European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T012010.20170214 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Februar 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0120/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07120462.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06Q 20/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Zahlungsverfahren, Zahlungssystem und dazu geeignete Vorrichtungen | ||||||||
Name des Anmelders: | Swisscom AG Microtronic AG |
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Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die am 15. September 2009 zur Post gegeben wurde und mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 07120462.2 aufgrund des Artikels 97(2) EPÜ zurückgewiesen worden ist gestützt auf folgende Druckschriften:
D1: US 2007/0095892 A1,
D2: WO 2006/095212 A1 und
D3: WO 2008/002979 A2.
II. Die Beschwerdegebühr wurde mit der Beschwerdeschrift, eingegangen am 7. Oktober 2009, entrichtet. Mit der Beschwerdebegründung, eingegangen am 7. Januar 2010, wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage der zuletzt eingereichten Anmeldungsunterlagen (Anspruchsfassung datiert auf den 21. April 2009). Hilfsweise wurde eine Möglichkeit zur Änderung der Ansprüche sowie höchst hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.
III. Mit Bescheid vom 23. Februar 2015 wurde der Beschwerdeführerin in einer vorläufigen Einschätzung mitgeteilt, dass mit einer Zurückweisung des Hauptantrags zu rechnen sei.
Mit Schreiben vom 3. September 2015 reichte die Beschwerdeführerin einen geänderten Hauptantrag ein. Es wurden außerdem weitere Argumente im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit übermittelt. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage dieses Hauptantrags. Hilfsweise wurde eine weitere Möglichkeit zur Änderung der Ansprüche sowie höchst hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.
V. Die Kammer hat mit Schreiben vom 23. November 2016 zur mündlichen Verhandlung geladen und ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde in einem Bescheid dargelegt. Dabei wurden Einwände wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit erhoben und die Gründe dafür dargelegt.
VI. Am 14. Februar 2017 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin einen Hilfsantrag einreichte.
VII. Die abschließenden Anträge lauteten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des Anspruchssatzes eingereicht mit Schreiben vom 3. September 2015 oder gemäß des Hilfsantrags eingereicht in der mündlichen Verhandlung.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet:
"1. Verfahren zum Bezug von Produkten und/oder Dienstleistungen an einem Point-of-Sale, welcher Point-of-Sale ein Dienstterminal (2) umfasst, wobei Produkte und/oder Dienstleistungen am Point-of-Sale durch einen Benutzer zum Bezug ausgewählt werden, dadurch gekennzeichnet,
dass im Voraus aufgeladene Kreditbelegsdaten aus einem Belegsdatenspeicher (151) eines mobilen Endgeräts (1) des Benutzers vom mobilen Endgerät (1) über eine Nahbereichs-Schnittstelle (11) des mobilen Endgeräts (1) zuerst nur lokal an eine Nahbereichs-Schnittstelle (21) des Dienstterminals (2) übertragen werden,
dass auf dem Dienstterminal (2) aufgrund der Kreditbelegsdaten und aufgrund der zum Bezug ausgewählten Produkte und/oder Dienstleistungen Abbuchungsdaten erstellt werden,
dass die Abbuchungsdaten vom Dienstterminal (2) über die Nahbereichs-Schnittstellen (21,11) immer noch nur lokal an das mobile Endgerät (1) übertragen werden, und
dass aufgrund der nur lokalen Übermittlung der Abbuchungsdaten die zum Bezug ausgewählten Produkte und/oder Dienstleistungen freigegeben werden, indem ein Freigabe-Signal mittels des Dienstterminals (2) eingeschaltet wird, wobei der Informationsaustausch mit einer Zentrale (3) zu einer weiteren Abrechnung der Abbuchungsdaten auf einem [sic] späteren Zeitpunkt verlegt ist, und erst dann asynchron nach dem eigentlichen Bezug von der ausgewählten Produkten und/oder Dienstleistungen erfolgt, wenn eine Verbindung über ein Kommunikationsnetzwerks (6) zwischen dem Endgerät (1) und der Zentrale (3) verfügbar ist."
IX. Im unabhängigen Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag ist das Merkmal "im Voraus aufgeladene Kreditbelegsdaten" durch "im Voraus aufgeladene Prepaid-Kreditbelegsdaten" ersetzt.
X. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde entspricht den Voraussetzungen der Artikel 106 bis 108 und Regel 99 EPÜ und ist daher zulässig (siehe Sachverhalt und Anträge, Punkt II).
