T 0315/09 () of 27.6.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T031509.20120627
Datum der Entscheidung: 27 Juni 2012
Aktenzeichen: T 0315/09
Anmeldenummer: 02027315.7
IPC-Klasse: B60J 10/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dichtungsanordnung zwischen einem bewegbaren Schiebedeckel und einem Flansch
Name des Anmelders: Metzeler Automotive Profile Systems GmbH
Name des Einsprechenden: Webasto AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 111(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Zulässigkeit (Hauptantrag, Hilfsantrag I: ja)
Zurückverweisung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 323 563 wurde mit der am 8. Dezember 2008 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung widerrufen. Dagegen wurde von der Patentinhaberin am 2. Februar 2009 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 17. April 2009 eingereicht.

II. Es fand am 27. Juni 2012 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder Hilfsantrags eingereicht während der mündlichen Verhandlung sowie Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur Prüfung der Frage der Neuheit und der erfinderischen Höhe. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Dichtungsanordnung zum Abdichten eines Spalts (440) zwischen einem bewegbaren Schiebedeckel (20) und einem den Schiebedeckel (20) zumindest bereichweise umgebenden Flansch (30) im Bereich des Dachs eines Kraftfahrzeugs, wobei die Dichtungsanordnung umfasst:

einen bewegbaren Schiebedeckel (20),

einen den Schiebedeckel (20) zumindest bereichsweise umgebenden Flansch (30) im Bereich des Dachs eines Kraftfahrzeugs, einen Steg (18, 23) und

ein aus einem elastischen Material gefertigtes Dichtungsprofil (10), das einen Befestigungsabschnitt (11) und einen Dichtungsabschnitt (12) aufweist;

wobei das Dichtungsprofil (10) im Bereich des Befestigungsabschnitts (11) an dem Schiebedeckel (20) befestigt und im Bereich des Dichtungsabschnitts (12) an den Flansch (30) anlegbar ist;

wobei durch den Dichtungsabschnitt (12) eine kompressible Hohlkammer (13) gebildet ist;

wobei die Hohlkammer (13) in einem am Flansch (30) anliegenden Zustand des Dichtungsabschnitts (12) im Querschnitt annähernd viereckförmig ausgebildet und bei einer Relativbewegung von Schiebedeckel (20) und Flansch (30) in vertikaler Richtung in Art eines Parallelogramms verformbar ist;

wobei der Steg (18, 23) zum wenigstens teilweise Abdecken des Dichtungsabschnitts (12) sich in den Spalt (40) zwischen dem Flansch (30) und dem Schiebedeckel (20) erstreckend angeordnet ist;

wobei der Steg (18, 23) durch einen eine ungehinderte Verformung der Hohlkammer (13) ermöglichenden Abstand (b) von der Hohlkammer (13) getrennt ist und

wobei am Übergang zwischen dem Dichtungsabschnitt (12) und dem Befestigungsabschnitt (11) Sollknickstellen (17) an der Innenfläche der Hohlkammer (13) ausgebildet sind, welche die Verformung der Hohlkammer (13) bei einer Relativbewegung von Schiebedeckel (20) und Flansch (30) in vertikaler Richtung unterstützen."

Anspruch 1 des Hilfsantrags I unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "wobei der Steg (18, 23) durch einen eine ungehinderte Verformung der Hohlkammer (13) ermöglichenden Abstand (b) von der Hohlkammer (13) getrennt ist und" durch folgendes Merkmal ersetzt wird: "wobei der Steg (18, 23) durch einen eine ungehinderte Verformung der Hohlkammer (13) ermöglichenden Abstand (b) von der Hohlkammer (13) getrennt ist;

wobei zwischen dem Steg (18, 23) und dem Flansch (30) ein Abstand (a) vorhanden ist, der so bemessen ist, dass eine Berührung von Steg (18, 23) und Flansch (30) bei einer Relativbewegung derselben unterbleibt, und".

III. Die Beschwerdeführerin führte aus, dass der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Hauptantrag und der ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Hilfsantrag I nicht verspätet sind und zum Verfahren zugelassen werden sollten. Der Anspruch 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags I wurden als Reaktion auf die vorangegangene Diskussion während der mündlichen Verhandlung eingereicht, aus der hervorging, dass der Anspruch 1 des ursprünglich gestellten (und mittlerweile zurückgenommenen) Hauptantrags, sowie der Hilfsanträge I und II des ursprünglich gestellten (und mittlerweile zurückgenommenen) Sammelhilfsantrag I, nicht den Anforderungen des EPÜ genügten. Damit seien die nun vorliegenden Anträge unmittelbar durch die vorangehende Diskussion veranlasst worden und könnten nicht als verspätet verworfen werden, da für die Beschwerdeführerin das Ergebnis der Diskussion nicht vorhersehbar gewesen sei.

