases aus der Lösung der vorherige Partialdruck sehr schnell wieder her" (Seite 14, 2. Absatz). Auf Seite 12 unten wird angegeben, wie die Messzelle arbeitet: "Die in der Prüfflüssigkeit, d.h. im Wasser, enthaltenen geringen Spuren organischer Lösemittel diffundieren durch die wasserundurchlässige Membran 205 in die Messkammer 201 der Messzelle 200, wobei sich in der Messkammer ein entsprechender Partial­druck einstellt. Bei abnehmender Konzentration der Messkomponente diffundiert das in der Messkammer 201 angereicherte Gas wieder in das Lösemittel-Wasser-Gemisch zurück". Das der Druckentlastungskanal auch während des Messens ständig offen ist, ist aus D1 somit nicht zu entnehmen.

3.3 Die Einsprechende brachte vor, dass das System in Dokument D1 nur gegenüber der Flüssigkeit abgeschlossen sei. Daraus könne nicht geschlossen werden, dass auch die Ableitung 208 während der Messung geschlossen sei. Dass das in der Messkammer befindliche Gas wieder zurück in die wässrige Lösung diffundieren könne, schließe einen offenen Kanal nicht aus. Auch aus der Kalibriervorrichtung wie sie in Figur 4 gezeigt ist, könne nicht geschlossen werden, dass es keine ständig offene Ableitung gebe. Darüber hinaus werde keine Untergrenze für die Öffnungsgröße definiert, so dass jede noch so geringe Öffnung, die die Messkammer mit der Atmosphäre verbindet als Druckentlastungskanal angesehen werden müsse.

Dieser Argumentation ist die Kammer nicht gefolgt. Die Argumentation der Einsprechenden beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Die Zu- und Ableitung wird laut Dokument D1 während der Nullpunktbestimmung und Kalibrierung benötigt. Nichts in D1 legt nahe, dass die Ableitung auch während des Messens eine Funktion erfüllt. Die Tatsache, dass bei abnehmender Konzentration der Messkomponente eine Rückdiffusion in die Flüssigkeit stattfindet, ist ein Indiz, das es keine Öffnung zur Atmosphäre gibt und somit eine entsprechende Partialdruckdifferenz zur Flüssigkeit besteht. Eine geringe Öffnung oder Undichtigkeit der Messkammer ist in Dokument D1 nicht offenbart. Es mag zwar sein, dass die Ableitung während des Messens nicht ganz dicht ist, aber es ist reine Spekulation, dass durch eine mögliche Undichtigkeit ein Druckentlastungskanal entsteht, der die im Patent angegebene Wirkung erzielt (Diffusionsgleichgewicht ohne Rückdiffusion).

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Der Einsprechende ist der Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Kombination der Dokumente D1 und D4 nahegelegt ist.

4.2 Die nicht in D1 offenbarten Merkmale (auch während der Messung offener Druckentlastungskanal bestimmter Größe) haben die Wirkung, dass ein Abfluss von durch die Membran in die Kammer permeierenden Gase aus der Kammer in die Atmosphäre ermöglicht wird. Die Aufkonzentrierung des Alkohols in der Messkammer proportional zu der Alkoholkonzentration in der zu messenden Flüssigkeit wird somit ohne Rückdiffusion ermöglicht (Absätze 9 und 28). Dies hat die weitergehende, "überraschende" Wirkung, dass "die Funktionstüchtigkeit der Sonde sowie die Messleistung wesentlich verbessert werden" und "kein Trägergas mehr für die Spülung der Membran erforderlich" ist (Absatz 9).

4.3 Der Fachmann steht somit vor der Aufgabe, die Funktionstüchtigkeit der Sonde zu verbessern und den Aufbau der Sonde zu vereinfachen.

4.4 Die Einsprechende ist der Meinung, dass der Fachmann in diesem Fall das Dokument D4 konsultieren würde. Dokument D4 offenbart eine Messsonde mit einem Pellistor 20 und einer Membran 14, die den Messraum 18 begrenzt. Der Pellistor, eine elektrochemisch arbeitende Sonde, benötigt viel Sauerstoff zur Oxidation des Alkohols. Deshalb hat diese Sonde Diffusionskanäle: "Anzahl und Abmessungen der Diffusionskanäle 10, 12 sind dabei so gewählt, dass ein ungehinderter Gasaustausch zwischen dem Messraum 18 und der umgebenden Atmosphäre erfolgen kann und somit eine ausreichende Versorgung des Pellistors 20 mit dem für die Reaktion benötigten Gas, insbesondere eine ausreichende Sauerstoffversorgung, sichergestellt ist" (Spalte 5, Zeilen 13-20).

4.5 Um die Aufgaben mit der Sonde in Dokument D1 zu lösen würde der Fachmann aus Dokument D4 entnehmen, dass ein Pellistor eine höhere Genauigkeit bietet als der bekannte Halbleitergassensor, aber auch mehr Sauerstoff benötigt. Der Fachmann lernt aus Dokument D4, dass durch die Diffusionskanäle eine ausreichende Sauerstoffversorgung aus der Atmosphäre sichergestellt werden kann. Er würde daher allenfalls die Vorteile des Pellistors in Erwägung ziehen, und erkennen, dass er dann auch die Diffusionskanäle übernehmen muss. D4 macht keine Aussage, dass die Diffusionskanäle auch bei Halbleitergassensoren positive Wirkung zeigen. Auch ist aus dem Dokument D1 nicht bekannt, dass die Sauerstoffversorgung des verwendeten Halbleitergassensors mangelhaft sein könnte. Der Fachmann würde daher sicher nicht die Diffusionskanäle allein in den Sensor, wie er in Dokument D1 offenbart ist, integrieren und den Halbleitergassensor behalten. Auch nur ein einziger Diffusionskanal ist aus D4 nicht bekannt. Dort sind mindestens 2 offenbart, damit die Luft ungehindert zirkulieren kann und der Pellistor mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird.

4.6 Für einen Fachmann ist es daher nicht naheliegend durch die Kombination von Dokument D1 und Dokument D4 zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen. Selbst, wenn der Fachmann aus irgendeinem Grund die Diffusionskanäle mit dem Halbleitersensor kombinieren würde, hätte man noch keinen Druckentlastungskanal, der den Abfluss der Gase in die Atmosphäre begrenzt. Nach der Lehre von Dokument D4 findet zwischen dem Messraum und der umgebenden Atmosphäre ein ungehinderter Gasaustausch statt.

5. Zusammenfassend stellt die Kammer fest, dass das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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