Hauptantrag
2. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
2.1 Die vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin vermögen die Kammer nicht zu überzeugen.
2.2 Die Druckschrift D1 wird, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, als einschlägig und damit als geeigneter Startpunkt zur Prüfung auf erfinderische Tätigkeit betrachtet, da sie ebenfalls den Bezug von Produkten an einem Point-of-Sale unter Einbeziehung eines mobilen Endgeräts betrifft.
3. Der Gegenstand von Anspruch 1 besteht aus einer Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale und weist somit als Ganzes technischen Charakter auf. In Bezug auf die Beurteilung des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit sind jedoch nur die Merkmale zu berücksichtigen, die zu diesem technischen Charakter beitragen, wohingegen Merkmale, die keinen solchen Beitrag leisten, das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen können (vgl. T 641/00, Abl. EPA 2003, 352).
3.1 Die Kammer stimmt der Analyse der Prüfungsabteilung hinsichtlich der vorbekannten technischen Merkmale gegenüber D1 zu. So offenbart D1 unter anderem ein Dienstterminal (vgl. Fig. 1, point of sale unit 102) zur Auswahl von Produkten oder Dienstleistungen durch Eingabe entsprechender Daten (vgl. D1, [0023] und [0033]), wobei Kreditbelegsdaten aus einem Belegsdatenspeicher (D1, Fig. 5, Speicher 518) eines mobilen Endgeräts (D1, Fig. 1, 104)) über eine Nahbereichs-Schnittstelle (D1, z.B. NFC, Bluetooth, IR etc. in [0023]) des mobilen Endgeräts (104) lokal an eine Nahbereichs-Schnittstelle des Dienstterminals (102) übertragen werden, auf dem entsprechende Abbuchungsdaten erstellt werden (vgl. D1, [0033], [0047] und [0048]). Bei ausreichenden Kreditbelegsdaten wird ein Freigabesignal erzeugt (vgl. D1, [0023] erster Satz).
Somit offenbart D1 die technische Infrastruktur, auf der auch die beanspruchte Erfindung beruht.
3.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass erfindungsgemäß Kreditbelegsdaten nur lokal vom mobilen Endgerät an das Dienstterminal übertragen, dort daraus Abbuchungsdaten erstellt und ebenfalls nur lokal an das mobile Endgerät übertragen werden, wodurch die Freigabe eines ausgewählten Produktes/Dienstleistung erfolgt. Das Clearing des Zahlungsvorgangs mit einer Zentrale wird dann asynchron nach dem Bezug des Produktes über das mobile Endgerät durchgeführt.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin wird in dem Freigabesignal gemäß Anspruch 1 zwar eine rechtlich relevante, aber nicht-technische Information an den Benutzer gesehen, denn dieses Signal kann erfindungsgemäß auch lediglich aus einer Meldung auf einem Display des Dienstterminals bestehen (vgl. Spalte 15, Zeile 7ff. der A1-Schrift der vorliegenden Anmeldung). Auch die Kreditbelegsdaten und die Abbuchungsdaten stellen hinsichtlich ihres Zwecks und Inhalts lediglich nicht-technische Informationen dar. Diese tragen daher nicht zum technischen Charakter bei und leisten keinen erfinderischen technischen Beitrag.
3.4 Laut der Beschwerdeführerin besteht ein zentraler Aspekt der Erfindung gemäß Anspruch 1 darin, dass ein Besitzübergang stattfindet, obwohl der Zahlungsvorgang noch nicht fertig ist. Darin sieht die Kammer jedoch lediglich eine administrative Maßnahme, die selbst keinen erfinderischen technischen Beitrag leistet.
3.5 Außerdem ist damit verbunden, dass erfindungsgemäß bewusst das Risiko in Kauf genommen wird, dass der Zahlungsvorgang nach der Produktübergabe doch noch scheitert. Somit wird das Sicherheitsniveau auf Verkäuferseite gegenüber D1 durch eine kaufmännische Entscheidung bewusst verringert. Die Tatsache, dass bei der Freigabe des Produktes/der Dienstleistung keine Netzverbindung des Dienstterminals benötigt wird, ergibt sich also nicht durch den Einsatz technischer Merkmale, sondern resultiert aus einer ökonomischen und damit administrativen Entscheidung. Das Problem einer nicht bestehenden oder nur schlechten Netzverbindung wird daher nicht mit technischen Merkmalen gelöst, sondern durch eine administrative Maßnahme lediglich umgangen (vgl. T 258/03, Abl. EPA 2004, 575).
