European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2014:T000410.20140701 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 Juli 2014 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0004/10 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00925112.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08K 5/523 C08L 69/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | FLAMMWIDRIGE, SCHLAGZÄHMODIFIZIERTE POLYCARBONAT-FORMMASSEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Bayer MaterialScience AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Cheil Industries Inc. R & D Center THE DOW CHEMICAL COMPANY Samyang Corporation |
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Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit der Beschwerde - (ja) Spät eingereichte Anträge - prima facie gewährbar Spät eingereichte Anträge - (nein) Spät eingereichte Anträge- ins Verfahren zugelassen - (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin betrifft die am 24. September 2009 verkündete und am 26. Oktober 2009 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Europäische Patent Nr 1 165 680 (Anmeldenummer 00 925 112.5, basierend auf der PCT Anmeldung PCT/EP00/02241, veröffentlicht als WO 00/058394), widerrufen wurde.
II. Die ursprünglich eingereichte Anmeldung hatte 15 Ansprüche, wobei Anspruch 1 folgenden Wortlaut hatte:
"Mit Pfropfpolymerisat modifizierte thermoplastische Polycarbonat-Formmasse, enthaltend eine Phosphorverbindung der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin
R**(1), R**(2), R**(3) und R**(4) unabhängig voneinander gegebenenfalls durch Halogen substituiertes C1-C8-Alkyl, jeweils gegebenenfalls durch Halogen und/oder Alkyl substituiertes C5-C6-Cycloalkyl, C6-C10-Aryl oder C7-C12-Aralkyl
n unabhängig voneinander 0 oder 1,
q unabhängig voneinander 0,1,2,3 oder 4,
N 0,6 b1s 4 bedeuten,
R**(5) und R**(6) unabhängig voneinander C1-C4-Alkyl oder Halogen bedeuten,
Y C1-C7-Alkyliden, C1-C7-Alkylen, C5-C12-Cycloalkylen, C5-C12 Cycloalkyliden, -O-, -S-, -SO-, -SO2- oder -CO- bedeutet."
Der abhängige Anspruch 10 hatte folgenden Wortlaut:
"Formmasse nach einem der vorhergehenden Ansprüche enthaltend
A) 40 bis 99 Gew.-Teile aromatisches Polycarbonat und/oder Polyestercarbonat
B) 0,5 bis 60 Gew.-Teile Pfropfpolymerisat von
B.1) 5 bis 95 Gew.-% eines oder mehrerer Vinylmonomeren auf
B.2) 95 bis 5 Gew.-% einer oder mehrerer Pfropfgrundlagen mit einer Glasumwandlungstemperatur <10°C,
C) 0 bis 45 Gew.-Teile mindestens eines thermoplastischen Polymers, ausgewählt aus der Gruppe der Vinyl(co)polymerisate und Polyalkylenterephthalate,
D) 0,5 bis 20 Gew.-Teilen einer Phosphorverbindung der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
E) 0 bis 3 Gew.-Teile fluoriertes Polyolefin."