Der Anspruch 1 des Hauptantrags I erfülle die Anforderungen der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ. Die in Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale seien allesamt in der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart (siehe veröffentlichte Anmeldung: Beschreibung, Absatz [0020]) (im Folgenden als EP-A bezeichnet) und es sei durch die vorgenommenen Änderungen jetzt auch klar, dass sowohl der Schiebedeckel als auch der Flansch und der Steg zur beanspruchten Dichtungsanordnung gehörten.

Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag I sei zur weiteren Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit an die erste Instanz zurückzuverweisen, um das Recht der Beschwerdeführerin auf zwei Instanzen zu wahren.

IV. Die Beschwerdegegnerin vertrat den Standpunkt, dass die während der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anträge, Hauptantrag und Hilfsantrag I, verspätet und nicht zum Verfahren zuzulassen seien. Die Beschwerdeführerin habe vorsätzlich während des gesamten Verfahrens eine Verzögerungstaktik angewendet und diese Vorgehensweise stelle einen Verfahrensmissbrauch dar. Es gebe keinen nachvollziehbaren Grund wieso diese Anträge erst zu diesem spätem Zeitpunkt vorgelegt worden seien, nachdem die gesamte ausführliche Diskussion betreffend die Klarheit der Ansprüche, und speziell die Frage, welche Merkmale zum Anspruchsgegenstand gehörten und welche nicht, bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung stattgefunden habe.

Der Anspruch 1 des Hauptantrags sei zudem aus folgenden Gründen auch nicht klar. Zunächst sei durch den Wortlaut "wobei die Dichtungsanordnung umfasst: einen ..Schiebedeckel, einen ...Flansch" nicht klar, ob die Dichtungsanordnung ausschließlich aus den anschließend im Anspruch genannten Bauteilen bestehe, oder ob prinzipiell auch weitere, nicht aufgelistete Bauteile dazuzurechnen seien. Weiterhin sei aufgrund des besagten Wortlauts und des als "Dichtungsanordnung zum Abdichten eines Spalts zwischen einem ...Schiebedeckel und einem ... Flansch" definierten Gegenstands nicht klar, ob die Wiederholung des unbestimmten Artikels "einen" bzw. "einem" eventuell das Vorhandensein von mehr als nur einem Schiebedeckel oder Flansch impliziere. Schließlich sei auch nicht klar, was unter dem Wortlaut "am Übergang zwischen dem Dichtungsabschnitt und dem Befestigungsabschnitt" zu verstehen sei. Insbesondere sei der Begriff "Übergang" zu vage und nicht ausreichend, um die Lage der Sollknicksstellen hinreichend präzise zu definieren. Schließlich sei die Einfügung des Merkmals "in vertikaler Richtung" nicht mit Artikel 123 (2) EPÜ zu vereinbaren, weil diese Änderung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe. Tatsächlich gehe dieses Merkmal aus Absatz [0020] von EP-A nicht hervor, weil dort lediglich von "einer Bewegung des Schiebedeckels 20 in Richtung des Pfeils A" die Rede sei.

Zur Frage der Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz werde seitens der Beschwerdegegnerin keine Stellung bezogen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Kammer hat auf der Grundlage ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern) entschieden, den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag sowie Hilfsantrag I nicht als verspätet zu verwerfen. Es ist zwar zutreffend, dass die Beschwerdeführerin diese Anträge zu einem späten Zeitpunkt im Verfahren vorgelegt hat, andererseits ist aber auch richtig, dass die besagten Anträge auf die entsprechenden Hilfsanträge VI und VII des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Sammelhilfsantrags 2 basieren, wobei die einzigen zusätzlichen Änderungen redaktionelle Änderungen zur Klarstellung des Anspruchsgegenstands betreffen. Dieser Gegenstand hat sich folglich infolge dieser Änderungen prinzipiell nicht geändert, nämlich insofern als vor diesen Änderungen ebenfalls davon ausgegangen werden konnte, dass entsprechend einer möglichen Auslegung des Anspruchs 1 (der Hilfsanträge VI und VII des Sammelhilfsantrags 2) der Schiebedeckel, der Flansch und der Steg auch als ein Teil des Anspruchsgegenstands zu gelten hatten. Folglich hat sich durch das Vorlegen dieser Anträge kein komplexerer Gegenstand ergeben und der Ablauf des Verfahrens hat sich dadurch im Wesentlichen nicht geändert. Deshalb hat die Kammer das ihr von Artikel 13 (1) VOBK eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, den vorliegenden Hauptantrag und den Hilfsantrag I zuzulassen.

