T 1633/09 (Programmierbare Zellstruktur/RICHTER und KRASS) of 8.5.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T163309.20130508
Datum der Entscheidung: 08 Mai 2013
Aktenzeichen: T 1633/09
Anmeldenummer: 03008165.7
IPC-Klasse: G06F 12/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Datenverarbeitungsverfahren und Vorrichtung hierfür
Name des Anmelders: Richter, Thomas und Krass, Maren
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 137(4)
European Patent Convention 1973 R 30
Schlagwörter: Vorliegender Stand der Technik steht der Zulassung des geänderten Hauptantrags unter Regel 137 (4) EPÜ nicht entgegen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prü fungs abteilung, zugestellt mit Schreiben vom 13. Februar 2009, die europäische Patentanmeldung 03 008 165.7 zurück zu wei sen. Dabei wurde der Hauptantrag unter Regel 137 (4) EPÜ - in ihrer vor dem 1. April 2010 gültigen Fassung - nicht zugelassen, insbesondere weil im Lichte des Dokuments

D4: Olukotun K. et al., "The Case for a Single-Chip Multiprocessor", ACM SIGPLAN Notices, Vol. 31, Nr. 9, pp. 2-11, 1996

zwischen Anspruch 1 des Hauptantrags und dem ur sprüng li chen Anspruch 1 kein technischer Zusammenhang im Sinne der Regel 44 EPÜ bestehe. Gegen die drei Hilfsanträge wurde ein Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ erhoben und in ei nem obiter dictum wurde festgestellt, dass die Hilfs an träge, würden sie durch Streichen des einschlä gi gen Merk mals mit Artikel 123 (2) EPÜ in Einklang ge bracht, ihrerseits unter Regel 137 (4) unzu lässig wären.

Im Zen trum dieser Einwände stand der im ursprünglich ein ge reichten Anspruch 1 enthaltene Begriff der "nicht cache bar[en]" Daten: Dieser tauche nirgendwo in der Beschreibung auf und könne daher nicht mit Merkmalen aus der Beschreibung kombiniert werden, ohne Artikel 123 (2) EPÜ zu verletzen. Andererseits sei er für die Recherche zentral und könne daher nicht weggelassen werden, ohne dass dies zu einer nicht recherchierten Anspruchskombi na tion führe.

II. Beschwerde gegen diese Entscheidung ging am 9. April 2009 ein und die Beschwerdegebühr wurde frist ge recht ent richtet. Die Beschwerdebegründung ging am 19. Juni 2009 ein. Die Beschwerdeführer beantragten, die Ent schei dung aufzuheben und zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Darüber hinaus be an tragten sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr: Sie ver wiesen darauf, dass die vor lie gende Anmeldung als Teil an meldung eingereicht worden sei und dass das bean stan de te Merkmal in Anspruch 20 des aus der früheren An mel dung hervorgegangenen Patent enthalten sei; die Be schwer de führer hätten in soweit auf den früheren Er tei lungs be schluss vertrauen dürfen. Angesichts dessen habe die Prü fungs abteilung nicht die Entfernung des bean stan deten Merkmals wegen eines Offenbarungs mangels for dern, gleichzeitig aber unter Verweis auf Regel 137 (4) EPÜ verhindern dürfen.

III. Mit einer Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Beschwerdekammer den Beschwerdeführern ihre vorläufige Meinung mit, nach der nicht zu bemängeln sei, dass und wie die Prüfungsabteilung die Regel 137 (4) EPÜ auf den Hauptantrag angewendet habe. Hinsichtlich der Hilfsan träge erhob die Kammer einen Einwand unter Artikel 84 EPÜ 1973, sowie einen Einwand unter Artikel 76 (1) EPÜ, weil der ursprünglich beanspruchte Bezug auf "nicht cachebar[e]" Daten über den Inhalt der früheren Anmel dung hinauszugehen scheine.

IV. In Erwiderung auf die Ladung teilten die Beschwerdefüh re r mit, an ihrem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerde gebühr festzuhalten. Sie beriefen sich auf ein Grund prin zip des Vertrauensschutzes, das gegen den Zweck der Regel 137 (4) EPÜ abzuwägen sei, und beantragten hilfs weise, eine entsprechende Frage der Großen Beschwerde kammer vor zulegen, ohne jedoch einen konkreten Formu lie rungs vor schlag für eine solche Frage zu machen. Es wurde ein als "Hilfsantrag" bezeichneter Anspruch 1 vorgelegt, der "gegebenenfalls" zum Gegenstand eines Hilfsantrags ge macht werden solle.

