T 2364/09 () of 9.12.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T236409.20141209
Datum der Entscheidung: 09 Dezember 2014
Aktenzeichen: T 2364/09
Anmeldenummer: 05013396.6
IPC-Klasse: G01N 33/487
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 277 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Testvorrichtung mit Testelement-Lagervorrichtung
Name des Anmelders: F.Hoffmann-La Roche AG
Roche Diagnostics GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 43(2)(a)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 111(2)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Mehrere unabhängige Ansprüche gleicher Kategorie (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Rechtliches Gehör - Verletzung (ja)
Wesentlicher Verfahrensmangel - angefochtene Entscheidung begründet (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0056/01
T 0671/06
T 0388/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Aus der Prüfungsakte geht hervor, dass die Prüfungsabteilung in drei aufeinander folgenden Bescheiden vom 20. Mai 2009, 8. Juli 2009 und vom 19. August 2009 jeweils einen Einwand unter Regel 43(2) EPÜ erhoben hat. Mit ihrer Eingabe vom 7. Oktober 2009 haben die Anmelder in Beantwortung des letzten dieser Bescheide nochmals Gegenargumente präsentiert und um eine Entscheidung "nach Aktenlage" gebeten. Hierauf wurde mit der am 28. Oktober 2009 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 05013396.6 unter Verwendung des Formblattes 2061 mit Verweis auf die drei vorangegangenen Bescheide der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

II. Die Beschwerdeführer legten hiergegen am 27. November 2009 Beschwerde ein und entrichteten am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde zusammen mit der Beschwerde eingereicht. Es wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Beschwerdegebühr gemäss Regel 103(1) i.V.m. Artikel 113(1) EPÜ zurückzuzahlen.

III. Mit telefonischer Rücksprache teilte die Kammer den Beschwerdeführern am 11. Juli 2014 ihre vorläufige Meinung mit.

IV. Mit Schreiben vom 25. Juli 2014 reichten die Beschwerdeführer einen geänderten Anspruchssatz ein und beantragten, auf dieser Basis ein Patent zu erteilen oder die Sache an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen.

V. Die geltende Fassung der Ansprüch 1 bis 3 , 12 und 13 lautet wie folgt:

VI. "1. Testvorrichtung (110) zur Bestimmung mindestens einer Analytkonzentration in einer Probe mittels Testelementen (136), mit

- einem Gehäuse (112), wobei das Gehäuse (112) einen geschlossenen Zustand und einen geöffneten Zustand aufweist;

- einer Lagervorrichtung (134) zur Aufnahme von Testelementen (136), wobei die Lagervorrichtung (134) mindestens eine Lagerposition für Testelemente (136) aufweist;

- einer Messvorrichtung, wobei die Messvorrichtung ausgestaltet ist, um mittels der Testelemente (136) die mindestens eine Analytkonzentration zu bestimmen; und

- einer Ausgabevorrichtung (140, 160), wobei die Ausgabevorrichtung (140, 160) Mittel (140, 160) zur Beförderung der Testelemente (136) von der mindestens einen Lagerposition in mindestens eine Messposition bei Öffnen des Gehäuses (112) aufweist,

dadurch gekennzeichnet, dass

- die Testelemente (136) als streifenförmige Testelemente (136) ausgestaltet sind, wobei die Lagervorrichtung (134) ein Magazin (134) aufweist, wobei das Magazin (134) eine Vielzahl von Kavitäten (135) aufweist, wobei in den Kavitäten (135) streifenförmige Testelemente (136) im Wesentlichen parallel zueinander aufgenommen sind.

2. Testvorrichtung (110) gemäß dem vorhergehenden Anspruch, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse (112) aufklappbar ist.

3. Testvorrichtung (110) gemäß einem der beiden vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Ausgabevorrichtung (140, 160) eine Drehachse (140) zur Drehung der Testelemente (136) von der mindestens einen Lagerposition in die mindestens eine Messposition aufweist.