III. Das erteilte Patent hatte 17 Ansprüche, wobei Anspruch 1 folgenden Wortlaut hatte, wobei Änderungen gegenüber den Ansprüchen 1 und 10 der ursprünglichen Anmeldung Fett (Hinzufugungen) sowie [deleted: durchgestrichen] (Streichungen) angegeben werden:
"Mit Pfropfpolymerisat modifizierte thermoplastische Polycarbonat Formmasse enthaltend
A) 40 bis 99 Gew.-Teile aromatische Polycarbonate und/oder Polyestercarbonat,
B) 0,5 bis 60 Gew.-Teile Pfropfpolymerisat von
B.1) 5 bis 95 Gew.-% eines oder mehrerer Vinylmonomeren auf
B.2) 95 bis 5 Gew.-% einer oder mehrerer Pfropfgrundlagen mit einer Glasumwandlungstemperatur <10°C wobei die Pfropfgrundlage eine mittlere Teilchengröße (d50-Wert) von 0,1 bis 0,6 mym und der Gelanteil der Pfropfgrundlage mindestens 40 Gew.-% beträgt,
C) 0 bis 45 Gew.-Teile mindestens eines thermoplastischen Polymers, ausgewählt aus der Gruppe der Vinyl(co)polymerisate und Polyalkylenterephthalat
D) 0,5 bis 20 Gew.-Teilen einer Phosphorverbindung der Formel (I) oder einer Mischung von Phosphor-Verbindungen (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin
R**(1), R**(2), R**(3) und R**(4) unabhängig voneinander gegebenenfalls durch Halogen substituiertes C1-C8-Alkyl, jeweils gegebenenfalls durch Halogen und/oder Alkyl substituiertes C5-C6-Cycloalkyl, C6-C10-Aryl oder C7-C12-Aralkyl
n unabhängig voneinander 0 oder 1,
q unabhängig voneinander 0,1,2,3 oder 4,
N 0,9 bis 1,7 [deleted: 0,6 bis 4] bedeuten,
R**(5) und R**(6) unabhängig voneinander C1-C4-Alkyl oder Halogen bedeuten
Y Isopropyliden [deleted: C]1[deleted: -C]7[deleted: -Alkyliden], [deleted: C]1[deleted: -C]7[deleted: -Alkylen,] C5-C12-Cycloalkylen, C5-C12 Cycloalkyliden, -O-, -S-, -SO- oder -CO bedeutet
und
E) 0,05 [deleted: 0] bis 3 Gew.-Teile fluoriertes Polyolefin."
IV. Am 26. April 2007 wurden drei Einsprüche gegen das Patent eingelegt.
Alle Einsprechenden machten die Gründe gemäß Art 100(a) (Neuheit und erfinderische Tätigkeit) und (c) EPÜ geltend. Die Einsprechenden 01 und 03 stützten sich ferner auf Art 100(b) EPÜ. Der Einspruch der Einsprechende 02 wurde mit Brief vom 28. Mai 2008 zurückgezogen.
V. Die angefochtene Entscheidung erfolgte auf der Grundlage eines Hauptantrags und zweier Hilfsanträge, alle eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
Anspruch 1 des Hauptantrags unterschied sich von Anspruch 1 wie erteilt dadurch, dass:
- in Merkmal B.2) definiert wurde, dass der Gelanteil in Toluol gemessen wurde;
- in Merkmal D) der Bereich von N auf 1,06 bis 1,15 geändert wurde.
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterschied sich vom Hauptantrag dadurch, dass:
- in der ersten Zeile "enthaltend" durch "bestehend aus" ersetzt wurde;
- in Merkmal B.2) der obere Wert der mittleren Teilchengröße D50 0,5mym betrug;
- in Merkmal C) "Polyalkylenterephthalate" gestrichen wurde
- in Merkmal D) der Bereich von N 1 bis 1,15 betrug;
- ein zusätzliches Merkmal F bezüglich Zusätze hinzugefügt wurde.
Der Wortlaut des zweiten Hilfsantrags ist für diese Entscheidung nicht relevant.
Gemäß der angefochtenen Entscheidung erfüllte der Hauptantrag nicht die Erfordernisse gemäß Art. 123(2) EPÜ. Der erste Hilfsantrag erfüllte nicht die Erfordernisse gemäß Art. 84 EPÜ, Art. 123(2) EPÜ und R. 80 EPÜ. Der zweite Hilfsantrag erfüllte nicht die Erfordernisse gemäß Art. 84 EPÜ, sowie Art. 123(2) und (3) EPÜ.
VI. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin am 16. Dezember 2009, unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr, Beschwerde ein.
