T 0600/09 (sdaA-Deletionsmutante/JÜLICH) of 15.2.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T060009.20130215
Datum der Entscheidung: 15 Februar 2013
Aktenzeichen: T 0600/09
Anmeldenummer: 04710333.8
IPC-Klasse: C12N 15/60
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Nukleotidsequenzen coryneformer Bakterien codierend für am L-Serinstoffwechsel beteiligte Proteine sowie Verfahren zur mikrobiellen Herstellung von L-Serin
Name des Anmelders: Forschungszentrum Jülich GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention R 103(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Spät eingereichte unvollständige Beweismittel - nicht zugelassen
Geänderte Ansprüche 1 bis 3 - zugelassen - Voraussetzungen des EPÜ erfüllt
Rückerstattung der Beschwerdegebühr - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die am 20. Januar 2009 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung nach Artikel 97(2) EPÜ, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 04710333.8 (PCT/DE2004/000248, veröffentlicht als WO 2004/081166) mit der Bezeichnung "Nukleotidsequenzen coryneformer Bakterien codierend für am L-Serinstoffwechsel beteiligte Proteine sowie Verfahren zur mikrobiellen Herstellung von L-Serin" zurückgewiesen wurde.

II. In der angefochtenen Entscheidung stellte die Prüfungsabteilung fest, dass der Gegenstand der ihr vorliegenden Ansprüche 1 bis 16 vom Inhalt der Entgegenhaltung (1) (siehe Absatz X unten) neuheitsschädlich vorweggenommen wird. Der Gegenstand der Ansprüche 17 bis 19 wurde im Hinblick auf den Inhalt der Entgegenhaltungen (2) und (3) (siehe Absatz X unten) als nicht neu angesehen.

III. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin zwei neue Anspruchssätze als Haupt- bzw. Hilfsantrag ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 EPÜ aufgrund eines schwerwiegenden Verfahrensmangels.

IV. Die Beschwerdeführerin wurde zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Zur Vorbereitung der Verhandlung gab die Beschwerdekammer in einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern eine vorläufige Stellungnahme zu den vorliegenden Anträgen.

V. Am 30. November 2012 reichte die Beschwerdeführerin vier neue Anspruchssätze (Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3) ein, die der Diskussion in der mündlichen Verhandlung zugrunde gelegt werden sollten.

VI. Einige Tage vor dem geplanten Datum beantragte die Beschwerdeführerin die Verlegung der mündlichen Verhandlung wegen Erkrankung der Vertreterin. Dem Antrag wurde stattgegeben und ein neues Datum für die mündliche Verhandlung wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt.

VII. Am Vortag der mündlichen Verhandlung reichten die neuen Vertreter der Beschwerdeführerin weitere Beweismittel (Dokumente A-1 bis A-5 und B-1 bis B-4, jeweils nur die erste Seite, sowie Dokument C) ein.

VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 15. Februar 2013 statt. Während der Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Satz geänderter Patentansprüche (Ansprüche 1 bis 3) als neuer Hauptantrag ein.

IX. Die Ansprüche gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag lauten:

"1. In Mikroorganismen der Gattung Corynebacterium replizierbare Nukleinsäure enthaltend eine Nukleotidsequenz gemäß SEQ ID Nr. 1 aus Corynebacterium glutamicum mit Deletion der Nukleotide von Position 506 bis 918.

2. Nukleinsäure gemäß Anspruch 1, die zusätzlich operativ verknüpfte regulatorische Sequenzen, welche die Expression der codierenden Sequenzen in einer Wirtszelle steuern, enthält.

3. Vektor enthaltend eine Nukleinsäure nach Anspruch 1 oder 2."

X. Folgende Entgegenhaltungen und Dokumente werden in dieser Entscheidung erwähnt:

(1): WO 01/00843 A2, veröffentlicht am 4. Januar 2001;

(2): K. Kubota, 1985, Agric. Biol. Chem. 49, Band 1,Seiten 7 bis 12;

(3): US 4,528,273;

(C): Vergleich der Animosäuresequenzen gemäß SEQ ID NO: 140 und 142 der Entgegenhaltung (1).

XI. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Artikel 123(2) EPÜ

Anspruch 1 richte sich auf in Mikroorganismen der Gattung Corynebacterium replizierbare Nukleinsäuren (Seite 4, Zeilen 29 bis 31 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen), dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Nukleotidsequenz gemäß SEQ ID NO: 1 aus Corynebacterium glutamicum mit Deletion der Nukleotide von Position 506 bis 918 enthalten (Seite 5, Zeilen 9 bis 11 der Anmeldung). Der geänderte Anspruch 1 verstoße nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ.

