T 0654/09 (Einwegkassette/FRESENIUS MEDICAL CARE DEUTSCHLAND GMBH) of 25.7.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T065409.20130725
Datum der Entscheidung: 25 Juli 2013
Aktenzeichen: T 0654/09
Anmeldenummer: 04009538.2
IPC-Klasse: B01L 3/00
G01N 33/483
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 154 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einwegkassette mit integriertem Flüssigkeitsbehälter
Name des Anmelders: Fresenius Medical Care Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: Roche Diagnostics GmbH
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit: Hauptantrag (nein) - Umformulierung der Aufgabe (ja) - naheliegende Alternative; Hilfsantrag (ja) - nicht naheliegende Verbesserung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Sachverhalt und Anträge

II. Auf die Europäische Patentanmeldung EP 04 009 538.2 wurde am 12. Juli 2006 (Datum der Bekanntgabe der Erteilung im Patentblatt 2006/28) das europäische Patent EP-B-1 495 808 mit 11 Patentansprüchen erteilt.

III. Der einzige unabhängige Patentanspruch des erteilten Patents lautete wie folgt:

"1. Einwegkassette (10) als auswechselbarer Bestandteil eines Analysengerätes mit mindestens einem Probeneingang, mindestens einer Membranpumpe (32), Ventilen (30), einer Meßstrecke und in der Kassette integrierten Fluidwegen (14), wobei in der Einwegkassette (10) mindestens ein Behälter (18) mit einer Flüssigkeit, beispielsweise einer Kalibrierflüssigkeit, sowie mindestens ein Abfallbehälter (20) integriert sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Einwegkassette spülbar ist, wobei die Spülung über einen Kanal (50) durch einen spülbaren Port (48) erfolgt."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11 betrafen besondere Ausführungsformen der Vorrichtung gemäß Anspruch 1.

IV. Gegen das erteilte Patent wurde Einspruch eingelegt mit der Begründung, der beanspruchte Gegenstand beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100(a) EPÜ).

V. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Dokumente genannt:

RD1: US-A-5 096 669

RD2: EP-A-1 180 677

RD3: EP-A-0 564 439

RD4: EP-A-0 874 732

RDI1: Kurzbeschreibung von GEM Premier 3000 und GEM Premier 3100 Workstation und GEM PCL

RDI2: GEM®Premier 3000 - Operator's Manual - Revision 5 - P/N 24001379, Instrumentation Laboratory, Lexington, Ma., US, Oktober 2003

RDI3: Healthcare Product Comparison System - Blood Gas/pH Analyzers (September 2002)

RDI4: Ellis Jacobs et al., "Multi-Site Performance Evaluation of pH, Blood Gas, Electrolyte, Glucose and Lactate Determinations with the GEM Premier 3000 Critical Care Analyzer", Point of Care, Volume 1, No. 3 (September 2002), Seiten 135 bis 144

RDI5: WO-A-02/097 415

VI. In der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, zur Post gegeben am 18. Februar 2009, wurde der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) als nicht erfinderisch im Hinblick auf das Dokument RDI5 und allgemeines Fachwissen angesehen.

Zum Hilfsantrag entschied die Einspruchsabteilung, dass die Aufgabe ausgehend von RDI5 als nächstliegendem Stand der Technik darin bestanden habe, eine einfache Konstruktion anzugeben, die das Schwenken der Spritze für das Spülen vermeidet. Die in den Ansprüchen gemäß Hilfsantrag dargelegte Lösung dieser Aufgabe war nach Ansicht der Einspruchsabteilung durch den vorhandenen Stand der Technik nicht nahegelegt. Das Patent wurde daher in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, aufrechterhalten.

VII. Die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen diese Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung. Sie beantragte, das Streitpatent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag).

