European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2010:T213409.20101022 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 October 2010 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2134/09 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07009754.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60K 28/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kraftfahrzeug umfassend wenigstens ein den Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug erfassendes Abstandswarnsystem, insbesondere ein Längsführungssystem | ||||||||
Name des Anmelders: | AUDI AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit und erfinderische Tätigkeit des einzigen Antrags - ja | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 07 009 754.8 wurde mit der am 10. Juni 2009 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung wurde von der Anmelderin am 1. Juli 2009 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ging am 10. Oktober 2009 ein.
II. Am 22. Oktober 2010 fand eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten einzigen Antrags.
III. Die folgenden Dokumente lagen der Entscheidung der Prüfungsabteilung zugrunde:
DE 195 10 910 A1 (D1)
DE 101 03 401 A1 (D2)
DE 103 39 647 A1 (D3)
IV. Anspruch 1 lautet wie folgt:
Kraftfahrzeug umfassend wenigstens ein den Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug erfassendes Abstandswarnsystem (2), insbesondere ein Längsführungssystem, wobei über dieses Abstandswarnsystem (2) oder ein anderes fahrzeugseitig vorgesehenes Fahrerassistenzsystem bei Erfassung eines Abstands, der gleich einem mit ihm verglichenen Warnschwellenabstand (dw) ist, wenigstens ein, vorzugsweise eine Handlung des Fahrers erwirkendes, Warnsignal ausgebbar ist, wobei
der Zeitpunkt (tw) der Gabe des Warnsignals und damit der Warnschwellenabstand (dw) in Abhängigkeit wenigstens einer das Bremsverhalten und/oder das Reaktionsvermögen des Fahrers beschreibenden, anhand einer oder mehrerer in Abhängigkeit von Betätigungen eines Bremspedals (7) ermittelter Informationen verändert wird,
dadurch gekennzeichnet,
dass eine Einrichtung (8) zur Fahrererkennung wie ein Bildaufnahmesystem oder ein Fingerabdruckerkennungs system vorgesehen ist, dass ein veränderter Warnschwellenabstand (dw) beim Abstellen des Kraftfahrzeugs fahrerspezifisch abgespeichert wird und bei Erkennung desselben Fahrers während einer späteren Fahrt automatisch der Systemsteuerung zugrunde gelegt wird, und dass bei einer längerfristigen Erfassungsdauer eine neue Veränderung immer von dem vorherigen geänderten und gespeicherten Warnschwellenabstand ausgeht, wobei als eine der Veränderung zugrunde liegende Information die Reaktionszeit (tR) zwischen dem Zeitpunkt (tw) der tatsächlichen Gabe eines Warnsignals bei im aktiven Warnbetrieb betriebenem Abstandswarnsystem (2) oder dem Zeitpunkt (tw) der fiktiven Gabe eines Warnsignals bei nur im Abstandserfassungsbetrieb betriebenem Abstandswarnsystem (2) und einer nachfolgenden Betätigung des Bremspedals (7) ermittelbar und verarbeitbar ist.
V. Von den Argumenten, die die Beschwerdeführerin zur Patentfähigkeit des unabhängigen Anspruchs vorgebracht hat, sind vor allem die folgenden für die Entscheidung von Bedeutung:
Das letzte Merkmal des unabhängigen Anspruchs berücksichtige zwei Modi, einen aktiven Warnbetrieb und einen Stand-by-modus, bei dem der Abstand kontinuierlich erfasst und die Reaktionszeit des Fahrers über einen fiktiven Warngabezeitpunkt verarbeitet werde. Dieses Merkmal sei aus keinem der benannten Dokumente aus dem Stand der Technik bekannt, noch werde es nahegelegt. Insbesondere diskutiere keines der Dokumente diesen passiven Modus, in dem ein Warnschwellenabstand über eine fiktive Warnsignalgabe angepasst werde. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs schon aus diesem Grunde alleine neu und erfinderisch.
Im Übrigen sei aber auch das letzte Merkmal des Oberbegriffs nicht aus dem Dokument D3 bekannt (der Zeitpunkt (tw) der Gabe des Warnsignals und damit der Warnschwellenabstand (dw) wird in Abhängigkeit wenigstens einer das Bremsverhalten und/oder das Reaktionsvermögen des Fahrers beschreibenden, anhand einer oder mehrerer in Abhängigkeit von Betätigungen eines Bremspedals (7) ermittelter Informationen verändert). D3 offenbare keine in Abhängigkeit von Betätigungen des Bremspedals ermittelte Informationen. So ermittele die Vorrichtung gemäß Dokument D3 Beschleunigungswerte, bei denen die Anzahl der Bremspedalbetätigungen keine bzw. nicht die alleinige Rolle spiele. Bei der Berücksichtung der Informationen des Anti-Blockiersystems (ABS) würden nur solche Betätigungen berücksichtigt werden, bei denen es zu einer Blockade der Reifen käme. Abhängig sei die Information somit von einem Fahrerassistenzsystem und nicht von Betätigungen eines Bremspedals. Eine Pedalauswerteeinheit sei nur für das Gaspedal, nicht aber für das Bremspedal vorhanden.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu, Art. 54(1) EPÜ 1973 und erfinderisch, Art. 56 EPÜ 1973.
2.1 Das Dokument D3 offenbart ein Kraftfahrzeug mit den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1.
2.2 Nach Ansicht der Kammer offenbart das Dokument D3 dabei auch die in Abhängigkeit von Betätigungen des Bremspedals ermittelten Informationen (vgl. letztes Merkmal des Oberbegriffs von Anspruch 1).
