T 2410/09 () of 26.5.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T241009.20140526
Datum der Entscheidung: 26 Mai 2014
Aktenzeichen: T 2410/09
Anmeldenummer: 03003055.5
IPC-Klasse: A61N 1/05
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Führungsdraht und implantierbare Elektrodenleitung
Name des Anmelders: BIOTRONIK SE & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention R 43(2)(c)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - nach Änderung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen.

II. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patentes auf der Grundlage der Ansprüche 1-5, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2014.

III. Während des Verfahrens wurde u.a. auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D2: US-A-4 570 642;

D4: US-A-5 497 782.

IV. Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Anordnung aus einer implantierbaren Herzelektrodenleitung (101) zum intrakardialen Abfühlen von Herzaktionspotentialen und/oder zur elektrischen Stimulation oder Defibrillation der Herzens und einem Führungsdraht (107) zur Einführung der Elektrodenleitung in das Herz eines Patienten, wobei

der Führungsdraht Mittel zur gegenseitigen lösbaren Verriegelung seines proximalen Endes mit der Elektrodenleitung an dem proximalen Ende der Anordnung aufweist, wobei die Verriegelungsmittel eine Verformung (113) aufweisen, die durch punktuelles elastisches Anpressen gegen die Wandung eines Lumens (111) der Elektrodenleitung einen Reibschluss mit einer Reibungskraft erzeugt, um den Führungsdraht bei allen im Zusammenhang mit der Einführung der Elektrodenleitung auftretenden Manipulationen sicher in der Elektrodenleitung zu halten, jedoch das Lösen der Verriegelung nach Beendigung der Implantation zu ermöglichen."

Anspruch 3 lautet wie folgt:

"Anordnung aus einer implantierbaren Herzelektrodenleitung (401; 501) zum intrakardialen Abfühlen von Herzaktionspotentialen und/oder zur elektrischen Stimulation oder Defibrillation des Herzens und einem Führungsdraht (407; 507) zur Einführung der Elektrodenleitung in das Herz eines Patienten,

wobei die mit einem Lumen (411) zur Aufnahme des Führungsdrahtes versehene Elektrodenleitung (401; 501) an seinem proximalen Ende einen Steckerstift (405; 505) aufweist und

der Führungsdraht eine Klemmhülse (413; 509) zur gegenseitigen lösbaren Verriegelung des Führungsdrahtes mit der Elektrodenleitung aufweist,

wobei die Klemmhülse zwei in Längsrichtung aneinander anschließende, zueinander exzentrisch angeordnete Längsbohrungen (415a, 415b) aufweist, durch welche der Führungsdraht läuft,

wobei der Durchmesser der distalen Längsbohrung (415a) auf den Außendurchmesser des Steckerstiftes der Elektrodenleitung derart abgestimmt ist, dass der Steckerstift (405; 505) in der distalen Längsbohrung der Klemmhülse durch Reibschluss fixiert ist und damit ein kraftschlüssiger Eingriff zwischen Elektrodenleitung und Klemmhülse entsteht, wobei die proximale und distale Längsbohrung der Klemmhülse zueinander derart axial versetzt sind, dass beim Aufschieben der Klemmhülse mit ihrer distalen Längsbohrung auf den Steckerstift eine Auslenkung des Führungsdrahtes (407) entlang seiner Längserstreckung erfolgt, die ein Anpressen des Führungsdrahtes gegen die Wand der proximalen Längsbohrung (415b) verursacht und somit einen kraftschlüssigen Eingriff zwischen Führungsdraht und Klemmhülse erzeugt."

Ansprüche 2, 4 und 5 sind abhängige Ansprüche.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anspruch 1

2.1 Anspruch 1 bezieht sich auf eine Anordnung aus einer implantierbaren Herzelektrodenleitung und einem Führungsdraht zur Einführung der Elektrodenleitung in das Herz eines Patienten.

2.2 Das Dokument D2 ist als nächstliegender Stand der Technik zu sehen. Dieses Dokument offenbart eine implantierbare Elektrodenleitung 10 und einen Führungsdraht 46 (siehe Figur 2). Der Führungsdraht kann an der Elektrodenleitung fixiert werden, indem eine Klemmhülse 49 ("stylet spacer tool"), durch welche der Führungsdraht läuft, über einen Anschlussstecker 14 der Elektrodenleitung 10 geschoben und festgeschraubt wird. Insbesondere dient eine erste Schraube 53 dazu, die Elektrodenleitung mit der Klemmhülse 49 zu verbinden. Eine zweite Schraube 55 dient dazu, den Führungsdraht 46 mit der Klemmhülse 49 zu verbinden. Somit wird eine feste Verbindung zwischen Elektrodenleitung, Klemmhülse und Führungsdraht erreicht (siehe Figur 3).

