T 0837/09 () of 11.7.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T083709.20110711
Datum der Entscheidung: 11 Juli 2011
Aktenzeichen: T 0837/09
Anmeldenummer: 03019433.6
IPC-Klasse: B66B 11/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Anordnung von Antriebsmaschine einer Aufzuganlage
Name des Anmelders: Inventio AG
Name des Einsprechenden: Otis Elevator Company
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0995/16

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 6. Februar 2009 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass das europäische Patent Nr. 1 400 477 in seiner geänderten Fassung die Erfordernisse des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) erfüllt.

II. In der geänderten Fassung lauten die unabhängigen Patentansprüche 1 und 9 wie folgt, wobei die Bezeichnungen a1) bis a9) von der Kammer eingefügt wurden:

"1.

a1) Aufzugsanlage mit einer Kabine (11) und einem Gegengewicht (12) in einem Schacht (10),

a2) die Kabine (11) ist von einer ersten Kabinenführung (5) und von einer zweiten Kabinenführung (5') und das Gegengewicht (10) ist von zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') geführt, die weitgehend vertikal angeordneten Führungen (5, 5', 9, 9') sind an nächstliegenden Wänden im Schacht (10) befestigt,

a3) wobei die zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') und die erste Kabinenführung (5) an eine erste Wand und die zweite Kabinenführung (5') an eine zweite Wand befestigt sind, welche zweite Wand der ersten Wand gegenüber liegt,

a4) die zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') und jeweils eine der beiden Kabinenführungen (5, 5') spannen im Schacht (10) ein weitgehend horizontales Dreieck (T) auf, wobei eine horizontale Verbindende zwischen den beiden Gegengewichtsführungen eine erste Seite des Dreiecks (T) bildet und jeweils eine weitere horizontale Verbindende zwischen jeweils einer der Gegengewichtsführungen (9, 9') und einer der beiden Kabinenführungen (5, 5') eine zweite und dritte Seite des Dreiecks (T) bilden,

a5) mit einer auf einer Traverse (8) montierten Antriebsmaschine (1, 2, 3, 3', 4, 40), welche Traverse (8) an den zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') und an der ersten Kabinenführung (5) befestigt ist, dadurch gekennzeichnet, dass die erste Kabinenführung (5) weitgehend mittig zwischen den zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') angeordnet ist,

a6) dass die Traverse (8) über zwei Endbereiche an je einer Gegengewichtsführung (9, 9') und mit einem mittleren Bereich an der ersten Kabinenführung (5) befestigt ist,

a7) dass die Antriebsmaschine (1, 2, 3, 3', 4, 40) getriebelos ist und zwei Treibscheiben (3, 3') aufweist,

a8) dass die zwei Treibscheiben (3, 3') symmetrisch, links und rechts von einer horizontalen Verbindenden der beiden Kabinenführungen (5, 5') angeordnet sind, und

a9) dass die Treibscheiben über eine Welle (4) mit einem Motor (1) und einer Bremse (2) wirkverbunden sind, wobei die Treibscheiben (3, 3') zwischen dem Motor (1) und der Bremse (2) auf der Welle angeordnet sind."

