T 0862/09 () of 9.10.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T086209.20091009
Datum der Entscheidung: 09 October 2009
Aktenzeichen: T 0862/09
Anmeldenummer: 06123839.0
IPC-Klasse: C08F 2/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung polyvinylalkoholstabilisierter Latices
Name des Anmelders: Wacker Chemie AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - zugelassen
Erfinderische Tätigkeit - (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die am 5. November 2008 mündlich verkündete und am 1. Dezember 2008 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung EP 06 123 839.0 (veröffentlicht unter EP 1 788 001 A1) zurückgewiesen wurde.

Grundlage der Entscheidung waren der mit Schreiben vom 21. Mai 2008 eingereichte Hauptantrag (Ansprüche 1-5) und der während der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung am 5. November 2008 eingereichte Hilfsantrag (Ansprüche 1-4).

a) Anspruch 1 des Hauptantrags lautete wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung von polyvinylalkohol stabilisierten, in Wasser redispergierbaren Polymerpulver-Zusammensetzungen aus polyvinylalkohol stabilisierten Polymerdispersionen, hergestellt durch Emulsionspolymerisation, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens 60% des Gesamtumsatzes der Polymerisation bei einer Temperatur von 100ºC bis 140ºC abläuft, und mittels Wirbelschichttrocknung, Gefriertrocknung oder Sprühtrocknung."

b) Anspruch 1 des Hilfsantrags lautete wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung von polyvinylalkohol stabilisierten, in Wasser redispergierbaren Polymerpulver-Zusammensetzungen aus polyvinyl alkoholstabilisierten Polymerdispersionen, hergestellt durch Emulsionspolymerisation in Abwesenheit von Emulgator und ausschließlich in Gegenwart von für die Emulsionspolymerisation gebräuchlichen wasserlöslichen Initiatoren oder Redox-Initiator-Kombinationen dadurch gekennzeichnet, dass mindestens 60% des Gesamtumsatzes der Polymerisation bei einer Temperatur von 100ºC bis 140ºC abläuft, und Trocknung der damit erhaltenen polyvinylalkoholstabilisierten Polymerdispersionen mittels Wirbelschichttrocknung, Gefriertrocknung oder Sprühtrocknung."

II. Die Prüfungsabteilung entschied, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber dem Dokument D1 nicht neu war, und der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhte, wobei Dokument D3 als nächstliegender Stand der Technik angesehen wurde. Das unterscheidende Merkmal zwischen dem Verfahren gemäß Hilfsantrag und dem Verfahren gemäß D3 sah die Prüfungsabteilung darin, dass mindestens 60% des Gesamtumsatzes bei einer Temperatur von 100-140ºC abläuft. Da kein Beweis für einen auf diesem Unterschied beruhenden technischen Effekt vorlag, wurde die objektive technisch Aufgabe dahingehend formuliert, ein alternatives Verfahren bezüglich D3 zur Verfügung zu stellen. Die Lösung dieser Aufgabe durch eine Erhöhung der Temperatur wurde nicht als erfinderisch angesehen, da D1 Emulsionspolymerisationen bei höheren Temperaturen beschreiben würde. Auch D2 und D4 würden Temperaturen über 100ºC bei der Emulsionstemperatur nahelegen.

D1: DE 198 03 098 A1;

D2: DE 103 35 958 A1;

D3: EP 1 420 033 A1; und

D4: DE 196 45 427 A1.

III. Gegen diese Entscheidung legte der Beschwerdeführer (Anmelder) am 28. Januar 2009 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein und beantragte die Erteilung eines Patents im Umfang des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags.

In der am 27. März 2009 eingegangenen Beschwerde begründung vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, dass der Gegenstand des von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Hilfsantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der entscheidende technische Effekt gegenüber dem für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit maßgeblichen Stand der Technik, der Entgegenhaltung D3, sei in einer deutlich verkürzten Reaktionszeit zu sehen, ohne dass die Produktqualität unter den Verfahrensbedingungen leide. Gerade dies sei in Kenntnis des Standes der Technik nicht zu erwarten gewesen. Zur Stützung seiner Argumentation reicht der Beschwerdeführer Vergleichsversuche ein, welche belegen sollten, dass bei Wiederholung des Beispiels 1 der D3 unter den Bedingungen des Verfahrens gemäß Hilfsantrag eine Verkürzung der Polymerisationsdauer erhalten werde, ohne dass sich die Qualität der damit erhaltenen Produkte verschlechtere.