In der Beschwerdeschrift wurden die Europäische Anmelde- und Patentnummer, das Datum und die Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung (Art. 101(3)(b) EPÜ) sowie das Zeichen der Patentinhaberin angegeben. Gemäß dem Text des Schreibens wurde gegen den Widerruf des Europäischen Patents 1165680 Beschwerde eingelegt.
Die Beschwerdebegründung ging am 5. März 2010 ein. Zusammen mit der Beschwerdebegründung wurden drei Anspruchssätze eingereicht (Haupt- sowie erster und zweiter Hilfsantrag).
Anspruch 1 des Hauptantrags unterschied sich von den erteilten Ansprüchen 1 bzw. 10 dadurch, dass:
- in Merkmal B.2) die mittleren Teilchengröße 0,1 bis 0,5 mym betrug und der Gelgehalt in Toluol gemessen wurde,
- in merkmal D) der Wertbereich für N 1 bis 1,15 betrug.
In Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags wurden in Merkmal B.2 die Polymere, aus den die Pfropfgrundlage ausgewählt werden sollte, weiter definiert.
In Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags war in Merkmal D) der Rest Y auf Isopropyliden beschränkt.
Mit Schreiben vom 22. März 2011 und 11. April 2012 nahm die Beschwerdeführerin weiter Stellung, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit der Beschwerde.
VII. Beschwerdeerwiderungen gingen mit Schreiben vom 14. September 2010 (Beschwerdegegnerin/Einsprechende 01) und 17. September 2010 (Beschwerdegegnerin/Einsprechende 03) ein. Die Beschwerdegegnerin/Einsprechende 01 reichte mit Brief vom 3. November 2011 weitere Argumente ein. Unter anderem wurde im Hinblick auf die Erfordernisse der Regel 99(1) EPÜ die Zulässigkeit der Beschwerde in Frage gestellt.
VIII. In einer am 16. April 2014 versandten Mitteilung legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar. Die Beschwerde wurde als zulässig angesehen. Hinsichtlich Art. 123(2) EPÜ schien insbesondere die Kombination der Merkmale B.2), D) und E) in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart zu sein.
IX. Mit Schreiben vom 28. Mai 2014 reichte die Beschwerdeführerin drei neue Anträge als Haupt- sowie ersten und zweiten Hilfsantrag, sowie Argumente hinsichtlich Art. 123(2) EPÜ ein.
Anspruch 1 des neuen Hauptantrags sowie der ersten und zweiten Hilfsänträge unterschieden sich, gemäß Seite 1 des Schreibens der Beschwerdeführerin von den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträgen dadurch, dass die Menge der Komponente E mit 0,05 bis 2 Gew.-Teilen angegeben war. Jedoch wurde auf Seite 5 vorletzter Absatz vorgetragen, dass der Wert von E im zweiten Hilfsantrag 0,01 bis 0,8 Gew.-Teilen betrug, was dem Text der Ansprüche entsprach. Weiterhin wurden Argumente bezüglich Art. 123(2) EPÜ vorgetragen.
X. Mit Schreiben vom 2. Juni 2014 beantragte Beschwerdegegnerin/Einsprechende 03, die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge nicht ins Verfahren zuzulassen.
XI. Die mündliche Verhandlung fand am 1. Juli 2014 statt.
XII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.
a) Zulässigkeit der Beschwerde
In der Beschwerdeschrift wurden sowohl der Name als auch die Anschrift der Beschwerdeführerin (R. 99(1)(a) EPÜ), sowie die angefochtene Entscheidung (R. 99(1)(b) EPÜ) angegeben. Durch Einreichung der Beschwerde gegen die Entscheidung bezüglich des Widerrufs des Patents sei es klar, dass der Widerruf des Patents der Beschwerdegegenstand war, und dass ersucht wurde, das Patent aufrechtzuerhalten (R. 99(1)(c) EPÜ). Es sei gemäß R. 99 EPÜ nicht erforderlich, bereits mit der Beschwerdeschrift spezifische Anträge einzureichen. Dies sei vielmehr Gegenstand der Beschwerdebegründung (R. 99(2) EPÜ). In dieser Hinsicht unterscheide sich EPÜ 2000 von EPÜ 1973, wo gemäß R. 64 EPÜ 1973 die Beschwerdeschrift den Umfang der begehrten Abänderung der Entscheidung zu enthalten hatte. Es wurde auf T 358/08 hingewiesen.
