European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2012:T230009.20121017 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 October 2012 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2300/09 | ||||||||
Anmeldenummer: | 03019819.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60R 13/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kraftfahrzeug-Anbauteil | ||||||||
Name des Anmelders: | Süddeutsche Aluminium Manufaktur GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Clariant Produkte (Deutschland) GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulassung erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgelegter Druckschriften (ja) Zurückverweisung an die erste Instanz (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 1. Dezember 2009 gegen die am 6. Oktober 2009 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. EP 1 407 935 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 1. Februar 2010 eingegangen.
II. Der Einspruch war auf die Einspruchsgründe der mangelnden erfinderischen Tätigkeit sowie der unzureichenden Offenbarung nach Artikel 100 a) und b) EPÜ 1973 gestützt.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und die erfinderische Tätigkeit gegeben sei.
III. Erstmalig mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin folgende Druckschriften ein:
D8: DE 28 12 116 A1;
D9: DE 28 30 857 A1;
D10: Übersetzung der Japanischen Patent Anmeldung Nr. Hei 4-311595 (JP 04311595 A);
D11: US 2001/0051271 A1;
D12a: deutsche Gebrauchsmusteranmeldung 172 560;
D12b: GB 926418 äquivalent zu D12a;
D13: JP 59059896 A (Abstract).
IV. Am 17. Oktober 2012 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt. In der Verhandlung überreichte die Beschwerdeführerin eine Pressemitteilung der Audi-MediaServices vom 26.6.2009 und verwies auf einen darin enthaltenen Artikel mit dem Titel "Cerapaint® - der perfekte Aluminium-Schutz". Die Beschwerdeführerin nahm den Antrag auf Zulassung der Druckschriften D9, D11 und D13 in das Verfahren zurück, hielt aber daran fest, dass die Dokumente D8, D10, D12a/D12b im Beschwerdeverfahren zuzulassen seien.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents im geänderten Umfang auf der Basis der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht mit Schreiben vom 13. September 2012. Weiterhin beantragte die Beschwerdegegnerin im Falle der Zulassung der erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Dokumente die Zurückweisung an die erste Instanz.
V. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:
"Kraftfahrzeug-Anbauteil, insbesondere Außen-Anbauteil, zum Beispiel Zierteil, aus eloxiertem Aluminium,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Anbauteil - zumindest teilweise - mit einer dünnkeramischen Beschichtung (2) versehen ist."
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung gegebene Einschätzung zur Nacharbeitbarkeit der Erfindung sowie zur erfinderischen Tätigkeit sei fehlerhaft. Im Streitpatent sei zum einen keine keramische Beschichtung beschrieben, da bei den im Streitpatent angegebenen zwei Produkten (von denen nur ein Produkt als Marke eingetragen sei) unklar sei, ob diese Produkte erhältlich seien und wer der Hersteller sei. Die im Streitpatent als Stand der Technik zitierte Entgegenhaltung EP 351114 A zeige zwar das Aufbringen einer dünnkeramischen Beschichtung, sei aber in der ursprünglich eingereichten Anmeldung noch nicht enthalten. Zum anderen offenbare das im Einspruchsverfahren zitierte Dokument DE 689 18 196 T (D2) durchaus eine Kombination mehrerer Schichten. Dies habe die Einsprechende zu einer neuen Recherche unter Verwendung neuer Suchbegriffe veranlasst, wobei nicht mehr wie ursprünglich die Beschichtung von Aluminium mit einer Keramik im Vordergrund gestanden habe, sondern die - auch in der Entscheidung erwähnte - Säurebeständigkeit und Korrosions beständigkeit. Erst diese Recherche habe die Dokumente D8, D10 und D12a/D12b hervorgebracht, welche im Titel (D8) oder in der Zusammenfassung (D10, D12a bzw. D12b) die Korrosions beständigkeit ansprächen. Die neu aufgefundenen Dokumente seien nicht komplex und erwiesen sich bereits bei einer kurzen Durchsicht als prima facie hochrelevant, da sie einen anderen Verfahrensausgang erwarten ließen. Das Streitpatent enthalte insbesondere keinen klaren Hinweis darauf, was unter dem Begriff Keramik zu verstehen sei, und dieser Begriff umfasste zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents nicht nur klassische gebrannte, mittels Hochtemperatur-Prozess aufgebrachte Tonmaterialien.
