T 0737/09 () of 13.2.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T073709.20120213
Datum der Entscheidung: 13 Februar 2012
Aktenzeichen: T 0737/09
Anmeldenummer: 01955301.5
IPC-Klasse: B60B 35/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fahrzeugachse bestehend aus einem Achsrohr mit angeschweißtem Achsstummel
Name des Anmelders: Otto Sauer Achsenfabrik GmbH
Name des Einsprechenden: BPW Bergische Achsen KG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Zulassung Druckschriften in das Verfahren (D8: ja, D9: nein)
Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1029/96
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 30. März 2009 gegen die am 28. Januar 2009 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent EP 1 301 359 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 3. Juni 2009 eingegangen.

II. Gegen das vorliegende Patent wurde Einspruch eingelegt aufgrund der in Artikel 100 a) EPÜ 1973 genannten Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 als neu anzusehen sei gegenüber den Druckschriften D1: DE 864 408, D2: DE 876 697 und die erfinderische Tätigkeit gegeben sei gegenüber einer Kombination der Druckschriften D6: EP 0 600 198, D7: GB 185 997. Von der Einsprechenden wurde darüber hinaus die folgende Druckschrift im Einspruchsverfahren eingereicht: D4: US 6 039 336.

III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin folgende Druckschrift ein: D8: US 2 480 833. In ihrer Stellungnahme vom 27. Juli 2011 zur Eingabe der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) vom 15. Dezember 2009 nahm die Beschwerdeführerin zusätzlich Bezug auf die Druckschriften D9: US 1 721 695, D10: Fachbuch für Kraftfahrzeugtechnik, Verlag Europa Lehrmittel, 25. Auflage 1994, S. 424

IV. Am 13. Februar 2012 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und zog die Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit Schreiben vom 10. Januar 2012, zurück.

V. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

"Fahrzeugachse (1), insbesondere Starrachse, für Lastkraftwagen und deren Anhänger, mit einem Achsrohr (2), an dessen beiden Enden jeweils ein Achsstummel (3) befestigt ist, auf dem ein Rad lagerbar ist, wobei jeweils nahe dem Achsstummel (3) das Achsrohr (6) durch eine Achseinbindung belastbar ist, deren zwei Abstützungspunkte (4) in einem Abstand voneinander liegen, dadurch gekennzeichnet, dass das Achsrohr (2) in den der Achseinbindung dienenden Bereichen (6) und zwischen deren beiden Abstützungspunkten (4) zu einem größeren Durchmesser aufgeweitet ist."