b) Zulässigkeit der Anträge
Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge wurden im Hinblick auf die Gründe der Entscheidung abgeändert (Wert von N) und stellten somit eine direkte Reaktion auf die Zurückweisungsgründe dar. Die am 28. Mai 2014 eingereichten Anträge wichen nur wenig von den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträgen ab und seien eine direkte Reaktion auf den Bescheid der Kammer hinsichtlich Art. 123(2) EPÜ. Die Änderungen gegenüber den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträgen stellten keine Modifizierung des Vorbringens dar, sie seien nicht komplex und von Verfahrensmissbrauch könne keine Rede sein.
c) Art. 123(2) EPÜ
Bezüglich Merkmal B.2) sei in der Beschreibung allgemein die aktuelle Teilchengröße als besonders bevorzugt angegeben. Der Gelanteil sei als allgemeines Merkmal offenbart. Der angegebene Bereich von N sei in der ursprünglichen Anmeldung als bevorzugt offenbart. Auf Seite 4/5 der Anmeldung sei eine bevorzugte thermoplastische Formmasse angegeben, wobei bezüglich der Definition der Indizes/Radikale der Formel (I) der Komponente D) auf die "oben angegebene" Bedeutung und somit auf Seite 3 verwiesen worden. Bei
dieser bevorzugten Formmasse könne die Komponente E) in drei Mengenbereichen anwesend sein, wobei der Bereich "0,05 bis 2" als "vorzugsweise" angegeben werde.
Die durchschnittliche Teilchengröße d50 werde auf Seite 11 der Anmeldung als "besonders bevorzugt" offenbart.
Alle Beispiele offenbarten Formmassen mit der anspruchsgemäßen Teilchengröße und 6 der 9 Beispiele wiesen einen Wert von N innerhalb des jetzt beanspruchten Bereiches auf.
Die Definition von Y sei gegenüber der ursprünglichen Anmeldung dahingehend geändert, dass einige Reste nicht mehr enthalten seien. Da Isopropyliden als bevorzugt angegeben sei, stelle die Streichung einiger Reste keine unzulässige Einschränkung dar.
XIII. Die Argumente des Beschwerdegegners können wie folgt zusammengefasst werden.
a) Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerdeschrift enthalte keinen Antrag bezüglich des Beschwerdegegenstands (R.99(1)(c) EPÜ). Man könnte evtl. implizit einen Antrag auf die Aufrecherhaltung des Patents auf Grundlage der gleichen Anspruchssätze, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, vermuten, jedoch seien mit der Beschwerdebegründung andere Ansprüche vorgelegt worden. Dies beweise, dass der Beschwerdegegenstand der Beschwerdeschrift auch nicht implizit zu entnehmen gewesen sei.
b) Zulässigkeit der Anträge
Die Ansprüche seien breiter gefasst als die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anträge und somit breiter als die der Beschwerdeschrift implizit zu entnehmenden Anträge. Somit stellten diese Anträge eine Erweiterung des Beschwerdebegehrens dar. Die Ansprüche hätten bereits während des Einspruchsverfahren eingereicht werden können und gelten somit als verspätet. Ferner räumten die vorgenommenen Änderungen gegenüber den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträgen die von der Kammer erhobenen Einwände (Art. 123(2) EPÜ sowie Art. 84 EPÜ) nicht aus.
c) Art. 123(2) EPÜ
Die Ansprüche aller Anträge enthielten eine Merkmalskombination, die der ursprünglichen Anmeldung nicht zu entnehmen sei.
