T 1727/09 () of 7.3.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T172709.20110307
Datum der Entscheidung: 07 März 2011
Aktenzeichen: T 1727/09
Anmeldenummer: 03016846.2
IPC-Klasse: B01J 29/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Granulate, enthaltend Titansilikalit-1
Name des Anmelders: Evonik Degussa GmbH
Name des Einsprechenden: Polimeri Europa S.p.A.
BASF SE
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 76(1)
Schlagwörter: Erweiterung über die Stammanmeldung (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die am 1. Juli 2009 verkündete Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 382 391 widerrufen wurde.

II. Das Patent wurde auf die europäische Patentanmeldung 03 016 846.2 erteilt, die als Teilanmeldung zu der früheren europäischen Patentanmeldung 98 110 481.3 eingereicht wurde. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 der Stammanmeldung wie ursprünglich eingereicht lauteten wie folgt:

"1. Granulate, enthaltend Titansilikat-1, dadurch gekennzeichnet, dass sie aus Titansilikalit-1-Kristallen, Siliciumdioxid und Titandioxid zusammengesetzt sind."

"9. Verfahren zur Herstellung der Titansilikalit-1-Granulate gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass man ein Synthesegel, welches eine SiO2-Quelle, eine TiO2-Quelle, ein Tetra-n-propylamoniumionen enthaltende Verbindung, eine Base und Wasser enthält, unter hydrothermalen Bedingungen kristallisiert, die dabei enstehende (sic) Titansilikalit-1-Suspension, gegebenenfalls nach Aufkonzentrieren und/oder Zusatz weiterer Stoffe, einer Sprühtrocknung oder einer Wirbelschicht-Sprühgranulations-trocknung unterzieht und das so gebildete Titan-silikalit-1-Granulat bei einer Temperatur von 400 bis 1000ºC, vorzugsweise von 500 bis 750ºC kalziniert."

III. Die Teilanmeldung wurde mit 7 Ansprüchen eingereicht und mit unveränderten Ansprüchen erteilt, wobei Anspruch 1 wie folgt lautete:

"1. Verfahren zur Herstellung von Titansilikalit-1 enthaltenden Granulaten, dadurch gekennzeichnet, dass man ein Synthesegel, welches eine SiO2-Quelle, eine TiO2-Quelle, eine Tetra-n-propylamoniumionen enthaltende Verbindung, eine Base und Wasser enthält, unter hydrothermalen Bedingungen kristallisiert, die dabei enstehende (sic) Titansilikalit-1-Suspension, gegebenenfalls nach Aufkonzentrieren und/oder Zusatz weiterer Stoffe, einer Sprühtrocknung oder einer Wirbelschicht-Sprühgranulationstrocknung unterzieht und das so gebildete Titansilikalit-1-Granulat bei einer Temperatur von 400 bis 1000ºC, vorzugsweise von 500 bis 750ºC kalziniert."

IV. Gegen die Erteilung des obigen Patents wurden zwei Einsprüche eingelegt, mit dem Antrag, das Patent wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) sowie unzureichender Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ, nur Einsprechende 01) und Erweiterung über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Artikel 100 c) EPÜ) in vollem Umfang zu widerrufen.

V. Der angefochtenen Entscheidung lagen das erteilte Patent als Hauptantrag und drei Hilfsanträge zu Grunde.

VI. In der angefochtenen Entscheidung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

a) Der erteilte Verfahrensanspruch 1 genüge nicht den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ. Die Lehre der Stammanmeldung sei eindeutig auf Granulate gerichtet, die aus den drei Komponenten Titansilikalit-1, Siliciumdioxid und Titandioxid bestünden. Da sich in der Stammanmeldung das erfindungsgemäße Verfahren auf die Herstellung der erfindungsgemäßen Granulate beziehe, eine vollständige Definition der Zusammensetzung des erzeugten Produkts im Verfahrensanspruch 1 fehle und das beanspruchte Verfahren nicht zwangsläufig zu Granulaten führe, die Titandioxid enthalten, gehe das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 nicht eindeutig und unmittelbar aus der Stammanmeldung hervor.

b) Dasselbe gelte für das durch den erteilten Product-by-Process Anspruch 2 definierte Produkt, sodass auch Anspruch 2 gegen die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ verstoße.

c) Durch die Änderungen in den drei Hilfsanträgen seien die Einwände nicht überwunden worden, sodass auch die Hilfsanträge den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ nicht genügten.

VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein. Mit der Beschwerdebegründung reichte sie fünf Anspruchssätze als ersten bis fünften Hilfsantrag ein.

Der zweite Hilfsantrag sowie der vierte enthielten den erteilten Anspruch 1 in unveränderter Form.

Anspruch 1 gemäß dem ersten, dritten und fünften Hilfsantrag war im Vergleich zum erteilten Anspruch 1 nur dadurch geändert, dass der Kalzinierungtemperaturbereich "von 400 bis 1000ºC, vorzugsweise von 500 bis 750ºC" durch den Wortlaut "zwischen 400 und 1000ºC, vorzugsweise zwischen 500 und 750ºC" ersetzt wurde.

VIII. Nach mehrmaligen Stellungnahmen der Einsprechenden 01 und 02 (Beschwerdegegnerinnen) und der Beschwerdeführerin fand am 7. März 2011 eine mündliche Verhandlung statt.

IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin, insofern sie für diese Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

a) Die Stammanmeldung offenbare zwei getrennte Gegenstände, nämlich Granulate, die aus Titansilikalit-1-Kristallen, Siliciumdioxid und Titandioxid zusammengesetzt seien, und ein Verfahren zur Herstellung von Titansilikalit-1 enthaltenden Granulaten. Den Granulaten und dem Verfahren sei nur gemeinsam, dass die Granulate Titansilikalit-1 enthalten. Der Zweck des Verfahrens sei in der Stammanmeldung getrennt vom Zweck des Produkts zu sehen. Die Beschreibung des Verfahrens, die an keiner Stelle auf die Beschreibung des Produkts Bezug nehme, sei in sich abgeschlossen. Die Verwendung im erfindungsgemäßen Verfahren von Keimvorlagen, die andere Komponenten als Titansilikalit-1, Silicumdioxid und Titandioxid enthalten, bestätige, dass das Verfahren nicht auf die aus den drei Komponenten bestehenden Granulaten beschränkt sei.

b) Die stoffliche Zusammensetzung der erzeugten Granulate sei kein Merkmal des offenbarten Verfahrens, sondern eine Wirkung, die mit den Verfahrensmerkmalen erzielt werde. Zwischen einem Herstellungsverfahren und dem damit erhaltenen Produkt bestehe ein kausaler Zusammenhang in dem Sinn, dass die Merkmale des Verfahrens die Eigenschaften des Produkts, einschließlich seiner Zusammensetzung, bewirkten. Da ein umgekehrter kausaler Zusammenhang, dass die Eigenschaften eines Produkts (z. B. seine Zusammensetzung) die Merkmale eines Verfahrens zu seiner Herstellung bestimmen, nicht existiere, sei es ein logischer Fehler, die Wirkung eines Verfahrens (in diesem Fall die Zusammensetzung des erzeugten Produkts) als wesentliches Merkmal des Verfahrens zu betrachten.

c) Aus diesen Gründen und infolge der direkten Offenbarung des beanspruchten Verfahrens in der Beschreibung der Stammanmeldung, die entgegen den irrelevanten Vermutungen der Einsprechenden über die Absicht der Anmelderin nicht anders als gemäß ihrer wörtlichen Bedeutung interpretiert werden könne, erfülle der erteilte Verfahrensanspruch 1 trotz der nicht vollständigen Spezifizierung der Produktzusammensetzung die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ. Gemäß der Rechtsprechung sei es nicht relevant, dass der Schutzbereich des vorliegenden Anspruchs 1 breiter als der Schutzbereich des Verfahrensanspruchs 9 in der Stammanmeldung wie ursprünglich eingereicht sei, da es lediglich auf die Offenbarung ankomme.

d) Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag, in dem der genaue Wortlaut der Beschreibung bezüglich des Kalzinierungtemperaturbereichs verwendet werde, genüge erst recht den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ. Anspruch 1 gemäß den weiteren Hilfsanträgen entspreche entweder dem erteilten Anspruch 1 oder Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag und erfülle aus denselben Gründen die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ.

X. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen, insofern sie für diese Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

a) Die Stammanmeldung offenbare zwei verknüpfte Gegenstände, und zwar erfindungsgemäße Granulate und ein Verfahren zur Herstellung dieser Granulate. Aus der gesamten Offenbarung sei nämlich zu entnehmen, dass bei dem erfindungsgemäßen Verfahren nur Granulate herzustellen seien, die Titansilikalit-1, Siliciumdioxid und Titandioxid enthalten. Die Verbindung zwischen den erfindungsgemäßen Granulaten und dem Herstellungsverfahren sei so eindeutig, dass der Fachmann die einzige Stelle in der Beschreibung, wo das Verfahren beschrieben werde, ohne die Zusammensetzung des Produkts zu wiederholen, gemäß der klaren Absicht der Anmelderin nur so interpretieren könne, dass auch die spezifische Zusammensetzung mitgemeint sei. Die Anwesenheit anderer Komponenten als Keimvorlage sei nicht ausgeschlossen, soweit die Schale der Granulate die spezifische Zusammensetzung aufweise.

b) Aus der gesamten Offenbarung sei die Produktzusammensetzung als ein wesentliches Merkmal nicht nur des erfindungsgemäßen Produkts, sondern auch des erfindungsgemäßen Verfahrens dargestellt. Aus der Beschreibung des Herstellungsverfahrens sei zu entnehmen, dass die zwingenden Bestandteile Siliciumdioxid und Titandioxid aus den in der eingesetzten Titansilikalit-1-Suspension anwesenden Silikaten und Titanaten infolge des Kalzienierungsschritts entstünden und als Bindemittel in den Granulaten wirkten. Da aber die Anwesenheit dieser Komponenten nicht zwingend aus den beanspruchten Verfahrensschritten folge, könne die Granulatzusammensetzung nicht als eine Wirkung des beanspruchten Verfahrens betrachtet werden, sodass ihre Spezifizierung auch im Verfahrensanspruch erforderlich sei.

c) Der erteilte Anspruch 1 beanspruche deshalb ein Verfahren, das breiter als das in der Stammanmeldung offenbarte Verfahren sei. Die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ, der wie Artikel 123 (2) EPÜ den Zweck verfolge, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen der Anmelderin und Patentinhaberin einerseits und den Wettbewerbern und sonstigen Dritten anderseits herzustellen, sodass die Rechtssicherheit für Dritte nicht beschädigt werde, seien damit nicht erfüllt.

d) Die Änderung in Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag überwinde die Einwände unter Artikel 76 (1) EPÜ nicht. Da Anspruch 1 gemäß allen weiteren Hilfsanträgen entweder dem erteilten Anspruch 1 oder Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag entspreche, genüge keiner der Hilfsanträge den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ.

XI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass das Patent in der erteilten Fassung oder in der Fassung des mit der Beschwerdebegründung eingereichen ersten bis fünften Hilfsantrags den Bestimmungen von Artikel 76 (1) EPÜ genügt und die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Behandlung der weiteren Einspruchsgründe zurückzuverweisen.

XII. Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 01 und 02) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Artikel 76 (1) EPÜ

2.1 Der erteilte Verfahrensanspruch 1 entspricht Anspruch 9 der Stammanmeldung wie ursprünglich eingereicht mit dem Unterschied, dass das Verfahren nicht die Herstellung "der Titansilikalit-1-Granulate gemäß Anspruch 1" (und zwar Granulate, die "aus Titansilikalit-1-Kristallen, Siliciumdioxid und Titandioxid zusammengesetzt sind"), sondern die Herstellung von Titansilikalit-1 enthaltende Granulaten bezweckt. Damit wird die Zusammensetzung des durch das Verfahren erzeugten Produkts breiter als in der ursprünglichen Fassung definiert, indem sie nur die Anwesenheit von Titansilikalit-1 im Produkt fordert. Es ist zuerst festzustellen, welchen Einfluss die Änderung der Definition der Zusammensetzung des erzeugten Produkts auf das beanspruchte Verfahren ausübt.