IV. In der Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung mit Datum vom 13. Juli 2009 beanstandete die Kammer den vorliegenden Anspruch 1 im Hinblick auf Artikel 123(2), 84, 54 und 56 EPÜ.

V. Mit Schreiben vom 24. August 2009 reichte der Beschwerdeführer einen weiteren Anspruchssatz mit der Überschrift "2. Hilfsantrag" ein, der den erhobenen Einwänden Rechnung tragen sollte.

Gutachterlich verwies der Beschwerdeführer noch auf die kürzlich veröffentlichte EP 2 088 162 A1, in welcher im Zusammenhang mit der zur vorliegenden Patentanmeldung äquivalenten DE 102005054904 (= Prioritätsdokument der vorliegenden Anmeldung) bemerkt werde, dass konventionelle Verfahren zur Emulsionspolymerisation bei Temperaturen von etwa 70ºC ablaufen.

VI. In Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung reichte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 zwei weitere Anspruchssätze ein, überschrieben mit "3. bzw. 4. Hilfsantrag".

VII. Am 9. Oktober 2009 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Nach Diskussion der im schriftlichen Verfahren eingereichten Anträge im Hinblick auf Artikel 123(2), 84, 54 und 56 EPÜ zog der Beschwerdeführer alle im schriftlichen Verfahren vorhandenen Anträge zurück und reichte einen neuen, einzigen Antrag (Ansprüche 1-4) ein. Anspruch 1 dieses einzigen Antrags lautete wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung von in Wasser redispergierbaren Polymerpulver-Zusammensetzungen aus polyvinylalkoholstabilisierten Polymerdispersionen, hergestellt durch Emulsionspolymerisation bei Temperaturen nicht über 140ºC und Trocknung der damit erhaltenen polyvinylalkoholstabilisierten Polymerdispersionen mittels Wirbelschichttrocknung, Gefriertrocknung oder Sprühtrocknung, dadurch gekennzeichnet, dass in Abwesenheit von Emulgator polymerisiert wird, und als Initiatoren ausschließlich für die Emulsionspolymerisation gebräuchliche wasserlösliche Initiatoren oder Redox-Initiator-Kombinationen eingesetzt werden, und mindestens 60% des Gesamtumsatzes der Polymerisation bei einer Temperatur von 100ºC bis 140ºC abläuft, und die Reaktionstemperatur auf eine Zieltemperatur von mindestens 120ºC angehoben wird."

Die abhängigen Ansprüche 2-4 betrafen bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1.

VIII. Der Beschwerdeführer beantragte, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2009 eingereichten einzigen Antrags (Ansprüche 1-4) zu erteilen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1 Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von in Wasser redispergierbaren Polymerpulver-Zusammensetzungen, wobei zunächst polyvinylalkoholstabilisierte Polymerdispersionen hergestellt werden, die anschließend getrocknet werden. Anspruch 1 basiert im Wesentlichen auf einer Kombination des ursprünglichen Anspruchs 1 (Verfahren zur Herstellung von polyvinylalkohol stabilisierten Polymerdispersionen, hergestellt durch Emulsionspolymerisation) mit

- dem ursprünglichen Anspruch 6 (in Wasser redispergierbare Polymerpulver-Zusammensetzungen erhältlich durch Trocknung der polyvinylalkohol stabilisierten Polymerdispersionen),

- den auf Seite 10, Zeilen 21-23 der ursprünglichen Beschreibung offenbarten Trocknungsmethoden (Wirbelschicht-, Gefrier- und Sprühtrocknung),

- der auf Seite 3, Zeilen 10-12 offenbarten Temperaturobergrenze von 140º (bei Temperaturen nicht über 140ºC), und

- dem ursprünglichen Anspruch 4 (Polymerisation in Abwesenheit von Emulgator).

Diese Änderungen sind explizit in der ursprünglichen Anmeldung offenbart, so dass die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt sind.

