T 2301/09 () of 6.7.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T230109.20120706
Datum der Entscheidung: 06 Juli 2012
Aktenzeichen: T 2301/09
Anmeldenummer: 05112309.9
IPC-Klasse: B62D 5/04
B62D 6/04
B62D 5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Betriebsverfahren für ein elektromotorisch unterstütztes Fahrzeug-Lenksystem
Name des Anmelders: Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Rückerstattung der Beschwerdegebühr (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 05 112 309.9 wurde von der Prüfungsabteilung mit der am 12. Juni 2009 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen. In der Entscheidung nach Lage der Akten wurde auf die Bescheide vom 29. November 2007 und 17. Juni 2008 verwiesen, in denen die Prüfungsabteilung die Auffassung vertrat, dass der Gegenstand des am 11. Juli 2006 eingegangenen Anspruchs 1 im Hinblick auf D1 (EP-A2-1 362 765) und D2 (US-B1-6 301 528) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhte. Dagegen legte die Anmelderin am 23. Juni 2009 Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdeschrift enthielt bereits die Beschwerdebegründung.

II. Es fand am 6. Juli 2012 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der am 11. Juli 2006 eingereichten Unterlagen (Hauptantrag) oder hilfsweise auf der Grundlage des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag (eingereicht mit Schreiben vom 23. April 2012), zu erteilen. Des Weiteren beantragte die Beschwerdeführerin die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.

Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Betriebsverfahren für ein elektromotorisch unterstütztes Fahrzeug-Lenksystem mit zumindest zwei Elektromotoren, insbesondere Überlagerungs-Lenksystem, bei dem ein erster Elektromotor einem vom Fahrer vorgegebenen und mechanisch zu den lenkbaren Rädern übertragenen Lenkmoment ein Unterstützungsmoment hinzufügen kann, während ein zweiter Elektromotor einem vom Fahrer vorgegebenen und mechanisch zu den lenkbaren Rädern übertragenen Lenkwinkel einen gleichgerichteten oder entgegen gerichteten Lenkwinkel hinzufügen kann,

dadurch gekennzeichnet, dass die Elektromotoren im gleichzeitigen Bedarfsfall zeitlich versetzt angesteuert und somit zeitlich zueinander versetzt in Betrieb genommen werden, wobei der das Unterstützungsmoment bereitstellende Elektromotor vor dem einen Lenkwinkel hinzufügenden Elektromotor in Betrieb genommen wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch die folgenden kennzeichnenden Merkmale:

"dadurch gekennzeichnet, dass die Elektromotoren im gleichzeitigen Bedarfsfall zeitlich versetzt angesteuert und somit zeitlich zueinander versetzt in Betrieb genommen werden, wobei der das Unterstützungsmoment bereitstellende Elektromotor mit einem geringen zeitlichen Versatz von zumindest mehreren Millisekunden vor dem einen Lenkwinkel hinzufügenden Elektromotor in Betrieb genommen wird."

III. Die Beschwerdeführerin vertrat den Standpunkt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Ein Betriebsverfahren für ein elektromotorisch unterstütztes Fahrzeug-Lenksystem nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 sei aus D1 (EP-A2-1 362 765) bekannt, insbesondere im Hinblick auf Figur 5 und Absatz [0044]. Ausgehend von diesem Stand der Technik habe sich die Erfindung zum Ziel gesetzt, die Amplitude des Stromstoßes beim gleichzeitigen Anfahren beider Elektromotoren, d.h. den sogenannten Anfahr-Peak, auf möglichst einfache Art und Weise zu verhindern. Die erfindungsgemäße Lösung zeichne sich durch ihre besondere Einfachheit aus, da es sich dabei um eine rein zeitgesteuerte Regelung handle. Es befinde sich im vorliegenden Stand der Technik kein Hinweis auf eine derartige Regelung, weil beispielsweise in D2 (US-B1-6 301 528) keine zeitgesteuerte, sondern eine leistungsgesteuerte Regelung offenbart werde, d.h. eine Regelung bei der die unterschiedlichen elektrischen Verbraucher in Abhängigkeit von der zur Verfügung stehenden Leistung gesteuert seien. Dieser Schritt sei im erfindungsgemäßen Betriebsverfahren nicht vorgesehen, es handle sich nämlich lediglich um eine zeitliche Versetzung der beiden elektrischen Verbraucher, wobei der das Unterstützungsmoment bereitstellende Elektromotor immer vor dem den einen Lenkwinkel hinzufügenden Elektromotor in Betrieb genommen werde. Zusätzlich offenbare D2 ein komplexes "Energy-Management"-System, welches der Fachmann angesichts der gestellten Aufgabe nicht ohne weiteres berücksichtigen werde. Insbesondere gebe D2 auch keinen Hinweis hinsichtlich der Priorität, die im vorliegenden Fall den beiden Elektromotoren zuzuweisen sei.