3. Die gegenüber dem erteilten Anspruch 1 im Anspruch 1 des Hauptantrags neu aufgenommenen Merkmale erfüllen die Anforderungen des Artikel 123 (2) EPÜ. Insbesondere ergeben sich diese Merkmale im Wesentlichen wortwörtlich aus Absatz [0020] von EP-A, mit der einzigen Ausnahme des Merkmals "in vertikaler Richtung". Dieses Merkmal geht tatsächlich in dieser Form nicht aus EP-A hervor. Jedoch heißt es in EP-A, dass "sich die Hohlkammer 13 bei einer Relativbewegung von Schiebedeckel 20 und Flansch 30 in Art eines Parallelogramms verformt, wie in Fig. 3 bei einer Bewegung des Schiebedeckels 20 in Richtung des Pfeils A zu erkennen ist". Aus Figur 3 ist nun eindeutig zu erkennen, dass der Pfeil A in einer zum Schiebedeckel im Wesentlichen vertikalen Richtung zeigt, wobei sich hier das Wort "vertikal" offensichtlich auch auf die Fahrtrichtung beziehen kann, was aber auf dasselbe hinausläuft. Insgesamt ist folglich im gegebenen technischen Kontext das strittige Merkmal aus den besagten Gründen als ursprünglich offenbart anzusehen.

Zu den Klarheitseinwänden ist zunächst festzustellen, dass die Wiederholung des unbestimmten Artikels "einen", sowohl den Schiebedeckel als auch den Flansch betreffend, streng genommen rein von der Form her nicht korrekt ist, weil es aus der gesamten Patentschrift zweifellos hervorgeht, dass es bei dem Gegenstand des Anspruchs 1 nur von einem Schiebedeckel und einem Flansch die Rede sein kann. Gerade eben aus diesem Grund, da keine Missverständnisse entstehen können, sieht aber trotz des genannten Mangels die Kammer die betroffenen Merkmale als hinreichend klar an. Bezüglich des Wortlauts "umfasst" sind nach Auffassung der Kammer keine Klarheitsmängel festzustellen. Dieser Wortlaut schließt sicherlich prinzipiell nicht aus, dass die Dichtungsanordnung auch weitere Komponenten enthalten könnte, die selbst keine Bestandteile des Schiebedeckels oder des Flansches sind. Einerseits besteht aber keine Notwendigkeit für eine präzisere Formulierung, weil z.B. der Stand der Technik eine solche genauere Abgrenzung nicht erforderlich macht. Andererseits ergibt sich im Hinblick auf den Inhalt der gesamten Patentschrift unmissverständlich, dass die Dichtungsanordnung aus dem Schiebedeckel, dem Flansch und dem Dichtungsprofil besteht, sowie weiterhin lediglich aus Bauteilen, die einem dieser besagten wesentlichen Bestandteile zuzuordnen sind. Folglich gibt es in der Patentschrift auch keine Grundlage für mögliche Missverständnisse oder Unklarheiten hinsichtlich der wesentlichen Bestandteile der Dichtungsanordnung, so dass keine weitere derartigen Bestandteile in Frage kommen können. Zuletzt ist hinsichtlich des Merkmals "am Übergang zwischen dem Dichtungsabschnitt und dem Befestigungsabschnitt" ebenfalls kein Klarheitsmangel festzustellen, insbesondere weil dieses Merkmal hinreichend präzise ist, um dem Fachmann dessen unmittelbare Umsetzung zu ermöglichen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags I unterscheidet sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags lediglich durch die weitere Aufnahme der Merkmale des ursprünglichen (und erteilten) Anspruchs 8 (siehe EP-A). Somit erfüllt dieser Anspruch ebenfalls die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ.

4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags I wurde durch die Aufnahme weiterer Merkmale wesentlich geändert und wurde insbesondere hinsichtlich der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit in der angegriffenen Entscheidung nicht geprüft. Die Beschwerdeführerin hat sich deswegen ausdrücklich für eine Zurückverweisung an die erste Instanz ausgesprochen, während die Beschwerdegegnerin dazu keine Meinung geäußert hat. Die Kammer sieht auch keinen zwingenden Grund, welcher im vorliegenden Fall gegen eine Zurückverweisung an die erste Instanz sprechen könnte. Folglich entscheidet die Kammer aufgrund der gestellten Anträge, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung des Hauptantrags und des Hilfsantrags I hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit an die erste Instanz zurückzuverweisen (Artikel 111 (1) EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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