T 1857/09 (Transdermales therapeutisches System/LTS LOHMANN) of 4.3.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T185709.20110304
Datum der Entscheidung: 04 März 2011
Aktenzeichen: T 1857/09
Anmeldenummer: 02762336.2
IPC-Klasse: A61K 9/70
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Transdermales therapeutisches System mit Fentanyl
Name des Anmelders: LTS LOHMANN Therapie-Systeme AG
Name des Einsprechenden: Ratiopharm GmbH
Actavis Group hf
STADA Arzneimittel AG
PLIVA HRVATSKA d.o.o.
Elend, Almut Susanne
Acino AG
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention R 43(1)
European Patent Convention R 80
European Patent Convention R 139
Schlagwörter: Alle Anträge: Artikel 123(2) und 123(3) (nein) - Erweiterung des Schutzbereichs sowie unzulässige Änderung
Regel 139 - (nein): keine offensichtliche Unrichtigkeit
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/89
G 0011/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die Patentanmeldung Nr. 02 762 336.2 wurde das europäische Patent Nr. 1 418 894 mit 13 Ansprüchen erteilt.

Der einzige unabhängige Anspruch lautet wie folgt:

"1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, zumindest einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend, frei von Carboxylgruppen ist, lediglich aus monomeren Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten, und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure und gegebenenfalls aus bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt wird, für Fentanyl eine Sättigungs-löslichkeit zwischen 3 und 20 Gewichtsprozenten aufweist, und dass die wirkstoffhaltigen Schichten mindestens 5 Gewichtsprozent des eingearbeiteten Fentanyls enthalten, von dem mindestens 80 Gewichtsprozent in molekulardispers gelöster Form vorliegen.

II. Gegen die Erteilung des Patents wurden sechs Einsprüche eingelegt. Die Einspruchsgründe waren gestützt auf Artikel 100 a), b) und c) EPÜ mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents nach Artikel 52(1) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ im gesamten Umfang wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei, dass das europäische Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne und dass der Gegenstand des Patents über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe.

III. In ihrer am 16. Juni 2009 verkündeten Entscheidung hat die Einspruchsabteilung das Patent gemäß Artikel 101(3)(b) EPÜ widerrufen. In der Sache kam sie zu dem Ergebnis, dass der mit Schreiben vom 16. April 2009 eingereichte Hauptantrag nicht die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ erfüllte, da die darin vorgenommenen Änderungen nicht durch Einspruchsgründe verursacht seien. Zudem seien die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ nicht erfüllt, da die Merkmale "monomere Ester…, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten" sowie "die wirkstoffhaltigen Schichten mindestens 5 Gewichtsprozent des eingearbeiteten Fentanyls enthalten" in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart seien. Da aus Anspruch 1 nicht hervorgehe, ob das Merkmal "mindestens 5 Gewichtsprozent Fentanyl" sich auf jede Schicht für sich oder auf alle Schichten zusammen beziehe, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 zudem nicht klar. Allerdings sei die im Hauptantrag definierte Erfindung ausreichend offenbart. Das Streitpatent offenbare zwar keine Methode zur Bestimmung der Sättigungslöslichkeit, jedoch stünden dem Fachmann dafür verschiedene Messmethoden aus dem Stand der Technik zur Verfügung. Die Tatsache, dass unterschiedliche Methoden dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könnten, sei als Klarheitsproblem einzustufen, das, da es bereits in den Ansprüchen wie erteilt vorgelegen sei, kein Gegenstand des Einspruchsverfahrens sein könne. Darüber hinaus sei der im Hauptantrag beanspruchte Gegenstand nicht neu. So offenbare das Beispiel 4 der Entgegenhaltung (3) ein TTS, enthaltend eine Wirkstoff undurchlässige Rückschicht, zumindest eine Fentanyl enthaltende Matrix auf der Basis von Polyacrylat Gelva 737, dessen Zusammensetzung gemäß der Entgegenhaltung (9) der im vorliegenden Anspruch 1 beschriebenen Zusammensetzung entspreche, sowie eine Schutzschicht. Ebenso nehme das das Polyacrylat 87-2287 enthaltende TTS gemäß Beispiel 4 der nachveröffentlichten Entgegenhaltung (2) den im Hauptantrag beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich vorweg, da gemäß der Entgegenhaltung (11) das Polyacrylat 87-2287 ebenso unter die Definition des Polyacrylats gemäß vorliegendem Anspruch 1 falle.