9. Verfahren zur Anordnung einer Antriebsmaschine (1, 2, 3, 3', 4, 40) einer Aufzugsanlage, mit einer Kabine (11) und einem Gegengewicht (12) in einem Schacht (10), die Kabine (11) wird von einer ersten Kabinenführung (5) und von einer zweiten Kabinenführung (5') und das Gegengewicht (10) wird von zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') geführt, die weitgehend vertikal angeordneten Führungen (5, 5', 9, 9') werden an nächstliegenden Wänden im Schacht (10) befestigt, wobei die zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') und die erste Kabinenführung (5) an eine erste Wand und die zweite Kabinenführung (5') an eine zweite Wand, welche der ersten Wand gegenüberliegt, befestigt werden, die zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') und jeweils eine der beiden Kabinenführungen (5, 5') spannen im Schacht (10) ein weitgehend horizontales Dreieck (T) auf, wobei eine horizontale Verbindende zwischen den beiden Gegengewichtsführungen eine erste Seite des Dreiecks (T) bildet und jeweils eine weitere horizontale Verbindende zwischen jeweils einer der Gegengewichtsführungen (9, 9') und einer der beiden Kabinenführungen (5, 5') eine zweite und dritte Seite des Dreiecks (T) bilden, eine Antriebsmaschine (1, 2, 3, 3', 4, 40) wird auf einer Traverse montiert und die Traverse (8) wird an den zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') und an der ersten Kabinenführung (5) befestigt, dadurch gekennzeichnet, dass die erste Kabinenführung (5) weitgehend mittig zwischen den zwei Gegengewichtsführungen (9, 9') angeordnet wird, dass die Traverse (8) über zwei Endbereiche an je einer Gegengewichtsführung (9, 9') und mit einem mittleren Bereich an der ersten Kabinenführung (5) befestigt wird, dass die Antriebsmaschine (1, 2, 3, 3', 4, 40) getriebelos und mit zwei Treibscheiben (3, 3') ausgeführt wird, dass die zwei Treibscheiben (3, 3') symmetrisch, links und rechts von einer horizontalen Verbindenden der beiden Kabinenführungen (5, 5') angeordnet werden, und dass die Treibscheiben über eine Welle (4) mit einem Motor (1) und einer Bremse (2) wirkverbunden wird, wobei die Treibscheiben (3, 3') zwischen dem Motor (1) und der Bremse (2) auf der Welle angeordnet werden."

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und beantragte den Widerruf des Patents.

Mit der Beschwerdebegründung wies die Beschwerdeführerin auf folgende Entgegenhaltungen hin:

D1: WO 01/27015

D2: US 2002/0070080

D3: US 2002/0100902

D4: WO-A-99/43593

D5: Installation Manual, National Elevator Manufacturing Industry, 1964

D6: EP-A2-0 905 081

D8: DE-U-92 05 254

D9: "Inside the World of Elevators", OTIS 1990

D10: WO-A-00/58706

IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Zurückweisung der Beschwerde.

V. In ihrer nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Mitteilung äußerte die Beschwerdekammer ihre vorläufige Meinung, wobei sie auf den Einwand unter Artikel 100 a) EPÜ (fehlende erfinderische Tätigkeit) einging. Zusätzlich war die Kammer der Auffassung, dass das Dokument D10 (erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht) nicht ausreichend relevant sei, um es ins Verfahren zuzulassen.

VI. Am 11. Juli 2011 wurde vor der Kammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Sie reichte ein weiteres Dokument (D11) ein, in dem die Kräfteverteilung zwischen D2 und einer Anlage gemäß dem Streitpatent verglichen wurde.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

D2 offenbare eine Aufzugsanlage mit den Merkmalen a1), a4) bis a6) und a8) und Teilaspekte der Merkmale a2), a3), a7) und a9). Die Unterschiede des Anspruchs 1 gegenüber D2 seien nur die Befestigungen der Führungen gemäß den Merkmalen a2) und a3) sowie die "getriebelose" Antriebsmaschine gemäß Merkmal a7) und die Anordnung der Treibscheiben "zwischen dem Motor und der Bremse" gemäß Merkmal a9).

Ausgehend von D2 lösten diese unterscheidenden Maßnahmen objektiv zwei Teilaufgaben, erstens die Verhinderung eines seitlichen Ausknickens der Führungsschienen und zweitens die Wahl einer geeigneten Anordnung der Bremse und des Motors bezüglich der Lage der Treibscheiben.