In Paragraph [0025] ist beschrieben, dass auch die Anzahl und Heftigkeit von Bremsmanövern erfasst werden kann; dazu kann zum Beispiel ausgewertet werden, ob das Anti-Blockier-System aktiv in den Bremsvorgang eingegriffen hat.
2.2.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin insofern zu, dass D3 keine Pedalauswerteeinheit für das Bremspedal aufweist.
Allerdings fordert der strittige Anspruch 1 lediglich eine "in Abhängigkeit von Betätigungen des Brems pedals" ermittelte Information, die aber nicht zwangsläufig mit einer Pedalauswerteeinheit ermittelt werden muss. Daher ist die Kammer der Ansicht, dass die Information nur von der Betätigung abhängen muss und nicht etwa, dass die Information die Betätigung selbst repräsentiert. Somit definiert der Anspruch lediglich einen funktionalen Zusammenhang zwischen der Pedalbetätigung und der zu ermittelnden Information.
2.2.2 Letztlich hat nach Meinung der Kammer der Fahrer nur mit der Betätigung des Bremspedals die Möglichkeit einen ABS-Eingriff auszulösen. Mindestens für diesen Fall sind also der aktive ABS-Eingriff und die Bremspedal betätigung kausal miteinander verknüpft, so dass die Auswertung wie in Paragraph [0025] der D3 beschrieben, eine in Abhängigkeit von einer Betätigung des Bremspedals ermittelte Information im Sinne des Anspruchs darstellt. Im Übrigen besagt das Merkmal des Anspruchs auch nicht, dass etwa die Anzahl der Pedalbetätigungen zu erfassen ist.
2.2.3 Daher stellt auch die "Anzahl und Heftigkeit von Bremsmanövern" auf der Basis von gemessenen Beschleunigungen (vgl. D3, Paragraphen [0025] und [0022]) eine ermittelte Information dar, die auch von der Betätigung des Bremspedals abhängt.
3. Das letzte Merkmal des Anspruchs 1 stammt aus dem ursprünglich eingereichten abhängigen Anspruch 3, demgemäß "eine der Veränderung zugrunde liegende Information die Reaktionszeit (tR) zwischen dem Zeitpunkt (tw) der tatsächlichen Gabe eines Warnsignals bei im aktiven Warnbetrieb betriebenem Abstandswarnsystem (2) oder dem Zeitpunkt (tw) der fiktiven Gabe eines Warnsignals bei nur im Abstandserfassungsbetrieb betriebenem Abstandswarnsystem (2) und einer nachfolgenden Betätigung des Bremspedals (7) ermittelbar und verarbeitbar ist."
3.1 Mit diesem Merkmal wird die Art und Weise definiert, mit der der Warnschwellenabstand verändert wird. Dabei ist die der Veränderung des Warnschwellenabstands zugrundeliegende Information die Zeit, die zwischen der - tatsächlichen oder fiktiven - Gabe des Warnsignals und der nachfolgenden Betätigung des Bremspedals liegt. Dabei wird der Warnschwellenabstand auch dann verändert, wenn sich das Abstandswarnsystem nicht im aktiven Warnbetrieb befindet.
3.1.1 Keines der zitierten Dokumente im Stand der Technik offenbart zwei Betriebsmodi des Abstandswarnsystems, nämlich einen aktiven Warnbetrieb, bei dem der Zeitpunkt der tatsächlichen Warnsignalgaben und der Zeitpunkt der nachfolgenden Bremspedalbetätigung ermittelt und verarbeitet wird und einem "stand by modus", bei dem der Ermittlung und Verarbeitung der Zeitpunkt einer fiktiven Warnsignalgabe zugrunde liegt.
3.1.2 Die mit diesem Merkmal des Anspruchs zu lösende Aufgabe besteht darin, den Warnschwellenabstand in Abhängigkeit von der erfassten Reaktionszeit des Fahrers einzustellen, so dass eine Anpassung des Abstandswarnsystems an reaktionsschwache und reaktionsschnelle Fahrer gleichermaßen möglich ist.
Durch die kontinuierliche Erfassung und Verarbeitung der Reaktionszeit des Fahrers steht auch dann dem Abstandswarnsystem ein aktueller Wert zur Verfügung, wenn der Fahrer das System nicht aktiviert hat. Nach einer Aktivierung des Warnbetriebs hat der Fahrer eine Systemkonfiguration vorliegen, die auf aktuellen Messwerten beruht, siehe Paragraphen [0003] und [0004] und Spalte 5, Zeilen 14-23 der Beschreibung. Keines der zitierten Dokumente aus dem Stand der Technik diskutiert diesen Punkt oder weist auf eine derartige Lösung hin.
3.2 Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu (Art. 54 (1) EPÜ) und erfinderisch (Art. 56 EPÜ 1973).
3.3 Da dieses Merkmal alleine die erfinderische Tätigkeit zu begründen in der Lage ist, ist es unerheblich, welche weiteren Merkmale des kennzeichnenden Teils im Stand der Technik offenbart sind, und ob sie ggf. einen Betrag zur erfinderischen Tätigkeit leisten.
3.4 Die Unteransprüche definieren weitere vorteilhafte Ausführungen der Erfindung und somit ist ihr Gegenstand gleichfalls neu und erfinderisch.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Ansprüche:
Nr. 1 - 6, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
Beschreibung:
Seiten 1-8 und 8a, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
Seiten 9 - 14 wie ursprünglich eingereicht;
Zeichnungen:
Blätter 1/2 und 2/2 wie ursprünglich eingereicht