Die in Zusammenhang mit dem Hauptantrag erhobenen Einwände träfen in ihrer Gesamtheit auch auf den Hilfsantrag 1 sowie mit Ausnahme des unter Artikel 123(2) EPÜ erhobenen Einwandes betreffend das Merkmal "monomere Ester…, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten" auch auf den Hilfsantrag 2 zu. Auch der wie die Hilfsanträge 1 und 2 während der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2009 eingereichte Hilfsantrag 3 erfülle nicht die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ, da in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht offenbart sei, dass 5 Gewichtsprozent und mehr Fentanyl in die wirkstoffhaltige Schicht eingearbeitet werde.

IV. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt.

V. Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung vom 20. November 2009 einen Hauptantrag und fünf Hilfsanträge eingereicht.

VI. Die folgenden Entgegenhaltungen wurden u.a. im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens zitiert:

(2) WO 02/074286

(3) WO 01/26705

(9) EP-A-0 887 075

(11) US-A-5 693 335

VII. Zu Beginn der am 4. März 2011 abgehaltenen mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag sowie neue Hilfsanträge 3-5 ein. Die mit der Beschwerdebegründung vom 20. November 2009 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 wurden aufrechterhalten. Die unabhängigen Ansprüche lauten wie folgt:

(i) Hauptantrag:

"1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend, frei von Carboxylgruppen ist, lediglich aus Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten, und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure und gegebenenfalls aus bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt wird, wobei das Polyacrylatpolymer entweder aus Monomeren der Acryl- bzw. Methacrylsäureester und gegebenenfalls Vinylacetat aufgebaut ist und über keine freien funktionellen Gruppen verfügt oder das dem Polyacrylat zugrunde liegende Monomerengemisch bis zu 20 Gew.-% Monomere mit freien funktionellen Gruppen in Form von 2-Hydroxyethyl-acrylat und/oder -methacrylat enthält, für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 3 und 20 Gewichts-prozenten aufweist, und dass die wirkstoffhaltige Schicht mindestens 5 Gewichtsprozent Fentanyl eingearbeitet enthält, von dem mindestens 80 Gewichtsprozent in molekulardispers gelöster Form vorliegen."

(ii) Hilfsantrag 1:

"1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend, frei von Carboxylgruppen ist, lediglich aus Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten, und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure und gegebenenfalls aus his zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt wird, für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 3 und 20 Gewichtsprozenten aufweist, und dass die wirkstoffhaltige Schicht mindestens 5 Gewichtsprozent Fentanyl eingearbeitet enthält, und dass die wirkstoffhaltige Schicht mindestens 80 Gewichtsprozent des eingearbeiteten Wirkstoffs in molekulardispers gelöster Form enthält, wobei monolithische transdermale Pflaster ausgenommen sind, welche hergestellt werden durch

- Beschichten einer Lösung von 500 g eines Polyacrylats bestehend aus 28% Vinylacetat, 67% 2-Ethylhexylacrylat, 4,9% Hydroxyethylacrylat und 0,1% Glycidylmethacrylat und 10 g Glycerylmonolaurat (GML) in 640 ml Ethylacetat mit Fentanylbase in einer Konzentration von 4 Gew.-% in einer Schichtdicke von 45,7 mym (1.8 mil),

- Verdampfen des Lösungsmittels,

- Laminieren eines 76,2 mym (3 mil) dicken Multilaminats aus einer nichtlinearen LDPE-Schicht/einer linearen LDPE-Schicht/einer nicht-linearen LDPE-Schicht auf die klebende Wirkstoffreservoirschicht,

- Ausstanzen unter Bildung von monolithischen transdermalen Pflastern mit einem Gehalt von 0,35 mg/cm**(2) Fentanylbase

- oder durch trockenes Mischen dieser Materialien, Extrudieren und Kalandrieren."

(iii) Hilfsantrag 2:

Der einzige unabhängige Anspruch 1 ist identisch mit Anspruch 1 des Hilfsantrags 1.