12. Testvorrichtung (110) gemäß Anspruch 3, wobei das Magazin (134) als auswechselbares Magazin (134) ausgestaltet ist.

13. Magazin (134) mit Testelementen (136) zur Bestimmung mindestens einer Analytkonzentration in einer Probe, wobei das Magazin (134) ausgestaltet ist, um in einer Testvorrichtung (110) gemäß Anspruch 12 verwendet zu werden, wobei die Testelemente (136) als streifenförmige Testelemente (136) ausgestaltet sind und mindestens eine Verbindungsvorrichtung (144; 146) zur Verbindung des Testelements (136) mit der Ausgabevorrichtung (140, 160) aufweisen, wobei das Magazin (134) eine Vielzahl von gestapelten Kavitäten (135) aufweist, wobei in den Kavitäten (135) streifenförmige Testelemente (136) parallel zueinander aufgenommen sind, dadurch gekennzeichnet, dass das Magazin (134) eine Drehachse (140) aufweist, wobei die Verbindungsvorrichtung (144; 146) mindestens eine Öffnung (144; 146) aufweist, durch welche die Drehachse (140) geführt ist."

Die Ansprüche 4 bis 11, 14 und 15 sind abhängige Ansprüche.

VII. Die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Argumente sind im Wesentlichen diejenigen, auf die sich die nachfolgenden Entscheidungsgründe stützen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Mehrere unabhängige Ansprüche gleicher Kategorie

Die Testvorrichtung nach Anspruch 1 und das Magazin nach Anspruch 13 sind als "miteinander in Beziehung stehende Erzeugnisse" i.S.v. Regel 43(2)(a) EPÜ anzusehen, nach der eine europäische Patentanmeldung mehr als einen unabhängigen Anspruch in der gleichen Kategorie enthalten darf, wenn es sich um mehrere miteinander in Beziehung stehende Erzeugnisse handelt. Obwohl dort von Erzeugnissen die Rede ist, fallen unter diese Ausnahmebestimmung - der Entscheidung T 56/01 (Punkt 4.1 der Entscheidungsgründe) folgend - auch Vorrichtungen.

Die (das Magazin mit den Teststreifen enthaltende) Testvorrichtung und das (die Teststreifen enthaltende) Magazin stehen in folgender Wechselbeziehung miteinander.

Die Ausgabevorrichtung der Testvorrichtung nach Anspruch 1 umfasst "Mittel (140, 160) zur Beförderung der Testelemente (136) von der mindestens einen Lagerposition in mindestens eine Messposition bei Öffnen des Gehäuses (112)", wobei diese Testelemente gemäss dem kennzeichnenden Teil in einem Magazin aufgenommen sind. Wie in Anspruch 3 definiert und aus den Figuren 1A bis 1C, 3 und 5 zu ersehen, bestehen diese Mittel aus einer Drehachse (140) durch das Magazin, um die die Teststreifen mit einer Mechanik (160) beim Öffnen des Gehäuses (Figur 1B) von der Lagerposition in die Messposition (Figur 1C) gedreht werden. In der Ausführungsform gemäss Anspruch 12 ist dieses Magazin auswechselbar.

Das Magazin gemäss Anspruch 13 ist ausgestaltet, um in einer Testvorrichtung (110) gemäss Anspruch 12 verwendet zu werden, wonach dieses auswechselbar ist. Die in diesem Magazin enthaltenen Teststreifen weisen "mindestens eine Verbindungsvorrichtung (144; 146) zur Verbindung des Testelements (136) mit der Ausgabevorrichtung (140, 160)" auf, die "mindestens eine Öffnung (144; 146) aufweist, durch welche die Drehachse (140) geführt ist" (siehe Figuren 4A und 4B).

Die Wechselbeziehung wird im vorliegenden Fall also über die in Anspruch 3 definierte Drehachse (140) geschaffen, die sowohl mit der Ausgabevorrichtung der Testvorrichtung nach Anspruch 1 als auch mit den Teststreifen des Magazins nach Anspruch 13 in Wechselwirkung steht. Dies entspricht einer Wechselbeziehung wie sie in den in T 56/01 und auch den Prüfungs-Richtlinien (2010) C-III-4, 3.2(i) aufgeführten Beispielen (Stecker-Steckdose oder Sender-Empfänger) gegeben ist. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 13 sind also - über den auf Anspruch 3 rückbezogenen Anspruch 12 - auf miteinander in Beziehung stehende Vorrichtungen i.S.v. Regel 43(2)(a) EPÜ gerichtet.

Obwohl das Magazin auch Bestandteil der Testvorrichtung nach Anspruch 1 ist, handelt es sich im vorliegenden Fall - anders als in der in T 56/01 betrachteten Situation - auch um verschiedene Gegenstände, da ein Magazin gemäss Anspruch 13 die Testvorrichtung gemäss Anspruch 12 vervollständigt oder zumindest vervollständigen kann, letzteres beispielsweise im Fall des Vorliegens einer Aufnahmemöglichkeit für mehrere Magazine.

