T 0894/09 (Automatisierte Datenaktualisierung/FRESENIUS) of 4.12.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T089409.20121204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2012
Aktenzeichen: T 0894/09
Anmeldenummer: 02758427.5
IPC-Klasse: G06F 19/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Medizinisches Gerät mit automatisierter Datenaktualisierung
Name des Anmelders: Fresenius Medical Care Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 106
European Patent Convention Art 107
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 99
Schlagwörter: Klarheit - ja (nach Änderungen)
Erfinderische Tätigkeit - ja (nach Änderungen)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, am 4. Dezember 2008 zur Post gegeben, auf Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 02758427.5 mangels erfinderischer Tätigkeit gemäß den Artikeln 52(1) mit 56 EPÜ.

In der angefochtenen Entscheidung wird auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D1: DE 198 49 787 C1,

D2: US 5 899 998 A1,

D3: EP 1 128 279 A1 und

D4: US 5 710 922 A1.

II. Die Beschwerdegebühr wurde mit der Beschwerdeschrift, eingegangen am 3. Februar 2009, entrichtet. Mit der Beschwerdebegründung, eingegangen am 6. April 2009, wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrags, Hilfsantrags I oder Hilfsantrags II zu erteilen. Weiter hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

III. Die Kammer hat in einem Bescheid vom 16. August 2012 zur mündlichen Verhandlung geladen und ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde dargelegt. Dabei wurden Klarheitseinwände unter Artikel 84 EPÜ gegen den Wortlaut von Anspruch 1 aller Anträge erhoben. Auf der Grundlage von D1 und D3 wurden weitere Einwände unter Artikel 56 EPÜ gegen den Gegenstand von Anspruch 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag I erhoben. Es wurden jeweils die Gründe für die Einwände dargelegt.

IV. Mit einem Schreiben vom 2. November 2012 überreichte die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche nach einem Hauptantrag, Hilfsantrag I und einem Hilfsantrag II sowie weitere Hilfsanträge Ia und Ib.

V. Am 4. Dezember 2012 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin alle Anträge bis auf den Hilfsantrag Ib zurücknahm und diesen zu ihrem einzigen Antrag machte.

Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem einzigen Antrag lautet:

"1. Hämodialyse- und/oder —filtrationsgerät welches eine Blutbehandlungskomponente und eine Blutleitung zum Transport von Blut zwischen einem Patienten und der Blutbehandlungskomponente aufweist, mit automatisierter Datenaktualisierung

mit mindestens zwei Rechnereinheiten

wobei die mindestens zwei Rechnereinheiten je mindestens einen Mikroprozessor, eine Speichereinheit sowie eine Kommunikationsschnittstelle aufweisen,

wobei die Kommunikationsschnittstellen der mindestens zwei Rechnereinheiten über ein Kommunikationsmedium zum Datenaustausch miteinander verbunden sind,

dadurch gekennzeichnet

dass in einer ersten Speichereinheit der mindestens zwei Rechnereinheiten ein Programm zur Ausführung durch den Mikroprozessor hinterlegt ist, wonach in regelmäßigen Abständen erste Datenelemente in der ersten Speichereinheit bei einer Wertzuweisung dahingehend durch den Mikroprozessor mittels des Programms überprüfbar sind, ob eine Versendung über das Kommunikationsmedium an eine weitere der mindestens zwei Rechnereinheiten zur Aktualisierung der Datenelemente in deren Speichereinheit vorgesehen ist und diese Übersendung bei positiver Prüfung durchgeführt wird."

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des einzigen Antrags (Patentansprüche 1-9), eingereicht als Hilfsantrag Ib mit Schreiben vom 2. November 2012.

VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde entspricht den Voraussetzungen der Artikel 106 bis 108 und Regel 99 EPÜ und ist daher zulässig (siehe Sachverhalt und Anträge, Punkt II).

Artikel 84 EPÜ - Klarheit

2. Der Wortlaut von Anspruch 1 wurde im Laufe des Beschwerdeverfahrens auf Grundlage von Seite 12, Absätze 1 bis 3 der Beschreibung klargestellt. Nunmehr geht deutlich daraus hervor, dass in regelmäßigen Abständen erste Datenelemente in der ersten Speichereinheit bei einer Wertzuweisung dahingehend durch den Mikroprozessor mittels des Programms überprüfbar sind, ob eine Versendung über das Kommunikationsmedium an eine weitere der mindestens zwei Rechnereinheiten zur Aktualisierung der Datenelemente in deren Speichereinheit vorgesehen ist und diese Übersendung bei positiver Prüfung durchgeführt wird. Damit ist das Erfordernis der Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ erfüllt.