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Verwendungsangabe "für Lastkraftwagen und deren Anhänger" in Anspruch 1 sei nicht einschränkend, so dass die in D1 bzw. D2 gezeigte Hohlachse für Eisenbahn- bzw. Schienenfahrzeuge den Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt neuheitsschädlich vorwegnehme. Im Übrigen sei eine Eisenbahnachse auch für Lastkraftwagen geeignet, da es neben der optischen Übereinstimmung auch eine Übereinstimmung hinsichtlich der Dimensionierung bei Achsen für Lastkraftwagen und Schienenfahrzeugen (Breite der Achse bei Lastkraftwagen 2,50 m; typische Tragkraft 8 t bei dreiachsiger Ausführung) gebe. Zudem sei die Verwendung für Anhänger nicht näher spezifiziert und umfasse deshalb beliebige Anhänger. Das Merkmal "durch eine Achseinbindung belastbar" beschreibe nur die Möglichkeit einer Belastung des Achsrohres durch eine Achseinbindung, schließe aber nicht das Merkmal einer Achseinbindung selbst ein. Der Schutzgegenstand von Anspruch 1 werde deshalb nur durch Merkmale der Fahrzeugachse selbst bestimmt und nicht durch Merkmale benachbarter Teile, die erst bei deren späteren Einbindung verwirklicht würden. Die in D1 oder D2 gezeigten Radsitze seien aufgeweitet, also belastbar, und deshalb - auch wenn sie einer anderen Funktion dienten - als Bereiche der Achseinbindung aufzufassen; die Räder seien dann am Ende der in D1 oder D2 gezeigten Fahrzeugachse auf den Achsstummeln lagerbar. Das beanspruchte Merkmal eines zu einem größeren Durchmesser aufgeweiteten Achsrohres sei nicht als Verfahrensmerkmal zu interpretieren, sondern beschreibe nur eine größere Weite bzw. einen größeren Außendurchmesser des Achsrohres. Aus Figur 1 in D4 gehe hervor, dass der Durchmesser des Achsrohres im Bereich der Aufweitung 7 vergrößert sei (siehe auch Spalte 3, Zeilen 39 bis 48: "… is enlarged in the region of the welded seam 3 …"). Deshalb sei D4 neuheitsschädlich für den Gegenstand von Anspruch 1, auch wenn das Achsrohr aus D4 einen gleichbleibenden Innendurchmesser zeige. Ein Achsstummel werde zwar in D4 nicht explizit genannt. Aber die in D4 gezeigte Konstruktion mache nur Sinn, wenn am Ende des gezeigten Achsrohres Räder lagerbar seien, d. h. der in Figur 1 in D4 gezeigte Bereich 1 sei als Achsstummel aufzufassen. Diese Achsstummel seien entweder integral mit dem Achsrohr ausgeführt oder über eine stumpfe Verbindung am Achsrohr befestigt. Die Druckschrift D8 sei erst kurz vor Einlegung der Beschwerde bei einer neuen Recherche gefunden worden. Da bereits durch einen Blick auf die Figuren 8 und 12 der in D8 beschriebenen zweiten Ausführungsform ersichtlich werde, dass D8 prima facie relevant für den Gegenstand von Anspruch 1 sei, handele es sich um ein von der Beschwerdekammer im Verfahren zuzulassendes Dokument. Auch wenn D8 in der Achsmitte ein Gehäuse für ein Achsdifferential zeige (siehe Figur 1 oder Figur 12 in Zusammenhang mit dem zweiten Ausführungsbeispiel nach Figur 8), so offenbare D8 das beanspruchte Merkmal eines Achsrohres (siehe auch Spalte 9, Zeilen 30 bis 32: es werde angegeben, dass der Achskörper auch "from a single tubular blank" hergestellt sein könne, also aus einem einstückigen Rohr, welches anschließend mehreren Verformungsschritten unterzogen werde). Der Begriff Achsrohr werde sowohl für mitlaufende Achsen verwendet als auch für angetriebene Achsen in Form eines Achsgehäuses, in dessen Inneren sich eine drehende Welle befinde. Anspruch 1 verlange nicht, dass das Achsrohr durchgängig sein müsse. Der Begriff "Durchmesser" beschreibe ein Maß für die größte Erstreckung eines Rohrquerschnitts und sei deshalb nicht auf kreisförmige Rohre beschränkt, sondern gelte auch für Vierkantrohre. Anspruch 1 verlange keine Aufweitung des Durchmessers über den gesamten Umfang, so dass der in den Figuren 8 und 10 der Druckschrift D8 gezeigte Übergang des kreisrunden Querschnitts zu einem rechteckigen Querschnitt mit einer Aufweitung des runden Achsrohres zumindest in vertikaler Richtung (siehe Figur 10) unter den Anspruchswortlaut falle. Es sei Anspruch 1 auch nicht zu