T 1001/09 (Einwegbiosensor/PELIKAN TECHNOLOGIES) of 21.2.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T100109.20130221
Datum der Entscheidung: 21 Februar 2013
Aktenzeichen: T 1001/09
Anmeldenummer: 01962825.4
IPC-Klasse: C12Q 1/32
C12Q 1/42
G01N 33/543
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Elektrochemischer Einwegbiosensor für die quantitative Bestimmung von Analytkonzentrationen in Flüssigkeiten
Name des Anmelders: Pelikan Technologies GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Roche Diagnostics GmbH
Kammer: 3.3.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Hauptantrag, Hilfsanträge I bis III - Zulässigkeit (nein) (Punkt 2 bis 8)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0854/12

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 9. Februar 2009, das europäische Patent mit der Nummer 1307583 zu widerrufen.

II. Die Einspruchsabteilung entschied, dass die Ansprüche sowohl des Hauptantrags als auch der Hilfsanträge II und IV wegen mangelnder Neuheit nicht gewährbar seien, dass die Ansprüche des Hilfsantrags I die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllen und dass die Ansprüche des Hilfsantrags III die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllen.

III. Mit Schreiben vom 9. Juni 2009 reichte die Patentinhaberin, Pelikan Technologies GmbH & Co. KG, ihre Beschwerdebegründung zusammen mit einem neuen Hauptantrag und drei neuen Hilfsanträgen ein.

IV. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) nahm zur Beschwerdebegründung mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 Stellung.

V. Mit Beschluss des Amtsgerichts Münster - Insolvenzgericht - vom 1. März 2010 wurde über das Vermögen der Patentinhaberin das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Kreuznacht (nachfolgend Beschwerdeführer) zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser trat kraft Amtes in die Rechte und Pflichten der Beschwerde führenden Patentinhaberin ein.

VI. Das Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt wurde ab dem 1. März 2010 nach Regel 142 (1) b) EPÜ unterbrochen und am 1. Dezember 2010 nach Regel 142 (2) EPÜ mit dem Insolvenzverwalter wieder aufgenommen.

VII. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2013 geladen. In der Anlage zur Ladung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung zu einigen der vorgebrachten Argumente mit, insbesondere mit Bezug auf die Artikel 123, 83, 54 und 56 EPÜ. Mit Bezug auf Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) wies die Kammer zudem darauf hin, dass sie nach Anhörung der Parteien über die Zulässigkeit der im Beschwerdeverfahren neu eingereichten Anträge entscheiden werde.

VIII. Mit Schreiben vom 2. Januar 2013 informierte der Beschwerdeführer die Kammer, dass er an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

IX. Mit Schreiben vom 17. Januar 2013 nahm die Beschwerdegegnerin nochmals zur Beschwerde Stellung, insbesondere zur Zulässigkeit der Anträge.

X. Die mündliche Verhandlung fand am 21. Februar 2013 in Abwesenheit des Beschwerdeführers statt.

XI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"1. Einwegbiosensor umfassend ein Trägermaterial (1), auf dem elektrische Leiterbahnen (2) sowie ein Elektrodensystem umfassend eine Gegenelektrode (6) und eine aus einer Reaktionsschicht gebildete Arbeitselektrode (5) aufgebracht sind, eine dielektrische Isolatorschicht (3), welche das Trägermaterial (1) sowie die elektrischen Leiterbahnen (2) bedeckt und Aussparungen für die Kontaktierung (4) einer Potentiostateinheit und für das Elektrodensystem aufweist, sowie eine analyterkennende Biokomponente, dadurch gekennzeichnet, dass

- die Reaktionsschicht neben einem elektronenleitenden Material einen Elektronentransfermediator enthält, der einen Dampfdruck von mindestens 1,33.1O**(-3)N/m**(2) (1.10**(-5)mm Hg) bei 25ºC besitzt und

- das Elektrodensystem von einer hydrophilen polymeren Schutzschicht (8) in Form eines polymeren Hydrogels bedeckt ist."

Anspruch 1 der Hilfsanträge enthält jeweils alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags sowie weitere limitierende Merkmale bezüglich des verwendeten Elektronentransfermediators (Hilfsanträge I bis III), des Aufbaus der Reaktionsschicht (Hilfsantrag II) und der hydrophilen polymeren Schutzschicht (Hilfsantrag III).