Aus den genannten Gründen erfülle auch der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 die Anforderungen der erfinderischen Tätigkeit. Die in Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale seien durch die ursprünglich eingereichte Anmeldung gestützt (siehe Absatz [0005] der veröffentlichten Anmeldung, nachfolgend als EP-A benannt) und dienten zur Klarstellung und Betonung der dargelegten Eigenschaften der erfindungsgemäßen Regelung, insbesondere hinsichtlich der "zeitgesteuerten" Art der Regelung.

Ferner werde die Rückerstattung der Beschwerdegebühr beantragt, da im Prüfungsverfahren gegen das allgemein anerkannte Verbot des "venire contra factum proprium" verstoßen worden sei. Es sei ein allgemeiner Grundsatz des Verfahrensrechts verletzt worden (Art. 125 EPÜ), welcher in den Entscheidungen J 27/94 und J 14/94 ausdrücklich anerkannt sei. Die Prüfungsabteilung habe nämlich in Ziffer 5 des erweiterten europäischen Recherchenberichts die Meinung abgegeben, wonach die Merkmale des abhängigen Anspruchs 2 aus dem Stand der Technik nicht hervorgingen und folglich diese Merkmale in einem neu zu formulierenden Anspruch 1 aufzunehmen seien. Entgegen dieser Aussage wurde in den folgenden Bescheiden vom 29. November 2007 und 17. Juni 2008 die Meinung vertreten, dass der von der Anmelderin entsprechend überarbeitete Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Es ist den Ausführungen der Beschwerdeführerin insofern zu folgen, als D1 im Hinblick auf Figur 5 und die Offenbarung in Absatz [0044] den nächstliegenden Stand der Technik entsprechend den Merkmalen des Anspruchs 1 des Hauptantrags darstellt. Folglich unterscheidet sich der Gegenstand dieses Anspruchs vom Stand der Technik gemäß D1 durch die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs. Diese Merkmale haben den Zweck, wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt, auf einfache Art und Weise den besagten Anfahr-Peak bei gleichzeitiger Einschaltung der beiden Elektromotoren zu vermeiden, indem der das Unterstützungsmoment bereitstellende Elektromotor vor dem einen Lenkwinkel bereitstellenden Elektromotor in Betrieb genommen wird. Allerdings kann sich die Kammer den weiteren Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht anschließen, wonach es sich beim beanspruchten Betriebsverfahren um eine ausschließlich zeitgesteuerte Regelung handle, die sich somit auch eindeutig von der leistungsgesteuerten Regelung gemäß D2 unterscheide. Es geht nämlich weder aus dem Wortlaut des Anspruchs noch aus der Beschreibung von EP-A hervor, dass die beanspruchte Regelung jeden auf einer Leistungssteuerung basierenden Schritt ausschließt und dass unabhängig von der zur Verfügung stehenden Leistung die Inbetriebnahme der besagten Elektromotoren stets in der angegebenen Reihenfolge erfolge. Infolgedessen kann bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dieses von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument nicht berücksichtigt werden.