Die Lösung der ersten Teilaufgabe sei aufgrund der Lehre von D1, D5 oder D9 naheliegend. In Anbetracht der zweiten Teilaufgabe seien die Merkmale a7) und a9) aus D3 bekannt. Die Vorteile einer getriebelosen Antriebsmaschine seien in D3, D4 und D6 offenbart, und die Antriebsmaschine gemäß D2 sei aufgrund ihres Aufbaus offensichtlich für einen getriebelosen Antrieb geeignet. Der Einsatz einer getriebelosen Antriebsmaschine in D2 sei folglich naheliegend. Außerdem entspreche die Anordnung der Treibscheiben, des Motors und der Bremse der in D3 gezeigten (siehe z.B. Fig. 4) der Anordnung gemäß Merkmal a9), wobei die Mehrzahl der Abschnitte 122 der Treibscheibe mit den zwei Treibscheiben gemäß Anspruch 1 funktionell vergleichbar seien. D3 lehre in Absatz [0038], dass die Wahl der Lage der Bremse gegenüber dem Motor und der Treibscheibe eine Flexibilität in der Positionierung der Antriebsmaschine erlaube. Gleichzeitig offenbare D2 (siehe [0082]), dass die Lage der Treibscheiben verändert werden könne, so dass keine parallele Anordnung der Seile mehr vorhanden sei. Es sei in D2 nicht offenbart, dass die vier Scheiben 26 - 29 an den vier Ecken der Kabine angeordnet sein müssten. Für den Fachmann sei es daher ausgehend von D2 naheliegend, eine geeignete Anordnung von Treibscheiben/Bremse/Motor gemäß D3 zu wählen. Bei der Übernahme der Anordnung aus D3 sei es zusätzlich gemäß Merkmal a8) auch naheliegend, die fünf Abschnitte der Treibscheibe in D3 symmetrisch beidseits einer horizontalen Verbindenden der beiden Kabinenführungen der D2 anzuordnen. In dieser Hinsicht sei zu bemerken, dass die Beschwerdegegnerin keinen technischen Effekt der beanspruchten Anordnung angegeben habe.

Weiterhin zeige auch D10, dass eine Anordnung gemäß Merkmal a9) bekannt sei.

Die gleichen Argumente zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit würden auch für Anspruch 9 gelten.

VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:

D2 sei als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten. Zusätzlich zu den von der Beschwerdeführerin gegenüber Anspruch 1 angegebenen Unterschieden, unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von D2 durch die Anordnung der Treibscheiben auf einer Welle und nicht, wie in D2 gezeigt, auf zwei Wellen 42, 43. Eine getriebelose Antriebsmaschine anzuwenden sei auch bei einer Mehrzahl von Antriebswellen nicht naheliegend. Ausgehend von D2 sei bezüglich der Merkmale a2)/a3) und a7)/a9) eine gemeinsame Aufgabe zu lösen, nämlich eine platzsparende und kompakte Anlage zu ermöglichen. So seien beispielsweise aufgrund der Merkmale a8) und a9) des Anspruchs 1 die beiden Treibscheiben näher an der Kabinenführung 5 als die Treibscheiben 44, 45 in D2. Dadurch werde eine bessere Kräfteverteilung im Vergleich zu D2 erreicht. Diese verbesserte Kräfteverteilung sei in D11 deutlich erkennbar.

D2 offenbare eine Aufzugsanlage, in der die Treibscheiben relativ weit auseinander angeordnet seien, um die Stabilität des Aufzugs zu gewährleisten. Ohne diese Anordnung der Treibscheiben ginge die offenbarte Stabilität verloren. Selbst wenn der Fachmann eine getriebelose Antriebsmaschine gemäß D3 in der Anlage gemäß D2 einsetze, sei es trotzdem nicht naheliegend die Bremse und den Motor gemäß Fig. 4 der D3 mit der Anordnung in D2 auszutauschen, weil D3 nur eine einzige Treibscheibe offenbare. Da diese Treibscheibe fünf nebeneinander angeordneten Treibrillen aufweise, sei eine symmetrische Anordnung der Rillen links und rechts einer horizontalen Verbindenden gemäß Merkmal a8) nicht möglich. Ausgehend von D2 gelange der Fachmann daher nicht ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Entscheidungsgründe