2.2 Außerdem ist Anspruch 1 dahingegen präzisiert worden, dass

- als Initiatoren ausschließlich für die Emulsionspolymerisation gebräuchliche wasserlösliche Initiatoren oder Redox-Initiator-Kombinationen verwendet werden, und

- die Reaktionstemperatur auf eine Zieltemperatur von mindestens 120ºC angehoben wird.

2.2.1 Die Grundlage für die Präzisierung der Initiatoren findet sich auf Seite 7, Zeilen 27-29 der ursprünglichen Anmeldung. Diese Passage verweist darauf, dass die Initiierung der Polymerisation mit den für die Emulsionspolymerisation gebräuchlichen wasserlöslichen Initiatoren oder Redox-Initiator-Kombinationen erfolgt. Anschließend werden Beispiele für wasserlösliche Initiatoren und Redox-Initiator-Kombinationen aufgeführt (Seite 7, Zeile 29 bis Seite 8, Zeile 7 der ursprünglichen Anmeldung). Aus der Tatsache, dass außer diesen wasserlöslichen Initiatoren keine anderen Initiatoren genannt werden und auch in den Beispielen der ursprünglichen Anmeldung nur wasserlösliche Initiatoren verwendet werden, ergibt sich für den Fachmann unweigerlich, dass die Initiierung der Polymerisation ausschließlich mit den für die Emulsionspolymerisation gebräuchlichen wasserlöslichen Initiatoren oder Redox-Initiator-Kombinationen erfolgt. Der in Anspruch 1 gewählte Wortlaut hinsichtlich der Präzisierung der Initiatoren ist daher unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zu beanstanden.

2.2.2 Das Merkmal, dass "die Reaktionstemperatur auf eine Zieltemperatur von mindestens 120ºC angehoben wird" stellt eine weitere Präzisierung der Polymerisationsführung dar. Zunächst schreibt Anspruch 1 vor, dass mindestens 60% des Gesamtumsatzes der Emulsionspolymerisation bei einer Temperatur von 100ºC bis 140ºC abläuft. Das zusätzliche Merkmal fordert nun, dass die Reaktionstemperatur auf eine Zieltemperatur von mindestens 120ºC angehoben werden muss. Dabei handelt es sich in der Tat um ein zusätzliches Merkmal, durch das zum Beispiel eine Polymerisation lediglich an der Untergrenze des Temperaturbereichs von 100-140ºC ausgeschlossen wird. Ein Widerspruch zu dem mit dem Umsatz verknüpften Temperaturbereich von 100-140ºC entsteht durch das neue Merkmal somit nicht.

Obwohl dieses neue Merkmal, das die Polymerisationsführung betrifft, keine explizite Stütze in der allgemeinen Beschreibung findet, erschließt sich dieses Merkmal für den Fachmann eindeutig aus der Gesamtbetrachtung der ursprünglichen Anmeldung. So wird in der Beschreibung der ursprünglichen auf Seite 2, Zeilen 22-25 darauf hingewiesen, dass ein wesentlicher Aspekt der vorliegenden Anmeldung die Polymerisation bei höheren Temperaturen ist. Aus den Beispielen der ursprünglichen Anmeldung erhält der Fachmann weitere Angaben, wie diese Polymerisation bei höheren Temperaturen zu verstehen ist. So wird zum einen angegeben, wie hoch der Umsatz bei Erreichen der 100ºC-Marke ist (Dispersion D1: 35%; Dispersion D5: 40%). Durch diese Angabe wird gezeigt, dass, wie in Anspruch 1 gefordert, mindestens 60% des Umsatzes zwischen 100ºC und der Obergrenze von 140ºC erfolgen. Auf der anderen Seite kann der Fachmann aus den Beispielen aber auch erkennen, dass die Zieltemperatur, bis zu der die Reaktionstemperatur angehoben wurde, immer deutlich über 100ºC liegt. So beträgt die Zieltemperatur bei der Dispersion D1 120ºC und bei den Dispersionen D2 und D5 135ºC. Aus den Beispielen geht für den Fachmann somit eindeutig hervor, dass die Zieltemperatur der Emulsionspolymerisation deutlich über 100ºC liegen muss. Die Verallgemeinerung der Zieltemperatur von 120ºC (Herstellung der Dispersion D1) als Untergrenze ist nach Ansicht der Kammer im vorliegenden Fall gerechtfertigt, da in den Beispielen auch gezeigt wird, dass diese Zieltemperatur von mindestens 120ºC für verschiedene Monomerkombinationen gilt. So werden in den Dispersionen D1 und D2 Vinylacetat und Ethylen copolymerisiert und in der Dispersion D5 Butylacrylat und Methylmethacrylat (die Dispersionen D3 und D4 sind Vergleichsbeispiele). Die Einführung des Merkmals, dass "die Reaktionstemperatur auf eine Zieltemperatur von mindestens 120ºC angehoben wird", in den Anspruch 1 ist daher unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zu beanstanden.