3.6 Darüber hinaus wird genau dieser Ansatz und das damit verbundene Risiko bereits in D1 erwähnt. Demnach besteht die Möglichkeit, den Bezug des Produktes bzw. der Dienstleistung vor dem Zahlungsvorgang zeitversetzt durchzuführen (vgl. D1, [0004]):
"As an alternative to the electronic wallet based transaction, the mobile device can also be used to authorize a payment to be made to the point-of-sale terminal at a later point. However, this latter approach is more complex and less desirable as the payment is not immediate and may not clear if the account to be debited is overdrawn or closed."
Daraus geht auch hervor, dass das mobile Endgerät zu einem späteren Zeitpunkt, also nach dem Besitzübergang durch Freigabe des Produktes und damit asynchron, für das Clearing verwendet wird. Damit ist auch verbunden, dass die Abbuchungsdaten über eine Netzverbindung des mobilen Endgerätes übertragen werden.
Anders als von der Beschwerdeführerin vorgetragen, führt diese Offenbarungsstelle in D1 nicht von der Erfindung weg, sondern weist bewusst eine solche Möglichkeit als Alternative hin, wobei ebenfalls damit verbundene Nachteile und Risiken willentlich in Kauf genommen werden. Der fachkundige Leser von D1 würde daher diese Möglichkeit auch im Rahmen der Lehre von D1 in Betracht ziehen, insbesondere dann wenn keine oder nur eine schlechte Netzverbindung besteht.
Somit fehlt es dem letzten Merkmal von Anspruch 1 nicht nur aus sich heraus, sondern auch im Hinblick auf die Offenbarung in D1 an einem erfinderischen technischen Beitrag.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass D1 für eine Transaktion eine vorläufige Authentifizierung des mobilen Endgeräts in einem mobilen Netz und damit eine Netzverbindung in Echtzeit zum Zeitpunkt der Transaktion benötigt. Die Kammer weist darauf hin, dass eine solche Netzverbindung auch im geltenden Anspruch 1 nicht ausgeschlossen ist, mithin kein Unterscheidungsmerkmal darstellt. Dieses Argument vermag die Kammer deshalb nicht zu überzeugen.
3.8 Die Implementierung des hinter dem Gegenstand von Anspruch 1 stehenden Bezahlkonzepts auf der aus D1 bekannten technischen Infrastruktur liegt ebenfalls im Rahmen des allgemeinen Fachwissens. Technische Hürden bei einer Implementierung, deren Überwindung einer erfinderischen Tätigkeit bedarf, sind weder offenbart noch erkennbar.
4. Aus Sicht der Kammer ist der Gegenstand des Anspruchs 1 daher im Lichte der Offenbarung von D1 nahegelegt (Artikel 56 EPÜ).
Hilfsantrag
5. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich vom Hauptantrag, indem die Kreditbelegsdaten näher als Prepaid-Kreditbelegsdaten spezifiziert sind.
Wie bereits weiter oben ausgeführt (vgl. Punkt 3.3), stellen die Kreditbelegsdaten und die Abbuchungsdaten hinsichtlich ihres Zwecks und Inhalts lediglich nicht-technische Informationen dar. Somit spielt es für den technischen Gegenstand von Anspruch 1 keine Rolle, ob die Kreditbelegsdaten prepaid oder postpaid hinsichtlich ihrer Zahlungsfunktion sind. Diese tragen daher nicht zum technischen Charakter bei und leisten keinen erfinderischen technischen Beitrag. Zentrale Überlegung ist und bleibt, dass ein Besitzübergang stattfindet, obwohl der Zahlungsvorgang noch nicht fertig ist. Somit kann die zusätzliche Information "prepaid" keine erfinderische Tätigkeit begründen.
5.2 Des weiteren ist nicht erkennbar, warum der Fachmann den Hinweis in der D1 (siehe Punkt 3.6 oben), nicht auch für prepaid-Zahlungsfunktionen verwenden sollte. Soweit dies einer Debit-Zahlungsfunktion wie beispielsweise einer Lastschrift entspricht, muss ebenfalls ein Clearing erfolgen damit der Verkäufer seine Gutschrift erhält, indem das entsprechende Guthaben des Käufers in der Zentrale verringert wird. Bei einem solchen Clearing kann es ebenfalls noch zu Problemen oder einem Scheitern kommen.
5.3 Somit fehlt es dem hinzugefügten Merkmal von Anspruch 1 dieses Antrags nicht nur aus sich heraus, sondern auch im Hinblick auf die Offenbarung in D1 an einem erfinderischen technischen Beitrag.
6. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags ist daher im Lichte der Offenbarung von D1 ebenfalls nahegelegt (Artikel 56 EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.