(iv) Hilfsantrag 3:

"1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend, frei von Carboxylgruppen ist, lediglich aus Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten, und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure und gegebenenfalls aus bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt wird, wobei das Polyacrylatpolymer entweder aus Monomeren der Acryl- bzw. Methacrylsäureester aus der Gruppe 2-Ethylhexyl-acrylat, n-Octylacrylat, Propylacrylat und n- oder iso-Butylacrylat oder den entsprechenden Methacrylaten und gegebenenfalls Vinylacetat aufgebaut ist und über keine freien funktionellen Gruppen verfügt oder das dem Polyacrylat zugrunde liegende Monomerengemisch bis zu 20 Gew.-% Monomere mit freien funktionellen Gruppen in Form von 2-Hydroxyethylacrylat und/oder -methacrylat enthält, für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 3 und 20 Gewichtsprozenten aufweist, und dass die wirkstoffhaltige Schicht mindestens 5 Gewichtsprozent Fentanyl eingearbeitet enthält, von dem mindestens 80 Gewichtsprozent in molekulardispers gelöster Form vorliegen."

(v) Hilfsantrag 4:

"1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend, frei von Carboxylgruppen ist, lediglich aus Estern von Alkoholen mit 1 bis 8 C-Atomen, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten, und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure und gegebenenfalls aus bis zu 50 Gew. -% Vinylacetat hergestellt wird, wobei das Polyacrylatpolymer entweder aus Monomeren der Acryl- bzw. Methacrylsäureester und gegebenenfalls Vinylacetat aufgebaut ist und über keine freien funktionellen Gruppen verfügt oder das dem Polyacrylat zugrunde liegende Monomerengemisch bis zu 20 Gew.-% Monomere mit freien funktionellen Gruppen in Form von 2-Hydroxyethylacrylat und/oder -methacrylat enthält, für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 3 und 20 Gewichtsprozenten aufweist, und dass die wirkstoffhaltige Schicht als Formulierung mit hydroxylgruppenhaltigen Polyacrylatklebern und die Löslichkeit senkenden Hilfsstoffen bzw. als Polyacrylatkleber ohne freie funktionelle Gruppen vorliegt und 5 Gewichtsprozent oder eine höhere Konzentration an Fentanyl eingearbeitet enthält, von dem mindestens 80 Gewichtsprozent in molekulardispers gelöster Form vorliegen."

(vi) Hilfsantrag 5:

"1. Transdermales Therapeutisches System (TTS) bestehend aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, einer Fentanyl enthaltenden Matrixschicht auf Basis von Polyacrylat und einer vor Gebrauch zu entfernenden Schutzschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyacrylat selbstklebend, frei von Carboxylgruppen ist, lediglich aus Estern von Alkoholen mit 1 his 8 C-Atomen, die gegebenenfalls eine Hydroxylgruppe enthalten, und Acrylsäure und/oder Methacrylsäure und gegebenenfalls aus bis zu 50 Gew.-% Vinylacetat hergestellt wird, wobei das Polyacrylatpolymer entweder aus Monomeren der Acryl- bzw. Methacrylsäureester aus der Gruppe 2-Ethylhexyl-acrylat, n-Octylacrylat, Propylacrylat und n- oder iso-Butylacrylat oder den entsprechenden Methacrylaten und gegebenenfalls Vinylacetat aufgebaut ist und über keine freien funktionellen Gruppen verfügt oder das dem Polyacrylat zugrunde liegende Monomerengemisch bis zu 20 Gew.-% Monomere mit freien funktionellen Gruppen in Form von 2-Hydroxyethylacrylat und/oder -methacrylat enthält, für Fentanyl eine Sättigungslöslichkeit zwischen 3 und 20 Gewichtsprozenten aufweist, und dass die wirkstoffhaltige Schicht als Formulierung mit hydroxylgruppenhaltigen Polyacrylatklebern und die Löslichkeit senkenden Hilfsstoffen bzw. als Polyacrylat-kleber ohne freie funktionelle Gruppen vorliegt und 5 Gewichtsprozent oder eine höhere Konzentration an Fentanyl eingearbeitet enthält, von dem mindestens 80 Gewichtsprozent in molekulardispers gelöster Form vorliegen."