Artikel 54 EPÜ

Eine Nukleinsäure, die eine Nukleotidsequenz gemäß SEQ ID NO: 1 enthält, bei der die Nukleotide an Positionen 506 bis 918 komplett deletiert sind, sei gegenüber den Entgegenhaltungen (1) bis (3) neu.

Artikel 56 EPÜ

Die Entgegenhaltung (1) werde als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Ausgehend von diesem Dokument sei es die Aufgabe der Erfindung, Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, die zu einer verbesserten Produktion von L-Serin führen. Diese Aufgabe werde von dem Gegenstand der Ansprüche gelöst. Es habe sich überraschenderweise herausgestellt, dass die Deletion eines Teilbereiches, nämlich der Nukleotide an Positionen 506 bis 918 aus einem die L-Serin-Dehydratase kodierenden Gen zu einer L-Serin-Dehydratase-Aktivität von Null führe. Weder die Entgegenhaltung (1) noch die Entgegenhaltungen (2) oder (3) enthielten einen Hinweis auf eine solche Deletion, geschweige denn den Hinweis, dass diese Deletion zur vollständigen Ausschaltung der L-Serin-Dehydratase-Aktivität führe. Der Gegenstand der Ansprüche beruhe deshalb auf erfinderischer Tätigkeit.

Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr

Der von der Prüfungsabteilung als nicht neu angesehene Anspruch 1 habe dem ursprünglich eingereichten Anspruchs 3 entsprochen, dessen Neuheit in dem Prüfungsbescheid vom 14. November 2008 anerkannt worden sei. Die Zurückweisung der Anmeldung wegen mangelnder Neuheit des Anspruchs 1 stehe daher im Widerspruch zum vorhergehenden Prüfungsbescheid. Die Zurückweisung sei auch überraschend, weil der im Prüfungsbescheid erhobene Einwand wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit von der Prüfungsabteilung letztendlich nicht begründet worden sei.

XII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 3 des um 11:50 in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrages zu erteilen, sowie die Beschwerdegebühr aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels im Verfahren vor der Prüfungsabteilung zurückzuerstatten.

Entscheidungsgründe

Zulassung verspätet vorgebrachter Beweismittel ins Verfahren

1. Die Beschwerdeführerin reichte am Vortag der mündlichen Verhandlung die erste Seite der mit A-1 bis A-5 und B-1 bis B-4 gekennzeichneten Dokumente sowie das vollständige Dokument C ein, mit der Absicht, diese Dokumente in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren. Diese Beweismittel sollten neue Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich der erfinderischen Tätigkeit stützen.

2. Gemäß Artikel 13(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) steht die Zulassung und Berücksichtigung von Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten am Beschwerdeverfahren nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung im Ermessen der mit der Beschwerde befassten Kammer. Als Kriterien, die die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigen kann, werden in Artikel 13(1) VOBK unter anderen der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie genannt.

3. Im vorliegenden Fall wurden die neuen Beweismittel zu einem sehr späten Verfahrensstadium eingereicht. Da alle Dokumente - außer Dokument C - auch unvollständig waren, war es der Kammer nicht möglich, vor Beginn der mündlichen Verhandlung von deren Inhalt Kenntnis zu erlangen. Selbst wenn die Beschwerdeführerin die vollständigen Dokumente A-1 bis A-5 und B-1 bis B-4 in der mündlichen Verhandlung eingereicht hätte, wäre die Kammer ohne längere Unterbrechung der Verhandlung nicht in der Lage gewesen, deren Inhalt zu würdigen.

4. Aus diesen Gründen hat die Kammer in Ausübung ihres Ermessens entschieden, die Dokumente A-1 bis A-5 und B-1 bis B-4 nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen. Dagegen wird das vollständig eingereichte Dokument C, dessen Inhalt als relevant für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angesehen wird, zugelassen und berücksichtigt.

Zulassung eines geänderten Anspruchssatzes als Hauptantrag

5. Mit dem in der mündlichen Verhandlung als Hauptantrag eingereichten Anspruchssatz (siehe Absatz IX oben) reagierte die Beschwerdeführerin auf Einwände der Kammer unter Artikel 84 EPÜ. Da die Einschränkung auf die Ansprüche 1 bis 3 und die Änderungen im Anspruchswortlaut den Einwänden der Kammer Rechnung tragen und keine neuen Fragen aufwerfen, hat die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) EPÜ entscheiden, den geänderten Anspruchssatz gemäß Hauptantrag ins Verfahren zuzulassen.