entnehmen, dass die beanspruchte Aufweitung des Achsrohres ausschließlich im Bereich der Achseinbindung vorliege und das Achsrohr sich beiderseits der aufgeweiteten Zone wieder verjünge. D9 sei erst nachträglich im Rahmen einer Recherche zu einem weiteren Einspruchsverfahren ermittelt worden. Allerdings führe die späte Benennung von D9 zu keiner Verfahrensverzögerung. D9 sei von offensichtlicher Relevanz und offenbare alle Merkmale von Anspruch 1. Durch D10 werde belegt, was unter einer Fahrzeugachse zu verstehen sei. Unterstelle man eine enge Auslegung des Begriffs "Aufweitung", so zeige das auf der Außenseite aufgeweitete Achsrohr aus D4 keine entsprechende Aufweitung innen. Ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik sei der Gegenstand von Anspruch 1 für den Fachmann - in seinem Bestreben, das Gewicht der Fahrzeugachse zu verringern unter Beibehaltung hoher Stabilität - durch D8 nahegelegt, da D8 eine auch die Innenkontur betreffende Aufweitung bei gleichbleibender Wandstärke zeige; im Übrigen zeige D8 auch die Befestigung eines Achsstummels am Achsrohr. Der Fachmann würde dabei der Druckschrift D8 nur die Lehre entnehmen, dass ein größerer Durchmesser des Achsrohres bei gleichbleibender Dicke der Rohrwand - wie ihm sein Fachwissen sage - eine höhere Stabilität bedeute, ohne dass er gleichzeitig das runde Achsrohr zu einem rechteckigen Querschnitt umformen müsse. Gehe der Fachmann von dem in D6 gezeigten Achsrohr mit verstärkenden Halbschalen im Bereich der Achseinbindung aus, so suche er nach Lösungen, in denen der durch die Halbschalen bedingte Gewichtsnachteil entfalle. Dabei zeige ihm D7 einen erweiterten Bereich h des Achsrohres (Figuren 7 bis 9 sowie Seite 2, Zeilen 69 bis 71), der mit weniger Material auskomme. Es sei für den Fachmann nicht erforderlich, dass die Wirkung dieser Aufweitung explizit in D7 beschrieben sei, wenn diese Wirkung für ihn aufgrund seines Fachwissens aus der Druckschrift hervorgehe (die Biegefestigkeit eines Rohres sei bekanntlich umso höher, je weiter der Querschnitt des Rohres sei). Da Rundrohre wie in D6 beschrieben häufig aus zwei Halbschalen zusammengeschweißt seien, bestehe für den Fachmann kein Vorurteil dagegen, D6 mit D7 und dem darin gezeigten Achsgehäuse zu kombinieren. Aus Figur 12 in D6 sei zwar keine zweiteilige Ausführung von Achsrohr und Achsstummel zu entnehmen und damit keine Befestigung des Achsstummels am Achsrohr, aber dies sei üblich im Stand der Technik.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Bei Schienenfahrzeugen seien die Räder innen auf dem Achsrohr gelagert, während die Achseinbindung außen an den Enden der Achse erfolge; dies sei bei Lastkraftwagen gerade nicht der Fall. Der Begriff "Achseinbindung" habe dabei im betreffenden Fachgebiet eine einschlägige Bedeutung und beschreibe die Lagerung der Achse am Längslenker. Auch seien die Belastung und die Geometrie bei Achsen für Eisenbahnfahrzeuge (Breite 1,50 m) anders als bei Lastkraftwagen. In D1 (und vergleichbar in D2) seien die Räder in einem aufgeweiteten Bereich 6 des Nabensitzes gelagert, der von einem Teil der Achsstummel mitgebildet werde. Gemäß Anspruchswortlaut ("nahe dem Achsstummel das Achsrohr durch eine Achseinbindung belastbar") liege der Bereich der Achseinbindung daher zur Mitte des Achsrohres hin. Dieser Bereich weise aber in D1 einen konstanten Querschnitt auf und sei deshalb nicht aufgeweitet wie im erteilten Anspruch 1 definiert. D2 zeige zwar eine konische Aufweitung des Achsrohr-Mittelstücks n, jedoch erschließe sich der technische Sinn dieser Aufweitung nicht; zudem sei das Achsrohr-Mittelstück nur von außen gesehen und also jeweils von einer Seite her aufgeweitet. D4 zeige keinen Achsstummel (und auch kein Rad) und damit auch nicht die in Verbindung damit definierten Merkmale. Außerdem zeige D4 ein im Bereich der Achseinbindung verstärktes Achsrohr (siehe Spalte 3, Zeilen 36 bis 48: "reinforced wall region 7"), dass entweder nur einen vergrößerten Außendurchmesser (bei gleichbleibendem Innendurchmesser) oder nur einen verringerten Innendurchmesser (bei gleichbleibendem Außendurchmesser) aufweise, also keine Aufweitung im Sinne des Streitpatents mit gleichzeitiger Vergrößerung von Außen- und Innendurchmesser. D8 hätte schon im Einspruchsverfahren vorgebracht werden können und sei deshalb als verspätet anzusehen. Da D8 ein Achsgehäuse - in der Mitte aufgeweitet zur Aufnahme eines Differentials - zeige und gerade kein Achsrohr, ebenso nicht den Kerngedanken der Erfindung eines im Bereich der Federsitze zu einem größeren Durchmesser aufgeweiteten Achsrohres, sei D8 auch nicht prima facie relevant und als verspätet vorgebracht zurückzuweisen. Der Begriff "Durchmesser" beziehe sich auf kreisförmige Querschnitte, und eine Aufweitung des Durchmessers bedeute - anders als in D8 gezeigt - eine vollumfängliche Aufweitung. Außerdem werde das in D8 gezeigte Achsgehäuse (siehe Figur 1) in Richtung des in der Mitte vorgesehenen Differentialgehäuses zunehmend breiter, so dass der Bereich der Federsitze nicht aufgeweitet sei gegenüber den in Längsrichtung der Achse beidseitig angrenzenden Bereichen. Die verspätet vorgebrachte Druckschrift D9 zeige keinen Achsstummel und im Bereich der Achseinbindung einen Querschnitt, bei dem nicht mehr von einem Durchmesser gesprochen werden könne. Außerdem dürfe es nicht zu Lasten der Beschwerdegegnerin gehen, dass seitens der Beschwerdeführerin die Recherche nach und nach erfolgte. Die Entgegenhaltungen D6 und D7 seien nicht kombinierbar. D6 zeige eine Achse mit einem Achsrohr, D7 hingegen ein Achsgehäuse mit innen gelagerter Welle. Zudem gebe D7 keine Hinweise zu einer Gewichtseinsparung, sondern beschäftige sich mit der Anordnung eines Bremsträgers am Achsgehäuse. Selbst wenn der Fachmann D7 berücksichtigen würde, so sei D7 keine Aussage über Wandstärke, Innendurchmesser oder Außendurchmesser der "expansion h" zu entnehmen, sondern allenfalls eine flache Ausbildung im oberen Bereich des Achsgehäuses, um die Sattel der Federn der Fahrzeugaufhängung zu halten. Ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik und einem Achsrohr mit vergrößertem Außendurchmesser im Bereich der Achseinbindung biete D4 selbst eine Lösung zur Verringerung des Gewichts der Achse, indem alternativ die Möglichkeit angesprochen werde, bei gleichbleibendem Außendurchmesser den Innendurchmesser zu verringern. Die Anwendung des in D8 gezeigten rechteckigen Achsgehäuses auf die runde Achse aus D4 sei nur begründbar in Kenntnis der Erfindung. D4 zeige eine "reinforced wall region", aber D8 gebe keinen Hinweis, dass durch eine Aufweitung ein stabilerer Bereich geschaffen werde; die Querschnittserweiterung sei in D8 nur vorgesehen, um eine Anpassung des runden Endstücks des geteilten Achsgehäuses an den zentralen Bereich des Achsgehäuses mit größerem rechteckigen Querschnitt vorzunehmen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung der Druckschrift D8 (Artikel 12 (4) VOBK) Nach Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, Amtsblatt EPA 2007, 536) besitzt die Kammer die Befugnis, Beweismittel, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, nicht zuzulassen. Im vorliegenden Fall wurde die Druckschrift D8 erstmalig in der Beschwerdebegründung genannt. Als Begründung dafür, dass D8 nicht bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt worden war, führte die Beschwerdeführerin lediglich an, dass diese Druckschrift erst kurz vor Einlegung der Beschwerde bei einer neuen Recherche gefunden worden sei. Nach Ansicht der Kammer stellt das Einreichen der Druckschrift D8 im Beschwerdeverfahren einen gerechtfertigten Versuch der erstinstanzlich unterlegenen Einsprechenden dar, auf die Argumente der Einspruchsabteilung zu reagieren, da die Druckschrift D8, insbesondere der in Figur 8 in Verbindung mit Figur 12 gezeigte Gegenstand, über die Offenbarung der sich bereits im Einspruchsverfahren befindlichen Dokumente D1, D2 und D4 hinauszugehen scheint. Aus diesem Grund hat die Kammer nicht von ihrer Befugnis nach Artikel 12 (4) VOBK Gebrauch gemacht, die Druckschrift D8 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