Mit ihrer Beschwerdebegründung vom 16. Juni 2009 reichte die Beschwerdeführerin das Dokument

LSG1: DE-A-102 39 597 (im Patent zitiert)

ein.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2013 reichte die Beschwerdeführerin neue Ansprüche als Hilfsantrag ein und brachte ergänzende Argumente vor.

VIII. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags hat folgenden Wortlaut:

"1. Einwegkassette (10) als auswechselbarer Bestandteil eines Analysengerätes mit mindestens einem in Form eines Ports (48) ausgebildeten Probeneingang, mindestens einer Membranpumpe (32), Ventilen (30), einer Meßstrecke und in der Kassette integrierten Fluidwegen (14), wobei in der Einwegkassette (10) mindestens ein Behälter (18) mit einer Flüssigkeit, beispielsweise einer Kalibrierflüssigkeit, sowie mindestens ein Abfallbehälter (20) integriert sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Einwegkassette spülbar ist, wobei die Spülung über einen Kanal (50) durch den spülbaren Port (48) erfolgt, wobei der Port (48) mittels eines Schiebers (40) verschließbar ist."

IX. Am 25. Juli 2013 fand eine mündliche Verhandlung statt.

X. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Zum Hauptantrag:

Das Streitpatent gehe hinsichtlich seiner Aufgabenstellung von solchen Einwegkassetten aus, wie sie beispielsweise in LSG1 beschrieben seien. Derartige Kassetten bestünden aus zumindest einem ersten Teil, in welchem in der Oberfläche Kanalstrukturen ausgenommen seien, und einem den ersten Teil dichtend abdeckenden zweiten Teil, wobei an vorbestimmten Stellen Eingriffsbereiche für Aktorelemente (z.B. Pumpen) vorgesehen seien. Der erste und zweite Teil seien zum größten Teil starr ausgebildet und durch Zweikomponentenspritzgusstechnologie herstellbar.

Diese Kassetten stellten eine Alternative zu den Kassetten mit Schlauchsystemen dar, da anstelle von flexiblen Schläuchen die Fluidwege in der Kassette durch Ausnehmungen im Kassettengrundkörper (Kanälen) gebildet würden. Bei den erfindungsgemäßen Kassetten seien Schläuche im Innern der Kassette nicht vorgesehen.

Das Anspruchsmerkmal "in die Kassette integrierter Fluidweg" bedeute demnach, dass der Fluidweg (Kanal) ein Strukturelement des Kassettengrundkörpers sei und nicht als lediglich in der Kassette befindlich zu verstehen sei. Folglich könne das Merkmal "Kanal" nicht mit einem Schlauch gleichgesetzt werden.

Der Port sei Bestandteil der Fluidwege der Kassette und daher ebenfalls ein Strukturelement des Kassettengrundkörpers.

Die Beschwerdeführerin ist während der mündlichen Verhandlung von RDI5 als dem nächstliegenden Stand der Technik ausgegangen. Allerdings weise die der RDI5 zugrundeliegende Aufgabenstellung wenig Gemeinsamkeiten mit dem Streitpatent auf. Aufgabe sei bei RDI5 nämlich die Verbesserung der Genauigkeit und Verlängerung der Standzeit eines elektrochemischen Sensors. Die Struktur der Kassette sei bei RDI5 von nachrangiger Bedeutung. Die Fluidsysteme seien als Schläuche ausgebildet und eine Membranpumpe sei nicht vorhanden. Die Pumpe sei vielmehr als Peristaltikpumpe ausgeführt und liege außerhalb der Kassette. Eine solche Pumpe setze flexible Schläuche voraus.

Ausgehend von RDI5 habe nun die Aufgabe darin bestanden, die Handhabbarkeit der Kassette zu vereinfachen und die Pumpenpräzision zu verbessern. Diese Aufgabe werde durch die Integration der Pumpe in die Einwegkassette und die Ausbildung als Membranpumpe gelöst. Das umständliche "Einfädeln" der Schläuche in die für die Peristaltikpumpe notwendige Position entfalle. Die Antriebsstössel der Membranpumpe könnten in einfacher Weise relativ zur Einwegkassette positioniert werden.