Artikel 123(2) und 84 EPÜ

6. Die Kammer ist überzeugt, dass der Gegenstand der geänderten Ansprüche 1 bis 3 nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

7. Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird auf Seite 5, Zeilen 9 bis 12 und im abhängigen Anspruch 3 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart. Das kennzeichnende Merkmal der Nukleinsäure gemäß Anspruch 2, nämlich die operative Verknüpfung einer Nukleinsäure gemäß Anspruch 1 mit die Expression der kodierenden Sequenzen in einer Wirtszelle steuernden regulatorischen Sequenzen, wird auf Seite 10, Zeilen 23 bis 26 der Anmeldung offenbart. Grundlage für einen Vektor gemäß Anspruch 3 ist die Offenbarung auf Seite 10, Zeilen 28 bis 31 der Anmeldung.

8. Die geänderten Ansprüche 1 bis 3 geben den Gegenstand an, für den Schutz begehrt wird. Außerdem sind sie deutlich und knapp gefasst und werden von der Beschreibung gestützt. Demnach sind die Voraussetzungen des Artikels 84 EPÜ als erfüllt anzusehen.

Artikel 83 EPÜ

9. Im Prüfungsverfahren hat die Prüfungsabteilung keine Einwände bezüglich der Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung der vorliegenden Erfindung erhoben. Auch die Beschwerdekammer hat keine Veranlassung, solche Einwände zu erheben. Die Voraussetzungen des Artikels 83 EPÜ werden als erfüllt angesehen.

Artikel 54 EPÜ

10. In der angefochtenen Entscheidung stellte die Prüfungsabteilung fest, dass der Gegenstand des ihr vorliegenden Anspruchs 1 von der Entgegenhaltung (1) neuheitsschädlich vorweggenommen wird.

11. Diese für die Kammer nicht ganz nachvollziehbare Feststellung, die möglicherweise auf eine zu breite Interpretation des deutliche Klarheitsdefizite aufweisenden Wortlauts des früheren Anspruchs 1 zurückgeführt werden kann, trifft für den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 jedenfalls nicht zu. Die Entgegenhaltung (1) beschreibt eine die L-Serin-Dehydratase von Corynebacterium glutamicum kodierende Nukleinsäure mit der SEQ ID NO: 141, die die Sequenz gemäß SEQ ID NO: 1 der vorliegenden Anmeldung enthält (siehe Nukleotide 2 bis 1460 der SEQ ID NO: 141). Eine entsprechende Nukleinsäure, in deren Nukleotidsequenz die Sequenz zwischen Position 506 und 918 der SEQ ID NO: 1 fehlt, wie in Anspruch 1 beansprucht, kann der Entgegenhaltung (1) jedoch nicht entnommen werden. Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 ist daher im Hinblick auf die Entgegenhaltung (1) neu.

12. Dasselbe gilt im Hinblick auf die in der angefochtenen Entscheidung genannten Entgegenhaltungen (2) und (3). In diesen Entgegenhaltungen werden Mutanten von Corynebacterium glycinophilum beschrieben, die keine L-Serin-Dehydratase-Aktivität bzw. eine geringere Aktivität als der Ausgangsstamm besitzen. In keiner der Entgegenhaltungen wird jedoch die Nukleotidsequenz des (möglicherweise veränderten) L-Serin-Dehydratase(sdaA)-Gens der Mutanten angegeben. Dass die sdaA-Sequenz dieser Mutanten mit der Nukleotidsequenz einer Nukleinsäure gemäß Anspruch 1 identisch ist, kann ausgeschlossen werden, weil sich schon die Sequenz des Wildtyps des sdaA-Gens von C. glycinophilum sich von derjenigen des sdaA-Gens von C. glutamicum unterscheidet.

Artikel 56 EPÜ

13. Die vorliegende Erfindung zielt auf die Erhöhung der L-Serin-Ausbeute bei der Herstellung dieser Aminosäure in Mikroorganismen der Gattung Corynebacterium ab. Die höhere Ausbeute wird durch Verringerung des von dem Enzym L-Serin-Dehydratase katalysierten Abbaus von L-Serin zu Pyruvat erreicht. Um Mikroorganismen zu erhalten, die keine L-Serin-Dehydratase-Aktivität aufweisen, wird mittels homologer Rekombination das genomische L-Serin-Dehydratase-Gen durch ein defektes sdaA-Gen aus C. glutamicum ersetzt.