VIII. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich der Änderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Was die Zulässigkeit der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anträge betreffe, stellten die im Hauptantrag und den Hilfsanträgen 3-5 vorgenommenen Änderungen eine Reaktion auf die seitens der Beschwerdegegnerinnen unter Regel 80 EPÜ erhobenen Einwände dar. Durch besagte Änderungen werde keine neuer Gegenstand in die Ansprüche eingebracht.

Anspruch 1 in der erteilten Fassung enthalte einen offensichtlichen Fehler, hinsichtlich der Stellung des Wortes "eingearbeitet" in den Merkmalen, die sich auf die wirkstoffhaltige Schicht bezögen. Das betroffene Merkmal "…die wirkstoffhaltigen Schichten mindestens 5 Gewichtsprozent des eingearbeiteten Fentanyls enthalten" sei so zu korrigieren, dass das Wort "eingearbeitet" dem Wort "Fentanyl" nachgestellt sei. Diese Änderung stelle eine Korrektur im Sinne der Regel 139 EPÜ dar, da aus dem Streitpatent bzw. aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung eindeutig hervorgehe, dass der Wirkstoff ausschließlich in den Kleber, aus dem später die wirkstoffhaltige Schicht hergestellt werde, eingearbeitet werde, woraus sich in eindeutiger Weise ergäbe, dass die in den erteilten Ansprüchen gewählten Formulierungen so nicht gemeint sein könnten. Diese Korrektur der Wortreihenfolge basieren auf den in den Entscheidungen G 3/89 (ABl. EPA 1993, 117) und G 11/91 (ABl. EPA 1993, 125) erstellten Grundsätzen, wonach ein Berichtigungsantrag auch in einem anhängigen Einspruchsverfahren zulässig und eine Berichtigung möglich sei, wenn keine Zweifel bestünden, dass die zu berichtigende Angabe so nicht gemeint sein könne und nichts anderes hätte beabsichtigt sein können als das, was als Berichtigung vorgeschlagen worden sei. Außerdem dürfe eine Berichtigung nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehen des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnehmen könne, wobei das Fachwissen objektiv und auf den Anmeldetag bezogen ermitteln werden müsse und dessen Nachweis mit jedem geeigneten Beweismittel erbracht werden könne. Da eine Korrektur gemäß Regel 139 EPÜ feststellenden Charakter habe, verstoße sie nicht gegen das Erweiterungsverbot.

Was die unter Artikel 123(3) EPÜ erhobenen Einwände betreffe, so gehe aus dem gesamten Inhalt des erteilten Patents eindeutig hervor, dass TTS mit nur einer wirkstoffhaltigen Schicht im Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung enthalten seien. Insbesondere weise die Präambel des Anspruchs 1 wie erteilt auf "zumindest eine Fentanyl enthaltende Matrixschicht" hin, was eine oder mehrere Schichten beinhalte, und dieser Sachverhalt werde im kennzeichnenden Teil durch die Formulierung "wirkstoffhaltigen Schicht", die sich auf beide Alternativen beziehe, wieder aufgegriffen. Darüber hinaus sei bei fachgerechtem Lesen der Ansprüche auszuschließen, dass sich größere Anteile des Fentanyls außerhalb der wirkstoffhaltigen Schicht befinden, so dass auch dieser unter Artikel 123(3) EPÜ erhobene Einwand nicht stichhaltig sei.

Was schließlich die unter Artikel 123(2) EPÜ erhobenen Einwände betreffe, so gebe es in der ursprünglich eingereichten Anmeldung mehrere Stellen, die die Untergrenze von 5 Gewichtsprozent offenbaren. Höhere Fentanylkonzentrationen, die als Grundlage für den nach oben offenen Bereich dienten, seien in den letzten beiden Absätzen der Seite 8 definiert.

IX. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die während der mündlichen Verhandlung neu eingereichten Anträge seien verspätet eingereicht worden und daher nicht zulässig. Selbst für den Fall, dass die darin vorgenommenen Änderungen eine Reaktion auf Einwände gemäß Regel 80 EPÜ darstellten, sei zu bedenken, dass diese Einwände bereits in den Erwiderungen der Beschwerdegegnerinnen zur Beschwerdebegründung erhoben worden seien, so dass es möglich gewesen wäre, diese Anträge wesentlich früher einzureichen. Darüber hinaus hätte die Beschwerdeführerin bereits zahlreiche Anträge eingereicht.