Zwar seien Membranpumpen, neben anderen, in gattungsgemäßen Analysensystemen zu finden, dies betreffe aber nur Messsysteme, nicht Einwegkassetten (siehe RD2). RD1 zeige auch keine Membranpumpe. Ein Austausch der Peristaltikpumpe in RDI5 durch eine Membranpumpe habe schon deswegen nicht nahegelegen, weil eine grundlegende Änderung der Konstruktion der Kassette erforderlich gewesen wäre.

Zum Hilfsantrag:

Die im Anspruch 1 des Hilfsantrags beanspruchte Verschließbarkeit des Ports mittels eines Schiebers stelle eine besonders einfache Möglichkeit dar, um die Spülbarkeit der Einwegkassette im Bereich des Ports sicherzustellen. In RDI5 sei dafür eine vergleichsweise aufwändige Mechanik mittels eines schwenkbaren Ports notwendig. Die Aufgabe sei deshalb gewesen, eine einfache und doch präzise Lösung eines Verschlusses des spülbaren Ports anzugeben.

Die Kombination von RDI5 mit RD1 lege den Anspruchsgegenstand nicht nahe, da in RD1 keine Spülung vorgesehen sei. Die Kappe 89 werde lediglich verwendet, um nach erfolgter Einfachmessung den Probeneingang zu verschließen, um die Einwegkassette entsorgen zu können.

XI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Die Beschwerdegegnerin widersprach der Auslegung der Ansprüche durch die Beschwerdeführerin, die ihrer Meinung nach zu eng und nicht im Einklang mit Artikel 69 und 84 EPÜ sei. Die Einschränkung auf spezielle Ausführungsformen der Fluidkanäle sei nicht gerechtfertigt, so dass der Begriff "Kanal" im Sinne des Streitpatents auch einen Schlauch umfassen könne. Diese mögliche Alternative sei im Streitpatent selbst genannt (Paragraph [0002]). Die Bezeichnung "Einwegkassette" sei auch nicht auf ein Kassettensystem mit ersten und zweiten Spritzgussteilen, bei denen in der Oberfläche Kanalstrukturen eingelassen seien, beschränkt.

Das Dokument RDI5 offenbare eine Einwegkassette mit den Anspruchsmerkmalen integrierter Fluidwege und eines spülbaren Ports. Außerdem werde in RDI5 explizit auf die Patentschrift US-A-4 634 184 verwiesen, die ihrerseits eine Sensorkassette mit integrierten Fluidwegen, Reagenzienbehältern und Sensoren betreffe und eine zum Streitpatent analoge Aufgabe löse. Damit erfülle RDI5 die Kriterien der ähnlichen technischen Aufgabe und des gleichen technischen Gebiets.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich demnach von den aus RDI5 bekannten Einwegkassetten nur durch die Art und Anordnung der Pumpe. Dies sei schon in der angefochtenen Entscheidung festgestellt worden. Da die Verwendung einer Membranpumpe üblich sei (RD1 und RD2) und zu keinem unerwarteten technischen Effekt führe, beruhe der Anspruchsgegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag habe im Hinblick auf RDI5 selbst nahegelegen. Dort sei ein ebenfalls mit Hilfe eines Schiebers verschließbarer Port gezeigt. Auch könne der RDI5 eine Funktionsweise der Spülschaltungsposition (13b) und der Probenaufnahmeposition (13a), wie den beiden Positionen (11a) und (11b) in Figur 1 gezeigt, entnommen werden, dass der Port (5) "mittels eines Schiebers" verschließbar sei.

Die Beschwerde sei daher unbegründet und abzuweisen.