Bezüglich Merkmal B) sei der Gelgehalt als bevorzugtes Merkmal auf Seite 12 der Anmeldung offenbart, allerdings nur in Zusammenhang mit ABS-Polymerisaten, welches Merkmal im Anspruch nicht definiert sei.
Die Teilchengröße sei in der Anmeldung offenbart, jedoch nicht in Kombination mit den anderen Merkmalen B.2) des Anspruchs.
Der angegebenen Mengenbereich von N sei zwar in der Anmeldung offenbart, jedoch nicht in Verbindung mit dem Merkmal B.2).
Die Angabe von Rest Y wurde gegenüber der Anmeldung eingeschränkt und definiere nunmehr eine Untergruppe und somit eine eingeschränkte Auswahl aus der ursprünglichen Offenbarung.
Somit definiere Anspruch 1 des Hauptantrags eine Kombination von gegenüber der ursprünglichen Anmeldung neudefinierten bzw. eingeschränkten Merkmalen. Auch wenn manche dieser Merkmale isoliert offenbart seien, gebe es keine Offenbarung der jetzt beanspruchten Kombination. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin enthalte ebenfalls keine Fundstellen für eine solche Kombination.
XIV. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass die Ansprüche gemäß dem Hauptantrag oder einem der Hilfsanträge 1 oder 2, sämtliche Anträge eingereicht mit Schreiben vom 28. Mai 2014, zumindest die Erfordernisse der Artikel 84, 123 und Regel 80 EPÜ erfüllen und die Sache zur Prüfung der Erfordernisse der Artikel 54 und 56 EPÜ an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden 1 und 2) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerdegegnerinnen bemängeln, dass die Beschwerdeschrift keinen "request defining the subject of the appeal" (Beschwerdegegenstand) enthält. Aus der weiteren Argumentation der Beschwerdegegnerinnen ist ersichtlich, dass unter "subject of the appeal" im Prinzip der Umfang der Beschwerde gemeint ist, nämlich inwiefern die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern sei.
Die Angabe des Umfangs der Beschwerde ist jedoch gemäß R.99(2) EPÜ 2000 Gegenstand der Beschwerdebegründung und nicht, im Gegensatz zur früheren R. 64(b) EPÜ 1973, Gegenstand der Beschwerdeschrift (siehe hierzu "Rechtsprechung der Beschwerdekammer des EPA", 7. Ausgabe (2013) Abschnitt IV.E.2.5.2(c).
Somit stellt das Fehlen einer Angabe des Umfangs der Beschwerde in der Beschwerdeschrift keinen Mangel gemäß R 99(1) EPÜ dar.
Zusammen mit der Beschwerdebegründung wurden drei Anspruchssätze eingereicht und es wurde beantragt, dass die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufhebt und feststellt, dass der Gegenstand einer der Anträge den Erfordernissen von Art. 84, 123 und R. 80 EPÜ entspricht. Hierdurch wurde den Erfordernissen von R.99(2) EPÜ 2000 entsprochen.
Somit ist die Beschwerde zulässig.
2. Zulässigkeit der Anträge
2.1 Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 wurden spät eingereicht - nämlich mit Schreiben vom 28. Mai 2014 und somit nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung. Als Begründung für die späte Einreichung wurde der Bescheid der Kammer angegeben.
2.1.1 In dem Bescheid der Kammer wurde im Hinblick auf Art. 123(2) EPÜ bezüglich der damaligen Anträge - eingereicht mit der Beschwerdebegründung - folgendes mitgeteilt:
"Anspruch 1 des Hauptantrags enthält eine Kombination von Merkmalen aus den ursprünglichen Ansprüchen sowie aus der Beschreibung. Einige der Merkmale aus der Beschreibung waren als "bevorzugt" bzw. "besonders bevorzugt" angedeutet. Es wird zu überprüfen sein, ob diese Kombination aus allgemeinen und bevorzugten Merkmalen der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen ist (betrifft insbesondere die Kombination der Merkmale B.2, D und E wie in Anspruch 1 angegeben).