Der Gegenstand der vorliegenden Anträge erfülle aus zwei Gründen nicht die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ: zum einen seien von den Ansprüchen wie erteilt TTS mit nur einer wirkstoffhaltigen Schicht nicht umfasst, zum anderen seien dort auch TTS ausgeschlossen, bei denen die wirkstoffhaltigen Schichten weniger als 5% des insgesamt vorhandenen Fentanyls enthielten.

Was die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ betreffe, so sei das Merkmal, dass die wirkstoffhaltige Matrix mindestens 5 Gewichtsprozent Fentanyl enthalte, ursprünglich nicht offenbart, insbesondere nicht in Zusammenhang mit den hydroxylgruppenhaltigen Polyacrylaten.

X. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 und 2, beide eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 20. November 2009, oder eines der Hilfsanträge 3 bis 5, alle eingereicht in der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit des Hauptantrags und der Hilfsanträge 3-5:

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anträge ist zunächst festzustellen, dass sämtliche darin durchgeführten Änderungen Reaktionen auf die seitens der von den Beschwerdegegnerinnen in den jeweiligen Erwiderungen zur Beschwerdebegründung erhobenen Einwände darstellen. Das betrifft in den Ansprüchen 1 sämtlicher während der mündlichen Verhandlung eingereichter Anträge sowohl die Verschiebung der Definition für die Sättigungslöslichkeit von Fentanyl innerhalb des kennzeichnenden Teils, die von der Beschwerdegegnerin 01 unter Regel 80 EPÜ beanstandet wurde (siehe Punkt 3 des Schreibens vom 07. Juni 2010), als auch die die Änderung des Merkmals "über keine funktionellen Gruppen verfügt", das von der Beschwerdegegnerin 01 unter Artikel 84 EPÜ beanstandet wurde (siehe Punkt 4.2 des Schreibens vom 07. Juni 2010) zu "über keine freien funktionellen Gruppen verfügt". Auch die in den jeweiligen Ansprüchen 1 des Hauptantrags und den Hilfsanträgen 4 und 5 durchgeführte Änderung des Merkmals "5 Gewichts-prozent des Fentanyls", das von der Beschwerdegegnerin 01 ebenfalls unter Artikel 84 EPÜ beanstandet wurde (siehe Punkt 4.1 des Schreibens vom 07. Juni 2010), zu "5 Gewichtsprozent an Fentanyl" ist unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Zwar hätten sämtliche Änderungen, früher durchgeführt werden können, andererseits wurden die Beschwerdegegnerinnen davon nicht überrascht. Die Änderungen warfen zudem keine Fragen auf, deren Behandlung die effiziente Durchführung der mündlichen Verhandlung beeinträchtigt oder gar eine Entscheidung in Frage gestellt hätte. Die während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Anträge wurden daher in das Verfahren zugelassen (Artikel 13(3) VOBK).

3. Berichtigung (Regel 139 EPÜ):

Im vorliegenden Fall betrifft die beabsichtigte Berichtigung das Merkmal "und dass die wirkstoffhaltigen Schichten mindestens 5 Gewichtsprozent des eingearbeiteten Fentanyls enthalten" (siehe Anspruch 1 wie erteilt), das gemäß den Ausführungen der Beschwerdeführerin so zu ändern ist, dass das Wort "eingearbeit(en)" dem Wort "Fentanyl" nachgestellt ist, so dass sich folgendes Merkmal ergibt: "und dass die wirkstoffhaltigen Schichten mindestens 5 Gewichtsprozent des Fentanyls eingearbeitet enthalten". Jedoch stellt sich bei einem Antrag auf Berichtigung zunächst einmal die Frage, ob der betreffende Teil des europäischen Patents eine so offensichtliche Unrichtigkeit enthält, dass für den Fachmann keine Zweifel bestehen, dass eine Angabe zu einem Merkmal so nicht gemeint sein kann (siehe G 3/89 (ABl. 1993, 117) und G 11/91 (ABl. 1993, 125).