Artikel 56 EPÜ - Erfinderische Tätigkeit

3. Der Gegenstand von Anspruch 1 wurde in der angefochtenen Entscheidung als nahegelegt (Artikel 56 EPÜ) ausgehend von der Lehre von D1 angesehen.

Die Kammer stimmt zu, dass D1 als nächstliegender Stand der Technik geeignet ist, weil D1 ebenfalls auf ein Blutbehandlungsgerät in Form eines Dialysegeräts gerichtet ist. Die Kammer teilt darüber hinaus im wesentlichen auch die Auffassung der Beschwerdeführerin (vgl. Seite 2 der Beschwerdebegründung), dass D2 bis D4 nur bedingt geeignet sind, das routinemäßige Fachwissen zu belegen, auf welches die Prüfungsabteilung ihre Argumentation gestützt hat. Da die Prüfungsabteilung dieses Fachwissen nicht anderweitig belegt hat und die Kammer nicht davon ausgeht, dass es sich um fachnotorische Kenntnisse handelt, kann die Kammer den vorliegenden Fall nur beurteilen soweit dies anhand des aktenkundigen Standes der Technik D1 bis D4 möglich ist.

3.1 Wie aus der Beschreibungseinleitung der vorliegenden Anmeldung hervorgeht, geht die Erfindung vom Gegenstand der D1 aus (vgl. Seite 2, erster Absatz). Es war unstrittig, dass D1 als nächstliegender Stand der Technik die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 offenbart, wobei das Merkmal einer Speichereinheit zumindest implizit in D1 offenbart ist (siehe z.B. Figur 2 mit zugehörigem Beschreibungstext, insbesondere Spalte 4, Zeilen 54ff). Anspruch 1 ist nunmehr konkret auf ein Hämodialyse- und/oder -Filtrationsgerät gerichtet. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin darin zu, dass der Gegenstand von Anspruch 1 dadurch implizit auf ein Echtzeitsystem gerichtet ist.

3.2 Die dem kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 zugrunde liegende objektive Aufgabe kann darin gesehen werden, Inkonsistenzen zwischen den Werten gemeinsamer Datenelemente in den zwei oder mehreren Speicher einheiten von den mindestens zwei Rechner einheiten zu verhindern. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass es sich bei dem Hämodialysegerät um ein sicherheitskritisches Echtzeitsystem handelt, da der Betrieb in vivo erfolgt.

3.3 Dabei handelt es sich somit um eine Aufgabe, die ganz konkret auf das medizinische Anwendungsgebiet gerichtet ist und deshalb ein Synchronisationsprozess den damit verbundenen Sicherheitsanforderungen genügen muss. In diesem Zusammenhang muss daher berücksichtigt werden, dass keines der weiteren Dokumente zum Stand der Technik D2 bis D4 und deren Lösungsprinzipien ohne weiteres auf medizinische Geräte, die auf verteilten Recheneinheiten basieren, übertragbar sind.

Die Beschwerdeführerin hat deshalb zu Recht argumentiert, dass der Fachmann zur Lösung der objektiven Aufgabe nicht ohne weiteres allgemeine Lösungsprinzipien auf dem Gebiet der Synchronisation von Daten oder Datenbanken als technisches Nachbargebiet einbeziehen würde, sondern nur dann, wenn diese den besonderen Anforderungen von sicherheitskritischen medizinischen Echtzeitsystemen genügen. In diesem Zusammenhang kommt dem Teilmerkmal "in regelmäßigen Abständen" des Kennzeichens eine besondere Bedeutung zu.

3.4 Die Kammer stimmt der Prüfungsabteilung dahingehend zu, dass der einschlägige Fachmann ein Informatiker mit medizinischen Grundkenntnissen bzw. ein Team aus Fachleuten beider Disziplinen ist. Diese Annahme entspricht der gängigen Praxis, wonach bei interdisziplinären Aufgabenstellungen auch eine Personengruppe von einschlägigen Fachleuten angenommen werden kann (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, Kapitel I.D.7.1.2).

3.5 Die Prüfungsabteilung hat argumentiert, dass die Synchronisierungsbedingungen dem Fachmann in den Rahmenbedingungen der Anwendung in die Hände gegeben würden (vgl. Seite 7, erster Absatz der angefochtenen Entscheidung). Die Kammer bezweifelt jedoch, dass es sich bei diesen Rahmenbedingungen um rein nicht-technische Bedingungen handelt, sondern sieht in der geräteinternen Synchronisierung vielmehr auch technische Rahmenbedingungen, die nicht ohne weiteres als Teil der Lösung vorgegeben werden können.