2.3 Der Anordnung des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Offenbarung des Dokumentes D2 dadurch, dass anstatt einer Klemmhülse Verriegelungsmittel vorgesehen sind, die eine Verformung aufweisen, die durch punktuelles elastisches Anpressen gegen die Wandung eines Lumens der Elektrodenleitung einen Reibschluss mit einer Reibungskraft erzeugt, um den Führungsdraht bei allen im Zusammenhang mit der Einführung der Elektrodenleitung auftretenden Manipulationen sicher in der Elektrodenleitung zu halten, jedoch das Lösen der Verriegelung nach Beendigung der Implantation zu ermöglichen.

Der in Anspruch 1 definierte Gegenstand ist daher neu (Artikel 54(1),(2) EPÜ 1973).

2.4 Ausgehend von D2 kann die zu lösende Aufgabe darin gesehen werden, die Verriegelung des Führungsdrahtes mit der Elektrodenleitung zu vereinfachen.

2.5 Die aus D2 bekannte Klemmhülse erfüllt eine sehr spezifische Funktion. Deswegen kann sie nicht durch irgendeine beliebige Fixierung ersetzt werden.

Wie aus D2 (siehe Spalte 4, Zeilen 3-56) zu entnehmen ist, sind beide Schrauben 53 und 55 bei dem Implantationsvorgang unerlässlich. Bei der Einführung der Elektrodenleitung in das Herz müssen die Elektrodenleitung und der Führungsdraht eine feste Einheit bilden, d.h. sie dürfen zueinander nicht verrutschen. Hierzu müssen beide Schrauben 53 und 55 fest angezogen werden, um jegliche Bewegung zwischen Führungsdraht und Elektrodenleitung zu unterbinden. Nachdem die Elektrodenleitung in das Herz eingeführt worden ist, wird die Schraube 55 gelockert, damit der Führungsdraht weiter durch die Elektrodenleitung durchgeschoben werden kann, um das Helixelement 35 aus dem distalen Ende der Elektrodenleitung herauszudrücken. Die Schraube 55 wird dann wieder angezogen und die gesamte Einheit wird nun weiter in das Herz eingeführt, bis die nun herausragende Spitze des Helixelementes mit dem Endokard in Berührung kommt. Die Elektrodenleitung wird dann gedreht, um das Helixelement in die Herzwand einzuschrauben. Sobald die Elektrodenleitung durch das Helixelement an der Herzwand fixiert ist, können beide Schrauben 53 und 55 gelockert werden, um den Führungsdraht 46 und die Klemmhülse 49 zu entfernen.

Diese Einführungsschritte sind mit der lösbaren Verriegelung nach Anspruch 1 nicht vereinbar. Ausgehend von D2 würde der Fachmann somit nicht auf die beanspruchte Lösung kommen. Daher kann die Anordnung gemäß Anspruch 1 nicht als naheliegend angesehen werden.

2.6 Nichtsdestoweniger hat die Prüfungsabteilung argumentiert, dass das Dokument D4 das im Anspruch 1 definierte Verriegelungsprinzip vorwegnehme. Folglich sei die in Anspruch 1 definierte Anordnung doch naheliegend.

2.7 Abgesehen davon, dass die aus D4 bekannte Verriegelung nicht geeignet ist, die Funktionalität der aus D2 bekannten Klemmhülse zu verwirklichen, kann die Kammer aus folgenden Gründen dieser Ansicht nicht folgen.