XII. Die Argumente des Beschwerdeführers, soweit sie für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Änderung des Anspruchsmerkmals "polymere Schutzschicht" in "hydrophile polymere Schutzschicht (8) in Form eines polymeren Hydrogels" führe dazu, dass der Anspruchsgegenstand neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Das gleiche gelte für die Hilfsanträge I bis III, welche durch Aufnahme zusätzlicher Merkmale aus abhängigen Ansprüchen des Hauptantrags weiter limitiert würden.

XIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, soweit sie für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Haupt- und Hilfsanträge sollten gemäß Artikel 12 (4) VOBK nicht zugelassen werden. Die Patentinhaberin erhielt in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung Gelegenheit, weitere Anträge einzureichen, die sie aber lediglich nutzte, um weitere Streichungen in Unteransprüchen des bereits für nicht gewährbar befundenen damaligen Hilfsantrags III vorzunehmen. Zudem war der Gegenstand der damaligen Ansprüche wesentlich durch technische Merkmale der Reaktionsschicht charakterisiert (aushärtbare Polymerpaste umfassend Kohlenstoff- oder bestimmte Metallpartikel), welche in den nun vorliegenden Anspruchssätzen komplett fehlten. Die neuen Anspruchssätze richteten sich stattdessen auf Einwegbiosensoren, die als wesentliches Merkmal eine Abdeckung des Elektrodensystems durch eine hydrophile polymere Schutzschicht in Form eines polymeren Hydrogels aufweisen. Für diesen Wechsel des beanspruchten Gegenstands gab der Beschwerdeführer keinen Grund an.

XIV. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hauptantrags, hilfsweise auf Grundlage eines der Hilfsanträge I bis III.

XV. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Nichtzulassung des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge I bis III und die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

Artikel 12 (4) VOBK

1. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern besteht der Hauptzweck des zweiseitigen Beschwerdeverfahrens darin, dem Unterlegenen die Möglichkeit zu geben, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken. Somit ist der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens weitestgehend für das weitere Beschwerdeverfahren bestimmend. Der beschwerdeführende Patentinhaber, der im Einspruchsverfahren unterlegen ist, hat das Recht, die zurückgewiesenen Anträge von der Beschwerdekammer erneut prüfen zu lassen. Möchte der Patentinhaber jedoch, dass andere (weitere) Anträge geprüft werden, so liegt es im Ermessen der Beschwerdekammer, sie zum Verfahren zuzulassen; hierauf hat der beschwerdeführende Patentinhaber keinen Rechtsanspruch. Hieraus lässt sich unmittelbar herleiten, dass der Streitstoff in zweiter Instanz von den Beteiligten nur eingeschränkt geändert werden kann. Dieser Grundsatz findet seine Entsprechung in Artikel 12 (4) VOBK. Im Beschwerdeverfahren soll kein gänzlich neuer Fall, kein "fresh case" geschaffen werden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 6. Auflage, Kapitel VII. E. 16.2.1, Seite 1015 und dort zitierte Entscheidungen).

2. Mit der Beschwerdebegründung legte der Beschwerdeführer einen neuen Hauptantrag sowie neue Hilfsanträge I bis III vor.

3. Im Einspruchsverfahren hatte die Patentinhaberin beantragt, das Patent wie erteilt, hilfsweise auf der Basis eines von vier während des Verfahrens eingereichten Hilfsanträgen, aufrechtzuerhalten.

4. Mit Bezug auf die erfinderische Tätigkeit führte sie im Einspruchsverfahren sowohl in ihren Schriftsätzen als auch in der mündlichen Verhandlung aus, dass die vorteilhaften Eigenschaften des beanspruchten Biosensors, insbesondere die gute Langzeitstabilität und die gute Reproduzierbarkeit der Messergebnisse, maßgeblich auf die spezielle Ausführungsform der Arbeitselektrode (5), welche als Reaktionsschicht ausgebildet ist und einen mittels Dampfdruck spezifizierten Elektronentransfermediator enthält, zurückzuführen seien (vgl. Punkt 3 des Schreibens der Patentinhaberin vom 6. Februar 2007; ebenso die Punkte 3.4, 4.2, 4.3 und 5.5 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung).

5. Deshalb betrafen sämtliche Änderungen in den damaligen Hilfsanträgen I bis IV die technischen Eigenschaften der als Reaktionsschicht ausgebildeten Arbeitselektrode (5).