3. Zulassung der Druckschrift D9 (Artikel 13 (1) VOBK) Nachträglich zur Beschwerdebegründung und noch vor der Anberaumung der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 27. Juli 2011 die Druckschrift D9 eingereicht. Nach Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens einer Beschwerdeführerin nach Einreichung der Beschwerdebegründung zuzulassen. Bei der Ausübung dieses Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

In D9 wird eine rohrförmig ausgeführte Fahrzeugachse gezeigt, die an den Enden Öffnungen zur Aufnahme von Bolzen aufweist (Seite 2, Zeilen 19-30: "apertures 5, adapted to receive pintles 6 connected with the front steering knuckles"), welche mit den Achsschenkeln ("steering knuckles") verbunden sind. Damit zeigt D9 zumindest nicht explizit "Achsstummel" wie gemäß vorliegendem Anspruch 1 beansprucht, und es stellt sich die Frage, ob unter "Achsstummel" auch Achsschenkel wie in D9 gezeigt zu verstehen sind. Dieser Aspekt wurde in der Beschwerdebegründung nie erwähnt und wirft damit neue Fragen auf, die erstmalig zu diskutieren wären. Außerdem zeigt die Fahrzeugachse gemäß D9 im Bereich der Achseinbindung einen T-förmigen Querschnitt, und es stellt sich zusätzlich die Frage, ob bei diesem Querschnitt - selbst bei einer breiteren Interpretation des Begriffs "Durchmesser" - noch von einer Aufweitung des Achsrohres zu einem größeren Durchmesser im Sinne der vorliegend beanspruchten Erfindung gesprochen werden kann. Unter Berücksichtigung des Verfahrensstandes und der gebotenen Verfahrensökonomie hat die Kammer deshalb von ihrem Ermessen gemäß Artikel 13 (1) VOBK Gebrauch gemacht und die Druckschrift D9 nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

4. Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ 1973)

Der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt wird nach Ansicht der Kammer aus folgenden Gründen durch keine der Druckschriften D1, D2, D4 oder D8 neuheitsschädlich vorweggenommen:

4.1 Gegenüber D1 oder D2: D1 und ebenso D2 zeigen ein Achsrohr zwischen zwei Achsstummeln, wobei sich jeweils an der Verbindungsstelle zwischen Achsrohr und Achsstummel ein Radsitz in einem aufgeweiteten Bereich befindet. Der Gegenstand gemäß vorliegendem Anspruch 1 umfasst weder die Räder noch die Achseinbindung, sondern spezifiziert nur die Möglichkeit der Lagerung eines Rades ("lagerbar") bzw. der Belastung durch eine Achseinbindung ("belastbar"). Allerdings definiert Anspruch 1, dass das Achsrohr im Bereich einer Achseinbindung, die nahe dem Achsstummel liegt, zu einem größeren Durchmesser aufgeweitet ist. Dies würde bei dem in D1 oder D2 offenbarten Achsrohr zutreffen, wenn in den aufgeweiteten Bereichen, die in D1 oder D2 zum Aufsetzen von Rädern ausgebildet sind, auch eine Achseinbindung möglich wäre; gleichzeitig müssten dann die Räder außen auf den Achsstummel gelagert werden. Für die Frage der Neuheit ist also entscheidend, ob die in D1 oder in D2 gezeigte Fahrzeugachse mit einer für Schienenfahrzeuge typischen Konfiguration mit innen liegenden Radsitzen und außen liegenden Achslagersitzen auch "geeignet ist" für die Verwendung in Lastkraftwagen und Anhängern, bei denen die Räder außen auf der Fahrzeugachse auf den Achsstummeln sitzen und die Achseinbindung innenseitig erfolgt. Die Beschwerdeführerin konnte die Kammer nicht überzeugen, dass die in D1 oder D2 gezeigte Hohlachse für Eisenbahn- bzw. Schienenfahrzeuge auch für die beanspruchte Verwendung in Lastkraftwagen und deren Anhänger geeignet ist. Auch wenn rein optisch eine gewisse Übereinstimmung zwischen den Fahrzeugachsen nach D1 oder D2 und der Fahrzeugachse gemäß Streitpatent festzustellen ist, so ist die Geometrie bei Schienenfahrzeugen eine andere als bei Lastkraftwagen und durch die Spurweite der Eisenbahn vorgegeben, die den Abstand der Räder auf der Fahrzeugachse bestimmt und deutlich kleiner ist als der Radabstand bei Lastkraftwagen/Anhängern. Die in diesem Abstand liegenden Radsitze von Schienenfahrzeugen nun als Bereiche der Achseinbindung vorzusehen bei Verwendung der Fahrzeugachse aus D1 oder D2 für Lastkraftwagen und deren Anhänger - und gleichzeitig die Rädern auf den Achsstummeln zu lagern - erscheint fraglich: zum einen liegen bei Kraftfahrzeugen die beiden Bereiche der Achseinbindung üblicherweise in großem Abstand zueinander, und zum anderen wurde nicht zweifelsfrei nachgewiesen, dass die Achsstummel von Schienenfahrzeugen gemäß D1 oder D2 am äußeren Ende zur Aufnahme von Radlagern geeignet sind. Aufgrund der genannten geometrischen Überlegungen ist es zudem äußerst unwahrscheinlich, dass im Falle einer Verwendung der Fahrzeugachse aus D1 oder D2 für Lastkraftwagen oder Anhänger unter Beibehaltung der in D1 oder D2 gezeigten Radsitze die Bereiche von den Radsitzen nach innen zur Achsmitte hin gesehen als Bereiche der Achseinbindung geeignet sind; D1 zeigt in diesem Bereich außerdem einen konstanten Querschnitt und damit nicht wie beansprucht eine Aufweitung im Bereich der Achseinbindung. Damit geht der Gegenstand gemäß Anspruch 1 nicht unmittelbar und eindeutig aus den Druckschriften D1 oder D2 hervor. Nach Ansicht der Kammer und in Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist bei der Beweiswürdigung, ob eine Druckschrift einen beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich trifft, ein strengerer Maßstab anzulegen als nur die Abwägung von Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten (siehe beispielsweise T 1029/96). Anders als von der Beschwerdeführerin behauptet bedeutet die Verwendungsangabe "für Lastkraftwagen und deren Anhänger" durchaus eine Einschränkung dahingehend, dass die beanspruchte Fahrzeugachse für diese Verwendung geeignet sein muss. Dabei ist festzustellen, dass die Angabe "und deren Anhänger" klar zum Ausdruck bringt, dass es sich um Anhänger für Lastkraftwagen und nicht um beliebige Anhänger handelt.

4.2 Gegenüber D4: D4 offenbart nicht, dass an dem gezeigten Achsrohr Achsstummel befestigt sind. Eine von der Beschwerdeführerin angeführte integrale Ausbildung der Achsstummel mit dem Achsrohr erfordert gerade keine Befestigung der Achsstummel an dem Achsrohr, und eine stumpfe Verbindung von Achsrohr und Achsstummel aus Figur 1 der Druckschrift D4 herauszulesen wird als rein spekulativ angesehen. Allein aus diesem Grund ist der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber D4 bereits neu. Da der Begriff "zu einem größeren Durchmesser aufgeweitet" sich für den mit Sachverstand lesenden Fachmann auf ein Verfahren bezieht, bei dem ein Rohr durch entsprechende Mittel von Innen her in seinem Durchmesser vergrößert wird, impliziert dieser Begriff, anders als von der Beschwerdeführerin behauptet, eine gleichzeitige Vergrößerung von Innendurchmesser und Außendurchmesser des Rohres. Dies ist auch gestützt durch die in der Patentschrift selbst gegebene Definition des Begriffs "Aufweitung" (siehe Spalte 2, Zeilen 23 bis 26: "… Aufweitung 5, das heißt in diesem Bereich 6 ist der Innen- und Außendurchmesser des Achsrohres 2 vergrößert"). Eine Aufweitung in diesem Sinne geht ebenfalls nicht aus D4 hervor.