D12a zeige "Beschlagteile für Fahrzeuge" bzw. "Zierteile" (siehe Seite 1) bestehend aus "Aluminium mit einer Oxydschicht als Oberfläche", "d. h. eloxiert" (Seiten 1 und 5), wobei die "Oxydschicht alkalien- und säurebeständig" zu machen sei durch "Auftrag von Wasserglas, vorzugsweise Natronwasserglas" (Seite 2). Die Beschichtung werde durch "Verbringen des Gegenstandes in einen Trockenschrank gewissermaßen eingebrannt" (Seite 3), so dass in D12a eine keramische Beschichtung beschrieben sei. Selbst wenn man die Frage der Neuheit als neuen Einspruchsgrund außen vor lasse, sei die beanspruchte Merkmalskombination gegenüber D12a nicht erfinderisch. Es werde darauf hingewiesen, dass das Streitpatent nur von einem Auftrag der Beschichtung beispielsweise durch Tauchen spreche, ohne weitere Angaben zu einer Temperaturbehandlung zu machen.
Die vorgelegte Audi-Pressemitteilung aus 2009, deren Aufnahme in das Verfahren beantragt werde, beschreibe die Verwendung des im Streitpatent beschriebenen Produktes "Cerapaint", wobei ein silikatisches Gel auf eine anodisierte Aluminiumoberfläche aufgespritzt werde.
D8 offenbare eine Versiegelungsbehandlung eines anodisch oxydierten Aluminiumgegenstandes durch Silikate und ein anschließendes Erhitzen auf 140 ºC oder darüber und sei insbesondere auch auf Zierteile anwendbar. Dabei seien verschiedene Silikate - nicht eingeschränkt auf Natriumsilikat bzw. Wasserglas - genannt (siehe Seite 9), welche die klassischen Komponenten einer keramischen Beschichtung darstellten.
D10 erwähne bereits im Abstrakt (siehe Seite 1) ein "ceramic coating" für anodisiertes Aluminium sowie die Eigenschaft der Korrosionsbeständigkeit. Dazu werde Wasserglas aufgetragen und anschließend bei Temperaturen von 80 bis 250 ºC gebacken (siehe auch Seite 4).
D8 und D10 zeigten zudem Merkmale der abhängigen Ansprüche, beispielsweise farbig eloxiertes Aluminium (D8) oder Schichtdicken von 1 bis 3 mym (D10, Seite 5).
Falls die Kammer eine Zurückverweisung an die erste Instanz beschließen sollte, habe die Beschwerdeführerin nichts dagegen.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:
Die von der Beschwerdeführerin neu vorgelegten Druckschriften hätte man schon im Einspruchsverfahren finden können, da die A1-Schrift des Streitpatents in Absatz [0003] als Aufgabe der Erfindung die "hohe Beständigkeit gegen Säuren" anspricht. Ein rechtzeitiges Einbringen innerhalb der Einspruchsfrist sei damit grundsätzlich möglich gewesen.
Vor allem aber sei den Druckschriften D8, D10, D12a keine "dünnkeramische Beschichtung" gemäß Anspruch 1 des Streitpatents zu entnehmen, da in diesen Druckschriften nur Wasserglas als Beschichtung offenbart sei; unter Wasserglas verstehe man Natrium- und Kaliumsilikate, also Alkalisilikate. Das Wasserglas könne jedoch der erfindungsgemäßen dünnkeramischen Beschichtung nicht gleichgesetzt werden. Wasserglas sei - im Gegensatz zu einer kristallinen und nicht wasserlöslichen Keramik - amorph und wasserlöslich und allenfalls bei sehr hohen Temperaturen oberhalb von 1000 ºC in eine Keramik zu überführen. Dies würde aber bei Aluminium, auch wenn man das Aluminium kühlen würde, nicht funktionieren und sei in den genannten Dokumenten auch nicht offenbart. Bei der in D12b beschriebenen Trocknung bei einer Temperatur von 100 ºC finde keine Gitterbildung wie im Falle von Keramik statt. Bei der Herstellung von Keramik seien Temperaturen von über 540 ºC notwendig, während in D10 Temperaturen von maximal 250 ºC vorgesehen seien; trotz der möglicherweise durch die Übersetzung entstandenen Bezeichnung "waterglass ceramic coating" in D10 liege kein keramisches Material im eigentlichen Sinne vor.
D8 treffe zudem die Aussage, dass die Versiegelung mit Akalisilikat nicht ausreiche, da explizit das Aufbringen einer weiteren Schutzschicht beschrieben werde. Damit sei also ein wesentlicher Unterschied zum beanspruchten Gegenstand festzustellen, so dass die Druckschriften D8, D10, D12a nicht als relevant anzusehen seien. Daher sei das Vorbringen der Dokumente als verspätet und damit unzulässig zurückzuweisen.
Die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Audi-Pressemitteilung sei als verspätet vorgebracht nicht im Verfahren zuzulassen.