14. Als nächstliegender Stand der Technik wird die Entgegenhaltung (1) angesehen. In dieser Entgegenhaltung, die sich mit der Herstellung von Feinchemikalien (z.B. Aminosäuren) durch eine bakterielle Kultur von Mikroorganismen der Gattungen Corynebacterium oder Brevibacterium befasst, werden verschiedene aus C. glutamicum isolierte Nukleinsäuren beschrieben, die am Stoffwechsel beteiligte Proteine kodieren, unter anderem auch zwei Nukleinsäuren, die die L-Serin-Dehydratase kodieren (siehe SEQ ID NOs:139 und 141 im Sequenzprotokoll und Tabelle 1 auf Seite 57). Die Aminosäuresequenz der von diesen Nukleinsäuren kodierten Polypeptide wird in den SEQ ID NO: 140 bzw. 142 angegeben.

15. Zum Erzielen einer höheren Ausbeute der herzustellenden Feinchemikalie wird in der Entgegenhaltung (1) vorgeschlagen, die beschriebenen Nukleinsäuresequenzen mit Hilfe gentechnischer Methoden zu modifizieren (siehe Seite 3, Zeilen 18 bis 22 und Seite 4, Zeilen 15 bis 17). Insbesondere wird vorgeschlagen, Gene, die am Abbau der Chemikalie beteiligte Enzyme kodieren, zu entfernen oder zu modifizieren (z.B. durch Deletion), um die Aktivität des Enzyms und folglich auch den Abbau der Chemikalie zu verringern (siehe Seite 5, Zeilen 12 bis 15). Vektoren, die die modifizierte Nukleotidsequenz enthalten, werden ebenfalls vorgeschlagen (siehe Seite 8, Zeilen 1 bis 3).

16. Ausgehend von der Entgegenhaltung (1) besteht die objektive technische Aufgabe der Erfindung darin, eine modifizierte Nukleinsäure und einen diese Nukleinsäure enthaltenden Vektor bereitzustellen, mit denen sich die L-Serin-Dehydratase-Aktivität ausschalten und der Abbau von L-Serin in Mikroorganismen der Gattung Corynebacterium verringern lassen.

17. Diese Aufgabe wird durch eine Nukleinsäure gemäß Anspruch 1 gelöst, deren Nukleotidsequenz eine Nukleotidsequenz gemäß SEQ ID Nr. 1 aus Corynebacterium glutamicum mit Deletion der Nukleotide von Position 506 bis 918 enthält. Angesichts der Ergebnisse in der Tabelle 1 der Anmeldungsunterlagen hat die Kammer keine Zweifel, dass die beanspruchte Nukleinsäure die objektive technische Aufgabe tatsächlich löst.

18. Aus folgenden Gründen ist die Kammer auch überzeugt, dass die in Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung für einen Fachmann auf dem Gebiet der mikrobiellen Herstellung von Aminosäuren nicht naheliegend war.

19. Folgte der Fachmann dem Vorschlag in der Entgegenhaltung (1), um die am Abbau von L-Serin beteiligte L-Serin-Dehydratase durch Modifizierung des sdaA-Gens auszuschalten, so stünden ihm zwei verschiedene Nukleinsäuren aus C. glutamicum zur Verfügung, die laut der Entgegenhaltung (1) ein Polypeptid mit L-Serin-Dehydratase-Aktivität kodierten (siehe SEQ ID NO: 140 bzw. 142). Die Aminosäuresequenzen dieser Polypeptide sind unterschiedlich und weisen lediglich eine 33,00%-ige Ähnlichkeit zueinander auf (siehe Dokument C).

20. Da C. glutamicum anscheinend zwei sdaA-Gene besitzt, stellte sich für den Fachmann die Frage, ob zur Ausschaltung der L-Serin-Dehydratase-Aktivität beide Gene modifiziert werden mussten oder die Modifizierung eines einzelnen sdaA-Gens ausreichte. Der Fachmann hatte also drei mögliche Vorgehensweisen zur Auswahl: Er konnte nur eine der in der Entgegenhaltung (1) beschriebenen Nukleinsäuren, d.h. entweder die SEQ ID NO: 140 oder die SEQ ID NO: 142 verändern oder beide. Hinweise, welche dieser drei Vorgehensweisen zum Erfolg führen würde, waren der Entgegenhaltung (1) nicht zu entnehmen. Es war diesem Dokument auch nicht zu entnehmen, welche Nukleotide aus der sdaA-Nukleotidsequenz deletiert werden sollten, um ein defektes sdaA-Gen zu erhalten, mit dem sich die L-Serin-Dehydratase-Aktivität in Mikroorganismen der Gattung Corynebacterium ausschalten lässt. Für den Fachmann war es daher nicht naheliegend, die Nukleinsäure mit der SEQ ID NO: 141, welche die SEQ ID NO: 1 der vorliegenden Anmeldung enthält, als zu modifizierende Nukleinsäure zu wählen, geschweige denn die spezifischen Nukleotide, die den Nukleotiden 506 bis 918 in der SEQ ID NO: 1 entsprechen, zu deletieren.