Des weiteren hat die Prüfungsabteilung auf die beiden als "pulling" und "pushing" bezeichneten Lösungsmöglichkeiten (vgl. Seite 7, erster Absatz der angefochtenen Entscheidung) und daneben lediglich pauschal auf das allgemeine Fachwissen auf dem Gebiet der Datensynchronisation verwiesen (vgl. Punkte 3.4 und 3.5 der angefochtenen Entscheidung).

3.6 Die Kammer teilt im wesentlichen die Auffassung der Beschwerdeführerin (vgl. Seite 2 der Beschwerdebegründung), dass D2 bis D4 nicht geeignet sind, dieses Fachwissen zu belegen. Die Prüfungsabteilung hat bei ihrer Argumentation nicht einmal explizit auf D2 bis D4 zum Beleg für das angebliche Fachwissen verwiesen. Da die Prüfungsabteilung dieses Fachwissen nicht anderweitig belegt hat und die Kammer nicht davon ausgeht, dass es sich um fachnotorische Kenntnisse handelt, muss die Kammer anhand des aktenkundigen Standes der Technik davon ausgehen, dass die Lösung der objektiven Aufgabe gemäß der Erfindung nach Anspruch 1 nicht im Bereich des allgemeinen Fachwissens des Fachmanns liegt. Es war daher zu untersuchen, ob und inwieweit die Lösung der objektiven Aufgabe durch eines der weiteren Dokumente D2 bis D4 nahegelegt ist.

3.7 D3 offenbart einen Abgleich von portablen Geräten mit einer Datenbank auf einem Zentralrechner. Zum Abgleich werden Datenelemente einer ersten Rechnereinheit versendet ("...the entry is sent off from the first client device if it needs to be synchronized.", vgl. Abschnitt [0008] von D3). Hierzu erfolgt zuvor eine Überprüfung, ob eine Synchronisierung erforderlich ist ("...a determination is made as to whether an entry needs to be synchronized before sending the entry off from the first client device.", vgl. Abschnitt [0007], Satz 2; siehe auch Abschnitt [0011]). Es kann als implizit offenbart angenommen werden, dass diese Überprüfung durch geeignete Programmanweisungen in einer der beiden Recheneinheiten durchgeführt wird. Bei einer Wertzuweisung wird eine Änderung eines Datenelementes dokumentiert, so dass die ersten Datenelemente überprüfbar sind ("Every time a change occurs in the object store, the change is noted in the change log.", vgl. Abschnitt [0005], Satz 1). Jedoch erfolgt eine Synchronisation nur unregelmäßig und erfordert zudem eine explizite Handlung des Benutzers, der die Verbindung zwischen den Systemen herstellen muss und eine Synchronisation auslösen muss. Diese Vorgehensweise ist jedoch für einen Datenabgleich für ein medizinisches Dialysegerät gänzlich ungeeignet und der Fachmann würde daher die Lehre der D3 nicht zur Lösung der objektiven Aufgabe heranziehen.

3.8 Auch D4 zeigt ein Synchronisierungsverfahren zwischen zwei von einander unabhängigen Systemen, welches nicht in Echtzeit und nicht in regelmäßigen Abständen durchgeführt wird und daher für einen Datenabgleich für ein medizinisches Dialysegerät ungeeignet ist. Der Fachmann würde daher die Lehre der D4 aus den gleichen Gründen nicht zur Lösung der objektiven Aufgabe heranziehen.

3.9 D2 bezieht sich zwar auf einen medizinischen Einsatz, jedoch werden nur medizinische Daten organisatorisch abgeglichen, nicht aber bei einem medizinischen Gerät beim Betrieb in vivo (vgl. z.B. die Zusammenfassung von D2). Ein Abgleich erfolgt zwar automatisch (siehe z.B. Spalte 2, Zeile 31f), jedoch nicht in Echtzeit und vor allem nicht in regelmäßigen Abständen. Auch die Lehre von D2 führt den Fachmann somit nicht zur erfindungsgemäßen Lösung der objektiven Aufgabe.

3.10 Der Fachmann würde daher keines der Dokumente D2 bis D4 für eine Kombination mit D1 zur Lösung der objektiven Aufgabe im Bereich sicherheitskritischer Echtzeitsysteme in Betracht ziehen.

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher ausgehend von D1 nicht durch eine Kombination mit D2, D3 und/oder D4 nahegelegt. Das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit ist daher erfüllt (Artikel 56 EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anweisung, ein Patent zu erteilen auf der Grundlage der Patentansprüche 1-9, eingereicht als Hilfsantrag Ib mit Schreiben vom 2. November 2012, und einer daran anzupassenden Beschreibung.

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