Der Fachmann würde aufgrund der gestellten Aufgabe, auf eine möglichst einfache Art und Weise den Anfahr-Peak zu verhindern, D2 in Betracht ziehen, da D2 ein Betriebsverfahren zur Regelung des gleichzeitigen Betriebs von mehreren elektrischen Verbrauchern in einem Kraftfahrzeug offenbart (siehe Anspruch 1). Aus D2 entnimmt der Fachmann, dass den unterschiedlichen elektrischen Verbrauchern Prioritäten zugeordnet werden (D2, Spalte 3, Zeilen 63-67), und dass, zur Vermeidung von Anfahr-Peaks, bei gleichzeitigem Einschalten mehrerer Verbraucher der Verbraucher mit der höheren Priorität zuerst eingeschaltet wird (D2, Spalte 5, Zeilen 3-13). Dabei ist, wie bereits ausgeführt, irrelevant, dass gemäß D2 die Regelung auch in Abhängigkeit von der jeweiligen Leistung des Verbrauchers und von der zur Verfügung stehenden Gesamtleistung geschehen kann. Im vorliegenden Fall würde der Fachmann ausgehend von D1 in naheliegender Weise den das Unterstützungsmoment bereitstellenden Elektromotor 119 (siehe D1, Figur 5) zuerst ansteuern, weil dieser Elektromotor den Lenkvorgang einleitet und sich somit dessen vorgezogene Ansteuerung, relativ zu dem einen Lenkwinkel hinzufügenden Elektromotor, als logisch und zweckmäßig ergibt. Demzufolge würde der Fachmann ohne erfinderisches Hinzutun zum beanspruchten Gegenstand gelangen. Insgesamt ist also für den Fachmann der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags im Hinblick auf die Dokumente D1 und D2 naheliegend (Art. 56 EPÜ 1973).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags erfüllt gleichermaßen nicht die Anforderungen der erfinderischen Tätigkeit. In der Tat kann das hinzugefügte Merkmal "mit einem geringen zeitlichen Versatz von zumindest mehreren Millisekunden" an den obigen Ausführungen nichts ändern, weil die Wahl der Dauer der zeitlichen Verzögerung im Rahmen der üblichen fachmännischen Fähigkeiten liegt und im Übrigen im vorliegenden Fall spezifisch die übliche Dauer von Stromstößen oder Anfahr-Peaks bei Einschaltung von elektrischen Verbrauchern widerspiegelt.

3. Die Kammer kann bei dem geschilderten Verfahrensablauf im Prüfungsverfahren keine wesentliche Verfahrensmängel erkennen. Es ist zwar zutreffend, dass gemäß den Bescheiden vom 29. November 2007 sowie vom 17. Juni 2008 eine andere Meinung über die erfinderische Tätigkeit vertreten wurde, als ursprünglich im erweiterten europäischen Recherchenbericht dargelegt worden war. Dies ist jedoch im Bescheid vom 17. Juni 2008 damit begründet worden, dass die Prüfungsabteilung die im erweiterten europäischen Recherchenbericht dargelegte Meinung nicht mehr aufrechterhalten hat. Die Änderung einer vorläufigen Meinung der Mitglieder der Prüfungsabteilung kann nicht als wesentlicher Verfahrensmangel gewertet werden. Es ist im Gegenteil das legitime Recht der Prüfungsabteilung eine vorläufige geäußerte Meinung zu ändern, wenn sie dies für notwendig hält. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Rechtsprechung gemäß den Entscheidungen J 27/94 und J 14/94 erscheint hier nicht anwendbar zu sein. Insbesondere ging es dort um Rechtsverluste des Anmelders, die auf Grund von unterlassenen Handlungen oder fehlerhaften Handlungen seitens des EPA eingetreten waren. Dies ist offensichtlich vorliegend nicht der Fall.

Zudem, da der Beschwerde nicht stattgegeben werden kann, ist ohnehin eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr nicht möglich (Regel 67 EPÜ 1973).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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