2.1.1 Die Kammer stimmt der Meinung der Beschwerdeführerin insoweit zu, dass im Allgemeinen die Zusammensetzung eines durch ein Verfahren erzeugten Produkts als eine Wirkung der Verfahrensmerkmale angesehen werden kann, wobei ein kausaler Zusammenhang besteht, bei dem die Spezifizierung der Ausgangssubstanzen und der Verfahrensschritte schon eine Beschränkung für die Zusammensetzung des erzeugten Produkts impliziert.

2.1.2 Nichtsdestotrotz stellt die Spezifizierung der Zusammensetzung des erzeugten Produkts in einem Verfahrensanspruch eine Beschränkung des die Produktherstellung bezweckenden Verfahrens dar, indem durch den Anspruch nur Verfahren geschützt werden, deren Verfahrensbedingungen die Erreichung eines Produkts mit der definierten Zusammensetzung erlauben.

2.1.3 Die Definition eines Herstellungsverfahrens sowohl durch Verfahrensschritte als auch durch Eigenschaften des erzeugten Produkts ist infolgedessen völlig legitim, um den Schutzbereich des Anspruchs abzugrenzen, sodass entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin es nicht als ein logischer Fehler betrachtet werden kann, die Zusammensetzung des erzeugten Produkts als ein Merkmal des Herstellungsverfahrens anzusehen. Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin selbst in der erteilten Fassung des Verfahrensanspruchs 1 die Zusammensetzung des erzeugten Produkts definiert, auch wenn in einer breiteren Form ("Titansilikalit-1 enthaltenden Granulaten") als in Anspruch 9 der Stammanmeldung.

2.1.4 Die Beschwerdeführerin hat weder behauptet noch bewiesen, dass durch das Herstellungsverfahren des erteilten Anspruchs 1 notwendigerweise ein Produkt gemäß Anspruch 1 der Stammanmeldung erzeugt wird, sodass abschließend festzustellen ist, dass das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 breiter als das Verfahren des Anspruchs 9 der Stammanmeldung ist, weil es auch Verfahren beinhaltet, in denen die Verfahrensbedingungen (z. B. der Typ und die Mengen der Ausgangssubstanzen, die Trocknungs- und Kalzinierungszeiten) so ausgewählt sind, dass die erzeugten Granulate nicht aus Titansilikalit-1-Kristallen, Siliciumdioxid und Titandioxid zusammengesetzt sind.

2.2 Die Tatsache, dass der erteilte Anspruch 1 breiter als der unabhängige Anspruch 9 in der Stammanmeldung wie ursprünglich eingereicht ist, führt allein zu keinem Verstoß gegen die Vorschriften des EPÜ, weil das EPÜ keine Bestimmung darüber enthält. Maßgeblich ist ausschließlich Artikel 76 (1) EPÜ, der erfordert, dass eine Teilanmeldung nicht über den Inhalt der früheren Stammanmeldung hinausgeht, sodass zu prüfen ist, ob die gesamte Offenbarung der Stammanmeldung eine Basis für das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 liefert.

2.2.1 Der erste Absatz der Stammanmeldung beinhaltet, dass die Erfindung "Granulate, enthaltend Titansilikalit-1, ein Verfahren zu ihrer Herstellung sowie ihre Verwendung als Katalysator" (Hervorhebung durch die Kammer) betrifft (Seite 1, Zeilen 2-4). Damit wird eine erste Verknüpfung zwischen dem erfindungsgemäßen Produkt und dem erfindungsgemäßen Verfahren angegeben.