XII. Anträge:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Streitpatents im erteilten Umfang, hilfsweise im geänderten Umfang auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag, eingereicht mit Schreiben vom 25. Juni 2013.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen

1.1 Hauptantrag

Da kein Einspruchsgrund nach Artikel 100(c) EPÜ geltend gemacht wurde, entfällt die diesbezügliche Prüfung der erteilten Ansprüche.

1.2 Hilfsantrag

Anspruch 1 basiert auf der Kombination der Merkmale der ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 12 und 13, in Verbindung mit der Beschreibung, Seite 3, dritter Absatz.

Eine Erweiterung des Schutzumfangs liegt nicht vor.

1.3 Die Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) sind somit erfüllt.

2. Dokumente des Standes der Technik

RDI1 trägt kein Veröffentlichungsdatum. RDI2 trägt das Datum vom Oktober 2003, also nach der gültigen Priorität (8. Juli 2003) des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin hat im Einspruchsverfahren akzeptiert, dass diese beiden Dokumente nicht zum Stand der Technik gehören. Die Kammer schließt sich dem an.

Die deutsche Patentanmeldung LSG1 ist am 18. März 2004, also nach dem gültig beanspruchten Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht worden. Dieses Dokument gehört somit ebenfalls nicht zum Stand der Technik.

Dahingegen hat die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren zugestanden, dass RDI4 vor dem Zeitrang des Streitpatents veröffentlicht wurde und somit zum Stand der Technik zählt.

3. Neuheit (Haupt- und Hilfsantrag)

3.1 RDI5 offenbart eine Einwegkassette zur Blutanalyse mittels biochemischer Sensoren. Die Ausführungsform gemäß Figur 1 enthält ein Reservoir für eine Kalibrierflüssigkeit (14, 16), ein Reservoir für Abfallflüssigkeit (32), einen Vorratsbehälter mit Spülflüssigkeit (17) eine Messstrecke mit Sensorelektroden (50), Schlauchleitungen und Mehrwegventil (18) und einen Probeneinlass (13a) (siehe Figur 1 und Beschreibung, Seite 16, Zeile 1 bis Seite 17, Zeile 7 und Seite 17, Zeilen 20 bis 23). Die Kassette ist intern spülbar (siehe Figur 1: Spüllösungs-Container 17, Probenport 5 und Schläuche 12a, 12b; und Beschreibung, Seite 17, letzter Absatz).

Im Unterschied zum Streitpatent erfolgt die Förderung der Flüssigkeiten (Probe und Spülflüssigkeit) nicht durch eine integrierte Membranpumpe, sondern durch eine externe Schlauchpumpe (Peristaltikpumpe 26).

3.2 RDI4 befasst sich mit der Bestimmung von Blutwerten mit Hilfe des Mess- und Analysengerätes "GEM Premier 3000" von Instrumentation Laboratory, Lexington, Ma., US. Die darin verwendete Einwegkassette ist in Figur 1 schematisch dargestellt und auf Seite 136 näher beschrieben. Sie umfasst in Beuteln abgefüllte Reagenzien, einen Abfallbeutel, Verbindungsschläuche und Ventile, eine Sensorkarte mit elektrochemischen Miniatursensoren und einen Probeeinlass für eine Probenspritze. Die Kassette entspricht also im Wesentlichen der in RDI5, Figur 1, dargestellten Einwegkassette. Als externe Pumpe zur Förderung der Medien kommt ebenfalls eine peristaltische Pumpe zum Einsatz (siehe RDI4, Figur 1).

3.3 Die Kammer hat sich auch davon überzeugt, dass keines der anderen bekannt gewordenen Dokumente eine Einwegkassette mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag zeigt.

3.4 Die Neuheit war im Übrigen nicht bestritten.

3.5 Das Erfordernis des Artikels 54 EPÜ ist erfüllt.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Erfindung

Die Erfindung befasst sich mit auswechselbaren Einwegkassetten für Analysengeräte mit integriertem Flüssigkeits- und Abfallbehälter, einer Membranpumpe, fluidführenden Kanälen und einer Messstrecke. Die Einwegkassetten sollen über einen Kanal durch einen spülbaren Port spülbar sein.