4.3 Gegenüber D8: Anspruch 1 definiert ein "Achsrohr (2), an dessen beiden Enden jeweils ein Achsstummel (3) befestigt ist, auf dem ein Rad lagerbar ist". D8 zeigt zwar rohrförmige Abschnitte zu beiden Seiten eines Mittelteils, der ein Differential aufnimmt, jedoch kann dies nicht als ein Achsrohr im beanspruchten Sinne aufgefasst werden. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin benutzt Anspruch 1 eine Formulierung im Singular ("mit einem Achsrohr (2), an dessen beiden Enden") und beschreibt also ein einziges Achsrohr mit zwei Enden zur Befestigung der Achsstummel. Damit ist das in Anspruch 1 definierte Achsrohr als ein durchgängiges Achsrohr aufzufassen. Die in D8 gezeigte Ausformung des Achsgehäuses im Mittelteil der Fahrzeugachse zur Aufnahme eines Differentials lässt jedoch eine Interpretation als durchgängiges Achsrohr nicht zu, da ein Rohr im Verständnis des Fachmanns über seine Länge einen im Wesentlichen gleichbleibenden Querschnitt hat. Damit ist die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 wie erteilt auch gegenüber D8 gegeben.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht gegenüber einer Kombination der Druckschriften D4 und D8 bzw. einer Kombination der Druckschriften D6 und D7 aus folgenden Gründen nach Auffassung der Kammer auf einer erfinderischen Tätigkeit:

5.1 Wie bereits zur Neuheit ausgeführt geht aus D4 nicht hervor, dass an beiden Enden des in D4 gezeigten Achsrohres Achsstummel befestigt sind sowie dass das Achsrohr in den der Achseinbindung dienenden Bereichen zu einem größeren Durchmesser aufgeweitet ist. Die Befestigung von Achsstummeln an einem Achsrohr stellt einerseits eine im Stand der Technik bekannte Alternative zu einer integrativen Ausbildung der Achsstummel mit dem Achsrohr dar, andererseits - falls D4 gar keine Achsstummel zeigen sollte - eine bekannte Maßnahme zur Komplettierung einer Fahrzeugachse ausgehend von einem Achsrohr. Es bleibt also zu untersuchen, ob die in D4 nicht gezeigte Aufweitung des Achsrohres zu einem größeren Durchmesser einen erfinderischen Beitrag liefern kann. Eine Aufweitung des Achsrohres durch gleichzeitige Vergrößerung des Innen- und des Außendurchmessers bringt gegenüber dem in D4 gezeigten Achsrohr mit konstantem Innendurchmesser eine Gewichtsersparnis. Ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik stellt sich also die Aufgabe, das Gewicht der Fahrzeugachse unter Beibehaltung der Stabilität zu verringern. Zwar wird in D8 eine Aufweitung eines runden Achsrohres zu einem größeren eckigen Querschnitt gezeigt. Entscheidend ist aber die Frage, ob der mit der genannten Aufgabe befasste Fachmann diese Lehre auf D4 übertragen würde. Dies würde der Fachmann nach Ansicht der Kammer nicht tun, da zum einen in D4 bereits eine alternative Ausführungsform gezeigt ist (Spalte 3, Zeilen 43 bis 48: "However, it is also possible to achieve reinforced wall region 7 by providing that outer diameter of the axle body 1 is continuous over the entire length thereof, while the inner diameter is decreased in the area of the region of welded seam 3 relative to the remaining axle body portions."), die eine Gewichtsreduktion mit sich bringt; zum anderen betont D4 die Verstärkung der Rohrwand im Bereich der Schweißnähte für die Achseinbindung (Spalte 3, Zeilen 36 bis 37: "Tubular axle body 1 has a reinforced wall region 7 in each area of welded seam 3"), so dass der Fachmann davon abgehalten würde, die in D4 gezeigte Ausführungsform mit vergrößertem Außendurchmesser dadurch zu schwächen, dass er unter Anwendung der Lehre von D8 auch den Innendurchmesser des Achsrohres vergrößern würde, was eine Schwächung der Rohrwand im Bereich der Schweißnähte zur Folge hätte. Es erübrigt sich vor diesem Hintergrund darauf einzugehen, ob der Fachmann aus D8 nur die Lehre einer gleichbleibenden Dicke der Rohrwand entnehmen würde oder auch eine Umformung auf einen rechteckigen Querschnitt vornehmen würde.