2.2.2 Nach der Angabe des Stands der Technik werden in der Stammanmeldung die Nachteile der gemäß dem bekannten Verfahren hergestellten Titansilikalit-1-Granulate diskutiert, insbesondere die im Vergleich zum nicht granulierten Titansilikalit-1-Pulver deutlich geringere Aktivität (Seite 2, Zeile 22 - Seite 3, Zeile 4). Das bekannte Verfahren zur Herstellung von Titansilicalit-1-Granulaten weist nach der Stammanmeldung "zusätzlich eine Reihe von Nachteilen auf" (Seite 3, Zeilen 5-19, Hervorhebung durch die Kammer), einschließlich z. B. die aufwendige Abtrennung der Titansilikalit-1-Kristalle von der Mutterlauge. Durch das Wort "zusätzlich" wird es auch bei der Analyse der Nachteile des bekannten Verfahrens auf eine Verbindung zwischen dem Verfahren und dem Produkt hingedeutet, wobei bei der Entwicklung eines erfindungsgemäßen Verfahrens die Nachteile der bekannten Produkte zusammen mit denen des bekannten Verfahrens zu berücksichtigen sind.

2.2.3 Danach wird in der Stammanmeldung die Aufgabe der Erfindung definiert, und zwar "Granulate, die Titansilikalit-1 enthalten und die Nachteile der bekannten Granulate nicht aufweisen, sowie ein einfaches und wirtschaftliches Verfahren zur Herstellung der Titansilikalit-1 enthaltenden Granulate" (Hervorhebung durch die Kammer) zu entwickeln (Seite 3, Zeilen 20-24). Auch hier wird bei der Verwendung des bestimmten Artikels "der" ausgedrückt, dass das zu entwickelnde Verfahren zur Herstellung der erfindungsgemäßen Granulate dient.

2.3 Unter Betrachtung dieser Zitate wird der Fachmann beim Lesen der Beschreibung der Stammanmeldung zweifellos verstehen, dass die Anmeldung ein Produkt (die erfindungsgemäßen Granulate) und ein Verfahren zur Herstellung dieses Produkts beschreibt, und nicht zwei Gegenstände, denen nur gemeinsam ist, dass die Granulate Titansilikalit-1 enthalten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist im Lichte dieser Beschreibung das Verfahren untrennbar mit dem erfindungsgemäßen Produkt verknüpft.

2.3.1 Das erfindungsgemäße Produkt wird in der Beschreibung mit demselben Wortlaut wie im ursprünglichen Anspruch 1 der Stammanmeldung definiert, und zwar als "Granulate, enthaltend Titansilikalit-1, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass sie aus Titansilikalit-1-Kristallen, Siliciumdioxid und Titandioxid zusammengesetzt sind" (Seite 3, Zeilen 25-28).

2.3.2 Es ist dann für den Fachmann eindeutig, dass, wenn das erfindungsgemäße Verfahren offenbart wird (Seite 4, Zeile 26 - Seite 5, Zeile 5), ein Verfahren gemeint wird, das zur Herstellung der erfindungsgemäßen Granulate dient, auch wenn die Zusammensetzung der Granulate in diesem Absatz nicht wiederholt wird.

2.3.3 Die Verknüpfung zwischen den erfindungsgemäßen Granulaten und dem Verfahren zu ihrer Herstellung kann auch nicht durch die Verfahrensausführungsformen in Frage gestellt werden, bei denen als Keimvorlage Materialien wie Al2O3, ZrO2, Tone, natürliche Silikate oder Zeolithe eingesetzt werden (Seite 8, Zeilen 26-32), mit dem Argument, dass diese Ausführungsformen nicht zu den als erfindungsgemäß beschriebenen Granulaten führen, denn Granulate mit einem Kern aus Al2O3, ZrO2, Tone, natürliche Silikate oder Zeolithe werden im abhängigen Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht auch als erfindungsgemäß definiert.

2.4 Siliciumdioxid und Titandioxid wirken gemäß der Stammanmeldung als Bindemittel zwischen den Titansilikalit-1-Kristallen (Seite 9, Zeilen 13-17). Durch eine dünne Schicht der zwei Komponenten in den hergestellten Granulaten, die die agglomerierten Titansilikalit-1-Kristalle überzieht, wird die erwünschte Erhöhung der katalytischen Aktivität erreicht (Seite 10, Zeilen 21-26) und die in der Stammanmeldung gestellte Aufgabe (die Nachteile der bekannten Granulate, hauptsächlich die Reduzierung der katalytische Aktivität, zu vermeiden, siehe Punkte 2.2.2 und 2.2.3, supra) gelöst. Damit sind Siliciumdioxid und Titandioxid zusammen mit der Hauptkomponente Titansilikalit-1 als wesentliche Komponenten der erfindungsgemäßen Granulate in der Stammanmeldung offenbart.