Analoge Einwände bezüglich nicht offenbarter Merkmalskombinationen betreffen die Ansprüche 6 und 10."
Ferner wurde mitgeteilt, dass die Einwände ebenfalls für die zwei Hilfsanträge galten.
Somit teilte die Kammer ihre Auffassung mit, dass es keine Offenbarung der damals beanspruchten Kombination von Merkmalen gäbe, wodurch die Bedingungen von Art. 123(2) EPÜ nicht erfüllt schienen.
2.1.2 In Reaktion hierauf legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28. Mai 2014 drei Anspruchssätze vor, die sich von den vorherigen im Verfahren befindlichen Anträgen lediglich dadurch unterschieden, dass der Wertbereich von Merkmal E) modifiziert wurde (siehe Punkt IX oben).
Die Erklärung der Beschwerdeführerin hinsichtlich der vorgenommenen Änderung gegenüber den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträgen erschöpfte sich in einem Hinweis auf die oben angegebenen Bemerkungen der Kammer und die Angabe der vorgenommenen Änderung.
Es wurde nicht erklärt, warum bzw. wie diese Änderung die von der Kammer vorgetragenen Bedenken im Hinblick auf die Merkmalskombination des Anspruchs ausräumen würde. Es wurden zwar Fundstellen der einzelnen Merkmale identifiziert, sowie deren "Grad der Bevorzugung" angegeben. Es wurde jedoch nicht erläutert, warum diese einzelnen Fundstellen eine Basis - auch implizit - für die spezifische Merkmalskombination bilden würden, was der Haupteinwand der Kammer war.
2.2 Eine Bedingung für die Zulassung verspätet eingereichter Anträge ist, dass sie prima facie eindeutig gewährbar sind. Im Zweifelsfall sind solche Anträge nicht ins Verfahren zuzulassen (Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, 7. Ausgabe, IV.E.4.4). Daher gilt es, zu überprüfen, ob die verspäteten Anträge den Erfordernissen des EPÜ genügen.
3. Hauptantrag - Art 123(2) EPÜ
3.1 Anspruch 1 unterscheidet sich vom ursprünglich eingereichten Anspruch 1 in den folgenden Aspekten:
- Merkmale A) und B.1), die dem ursprünglichen abhängigen Anspruch 10 zu entnehmen sind,
- der erste Teil von Merkmal B.2), der Merkmal B.2) des ursprünglichen Anspruchs 10 entspricht,
- bezüglich der Teilchengröße (0,1-0,5 mym) werden auf S.11 Z.5-7 der ursprünglichen Anmeldung vier Bereiche angegeben. Der jetzt im Anspruch definierte Bereich ist der dritte in dieser Auflistung und wird als "besonders bevorzugt" gekennzeichnet.
Bezüglich des Gelanteils (mindestens 40 Gew.-%) werden auf Seite 12, Z. 17-18 der ursprünglichen Anmeldung zwei Bereiche angegeben, wobei der anspruchsgemäße Wert an zweiter Stelle als "vorzugsweise" offenbart wird. Der Absatz, in dem sich diese Angabe befindet, ist jedoch auf "Besonders bevorzugte Polymerisate B" gerichtet, und gibt als Beispiel solcher Polymerisate "z.B. ABS-Polymerisate". Eine Beschränkung hinsichtlich der Art des Copolymerisats B.2) ist im geltenden Anspruch 1 jedoch nicht enthalten. Es ist somit fraglich, ob der beanspruchte Wertebereich des Gel-gehalts sich auf Polymerisate B allgemein bezieht (wie der Anspruch definiert) oder auf eine bestimmte, bevorzugte Untergruppe dieser Polymerisate, insbesondere ABS, beschränkt ist. Somit stellt die Offenbarung auf Seite 12, Zeilen 17-18 keine eindeutige Grundlage für das Merkmal hinsichtlich des Gelgehalts des geltenden Anspruchs 1 dar.