V. Die mündliche Verhandlung fand wie vorgesehen am 8. Mai 2013 statt. Im Laufe dieser Verhandlung legten die Be schwer deführer einen geänderten Anspruch 1 gemäß Haupt antrag vor und beantragten, die Sache zur weiteren Sachprüfung auf dieser Basis an die erste Instanz zu rück zuverweisen. Alle zuvor anhängigen An sprüche wurden fallen gelassen. Ebenso zogen die Beschwerde führer ihre Anträge auf Rückzahlung der Beschwer de ge bühr und auf Be fassung der Grossen Beschwerde kammer zu rück.

VI. Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht lautet wie folgt:

"Verwaltungsmittel zur Verwaltung der Zugriffe auf externe Anschlüsse eines Bausteines mit mehrdimensional angeordneter, programmierbarer Zellstruktur, wobei zwischen zumindest einem der internen Busse und einem der externen Busse ein Cache-Mittel vorgesehen ist, um Daten die über die externen Busse angefordert werden sollen, cachen zu können und nur für solche Daten eine Aufschaltung auf die externen Busse vorzusehen, die nicht gecached oder cachebar sind."

VII. Der einzige Anspruch des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Programmierbare Bausteinanordnung

aufweisend interne Busse und externe Anschlüsse

sowie ein Cache-Mittel

um Daten die über die internen Busse an den externen Anschlüssen angefordert werden,

cachen und so Zugriffe verwalten zu können,

dadurch gekennzeichnet, dass

die internen Busse eine Mehrzahl von Zellen einer mindestens zweidimensionalen programmierbaren Zellstruktur verbinden, wobei der Mehrzahl von Zellen eine Mehrzahl Adressgeneratoren zugeordnet ist, und

das Cache-Mittel für die Verwaltung der Speicherzugriffe einer Mehrzahl von Addressgeneratoren einen einzigen Cachecontroller aufweist."

VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Für die vorliegende Anmeldung ist Regel 137 (4) als Ausführungsbestimmung zu Artikel 123 EPÜ in der Fassung gül tig, die mit dem EPÜ 2000 am 13. Dezember 2007 in Kraft trat (siehe dazu die Übergangsbestimmungen zum EPÜ 2000 und seiner Ausführungsordnung gemäß den Beschlüssen des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001; Sonderausgabe 4 zum ABl. EPA 2007, 219; und vom 7. Dezember 2006; Sonder ausgabe 1 zum ABl. EPA 2007, 89). Die am 1. April 2010 in Kraft getretene weiter geänderte Fassung der Regel 137 ist hingegen nicht anwendbar, da der euro päische Recherchenbericht für die vorliegende Anmeldung vor dem 1. April 2010 erstellt wurde (vgl. den Beschluss des Verwaltungsrats vom 25. März 2009 zur Änderung der Ausführungsordnung des EPÜ; ABl. EPA 2009, 299).

Wann immer in dieser Entscheidung auf Regel 137 (4) EPÜ Bezug genommen wird, ist diese Regel in ihrer vor dem 1. April 2010 gültigen Fassung gemeint.

Hingegen ist als Ausführungsbestimmung von Artikel 82 EPÜ 1973 die Regel 30 EPÜ 1973 anwendbar.

2. Regel 137 (4) EPÜ legt fest, dass sich geänderte Patent ansprüche nicht auf nicht recherchierte Gegenstände beziehen dürfen, die mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung oder Gruppe von Erfindungen nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden sind.

2.1 Zwei beanspruchte Gegenstände sind miteinander durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden, und somit einheitlich miteinander (vgl. Artikel 82 EPÜ 1973), wenn zwischen diesen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder ent sprechenden besonderen technischen Merkmalen zum Aus druck kommt. "Besondere technische Merkmale" sind dabei diejenigen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Er fin dung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen (Regel 30 (1,2) EPÜ 1973).

2.2 Ein Anspruch ist somit unter Regel 137 (4) EPÜ nur dann un zu lässig, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Er muss sich einerseits auf einen nicht recherchierten Gegen stand beziehen und darf andererseits mit den ursprüng lich beanspruchten Erfindungen nicht einheitlich sein.

3. Sowohl Anspruch 1 gemäß vorliegendem Hauptantrag - im Fol genden: der neue Anspruch 1 - als auch Anspruch 1 in seiner ur sprüng lichen Fassung beziehen sich auf eine (min destens zweidimensionale bzw. mehrdimensionale) pro grammierbare Zellstruktur, die über interne Busse ver bunden ist, in Verbindung mit einem Cache-Mittel, mit dem über interne Busse an exter nen Anschlüssen ange for der te Daten gecacht werden können.

4. Die Beschreibung (siehe z. B. Abschnitt 1.1.2 auf Seite 1) illustriert den Begriff der programmierbaren Zell struktur beispielhaft durch Bezug auf FPGAs und DPGAs (Abk. für field bzw. dynamically programmable gate arrays).