1. In Übereinstimmung mit den Parteien geht die Kammer von D2 als nächstliegendem Stand der Technik aus.

Unter Bezugnahme auf die Bezeichnungen a1) bis a9) des Anspruchs 1 (siehe Punkt II oben - die Bezugszeichen aus D2 sind eingeklammert) offenbart D2 (siehe insbesondere Figuren 1 bis 5 und die Beschreibung in Absätzen [0045] bis [0055]) folgende Merkmale des Anspruchs 1:

a1) Aufzugsanlage (100) mit einer Kabine (20) und einem Gegengewicht (30) in einem Schacht (7),

a2) die Kabine (20) ist von einer ersten Kabinenführung (22) und von einer zweiten Kabinenführung (21) und das Gegengewicht (30) ist von zwei Gegengewichtsführungen (30, 31) geführt, ...

a4) die zwei Gegengewichtsführungen (30, 31) und jeweils eine der beiden Kabinenführungen (21, 22) spannen im Schacht (7) ein weitgehend horizontales Dreieck auf, wobei eine horizontale Verbindende zwischen den beiden Gegengewichtsführungen eine erste Seite des Dreiecks bildet und jeweils eine weitere horizontale Verbindende zwischen jeweils einer der Gegengewichtsführungen (30, 31) und einer der beiden Kabinenführungen (21, 22) eine zweite und dritte Seite des Dreiecks bilden,

a5) mit einer auf einer Traverse (33) montierten Antriebsmaschine (41), welche Traverse (33) an den zwei Gegengewichtsführungen (30, 31) und an der ersten Kabinenführung (22) befestigt ist, wobei die erste Kabinenführung (22) weitgehend mittig zwischen den zwei Gegengewichtsführungen (31, 32) angeordnet ist,

a6) die Traverse (33) über zwei Endbereiche an je einer Gegengewichtsführung (31, 32) und mit einem mittleren Bereich an der ersten Kabinenführung (22) befestigt ist (siehe z.B. Absatz [0052]),

a7) die Antriebsmaschine (41) ... zwei Treibscheiben (44, 45) aufweist,

a8) die zwei Treibscheiben (44, 45) symmetrisch, links und rechts von einer horizontalen Verbindenden der beiden Kabinenführungen (21, 22) angeordnet sind, und

a9) die Treibscheiben (44, 45) ... mit einem Motor und einer Bremse (ein Motor und eine Bremse sind implizit vorhanden) wirkverbunden sind, ... .

2. Die Unterschiede der Aufzugsanlage des Anspruchs 1 gegenüber D2 sind folgende:

aus a2): die weitgehend vertikal angeordneten Führungen sind an nächstliegenden Wänden im Schacht befestigt,

a3): wobei die zwei Gegengewichtsführungen und die erste Kabinenführung an eine erste Wand und die zweite Kabinenführung an eine zweite Wand befestigt sind, welche zweite Wand der ersten Wand gegenüber liegt,

aus a7): dass die Antriebsmaschine getriebelos ist,

aus a9): dass die Treibscheiben über eine Welle mit einem Motor und einer Bremse wirkverbunden sind und die Treibscheiben zwischen dem Motor und der Bremse auf der Welle angeordnet sind.

2.1 Bezüglich Merkmal a9) argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die Treibscheiben 44 und 45 in D2 "über eine Welle mit dem Motor und der Bremse" wirkverbunden seien. Nur weil das Wort "shafts" benutzt werde, bedeute dieses noch nicht, dass zwei Wellen vorhanden seien; in der Figur seien die Wellen offensichtlich Endteile einer einzigen Welle.

Absatz [0054] offenbart jedoch zwei Wellen 42 und 43, die aus den beiden Enden der Antriebseinheit 41 hinausragen, und an denen die Treibscheiben 44 und 45 montiert sind. Obwohl es möglich wäre, dass die als Wellen ("shafts") bezeichneten Elemente 42 und 43 Endsegmente einer einzigen Welle bilden, ist dieses Merkmal D2 nicht eindeutig und zweifelsfrei entnehmbar, weder explizit noch implizit. D2 offenbart dieses Merkmal folglich nicht.