Der im Bescheid der Prüfungsabteilung vom 8. Juli 2009 erhobene Einwand, dass es nicht möglich sei, ein weiteres Magazin einzusetzen, da die Testvorrichtung nach Anspruch 1 bereits ein Magazin enthalte, ist durch die Einfügung des explizit auf ein auswechselbares Magazin gerichteten abhängigen Anspruchs 12, auf den Anspruch 13 Bezug nimmt, ausgeräumt. Die im letzten Bescheid vom 19. August 2009 zitierte Entscheidung T 671/06 ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da das Magazin im vorliegenden Anspruch 1 durchaus in Form von strukturellen (und nicht, wie in dem dort behandelten Fall, nur funktionellen) Merkmalen definiert ist.

3. Zurückverweisung

Da aus der Akte nicht ersichtlich ist, dass erstinstanzlich insbesondere der Aspekt der erfinderischen Tätigkeit geprüft wurde, hält es die Kammer für angebracht, ihr Ermessen gemäss Artikel 111(1) EPÜ dahingehend auszuüben, dass die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen wird.

4. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Das für die Zurückweisungsentscheidung verwendete Formular 2061 besagt, dass "[d]er Anmelder ... auf den letzten Bescheid keine Stellungnahme oder Änderungen eingereicht [hat]". Abgesehen von der formalen Tatsache, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um einen, sondern mehrere Anmelder handelt, trifft dies hier inhaltlich nur bezüglich der Änderungen zu, nicht aber im Hinblick auf eine Stellungnahme. Eine solche haben die Anmelder mit ihrer Eingabe vom 8. Oktober 2009 sehr wohl eingereicht. Sie haben darin nicht nur eine "Entscheidung nach Aktenlage" beantragt, sondern ein weiteres Mal ausführlich dargelegt, warum der Anspruchssatz ihrer Ansicht nach den Erfordernissen von Regel 43(2)(a) EPÜ genüge und die von der Prüfungsabteilung zitierte Entscheidung T 671/06 auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, und darum gebeten, die hierzu vorgebrachten Argumente "wohlwollend zu prüfen".

Aus der ergangenen Zurückweisungsentscheidung ist in keiner Weise ersichtlich, dass sich die Prüfungsabteilung überhaupt mit diesen Argumenten auseinandergesetzt hat, geschweige denn warum diese sie (offensichtlich) nicht überzeugt haben. Das in Artikel 113(1) EPÜ verankerte Prinzip des rechtliches Gehörs, nach dem Entscheidungen nur auf Gründe gestützt werden können, zu denen sich die Beteiligten äussern konnten, beinhaltet auch, dass diese Äusserungen bei der Entscheidungsfindung in angemessener Weise berücksichtigt werden und dass in der Entscheidung zumindest ansatzweise begründet wird, warum die vorgetragenen Argumente nicht akzeptiert werden konnten. Dies mag zwar nicht immer unbedingt für jedes Teilargument in allen seinen Einzelheiten gelten. Zumindest muss aber in der Entscheidung begründet sein, warum zentrale und kritische Aspekte der vorgebrachten Argumentation nicht gegriffen haben oder widerlegt wurden. Dieses Erfordernis geht auch aus Regel 111(2) EPÜ hervor, wonach Entscheidungen des Europäischen Patentamts, die mit der Beschwerde angefochten werden können, zu begründen sind. Ein zentraler Aspekt der vorgebrachten Argumentation liegt im vorliegenden Fall in der mehrere Absätze Ihrer Eingabe vom 7. Oktober 2009 umfassenden Darlegung der Anmelder, warum die im vorangehenden Bescheid der Prüfungsabteilung erstmals zitierte Entscheidung T 671/06 auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Um die Erfordernisse des rechtlichen Gehörs und der Begründetheit ihrer Entscheidung zu gewährleisten, wäre es wichtig gewesen, dass sich die Prüfungsabteilung mit der diesbezüglichen Argumentation zumindest ansatzweise auseinandergesetzt hätte (vgl. T 388/09). Eine Entscheidung "nach Aktenlage" auf der Basis des Formulars 2061 kann in der vorliegenden Situation diese Erfordernisse in keiner Weise erfüllen.

Da durch Nichtbeachtung des rechtlichen Gehörs und mangelnde Begründetheit der Entscheidung somit ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt und der Beschwerde stattgegeben wurde, entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäss Regel 103(1)(a) EPÜ der Billigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben;

2. die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen;

3. die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Quick Navigation