4.1 In solchen Bausteinen ist die Verbindungsstruktur der Zellen untereinander konfigurierbar, so dass unter schied liche logische Schaltkreise realisiert werden können. Der Fachmann spricht in diesem Zusammenhang auch von "programmierbarer Logik".

4.2 Eine "programmierbare Zellstruktur" bezieht sich somit, und nach Ansicht der Kammer für den Fachmann unzweifel haft, auf eine gänzlich andere Form der Programmier bar keit als diejenige, mit der die zeit lichen Abläufe in einem Mikroprozessor über ein Programm festgelegt werden.

5. Die Prüfungsabteilung stützt sich in ihrer Einheitlich keits analyse im Zusammenhang mit Regel 137 (4) EPÜ auf das Dokument D4 (siehe Entscheidungsgründe 3).

5.1 D4 offenbart einen superskalaren Multiprozessor (Abb. 3) mit vier in einer zweidimensionalen (2x2) Struktur an ge ord neten Prozessorkernen, die intern mitein an der und mit einem gemeinsamen Cache (Abb. 3, "On-Chip L2 Cache") sowie über geeignete Anschlüsse mit externen Bussen verbun den sind (Abb. 3, "L2 Communication Center" and "Ex ternal Interface").

5.2 D4 offenbart jedoch keine programmierbare Zellstruktur im vorgenannten Sinne.

5.3 Die Prüfungsabteilung räumte diesen Umstand ausdrücklich ein (Entscheidungsgründe 3.4, 3. Absatz), wies jedoch da rauf hin, dass der damals anhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag das Merkmal "programmierbar" nicht enthielte und es so mit kein gemeinsames Merkmal des ursprünglichen und des anhängigen Anspruchs 1 sei, dass die beans pruch te Zell struk tur programmierbar sei.

5.4 Da sich der nun vorliegende neue Anspruch 1 des Haupt an trags hingegen ausdrücklich auf eine programmierbare Zellstruktur bezieht, eignet sich D4 nicht als Beleg dafür, dass alle gemeinsamen Merkmale dieses und des ur sprüng lichen Anspruchs 1 (vgl. Punkt 3 oben) aus dem Stand der Technik bekannt waren. Da rü ber ist die Kammer der Auffassung, dass sich Stand der Tech nik über super ska la re Mikroprozessoren wie D4 nicht als Ausgangspunkt für die Bewertung eignet, ob die pro gram mier bare Zell struktur gemäß der genannten gemeinsamen Merkmale auf einer erfin de rischen Tätigkeit beruht.

5.5 D4 ist somit nicht geeignet zu widerlegen, dass es sich bei den gemeinsamen Merkmalen gemäß Punkt 3 um "be son dere technische Merkmale" handelt, die Einheitlichkeit zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Anspruch 1 her stellen.

6. In der mündlichen Verhandlung brachten die Beschwerde füh rer weiter vor, dass ihrer Kenntnis nach vor dem be an spruch ten Prioritätstag keine programmierbaren Zell struk turen mit einem eigenen Cache-Mittel wie bean sprucht bekannt gewesen seien.

6.1 Auf der Basis der vorliegenden Dokumente aus dem Stand der Technik ist dieser Vortrag der Beschwerdeführer nicht zu widerlegen.

6.2 Die gemeinsamen Merkmale gemäß Punkt 3 können somit auch nicht als allgemein bekannt gelten.

7. Die Kammer kommt somit zu dem Ergebnis, dass weder Doku ment D4 noch unbestrittenes allgemeines Fachwissen der Fest stellung entgegen stehen, dass die gemeinsamen Merk male des ursprünglichen und des neuen Anspruchs 1 be son dere technische Merkmale sind, die Einheitlichkeit zwi schen beiden Ansprüchen im Sinne der Regel 30 (1) EPÜ 1973 herstellen.

7.1 Der vorliegende Stand der Technik kann somit eine Nicht-Zulassung des neuen Anspruchs 1 unter Regel 137 (4) EPÜ nicht rechtfertigen. Die Entscheidung ist somit aufzu heben.

7.2 Dabei kann es, wie oben ausgeführt (Punkt 2.2), offen bleiben, ob der Gegenstand des neuen Anspruchs 1 von der ursprüng lichen Recherche abgedeckt ist oder ob das deswegen nicht der Fall ist, weil der neue Anspruch 1 das ursprünglich bean spruchte Merk mal der "nicht cachebar[en]" Daten nicht mehr ent hält.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur weiteren Sachprüfung auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrages an die erste Instanz zurückverwiesen.

The Registrar The Chairman:

B. Atienza Vivancos D. H. Rees

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