3. Durch diese Unterschiede sind zwei objektive Teilaufgaben gelöst, erstens durch die Unterschiede a2)/a3) die Verhinderung eines seitlichen Ausknickens der Führungsschienen, und zweitens durch a7)/a9) eine alternative Antriebsanordnung für die in D2 gezeigte Aufzugsanlage. Eine gemeinsame zu lösende Aufgabe ist nach Auffassung der Kammer nicht vorhanden.

3.1 Entgegen der Auffassung der Kammer sieht die Beschwerdeführerin die zweite Teilaufgabe in der Wahl einer geeigneten Anordnung der Bremse und des Motors zur Lage der Treibscheiben. Die Treibscheiben, die Bremse und der Motor seien bereits in D2 offenbart.

Obwohl der Beschwerdeführerin insoweit zuzustimmen ist, dass Treibscheiben, Motor und Bremse in der Antriebsmaschine offenbart sind, nimmt die von der Beschwerdeführerin angenommene Aufgabe jedoch keinen Bezug auf eine "getriebelose Antriebsmaschine", die jedoch ein Merkmal des Anspruchs 1 ist und nicht in D2 offenbart ist. Zusammen mit diesem Merkmal ist die objektive Aufgabe ausgehend von D2 daher die Wahl einer alternativen Antriebsanordnung, und nicht nur die Auswahl der Lage der einzelnen Komponenten der Antriebsanordnung.

3.2 Entgegen der Auffassung der Kammer meint die Beschwerdegegnerin, die Merkmalskombination a2)/a3) und a7)/a9) löse eine gemeinsame Aufgabe, nämlich eine platzsparende und kostengünstige Aufzugsanlage bereitzustellen. Dies sei deshalb der Fall, weil die Merkmale a2)/a3) und a7)/a9) ein Entfallen einer oberen Verbindung implizierten.

Diese Aufgabe ist jedoch nicht als die objektive Aufgabe anzusehen, weil die Merkmale des Anspruchs 1 weder Größe, noch Bauart der Antriebsmaschine oder eine Lage der Treibscheiben nahe der zentralen Kabinenführung definieren. Ohne diese Merkmale kann eine platzsparende Anlage nicht gewährleistet werden. Außerdem ist eine Verbindung zwischen den Kabinenschienen in Anspruch 1 nicht ausgeschlossen.

Hierzu zeigt die von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung eingereichte D11 eine Kräfteverteilung einer möglichen Ausführungsform des Streitpatents, bei der die Treibscheiben 3, 3' näher an der Kabinenführungsschiene als in D2 angeordnet sind. Die Anlage gemäß Anspruch 1 definiert den Abstand zwischen den Treibscheiben jedoch nicht, so dass ein Abstand größer als bei D2 durchaus möglich wäre. Die Argumente zur Kräfteverteilung am Beispiel von D11 können deshalb im Hinblick auf den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durchgreifen.

3.3 D2 zeigt (siehe z.B. [0031] bis [0034]), dass die Last (Kabine und Gegengewicht) nicht von dem Gebäude getragen werden muss, sondern von den Führungsschienen. Diese Anordnung ist selbsttragend, weil die vertikalen Kräfte in die Wände des Schachts nicht eingeleitet werden müssen. Trotzdem ist es aus Sicherheitsgründen üblich, die Gefahr eines seitlichen Ausknickens der Führungsschiene zu vermeiden. So ist es dem Fachmann geläufig (siehe z.B. D1, Figur 3 und Seite 6, Zeilen 7 bis 25; D5, Skizze 1G, und Skizze 2; D9, Seite 3), Führungsschienen an den nächstliegenden Wänden zu befestigen.

Um die Aufgabe eines seitlichen Ausknickens der Führungsschienen zu lösen, ist es für den Fachmann ausgehend von D2 daher naheliegend, die Befestigungen aus z.B. D1, D5 oder D9 gemäß Merkmale a2) und a3) des Anspruchs 1 aufzunehmen. Damit ist die erste Teilaufgabe auf naheliegende Weise gelöst.