5.2 Geht man von D6 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so zeigt D6 (siehe Figuren 12 bis 14) ein Achsrohr 7, welches im Bereich der Achseinbindung durch aufgesetzte Halbschalen 91, 95 verstärkt wird. Diese Halbschalen bedeuten wiederum ein erhöhtes Gewicht gegenüber der gemäß Anspruch 1 beanspruchten Fahrzeugachse mit aufgeweitetem Achsrohr im Bereich der Achseinbindung. Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann zur Lösung der gestellten Aufgabe, eine Gewichtseinsparung bei der Fahrzeugachse zu erreichen, die Lehre von D7 nicht berücksichtigen. Zum einen gibt D7 keinerlei Hinweis darauf, dass die in D7 gezeigte Vergrößerung eines Achsgehäuses im Bereich der Lagerung der Fahrzeugaufhängung aus Gewichtsgründen erfolgt. Die in D7 gezeigte Konturänderung des Achsgehäuses beinhaltet (siehe Figur 9) vielmehr eine Umformung des Querschnitts des Achsgehäuses, um damit die passende Kontur für die Lagerung der Federung bereitzustellen. Selbst wenn die Wirkung der in D7 gezeigten Aufweitung des Achsgehäuses für den Fachmann - wie von der Beschwerdeführerin behauptet - implizit aufgrund seines Fachwissens aus D7 hervorgehen sollte, so würde der Fachmann die in D7 gezeigte Lehre, die sich auf ein Achsgehäuse mit innen gelagerter Antriebswelle bezieht, nicht auf das aus D6 bekannte massive Achsrohr mit zur Verstärkung aufgesetzten Halbschalen übertragen. Das in Figur 12 in D6 gezeigte Ausführungsbeispiel zeigt eine im Bereich der Achseinbindung bewusst verstärkte Ausführung des Achsrohres mit vergrößerter Wanddicke, um höhere Lasten tragen zu können (Spalte 9, Zeilen 3 bis 6), und es ist nicht ersichtlich, wieso der Fachmann diese in D6 bewusst vorgenommene Verstärkung wieder rückgängig machen sollte, indem er gemäß der Lehre von D7 das in D6 gezeigte Achsrohr unter Wegfall der Halbschalen aufweitet und damit - bei gleichzeitiger Vergrößerung von Innen- und Außendurchmesser - die in Figur 12 in D6 gezeigte Ausführungsform schwächen würde. Vor diesem Hintergrund mag es auch dahingestellt bleiben, ob der Fachmann prinzipiell eine Kombination des in D6 gezeigten Achsrohres mit dem in D7 gezeigten Achsgehäuse ins Auge fassen würde oder nicht. Der Fachmann würde also allenfalls in rückschauender Betrachtungsweise in Kenntnis der Erfindung die Lehre bezüglich des Achsgehäuses gemäß D7 auf das Achsrohr gemäß D6 übertragen.

6. Die beanspruchte Fahrzeugachse gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wie auch gemäß der auf diesen Anspruch rückbezogenen Unteransprüche ist damit neu und erfinderisch gemäß Artikel 54 (1) EPÜ 1973 sowie Artikel 56 EPÜ 1973, und der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 steht der Aufrechterhaltung des erteilten Patents somit nicht entgegen.

7. Da die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumentationslinien den Bestand des angefochtenen Patents nicht gefährden, ist die Beschwerde zurückzuweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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