Hilfsantrag I enthielt als weiteres charakterisierendes Merkmal der Reaktionsschicht eine aushärtbare Polymerpaste als elektronenleitendes Material. Eine ähnliche Anpassung wurde im unabhängigen Verwendungsanspruch 26 vorgenommen.

In den Hilfsanträgen II bis IV wurde in Anspruch 1 jeweils weiter spezifiziert, dass die aushärtbare Polymerpaste Kohlenstoff- oder bestimmte Metallpartikel enthalte. In den Hilfsanträgen II und III wurden entsprechende Anpassungen im unabhängigen Verwendungsanspruch 25 vorgenommen. Im Hilfsantrag IV wurde dieser unabhängige Verwendungsanspruch ebenso wie einige weitere von Anspruch 1 abhängige Ansprüche ersatzlos gestrichen.

6. Im Gegensatz dazu legte die Patentinhaberin mit der Beschwerdebegründung Haupt- und Hilfsanträge vor, welche erstmalig Änderungen der technischen Merkmale der polymeren Schutzschicht(8) enthielten (vgl. Punkt XI), während die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen der technischen Merkmale der als Reaktionsschicht ausgebildeten Arbeitselektrode (5), welche die Patentinhaberin als erfindungswesentlich bezeichnet hatte, ersatzlos gestrichen wurden.

Als Begründung führte die Patentinhaberin aus, dass die Einführung dieser technischen Merkmale Neuheit herstelle und sie wesentlich für die gegenüber dem Stand der Technik erzielten, vorteilhaften Effekte seien.

7. Wie oben ausgeführt, waren die technischen Eigenschaften der polymeren Schutzschicht von der Patentinhaberin während des ganzen Verfahrens aber nicht erwähnt worden und hatten demzufolge bei der Prüfung des Einspruchs keine Rolle gespielt.

Obwohl der Anspruchsgegenstand sowohl des Hauptantrags wie auch der Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren weiterhin ein Einwegbiosensor ist, erfordert die Umgestaltung der Ansprüche, dergestalt, dass vormals relevante technische Merkmale weggelassen und bis dahin nicht erwähnte Merkmale in den Mittelpunkt gerückt werden, eine grundlegende Neubewertung der technischen Fakten im Lichte des Standes der Technik, was die Schaffung eines neuen Falls (fresh case) bedeutet.

8. Die Kammer beschließt deshalb in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK, weder den Hauptantrag noch die Hilfsanträge I bis III im Beschwerdeverfahren zuzulassen.

9. Bei der Ausübung ihres Ermessens hinsichtlich der Zulassung von Anträgen des beschwerdeführenden Patentinhabers, die nicht der Einspruchsabteilung vorgelegt wurden, entspricht es darüber hinaus der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern, der Frage nachzugehen, ob die geänderten Ansprüche eindeutig gewährbar sind (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 6. Auflage, Kapitel VII. E. 16.2.2, Seite 1016 und dort zitierte Entscheidungen).

10. Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge I und II enthält als charakterisierendes Merkmal, dass

"das Elektrodensystem von einer hydrophilen polymeren Schutzschicht (8) in Form eines polymeren Hydrogels bedeckt ist".

11. Der Beschwerdeführer verwies auf Seite 8, Zeilen 17 bis 20, und auf Anspruch 10 der publizierten Anmeldeschrift als Basis für die Modifizierung des Merkmals "polymere Schutzschicht" in Anspruch 1.

12. Für die Kammer ergibt sich aus dem Abschnitt auf Seite 8 klar, dass die polymere Schutzschicht nicht nur als polymeres Hydrogel vorliegen muss, sondern auch im Wesentlichen aus PVP, PEO, Stärke oder Gelatine bestehen muss. Diese Interpretation deckt sich mit dem Wortlaut des ursprünglichen abhängigen Anspruchs 10. Eine direkte und eindeutige Offenbarung einer Zwischenverallgemeinerung, wie sie in Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge I und II vorliegt (vgl. Punkt 11), kann die Kammer nicht erkennen.

13. Der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge I und II erfüllen daher die Bestimmungen des Artikels 123(2) EPÜ nicht und werden auch aus diesem Grund nicht im Beschwerdeverfahren zugelassen.

14. Da kein zulässiger Antrag vorliegt, muss die Beschwerde zurückgewiesen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen

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