21. Den Entgegenhaltungen (2) und (3) konnte der Fachmann auch keine zur Erfindung führenden Hinweise entnehmen. Die in diesen Entgegenhaltungen beschriebenen Mutanten von C. glycinophilum, die keine bzw. eine geringere L-Serin-Dehydratase-Aktivität als der Ausgangsstamm besitzen und L-Serin mit einer höheren Ausbeute als der Ausgangsstamm produzieren, wurden durch herkömmliche Mutation und anschließende Selektion erhalten. Keine der Entgegenhaltungen (2) und (3) gab dem Fachmann einen Hinweis auf die spezifische Sequenz des sdaA-Gens aus C. glutamicum oder auf die Deletion der Nukleotide 506 bis 918 der SEQ ID NO: 1.

22. Da der Gegenstand des Anspruchs 1 aus dem Inhalt der Entgegenhaltung (1) allein oder zusammen mit den Entgegenhaltungen (2) oder (3) für den Fachmann nicht naheliegend war, ist die Kammer überzeugt, dass eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ vorliegt.

Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr

23. Gemäß Regel 103(1)a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr zurückerstattet, wenn der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

24. Im vorliegenden Fall vermag die Kammer in Anbetracht der Ausführungen der Beschwerdeführerin keinen wesentlichen Verfahrensmangel zu erkennen. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin ist die Kammer der Ansicht, dass die Begründung der Prüfungsabteilung für die Zurückweisung der Anmeldung nicht im Widerspruch zum vorangegangenen Prüfungsbescheid vom 14. November 2007 stand. In dem Prüfungsbescheid hatte die Prüfungsabteilung der Auffassung Ausdruck gegeben, dass die Nukleinsäuren gemäß Anspruch 3 des ihr vorliegenden Anspruchssatzes im Stand der Technik nicht bekannt seien. Daraufhin reichte die Anmelderin (die jetzige Beschwerdeführerin) mit der Erwiderung auf den Bescheid einen Satz geänderter Ansprüche ein, deren Anspruch 1 nach Meinung der Anmelderin dem Gegenstand des Anspruchs 3 in der ursprünglich eingereichten Fassung entsprach. Dieser geänderte Anspruchssatz lag der angefochtenen Entscheidung zugrunde.

25. Die Kammer bemerkt, dass der ursprüngliche Anspruch 3 und der der Entscheidung zugrundeliegende Anspruch 1 einen unterschiedlichen Wortlaut hatten und daher auch möglicherweise einen geänderten Schutzumfang. Zudem war im geänderten Anspruch 1 der beanspruchte Gegenstand nicht klar definiert und infolgedessen war auch der Schutzumfang des Anspruchs unklar. Ihren Ausführungen in der Beschwerdebegründung ("... aus rein linguistischen Gründen nicht neu ...") entnimmt die Kammer, dass sich die Beschwerdeführerin bewusst war oder zumindest hätte sein müssen, dass unter diesen Umständen Neuheitseinwände, die bereits im ersten Bescheid der Prüfungsabteilung unter Verweis auf den internationalen vorläufigen Prüfungsbericht erhoben worden waren, wieder relevant werden könnten. In einer solchen Situation hätte die Anmelderin nach Ansicht der Kammer nicht annehmen dürfen, dass die Feststellung der Prüfungsabteilung bezüglich des früheren Anspruchs 3 auch für den später eingereichten Anspruch 1 gelte.

26. Das von der Beschwerdeführerin vorgetragene Argument, die Zurückweisung der Anmeldung sei überraschend gewesen, weil eine Begründung des Einwands wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit fehlte (siehe Absatz XI oben), kann die Kammer nicht nachvollziehen. Die Prüfungsabteilung hat die Anmeldung allein aufgrund der Feststellung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der Entgegenhaltung (1) nicht neu sei. Es bestand für die Prüfungsabteilung keine zwingende Veranlassung, weitere für die Entscheidung nicht mehr relevante Einwände zu begründen.

27. Nach Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass mangels eines schwerwiegenden Verfahrensmangels dem Antrag auf Erstattung der Beschwerdegebühr nicht stattgegeben werden kann.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 3 des um 11:50 in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrages und einer daran anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

3. Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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