3.4 Ausgehend von D2 und im Hinblick auf die zweite Teilaufgabe liegt es jedoch für den Fachmann nicht nahe, eine Kombination mit den Merkmalen a7) und a9) in Betracht zu ziehen.

3.4.1 Die Art des Antriebs in D2 ist nicht angegeben, aber eine getriebelose Antriebmaschine gemäß Merkmal a7) wäre für den Fachmann an sich eine naheliegende alternative Anordnung zu der in D2, weil die Vorteile/Nachteile einer getriebelosen Antriebsmaschine bekannt sind (siehe z. B. D3, [0002] und [0003]; D4, Seite 5, Zeilen 4 bis 8; oder D6, [0037]). So werden beispielsweise Vibrationen und Geräusche der Anlage durch eine getriebelose Antriebsmaschine reduziert.

3.4.2 Die Merkmale a7) und a9) definieren jedoch auch, dass bei der getriebelosen Antriebsmaschine die beiden Treibscheiben zwischen dem Motor und der Bremse liegen, im Gegensatz zu D2, wo die Treibscheiben links und rechts von der Antriebsmaschine (d.h. der Kombination aus Motor und Bremse) angeordnet sind. Die Lage der Treibscheiben in D2 ist zusätzlich durch eine stabile Aufhängung der Kabine durch weitere Scheiben 26 - 29 bestimmt. In dieser Hinsicht beschreiben Absätze [0026] bis [0029] eine symmetrische Lage der Umlenkscheiben 26 - 29 an der Kabine, bei der der Gewichtsschwerpunkt innerhalb eines dadurch definierten Vierecks liegt. Diese Scheiben 26 - 29 befinden sich an vier voneinander entfernten Eckpunkten an der Kabine. Obwohl diese Lage nur als "bevorzugt" offenbart wird, fehlen jedoch Angaben zu einer alternativen Lage der Scheiben 26 und 28.

3.4.3 Es ist auch anzumerken, dass in D2 die Treibscheiben 44, 45 oberhalb und in den gleichen Ebenen, aber seitlich versetzt zu den Scheiben 26, 28, liegen können. In Absatz [0082] ist weiterhin offenbart, dass der Abstand zwischen den Scheiben 26 und 28 und der Abstand zwischen den Scheiben 27 und 29 nicht gleich sein muss, wobei die Seile 55, 65 unter der Kabine nicht unbedingt parallel laufen müssen. Einen Hinweis auf eine Lage der Scheiben 26 und 28 näher an der Führungsschiene 22 (wobei die Treibscheiben 44, 45 auch versetzt sein könnten) gibt es nicht.

3.4.4 Wenn der Fachmann vor der Aufgabe steht, eine alternative Antriebsanordnung auszuwählen, findet er verschiedene Möglichkeiten getriebeloser Antriebsmaschinen in D3. D3 lehrt auch in Absatz [0038], dass die Lage eines Motors und einer Bremse gegenüber der Treibscheibe geändert werden kann, wobei eine Flexibilität bei der Anpassung an verschiedene Anlagen geschaffen wird. In den Figuren 3, 4 und 5 ist zudem eine Antriebsordnung offenbart, bei der eine Treibscheibe 120 bestehend aus fünf nebeneinander

liegenden Treibflächen 122 ("traction surfaces" - siehe [0040]) zwischen einem Motor 110 und einer Bremse 114 auf einer Welle 112 angeordnet ist.

3.4.5 Mit der Lehre einer innenliegenden Treibscheibe aus D3, aber ohne irgendeinen Hinweis in D2 auf eine Anordnung, bei der die Treibscheiben 45 und 44 näher bei der Führungsschiene 22 angeordnet werden sollen, liegt es daher für den Fachmann nicht nahe, eine getriebelose Antriebsmaschine mit zwei Treibscheiben zwischen der Bremse und dem Motor zu wählen. Da in D2 zwei beabstandete Treibscheiben auf zwei Wellen beidseits einer Antriebsmaschine angeordnet sind und damit die Stabilität der Anlage gewährleistet wird, würde eine Übernahme der Lehre aus D3 in naheliegende Weise nur zu zwei Antriebmaschinen mit je einer Treibscheibe zwischen einem Motor und einer Bremse führen. Eine derartige Anordnung ist auch z.B. in Figur 4 der D8 offenbart, wobei dort keine gemeinsame Welle vorhanden ist. Einen Hinweis auf eine Anordnung, bei der die zwei Treibscheiben 44, 45 aus D2 näher zusammengeführt werden sollen, findet der Fachmann weder in D2 noch in D3.