2.3 Die abhängigen Ansprüche 2-4 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2, 3 und 5, wobei in den Ansprüchen 2 und 3 ein offensichtlicher Fehler korrigiert worden ist.

2.4 Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Ansprüche 1-4 die Erfordernisse der Artikel 84 und 123(2) EPÜ erfüllen.

3. Neuheit

Die Prüfungsabteilung hat die Neuheit des Gegenstandes der Ansprüche 1-4 des ihr vorliegenden Hilfsantrags anerkannt (Punkt 2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung). Die Kammer sieht keinen Anlass, diese Feststellung der Prüfungsabteilung in Frage zu stellen.

Da der vorliegende Anspruch 1 gegenüber dem der Prüfungsabteilung vorliegenden Anspruch 1 des Hilfsantrags weiter eingeschränkt worden ist, gilt diese Feststellung bezüglich der Neuheit um so mehr für Anspruch 1 (und die abhängigen Ansprüche 2-4) des nun vorliegenden Antrags. Eine ausführliche Diskussion der im Prüfungsverfahren Dokumente erübrigt sich daher.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Wie bereits erwähnt, betrifft Anspruch 1 ein Verfahren zur Herstellung von in Wasser redispergierbaren Polymerpulver-Zusammensetzungen, wobei zunächst durch Emulsionspolymerisation polyvinylalkoholstabilisierte Polymerdispersionen hergestellt werden, die anschließend getrocknet werden.

Auf Seite 1, Zeile 32 bis Seite 2, Zeile 7) wird ausgeführt, dass bei der Emulsionspolymerisation aus apparativen Gründen Temperaturen über 100ºC üblicherweise nicht vorgesehen sind. Außerdem soll in den meisten Fällen eine steigende Polymerisationstemperatur die anwendungstechnischen Eigenschaften des Produktes beeinträchtigen. Der Anmelder hat sich daher die Aufgabe gestellt, ein ökonomischeres Verfahren zu entwickeln, ohne dass dabei die Eigenschaften der Produkte negativ beeinflusst werden (Seite 2, Zeilen 17-25 der ursprünglichen Anmeldung). Ein Verfahren, das bei "üblichen" Temperaturen zu redispergierbaren Polymerpulvern mit guten anwendungstechnischen Eigenschaften führt, ist daher als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Ein solches Verfahren wird in Dokument D3 beschrieben, von dem auch die Prüfungsabteilung und der Beschwerdeführer als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen sind.

4.2 Dokument D3 beschreibt schutzkolloidstabilisierte Polymerisate in Form deren wässriger Dispersionen und in Wasser redispergierbarer Pulver, wobei als Schutzkolloid spezifische teilverseift Vinylacetat-Ethylen-Copolymerisate eingesetzt werden (Anspruch 1). Diese Vinylacetat-Ethylen-Copolymerisate sind modifizierte Polyvinylalkohole, wie sie auch in der vorliegenden Anmeldung verwendet werden (Seite 9, Zeilen 2-15 der ursprünglichen Anmeldung). Die Herstellung der Basispolymerisate in Dokument D3 erfolgt nach dem Emulsionspolymerisationsverfahren oder nach dem Suspensionspolymerisationsverfahren, vorzugsweise nach dem Emulsionspolymerisationsverfahren, wobei die Polymerisationstemperatur im Allgemeinen 40ºC bis 100ºC, vorzugsweise 60ºC bis 80ºC beträgt (D3, Absatz [0019]). Emulgatoren werden in Dokument D3 nicht erwähnt. In Beispiel 1 der D3 wird eine Emulsionspolymerisation ohne Emulgator in Anwesenheit von modifiziertem Polyvinylalkohol bei 55ºC durchgeführt, einer Temperatur, die auch in den anderen Beispielen verwendet wird. Die in Beispiel 1 der D3 beschriebene Emulsionspolymerisation unterscheidet sich von der in Anspruch 1 geforderten Emulsionspolymerisation damit lediglich durch die Polymerisationsführung (Umsatz, Temperatur) und ist ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