Gemäß einer hilfsweise beanspruchten Ausgestaltung soll ein durch einen Schieber verschließbarer spülbarer Port vorhanden sein.

4.2 Nächstliegender Stand der Technik

Die Beschwerdegegnerin schlägt als nächstliegenden Stand der Technik das Dokument RDI5 vor (siehe Zusammenfassung unter Punkt 3.1), während die Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren auch die in der Beschreibung des Streitpatents (siehe Abschnitte [0002], [0011] und [0017]) zitierte Schrift LSG1 herangezogen hat.

LSG1 ist aber, wie erwähnt (Punkt 2 dieser Entscheidung), erst nach dem gültig beanspruchten Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht worden, gehört somit nicht zum Stand der Technik und kann für die erfinderische Tätigkeit nicht in Betracht gezogen werden.

In der mündlichen Verhandlung gingen beide Parteien von RDI5 als dem nächstliegendem Stand der Technik aus. Die Kammer schließt sich dem an.

Hauptantrag

4.3 Aufgabe

Die Beschwerdeführerin sah die Aufgabe darin, die Handhabbarkeit der Kassette zu vereinfachen und die Pumpenpräzision zu verbessern.

4.4 Lösung

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent eine Einwegkassette gemäß erteiltem Anspruch 1 (gemäß Hauptantrag) vor, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Förderung der Flüssigkeiten durch eine Membranpumpe erfolgt, die Bestandteil der Einwegkassette ist.

4.5 Erfolg der Lösung

Es muss nun untersucht werden, ob die vorgeschlagene Lösung die von der Beschwerdeführerin angegebene Aufgabe tatsächlich löst.

Es können aber der Beschreibung weder explizit noch implizit Vorteile oder Effekte entnommen werden, die die Vereinfachung der Handhabbarkeit der Kassette oder die Pumpenpräzision betreffen. Im Patent und in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen (siehe Seite 5 und Anspruch 8) ist die Verwendung einer Membranpumpe nur kursorisch und als Option erwähnt. Es ist weder offenbart, dass damit die Handhabbarkeit der Einwegkassette oder die Pumpenpräzision verbessert wird, noch liegen solche Verbesserungsmöglichkeiten für den Fachmann implizit klar auf der Hand.

Es ist daher notwendig, die Aufgabe anders als von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen, umzuformulieren.

4.6 Umformulierung der Aufgabe

Die Kammer sieht die dem Patent im Lichte der RDI5 zugrundeliegende Aufgabe daher darin, eine alternative Einwegkassette anzugeben.

Es ist einleuchtend, dass die Förderung der Proben- und Spülflüssigkeiten in einer Einwegkassette alternativ zu einer peristaltischen Pumpe auch mit einer internen Membranpumpe erfolgen kann.

Diese (umformulierte) Aufgabe ist daher plausibel gelöst.

4.7 Naheliegen

Es bleibt zu entscheiden, ob die beanspruchte Lösung im Hinblick auf den Stand der Technik nahegelegen hat.

4.7.1 Bei der aus RDI5 bekannten Einwegkassette liegen zwar die Schlauchleitungen (30 und 34) frei bzw. außerhalb des Kassettengehäuses und werden von den Quetschrollen einer Peristaltikpumpe (26) erfasst (siehe Seite 16 unten), wobei die Prozessflüssigkeiten dabei ohne Kontakt nach außen bleiben. Ein spülbarer Probenport ist in RDI5 ebenfalls vorhanden bzw. ist die vorbekannte Kassette intern über einen Port spülbar.

Im Unterschied dazu sieht die Erfindung vor, anstelle einer Peristaltikpumpe eine in der Einwegkassette selbst befindliche Membranpumpe einzusetzen.