2.4.1 Aus der Verknüpfung zwischen den erfindungsgemäßen Granulaten und dem Verfahren zu ihrer Herstellung folgt, dass die Anwesenheit von Siliciumdioxid und Titandioxid in den Titansilikalit-1 enthaltenden Granulaten ein wesentliches Merkmal des in der Stammanmeldung offenbarten Verfahrens ist.

2.4.2 Dies wird bestätigt in der detaillierten Offenbarung des Verfahrens, in der beschrieben wird, dass die in der Titansilikalit-1-Suspension enthaltenen Silikate und Titanate als Bindemittel wirken (Seite 7, Zeilen 21-23), aus denen während des Granulationsprozesses und dem darauffolgenden Kalzinierschritt Siliciumdioxid und Titandioxid entstehen (Seite 9, Zeilen 17-21).

2.5 Genauso wie im ursprünglichen Anspruch 9 der Stammanmeldung, wird daher auch in der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht nur ein Verfahren eindeutig und unmittelbar offenbart, das zur Herstellung von aus Titansilikalit-1-Kristallen, Siliciumdioxid und Titandioxid zusammengesetzten Granulaten dient. Der erteilte Anspruch 1 enthält aber weder explizit, noch implizit (z. B. durch die Spezifizierung, dass die Titansilikalit-1-Suspension Silikate und Titanate enthält, die danach zu Siliciumdioxid und Titandioxid umgesetzt werden) eine entsprechende Beschränkung bezüglich der durch das Verfahren hergestellten Granulate.

2.6 Zusammenfassend werden durch den erteilten Verfahrensanspruch 1 Ausführungsformen abgedeckt, die in der Stammanmeldung nicht eindeutig und unmittelbar offenbart werden, und zwar Verfahren, bei denen nicht erfindungsgemäße Granulate hergestellt werden.

2.7 Da Artikel 76 (1) EPÜ der Gedanke zugrunde liegt, dass es einer Anmelderin nicht gestattet werden darf, ihre Position durch Hinzufügung von in der Stammanmeldung nicht offenbarten Gegenständen zu verbessern, weil ihr dies zu einem ungerechtfertigten Vorteil verhülfe und der Rechtssicherheit für Dritte abträglich wäre, die sich auf den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung verlassen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage, 2010, IV.4.1), ist abschließend festzustellen, dass der erteilte Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ nicht genügt.

3. Hilfsanträge - Artikel 76 (1) EPÜ

3.1 Die minimale Änderung in Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag, bei der der Temperaturbereich des Kalzinierschritts als "zwischen 400 und 1000ºC, vorzugsweise zwischen 500 und 750ºC" statt "von 400 bis 1000ºC, vorzugsweise von 500 bis 750ºC" angegeben wird, ändert nichts an der Tatsache, dass Anspruch 1 Verfahren abdeckt, bei denen nicht erfindungsgemäße Granulate hergestellt werden. Aus denselben Gründen wie für den erteilten Anspruch 1 ausgeführt (siehe Punkt 2, supra), erfüllt daher Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag nicht die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ.

3.2 Anspruch 1 gemäß dem zweiten bis fünften Hilfsantrag entspricht entweder dem erteilten Anspruch 1 (zweiter und vierter Hilfsantrag) oder Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag (dritter und fünfter Hilfsantrag) und genügt daher nicht aus den oben ausgeführten Gründen (siehe Punkte 2 und 3.1, supra) den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ.

4. Da allen Anträgen schon aufgrund der Nicht-Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ für den Verfahrenanspruch 1 nicht stattgegeben werden kann, braucht die Kammer zu keinem anderen Punkt Stellung zu nehmen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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