Gemäß Regel 139 EPÜ können sprachliche Fehler, Schreibfehler und Unrichtigkeiten in den eingereichten Unterlagen auf Antrag berichtigt werden. Betrifft der Antrag auf Berichtigung die Beschreibung, die Patentansprüche oder die Zeichnungen, muss die Berichtigung derart offensichtlich sein, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird. Diese Bedingung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Zwar fällt beim Lesen des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung zunächst auf, dass sich nicht das gesamte Fentanyl in der zumindest einen Fentanyl enthaltenden Matrixschicht befindet, obwohl das TTS nur aus einer wirkstoffundurchlässigen Rückschicht, zumindest einer wirkstoffhaltigen Matrixschicht und einer Schutzschicht besteht, wobei gemäß den Ausführungen der Beschwerdeführerin weder die Rückschicht noch die Schutzschicht Wirkstoffe enthalten. Bei der weiteren Lektüre der Ansprüche in der erteilten Fassung kommt der Fachmann jedoch zu der Erkenntnis, dass das TTS neben den drei bereits genannten Schichten noch weitere Schichten, nämlich eine Steuermembran sowie eine weitere selbstklebende Schicht enthalten kann (siehe die Ansprüche 8 und 9 wie erteilt). Der Fachmann schließt daraus, dass im vorliegenden Fall der Ausdruck "bestehend aus" keine ausschließende Bedeutung hat, sondern als Synonym zu "enthaltend" zu verstehen ist, so dass weitere Aufenthaltsorte für Fentanyl innerhalb des TTS in Form weiterer Schichten oder auf Grund des Vorhandenseins einer Steuermembran sogar in Form eines Reservoirs möglich sind. Infolgedessen liegt keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, die nach Regel 139 EPÜ korrigiert werden könnte. Die oben genannte Wortumlagerung ist somit als Änderung zu betrachten, die den Anforderungen von Artikel 123 EPÜ zu genügen hat.

4. Hauptantrag:

4.1 Artikel 123(3) EPÜ:

Gemäß Artikel 123(3) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass sein Schutzbereich erweitert wird. Gemäß ständiger Rechtssprechung der Beschwerdekammern dient dabei der Gegenstand der erteilten Ansprüche in seiner Gesamtheit als Referenz.

4.1.1 Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob der Gegenstand der erteilten Ansprüche TTS umfasst, die nur eine einzige wirkstoffhaltige Schicht enthalten. Anspruch 1 wie erteilt ist in der zweiteiligen Form abgefasst.

Gemäß Regel 43(1) EPÜ haben Patentansprüche zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Gegenstands der Erfindung und die technischen Merkmale, die zur Festlegung des beanspruchten Gegenstands der Erfindung notwendig sind, jedoch in Verbindung miteinander zum Stand der Technik gehören [Hervorhebung durch die Kammer]

b) einen kennzeichnenden Teil, der mit den Worten dadurch gekennzeichnet oder gekennzeichnet durch beginnt und die technischen Merkmale bezeichnet, für die in Verbindung mit den unter Buchstabe a angegebenen Merkmalen Schutz begehrt wird.

Daraus folgt, dass die zumindest eine Fentanyl enthaltende Matrixschicht, die definitionsgemäß eine oder mehrere Schichten umfassen kann, in der Präambel den Stand der Technik beschreibt, der dann im kenn-zeichnenden Teil, der den Beitrag zum Stand der Technik definiert, dahingehend konkretisiert wird, dass erfin-dungsgemäß wirkstoffhaltige Schichten vorliegen. TTS mit nur einer einzigen fentanylhaltige Schicht sind somit in der erteilten Anspruchsfassung nicht beansprucht und somit auch nicht im Schutzbereich des europäischen Patents in seiner erteilten Fassung enthalten.

Infolgedessen liegt der Gegenstand des vorliegenden Hauptantrags, in dem die darin beanspruchten TTS nur eine einzige wirkstoffhaltige Schicht aufweisen, außerhalb des von den Ansprüchen des europäischen Patents in seiner erteilten Fassung definierten Schutzbereichs.

4.1.2 Zudem enthalten die wirkstoffhaltigen Schichten der in den Ansprüchen wie erteilt definierten TTS mindestens 5 Gewichtsprozent des eingearbeiteten Fentanyls. Wirkstoffhaltige Schichten mit weniger als 5 Gewichts-prozent Fentanyl bezogen auf die im TTS enthaltenden Gesamtmenge sind somit vom Schutzbereich des erteilten Patents ausgeschlossen.