4.7.2 Die Verwendung einer Membranpumpe ist nach Ansicht der Kammer, wenn nicht schon durch das Allgemeinwissen des Fachmanns, so mindestens durch RD2 nahegelegt.

In der RD2 sind in den Abschnitten [0263] bis [0265] verschiedene Pumpenarten zur Förderung von Probenflüssigkeiten in einem Analysengerät aufgezählt, darunter eine peristaltische Pumpe und eine Membranpumpe. Letztere ist also eine Alternative zur Förderung von Flüssigkeiten, wie sie typischerweise bei der automatischen Analyse biologischer Probenflüssigkeiten (Blut, Urin) durch biochemische Analyseverfahren auftreten.

Die Kammer findet das Argument der Beschwerdeführerin nicht überzeugend, dass RD2 diese Pumpen nur im Zusammenhang mit Messkassetten, nicht aber mit Einwegkassetten ("disposable cuvettes", siehe Abschnitte [0271] bis [0281]) offenbare. RD2 offenbart nach Auffassung der Kammer in den Abschnitten [0263] bis [0265] generell, mit welcher Art von Pumpen die Probenflüssigkeiten durch die Messstrecke gefördert werden können, und zwar unabhängig von der Art der Kassette oder Kuvette.

4.7.3 Die Beschwerdeführerin hat außerdem argumentiert, dass der Fachmann die Peristaltikpumpe in RDI5 nicht durch eine Membranpumpe ersetzen würde, weil dies eine Neukonstruktion erfordern würde, bei der Kanäle und Schläuche geändert werden müssten.

Die Kammer kann diesem Argument nicht folgen, da der vorliegende Anspruch starre Fluidkanäle nicht als obligat vorsieht. Gefordert werden integrierte Fluidwege, worunter aber auch z.T. flexible Schlauchverbindungen verstanden werden können.

4.7.4 Einem weiteren Argument der Beschwerdeführerin zufolge sei es nicht naheliegend gewesen, die Pumpe überhaupt in die Einwegkassette zu integrieren.

Dieses Argument kann nicht überzeugen, da der Grad an Integration bei der aus RDI5 bekannten und der nunmehr beanspruchten Kassette sich nicht wesentlich unterscheiden. In beiden Fällen befindet sich der flüssigkeitsführende Teil der Pumpe in der Kassette, während die Aktuatoren (Rollen oder Stößel) samt Motor extern angeordnet sind.

4.7.5 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).

Hilfsantrag

4.8 Aufgabe

Wiederum ausgehend von RDI5 als nächstem Stand der Technik, kann die Aufgabe darin gesehen werden, die Einwegkassette dahingehend zu verbessern, dass es ermöglicht wird, auf einfache und präzise Weise den Probeneingangsbereich der Einwegkassette zu spülen und auch zu verschließen (vgl. Abschnitt [0009] des Streitpatents: "hermetisch verschließbar, gefahrlos entsorgbar").

4.9 Lösung

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent eine Einwegkassette gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags vor, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Port (48) mittels eines Schiebers (40) verschließbar ist.

4.10 Erfolg der Lösung

Es bestand Übereinstimmung zwischen den Parteien, dass der Anspruch 1 so zu verstehen ist, dass der Schieber (40) den Port indirekt mittels der flüssigkeitsdichten Klappe (38) verschließt.

Die Kammer kann akzeptieren, dass diese Lösung einfacher als der in RDI5 offenbarte Portverschluss mittels eines drehbaren Probenports ist (siehe Figur 1, Bezugszeichen 5, 11a, b und 12a, b und 13a, b; Beschreibung Seite 16, Zeilen 1 bis 16). Der Schieber kann maschinenseitig verschoben werden. Die Präzision des Verschlusses gegen Austreten von Probenflüssigkeiten wurde nicht bestritten.

Es wird daher anerkannt, dass die gestellte Aufgabe erfolgreich gelöst wurde.