4.3 Der Beschwerdeführer hat mit seiner Beschwerdebegründung Vergleichsversuche vorgelegt, die beweisen, dass bei Wiederholung des Beispiels 1 des Dokuments D3 unter den Bedingungen des Anspruchs 1 - mindestens 60% des Gesamtumsatzes der Polymerisation bei 100ºC bis 140ºC und Anhebung auf eine Zieltemperatur von 120ºC - eine Verkürzung der Polymerisationszeit erreicht wird, ohne dass sich die Qualität der damit erhaltenen Produkte verschlechtert. Mit der Vorgehensweise gemäß Anspruch 1 verkürzt sich die Polymerisationsdauer von 180 Minuten auf 140 Minuten, d. h. um mehr als 20%. Analog den Angaben in der ursprünglichen Anmeldung wurden Rieselfähigkeit, Blockfestigkeit und Absitzverhalten der Pulver gemäß Beispiel 1 des Dokuments D3 und gemäß Anspruch 1 getestet. Die erhaltenen Werte zeigen Produkte mit vergleichbarer Qualität.

Die vom Beschwerdeführer eingereichten Versuche zeigen somit, dass die in der ursprünglichen Anmeldung formulierte Aufgabe (Punkt 4.1, oben) auch die objektive technische Aufgabe ist, nämlich die Bereitstellung eines im Vergleich zum Stand der Technik ökonomischeren Verfahrens, ohne dass dabei die Eigenschaften der Produkte negativ beeinflusst werden. Nicht nur die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Beispiele, sondern auch die Beispiele in der ursprünglichen Anmeldung zeigen, dass diese Aufgabe durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 gelöst wird.

4.4 Es bleibt zu untersuchen, ob die in Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt wird.

4.4.1 Dokument D3 erwähnt Polymerisationstemperaturen von 40-100ºC, vorzugsweise von 60-80ºC (Absatz [0019]). Ein Hinweis darauf, diesen Temperaturbereich zu überschreiten, noch dazu deutlich über 100ºC, ist dem Dokument D3 nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, die Lehre des Dokuments D3 geht dahin, die Polymerisation auf weit niedrigerem Temperaturniveau durchzuführen, wie die bevorzugte Temperatur von 60-80ºC und das Arbeiten in den Beispielen bei nur 55ºC zeigen.

4.4.2 Auch die anderen im Verfahren befindlichen Dokumente können nicht zur Lösung der Aufgabe beitragen.

Dokument Dl betrifft ein Verfahren zur Herstellung von sehr feinteiligen Polymerisaten, wobei die Polymerisation unter Einwirkung hoher Scherkräfte nach dem Mikrosuspensions- oder Mikroemulsions-Polymerisationsverfahren durchgeführt wird, und zur Kontrolle des Molekulargewichtes im Beisein eines stabilen N-Oxyl-Radikals polymerisiert wird. Die Reaktionstemperatur beträgt bevorzugt > 90ºC, vorteilhaft > 90-180ºC, besonders vorteilhaft 100-150ºC (Seite 18, Zeilen 18-19). Die erhaltene Polymerisatdispersion wird in der Regel mittels Ausfällen durch ein koagulierendes Fällmittel zu einem partikelförmigen Polymerisat aufgearbeitet (Seite 18, Zeilen 28-32). Aus dem Dokument D1 geht nicht hervor, dass redispergierbare Pulver erhalten werden. Außerdem wird in Anwesenheit von Emulgatoren polymerisiert (Seite 4, Zeilen 57-68).