Der Gegenstand des vorliegenden Hauptantrags umfasst jedoch TTS, bei denen die wirkstoffhaltige Schicht weniger als 5 Gewichtsprozent des insgesamt vorhandenen Fentanyls enthält, da sich die Gewichtsprozente an Fentanyl jetzt auf den Anteil in der wirkstoffhaltigen Schicht beziehen und nicht mehr, wie im erteilten Anspruch 1, auf das gesamte TTS. Eine Verteilung des Fentanyls mit weniger als 5 Gewichtsprozent der Gesamtmenge in der wirkstoffhaltigen Schicht ist nach Auffassung der Kammer auch technisch möglich, insbesondere bei Berücksichtigung der Tatsache, dass durch den möglichen Einsatz einer Steuermembran (siehe Anspruch 8 wie erteilt) zusätzlich ein Reservoir vorhan-den sein kann, so dass mehr als 95 Gewichts prozent des insgesamt vorhandenen Fentanyls außerhalb der Wirkstoffschicht in besagtem Reservoir lokalisiert sein kann. Somit umfasst der im vorliegenden Hauptantrag beanspruchte Gegenstand auch aus diesem Grund Ausführungsformen, die außerhalb des durch die Ansprüche in ihrer erteilten Fassung definierten Schutzbereichs liegen.

4.1.3 Die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ sind daher nicht erfüllt.

4.2 Artikel 123(2) EPÜ:

Im Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags ist der Fentanylanteil durch mindestens 5 Gewichtsprozent, bezogen auf die wirkstoffhaltige Schicht, definiert. Dieser nach oben hin offene Bereich ist in der ursprünglich eingereichten Anmeldung so nicht offenbart. Zwar findet sich auf Seite 8, Zeilen 21-27, eine Offenbarung für die Untergrenze von 5% in Zusammenhang mit Polyacrylatklebern ohne freie funktionelle Gruppen, wobei gemäß dem letzten Satz auf Seite 8 die Möglichkeit besteht, durch Erhöhung der Fentanylkonzentration die Systemfläche weiter zu verkleinern. Allerdings gibt es für hydroxylgruppenhaltige Kleber die Einschränkung, dass die Fentanylkonzentration höchstens 20% betragen darf (siehe Seite 8, Zeilen 12-16). Daraus folgt, dass es zumindest für diese auf maximal 20% Fentanyl beschränkten hydroxylgruppenhaltigen Klebern, die als ein mögliche Alternative im Anspruch 1 des Hauptantrags enthalten sind, keine Basis für den nach oben offenen und 20% überschreitenden Bereich von mindestens 5 Gewichtsprozent gibt. Folglich sind die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ nicht erfüllt.

5. Hilfsanträge 1 und 2:

5.1 Die in den Punkten 4.1.1 und 4.2 erhobenen Einwände treffen in analoger Weise auf den in den Hilfsanträgen 1 und 2 beanspruchten Gegenstand zu. Die Erfordernisse von Artikel 123(2) und (3) EPÜ sind somit nicht erfüllt.

5.2 Aufgrund dieser Sachlage erübrigt sich auch eine Diskussion der Zulässigkeit der in diesen Anträgen eingeführten Disclaimern.

6. Hilfsantrag 3:

Die in den Punkten 4.1 und 4.2 erhobenen Einwände treffen in analoger Weise auf den im Hilfsantrag 3 beanspruchten Gegenstand zu. Die Erfordernisse von Artikel 123(2) und (3) EPÜ sind somit nicht erfüllt.

7. Hilfsanträge 4 und 5:

7.1 Die im Punkt 4.1.1 erhobenen Einwände treffen in analoger Weise auf den in den Hilfsanträgen 4 und 5 beanspruchten Gegenstand zu. Die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ sind somit nicht erfüllt.

7.2 Da der in beiden Hilfsanträgen definierte Anspruchs gegenstand Polyacrylate mit freien Hydroxylgruppen beinhaltet, treffen auch die im Punkt 4.2 erhobenen Einwände auf den in den Hilfsanträgen 4 und 5 beanspruchten Gegenstand zu. Die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ sind daher ebensowenig erfüllt.

8. Da keiner der vorliegenden Anträge gewährt werden kann, ist die Prüfung der Einspruchsgründe bzw. der weiteren seitens der Beschwerdegegnerinnen vorgebrachten Einwände nicht erforderlich.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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