4.11 Naheliegen

Es bleibt zu entscheiden, ob die beanspruchte Lösung im Hinblick auf den Stand der Technik nahegelegen hat.

4.11.1 Die Beschwerdegegnerin hat hier auf die Probenportkonstruktion in RDI5 hingewiesen und in der Figur 1, insbesondere Bezugszeichen 11a und 11b, einen (Verschluss-)Schieber erkennen wollen. Dieser verschließe in einer von zwei Positionen (auf Seite 16 als "normal position" oder "position 11b" bezeichnet) den Probenport 5.

Es ist aber für die Kammer nicht klar, ob das Teil 11a bzw. 11b überhaupt einen Schieber darstellt, mindestens ist es nirgendwo in der Beschreibung als solcher bezeichnet. Es geht aus der Beschreibung nicht einmal eindeutig hervor, ob das Teil 11a, b beweglich ist, sondern man spricht (Seite 16, Zeilen 10 und 11) nur im Zusammenhang mit den beiden Positionen des als "input line 13" bezeichneten Ports von zwei Positionen des sogenannten Stylus 11. Ob und in welcher Art und Weise das Bauteil 11b den Probenport in der Position "11b" möglicherweise flüssigkeitsdicht verschließt, geht aus der Beschreibung der RDI5 gar nicht, und aus deren Figur 1 nicht mit der gebotenen Klarheit hervor.

Auch die Offenbarung von RDI4 (Figur 1)(siehe Punkt 3.2) geht diesbezüglich über das aus RDI5 Bekannte nicht hinaus.

Die Kammer kommt also zum Schluss, dass RDI5 einen mit Hilfe eines Schiebers verschließbaren Port nicht in unmittelbarer und eindeutiger Weise offenbart. Folglich kann der Fachmann daraus auch keine Hinweise in Richtung auf den anspruchsgemäßen Verschlussschieber entnehmen.

4.11.2 Das Dokument RD3 offenbart eine Eingabeeinheit (1) zur Beschickung eines Analysengeräts mit flüssigen Proben, welche eine Probeneingabeöffnung (2), einen Anschluss (5) für ein Reinigungsmedium, eine Klappe (4) und einen Waschkörper (6) aufweist. Der Waschkörper ist auf einem elastisch in der Klappe befestigten Träger angeordnet und schmiegt sich bei geschlossener Klappe an den elastischen Einfüllmund (3) an.

Es handelt sich hier aber nicht um einen verschließbaren und spülbaren Port einer Einwegkassette. Die Eingabeeinheit ist aufgrund ihrer verhältnismäßig aufwändigen Konstruktion nicht zum Austausch bestimmt, sondern Bestandteil des Analysengerätes selbst.

Der Fachmann ist dadurch kaum angeregt gewesen, den Probenport der aus RDI5 bekannten Einwegkassette zu modifizieren. Außerdem zeigt RD3 keinen Verschlussschieber, sondern eine Klappe.

4.11.3 Andere Dokumente wurden zum Beweis des Naheliegens nicht herangezogen.

4.11.4 Damit ist festzustellen, dass keines der bekanntgewordenen gattungsgemäßen Dokumente einen über einen Kanal spülbaren Port für eine Einwegkassette zeigt, der mittels eines Schiebers verschließbar ist und der in naheliegender Weise zum einfachen und präzisen Verschließen eines spülbaren Ports einer Einwegkassette dienen könnte.

4.12 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 betreffen weitere Ausgestaltungen der Einwegkassette gemäß Anspruch 1, von dem sie abhängen. Sie haben aus denselben Gründen Bestand.

4.13 Die Bestimmungen des Artikels 56 EPÜ sind also, was die Ansprüche des Hilfsantrags betrifft, erfüllt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag, eingereicht mit Schreiben vom 25. Juni 2013, und einer anzupassenden Beschreibung nebst Figuren aufrechtzuerhalten.

Quick Navigation