3.4.6 Würde der Fachmann trotz des Fehlens einer entsprechenden Anregung versuchen, die Lehren aus D2 und D3 zu kombinieren, käme er immer noch nicht zur Lösung gemäß Anspruch 1. Das Merkmal a8) definiert nämlich, dass die zwei Treibscheiben symmetrisch, links und rechts von einer horizontalen "Verbindenden" der beiden Kabinenführungen (21, 22) angeordnet sind. Wenn die zwei Treibscheiben aus D2 durch fünf nebeneinander liegenden Treibflächen aus D3 ersetzt würden, würden alle Treibscheiben - selbst wenn diese Treibflächen technisch äquivalent zu Treibscheiben angesehen würden - nicht symmetrisch links und rechts von der horizontalen Verbindenden liegen, sondern sie würden diese "Verbindende" kontinuierlich überdecken. Ein Hinweis in der Richtung, die aus D3 bekannten Treibflächen 122 anders zu gestalten (z.B. als zwei getrennte Paare von zwei Treibflächen) wodurch das Merkmal a8) erfüllt wäre, ist dem Dokument ebenfalls nicht entnehmbar.

3.4.7 D10 wurde nach Ablauf der Einspruchsfrist erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht, weil D10 ein weiteres Dokument sei, das die Anordnung eines Motors und einer Bremse beidseits einer Treibscheibe offenbare. In den Figuren 6 und 10 sei eine Aufzugsanlage mit einer Antriebsanordnung bestehend aus zwei Treibscheiben zwischen einem Motor und einer Bremse offenbart.

In ihrer nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Mitteilung führte die Kammer aus, dass bezüglich der erfinderischen Tätigkeit nicht ersichtlich sei, "wie und warum der Fachmann tatsächlich die Anordnung der D10 zur Lösung der Teilaufgabe ausgehend von D2 übernehmen würde", und dass D10 nicht ausreichend relevant schien, um in das Verfahren zugelassen zu werden. Diesbezüglich hat sich die Beschwerdeführerin weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung trotz entsprechender Nachfrage geäußert. Die Kammer sieht daher auch keinen Grund, von ihrer vorläufigen Auffassung abzuweichen.

D10 wird daher nicht ins Verfahren zugelassen (Artikel 114(2) EPÜ).

3.5 Die Beschwerdeführerin argumentiert auch, dass die Beschwerdegegnerin keinen technischen Effekt der Merkmale a7)/a9) gegenüber D2 angegeben habe. Im vorliegenden Fall ist die zu lösende Teilaufgabe ausgehend von D2 jedoch die Schaffung einer alternativen Antriebsanordnung. Ein technischer Effekt gegenüber D2 muss in einem solchen Fall dann nicht nachgewiesen werden, wenn die Wahl dieser Alternative nicht ohne erfinderische Tätigkeit aus dem Stand der Technik herleitbar ist. Ein "technischer Effekt" gegenüber D2 kann aber schon darin gesehen werden, dass z.B. eine Anordnung der Treibscheiben 44 und 45 in der dort vom Antriebsmotor 41 eingenommenen Position ermöglicht wird.

3.6 Unter Berücksichtigung des zitierten Standes der Technik beruht daher der Gegenstand des Anspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit.

Da die Beschwerdeführerin zum unabhängigen Anspruch 9 keine abweichenden Argumente im Vergleich zum Gegenstand des Anspruchs 1 vorgebracht hat, gilt die obige Begründung entsprechend auch für das Verfahren nach Anspruch 9.

3.7 Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973 sind somit erfüllt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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