Dokument D2 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von wässrigen Polymerdispersionen durch Emulsionspolymerisation von wenigstens einer ethylenisch ungesättigten Verbindung (Monomer) in Anwesenheit wenigstens eines Dispergiermittels sowie wenigstens eines wasserlöslichen und eines öllöslichen Radikal initiators, wobei die Polymerisationstemperatur im Laufe der Polymerisation von der Startreaktionstemperatur TS auf die Endreaktionstemperatur TE ansteigt. Gemäß Anspruch 5 des Dokuments D2 ist TS >= 30 bis <= 120ºC und TE >= 80 bis <= 200ºC. Auch aus dem Dokument D2 geht nicht hervor, dass es sich bei den aus den wässrigen Polymerdispersionen erhältlichen Polymerisatpulvern um redispergierbare Pulver handelt. Außerdem wird in Anwesenheit eines öllöslichen Initiators polymerisiert.

Dokument D4 betrifft ein Verfahren zur Herstellung niedrigviskoser wässriger Polymerisatdispersionen mit polymodaler Verteilung der Polymerisatteilchengrößen durch radikalische Emulsionspolymerisation nach einem Zulaufverfahren in zwei Stufen. Die Herstellung redispergierbarer Pulver wird nicht erwähnt. Auch erfolgt die Polymerisation in Anwesenheit von Emulgatoren (Seite 4, Zeilen 54-56, Beispiele). Auf Seite 4, Zeilen 62-67 wird ausgeführt, dass die Polymerisationstemperatur in erster Linie von dem jeweils verwendeten Initiatorsystem abhängt und allgemein bei Temperaturen zwischen Raumtemperatur und 100ºC gearbeitet wird. Es ist jedoch auch möglich bei Unter- oder Überdruck zu arbeiten, so dass die Polymerisationstemperatur auch 100ºC überschreiten und bis 130ºC betragen kann.

Allein die Tatsache, dass die Dokumente D1, D2 und D4 höhere Temperaturen für die Emulsionspolymerisation offenbaren, ist noch kein Hinweis darauf, dass der Fachmann diese höheren Temperaturen auch in dem Verfahren des nächstliegenden Standes der Technik, d. h. in Dokument D3, anwenden würde, um die objektive Aufgabe zu lösen. Aus der obigen Analyse der Dokumente D1, D2 und D4 geht klar hervor, dass es sich bei den in den Dokumenten D1 und D2 beschriebenen Verfahren um deutlich von D3 verschiedene Emulsionspolymerisationen handelt (mit Emulgator, anderes Initiatorsystem). Es erscheint prinzipiell nicht möglich, einzelne Verfahrensmerkmale aus dem Gesamtoffenbarungsgehalt der Dokumente D1, D2 oder D4 herauszugreifen, insbesondere eine höhere Polymerisationstemperatur, und diese auf das Verfahren gemäß Dokument D3 zu übertragen, zumal der Fachmann nicht erwarten konnte, dass die Produkteigenschaften erhalten bleiben. Eine Kombination des Dokuments D3 mit den Dokumenten D1, D2 oder D4 beruht nach Auffassung der Kammer auf einer ex post facto Analyse, deren Anwendung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht statthaft ist. Diese Schlussfolgerung, dass Verfahrensmerkmale nicht einfach aus dem Kontext herausgelöst werden dürfen (und können!), wird durch ein Vergleichsbeispiel in der ursprünglichen Anmeldung gestützt (Dispersion D3). In diesem Vergleichsbeispiel wird die Polymerisationstemperatur auf 150ºC angehoben, d. h. auf eine Temperatur die sowohl in Dokument D1 als auch in Dokument D2 für die dort beschriebenen Emulsionspolymerisationen vorgesehen sind, im Falle von Dokument D1 sogar als besonders bevorzugt. Aber die Dispersion D3 koaguliert bereits beim Abkühlen, so dass die Herstellung redispergierbarer Pulver aus dieser Dispersion nicht gelingt, wie die Auswertung der Pulver in den Tabellen 1 und 2 der ursprünglichen Anmeldung zeigt.

4.5 Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 (und damit auch der abhängigen Ansprüche 2-4) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen:

Ansprüche

Nr. 1 bis 4, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2009.

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