Auf Seite 14 Zeilen 5-10 der ursprünglichen Anmeldung werden bevorzugte "andere" Monomere, die neben Acrylsäureestern zur Herstellung der Pfropfgrundlage dienen können, aufgelistet. Auch wird offenbart, dass Emulsionspolymerisate mit einem Gelgehalt von mindestens 60 Gew.-% bevorzugt sind. Diese Textstelle offenbart ebenfalls keinen Gelgehalt von mindestens 40 Gew.-% gemäß Merkmal B.2).
3.2 Merkmal C) entspricht Merkmal C) des ursprünglichen Anspruchs 10.
3.3 Die Definition von Merkmal D) unterscheidet sich von der Definition im ursprünglichen Anspruch 1 dadurch, dass zusätzlich die Menge der Phosphorverbindung angegeben ist, sowie dadurch, dass alternativ eine Mischung der Verbindungen angegeben wird. Diese Änderungen sind dem ursprünglichen Anspruch 2 entnommen.
Die Definition der Phosphorverbindung unterscheidet sich von der gemäß dem ursprünglichen Anspruch 1 dadurch, dass der Wertbereich für N 1 bis 1,15 beträgt. Dies war Gegenstand des ursprünglichen Anspruchs 6.
3.4 Bei der Definition von Rest Y wurde die ursprüngliche Gruppe der C1-C7-Alkylidene auf Isopropyliden beschränkt. Somit entspricht das erste Mitglied dieser Gruppe keiner generischen Definition mehr, sondern ist auf eine bestimmte Verbindung gerichtet. Außerdem wurden aus der Liste der ursprünglich angegebenen möglichen Gruppen Verbindungen zwei Gruppen gestrichen (C1-C7-Alkylen, -SO2-). Hierdurch entsteht eine Auswahl aus den ursprünglich definierten Möglichkeiten für die Restgruppe Y, die der ursprünglichen Anmeldung nicht zu entnehmen ist.
3.5 Bezüglich Merkmal E) (0,05-2 Gew.-Teile) werden auf Seite 5, Zeile 3 drei Mengenbereiche angegeben, wobei der jetzt beanspruchte Bereich dem zweiten als "vorzugsweise" gekennzeichneten offenbarten Bereich entspricht.
3.6 Somit besteht der Gegenstand von Anspruch 1 aus einer Kombination von allgemeinen und bevorzugten Merkmalen, nämlich:
- die Definition der Rest Y entspricht einer Auswahl aus der ursprünglichen Offenbarung, wofür es keine Basis gibt;
- Merkmal B.2) basiert auf einer Kombination von zwei bevorzugten Merkmalen,
- der angegebene Bereich des Gelgehalts der Pfropfgrundlage ist nur für eine bestimmte Polymerart offenbart.
3.7 Somit bestehen erhebliche Zweifel, ob der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags prima facie den Erfordernissen gemäß Art. 123(2) EPÜ entspricht.
4. Erster und zweiter Hilfsantrag
Die für den Hauptantrag geltenden Zweifel hinsichtlich Art.123(2) EPÜ können durch die Änderungen in den Hilfsanträgen (vgl. Abschnitt IX, oben) nicht ausgeräumt werden.
5. Aufgrund der oben angegebenen Analyse muss die Kammer zum Schluss kommen, dass die drei mit Schreiben vom 28. Mai 2014 verspätet eingereichten Anspruchssätze nicht eindeutig gewährbar sind. Somit werden diese Anträge nicht ins Verfahren zugelassen.
6. Die Beschwerdeführerin hat keine weiteren Anträge vorgelegt. Somit liegt keine von der Patentinhaberin gebilligte Fassung der Ansprüche vor. Da keine gewährbaren Anträge vorliegen, ist das Patent zu widerrufen (Art. 113(2) EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.