Das Dokument D4 (siehe Figuren 1-3; Spalte 2, Zeile 65 bis Spalte 4, Zeile 28) offenbart eine Anordnung für die Einführung und den Austausch eines Ballonkatheters. Die Anordnung besteht aus einem Führungskatheter und einem verriegelbaren Führungsdraht. Der Führungskatheter wird durch die Aorta eingeführt. Der Führungsdraht wird dann durch den Führungskatheter eingeführt, bis sein distales Ende an einer zu behandelnden Stenose vorbei geführt ist. Ein Abschnitt des Führungsdrahtes weist eine Verformung auf, die sich radial so ausweitet, dass eine Reibschlussverbindung durch elastisches Anpressen gegen die Wandung des Führungskatheters entsteht, welche den Führungsdraht in dem Führungskatheter hält. Eine "Hypotube" 31 (siehe Figur 1), die über die Verformung verschiebar ist, dient dazu, zwei Betriebszustände der Verformung zu bewirken. Befindet sich der Hypotube in einer zurückgezogenen Position, ist die Verformung ausgeweitet, so dass der Führungsdraht in dem Führungskatheter durch Reibschluss gehalten wird. In diesem Fall kann der Ballonkatheter auf das proximale Ende des Führungsdrahtes geschoben werden, ohne dass die Position des distalen Endes des Führungsdrahtes gegenüber der Stenose verschiebt. Befindet sich jedoch der Hypotube in einer vorgeschobenen Position, entfällt die Wirkung der Verformung des Führungsdrahtes, was ein ungehindertes Vorschieben des Ballonkatheters bis zur Stenose ermöglicht.

Aus D4 ist folglich ersichtlich, dass die Verriegelung des Führungsdrahtes nur dann bewirkt wird, wenn der Ballonkatheter auf das proximale Ende des Führungsdrahtes geschoben wird. Während der Einführung des Ballonkatheters in das arterielle System wird jedoch der Führungsdraht nicht mittels der elastischen Verformung verriegelt. Stattdessen wird sein proximales Ende festgehalten (siehe Spalte 4, Zeilen 11-28). Insofern ist aus D4 nicht zu entnehmen, dass die bekannte Verriegelung geeignet wäre, um den Führungsdraht innerhalb des Führungskatheters während des gesamten Implantationsvorgangs festzuhalten. In Abwesenheit eines solchen Hinweises, kann es nicht als naheliegend angesehen werden, die Klemmhülse von D2 durch eine solche Verriegelung zu ersetzen.

2.8 Alle anderen vorliegenden Druckschriften sind von dem beanspruchten Gegenstand weiter entfernt.

3. Anspruch 3

3.1 Anspruch 3 bezieht sich auch auf eine Anordnung aus einer implantierbaren Herzelektrodenleitung und einem Führungsdraht zur Einführung der Elektrodenleitung in das Herz eines Patienten, wobei diese Anordnung der Ausführungsform gemäß Figuren 4A und 4B der veröffentlichten Anmeldung entspricht.

3.2 In Anspruch 3 wird der Führungsdraht auch mittels einer Reibschlussverbindung fixiert, jedoch auf eine andere Art und Weise wie in Anspruch 1 definiert. Insbesondere ist eine Klemmhülse vorgesehen, durch welche der Führungsdraht läuft. Beim Aufschieben der Klemmhülse auf einen Steckerstift der Elektrodenleitung erfolgt eine Auslenkung des Führungsdrahtes, die zu einem kraftschlüssigen Eingriff zwischen Führungsdraht und Klemmhülse führt.

3.3 Die in Anspruch 3 definierte alternative Lösung beruht auf dem gleichen Prinzip wie die in Anspruch 1 definierte Gestaltung. Die Grundidee der Erfindung ist es nämlich, den Führungsdraht während des Einführungsvorgangs durch Reibschluss in der Elektrodenleitung zu fixieren. Insofern beziehen sich die zwei unabhängigen Ansprüche auf Alternativlösungen für eine bestimmte Aufgabe und entsprechen somit den Erfordernissen der Regel 43(2)(c) EPÜ.

3.4 Das Dokument D2 ist auch gegenüber Anspruch 3 als nächster Stand der Technik anzusehen. Die in Anspruch 3 definierte Klemmhülse ist jedoch in dem vorliegenden Stand der Technik, insbesondere D2, nicht offenbart. Wie oben erläutert, ist die Kammer der Meinung, dass der Fachmann die aus D2 bekannte Klemmhülse nicht durch einen beliebigen Fixierungsmechanismus ersetzen kann. Es wäre für den Fachmann nicht naheliegend, eine Änderung der Anordnung nach D2 im Sinne des vorliegenden Anspruchs 3 in Erwägung zu ziehen.

4. Da die Anordnungen von Ansprüche 1 und 3 sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben, gelten sie als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend (Artikel 52(1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973). Da keine weiteren Einwände gegen die unabhängigen Ansprüche bestehen, sind Ansprüche 1 und 3 gewährbar.

Gegen die abhängigen Ansprüche bestehen ebenfalls keine Einwände.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit den während der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2014 eingereichten Ansprüchen 1 bis 5 und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

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