Da seitens der Beschwerdeführerin neues Material im Beschwerdeverfahren vorgelegt wurde und um den Verlust einer Instanz zu vermeiden, werde im Falle der Zulassung der Druckschriften D8, D10, D12a/D12b eine Zurückverweisung an die erste Instanz beantragt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zulassung der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Druckschriften D8, D10, D12a/D12b
2.1 Im vorliegenden Fall wurden die Druckschriften D8, D10 sowie D12a/D12b erstmalig in der Beschwerdebegründung genannt. Als Begründung dafür, dass D8 nicht bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt worden war, führte die Beschwerdeführerin an, sie habe in Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung eine neue Recherche mit neuen Suchbegriffen durchgeführt, wobei das Augenmerk auf die in der Entscheidung angesprochene Beständigkeit gegen Säuren und Korrosion durch die beanspruchte Kombination zweier Beschichtungen gelegt worden sei.
2.2 Zwar besitzt die Kammer - wie von der Beschwerdegegnerin angedeutet - nach Artikel 12(4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 2007, 536) die Befugnis, Beweismittel, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, nicht zuzulassen. Mit dem Beschwerdeverfahren soll aber auch der im erstinstanzlichen Verfahren unterlegenen Partei eine Möglichkeit gegeben werden, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten, so dass der Einsprechenden und jetzigen Beschwerdeführerin nicht prinzipiell verwehrt werden kann, in Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung weiteren Stand der Technik zu recherchieren.
Im vorliegenden Fall wurde in der Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht die dünnkeramische Beschichtung gemäß dem kennzeichnenden Teil des erteilten Anspruchs 1, sondern die Kombination dieser dünnkeramischen Schutzschicht mit einer durch Eloxieren entstandenen Schutzschicht auf dem Aluminiumbauteil als erfinderisch angesehen, wodurch eine hohe Beständigkeit gegen z. B. Korrosion erzielt wird. Die Kammer war nicht überzeugt, dass die erst mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Druckschriften D8, D10, D12a/D12b schon im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden müssen, da die Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren bereits mittels Druckschriften belegt hat (siehe Seite 7 der angefochtenen Entscheidung), dass eine keramische Beschichtung zum Zeitpunkt der Einreichung der ursprünglichen Anmeldeunterlagen bekannt war und ebenso eine verbesserte Schutzwirkung einer eloxierten Aluminiumoberfläche. Vielmehr wird anerkannt, dass in Reaktion auf die für die Beschwerdeführerin negative Entscheidung der Einspruchsabteilung eine Nachrecherche veranlasst wurde, wobei die Druckschriften D8, D10, D12a/D12b aufgefunden wurden.
2.3 Die Zulassung von neuen Beweismitteln bzw. Druckschriften im Beschwerdeverfahren setzt allerdings voraus, dass sie prima facie hochrelevant sind. Wie von der Beschwerdeführerin überzeugend dargelegt, zeigen die Druckschriften D8, D10 und D12a/D12b als Ausgangsmaterial anodisiertes bzw. eloxiertes Aluminium, welches nachfolgend mit einer weiteren Beschichtung versehen wird. Damit zeigen diese Dokumente eine Kombination zweier Beschichtungen auf Aluminium, was von der Einspruchsabteilung in Hinblick auf die im Einspruchsverfahren vorliegenden Druckschriften verneint wurde. Die erst mit der Beschwerdebegründung eingereichten Druckschriften D8, D10, D12a/D12b zeigen also mehr als die im Einspruchsverfahren vorliegenden Dokumente und werden deshalb prima facie als hochrelevant angesehen.
2.4 Die Beschwerdegegnerin wies zwar auf den Unterschied zwischen einer Beschichtung mit Wasserglas und der beanspruchten "dünnkeramischen Beschichtung" hin. Allerdings ist zum einen festzustellen, dass insbesondere die Lehre von D12a nicht auf die Beschichtung von eloxiertem Aluminium mit Natriumsilikat bzw. mit Wasserglas beschränkt ist, sondern klassische Komponenten einer keramischen Beschichtung umfasst. Zum anderen wurde von der Beschwerdegegnerin zugestanden, dass Wasserglas bei entsprechender Temperaturbehandlung durchaus in einen keramischen Zustand überführt werden kann.
2.5 Die in Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingereichten und als prima facie hochrelevant angesehenen Druckschriften D8, D10, D12a/b werden somit im Beschwerdeverfahren zugelassen.
3. Zurückverweisung an die erste Instanz (Artikel 111 (1) EPÜ 1973)
Aufgrund des vorliegenden neuen Materials hat die Beschwerdegegnerin, auch um den Verlust einer Instanz zu vermeiden, die Zurückverweisung an die erste Instanz beantragt. Zudem hat die Beschwerdeführerin keine Einwände dagegen vorgebracht.
Daher verweist die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 111 (1) EPÜ 1973 die Angelegenheit zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens an die erste Instanz zurück.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens an die erste Instanz zurückverwiesen.