T 0273/09 () of 2.12.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T027309.20101202
Datum der Entscheidung: 02 Dezember 2010
Aktenzeichen: T 0273/09
Anmeldenummer: 04724975.0
IPC-Klasse: B23P 6/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Reparatur und/oder Modifikation von Bauteilen einer Gasturbine
Name des Anmelders: MTU Aero Engines GmbH
Name des Einsprechenden: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit - ja
Erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 1. April 2004 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 30. April 2003 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 04724975.0 wurde das europäische Patent Nr. 1 620 225 mit 11 Ansprüchen erteilt.

Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Reparatur und/oder Modifikation von Bauteilen einer Gasturbine, insbesondere eines Flugtriebwerks, bei dem zumindest ein insbesondere beschädigter Abschnitt (11) des zu reparierenden und/oder zu modifizierenden Bauteils (10) aus dem Bauteil (10) herausgearbeitet und ein hergestelltes Ersatzteil (16) in das zu reparierende Bauteil (10) integriert wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Ersatzteil (16) mit Hilfe eines Rapid Manufacturing Prozesses hergestellt wird und dass zur Ermittlung eines hierfür notwendigen CAD-Datensatzes (15) eine Differenz zwischen dem CAD-Datensatz (13) eines unbeschädigten Bauteils oder Neuteils und dem CAD-Datensatz (14) des beschädigten Bauteils mit herausgearbeitetem Abschnitt (11) gebildet wird."

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe der Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ 1973, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.

Mit ihrer am 9. Dezember 2008 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung bezüglich des Hilfsantrags, in dem gegenüber dem erteilten Patent der Anspruch 6 gestrichen war festgestellt, dass unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 27. Januar 2009 Beschwerde ein und bezahlte am gleichen Tag die Beschwerdegebühr. Mit der am 29. Januar 2009 eingereichten Beschwerdebegründung verfolgte sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents weiter.

IV. Die Beschwerdekammer teilte in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung mit, dass die Beschwerde zulässig erscheine, aber in der Sache keinen Erfolg haben dürfte, da das beanspruchte Verfahren durch D3 als dem nächstkommenden Stand der Technik wohl nicht nahegelegt sei.

V. Am 2. Dezember 2010 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der die folgenden Entgegenhaltungen eine Rolle spielten:

D3: US-A-5 269 057

D7: DE-A-100 64 267

D9: EP-A-1 231 010

D14: Gebhardt: Rapid Prototyping, Werkzeuge für die schnelle Produktentwicklung

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 620 225.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Als nächstkommender Stand der Technik sei das Dokument D9 anzusehen, welches wie D3 gleichermaßen die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 offenbare. Ein passendes Ersatzteil mit einer dem zu reparierenden Teil entsprechenden Kristallstruktur werde dort durch ein Gussverfahren hergestellt. Hiervon ausgehend bestehe die Aufgabe darin, ein geeignetes Verfahren zur Herstellung eines Ersatzteiles für ein beschädigtes Teil zu finden.

Dem einschlägigen Fachmann werde durch D7 ein solches geeignetes Gussverfahren zur Herstellung einer Turbinenschaufel aus mehreren Teilen angeboten, welches nach der in dem Fachbuch D14 gegebenen Definition einen Rapid Manufacturing Prozess darstelle, der mittels CAD-Daten durchgeführt werde. Zwischen der Herstellung eines Reparaturteils und eines Neuteils bestehe im Hinblick auf das Rapid Prototyping kein Unterschied. Aufgrund dieser Anregung werde der Fachmann dieses Verfahren mit Hilfe der CAD-Daten auch bei dem Verfahren nach D9 einsetzen, wobei er zur Herstellung des Ersatzteils zwangsläufig die Differenz der CAD-Daten von unbeschädigtem Teil und Bauteil mit herausgearbeitetem beschädigtem Abschnitt bilden werde. Da das beanspruchte Verfahren somit naheliege, beruhe es nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

VII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, die Begriffe Rapid Manufacturing und Rapid Prototyping seien nicht gleichzusetzen, denn das Prototyping mittels generativer Verfahren, wie Guss- oder pulvermetallurgische Verfahren, seien lange vor dem Einsatz von CAD-gestützten Verfahren bekannt gewesen. So werde in D14 auch die Herstellung von Modellen durch Schichtbildung beschrieben, was mit CAD nicht zu tun habe.

Die Differenzbildung von CAD-Daten zur Herstellung des Reparaturteils liege nicht ohne weiteres nahe, denn der Fachmann könne mit der verfügbaren Technik genauso gut das beschädigte Bauteil mit oder ohne herausgearbeitetem Abschnitt vermessen.

Die Anwendung der aus D7 bekannten Technik für eine Reparatur, wie beispielsweise nach D9, oder Modifikation eines Gasturbinenbauteils liege schon deshalb fern, weil bei einem Neuteil wie in D7 die Form des Bauteils von vornherein festliege und an einer neu hergestellten Schaufel keine Modifikation vorgenommen werde.

Somit könne auch die Kombination der Entgegenhaltungen D9, D7 und D14 den einschlägigen Fachmann nicht in naheliegender Weise zum Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 führen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Die von der Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung vorgebrachte Ansicht, die Beschwerde sei unzulässig, wurde in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten. Die Kammer hatte in ihrem Bescheid bereits die vorläufige Einschätzung vertreten, dass der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit in der Beschwerdebegründung implizit enthalten und dem fachkundigen Leser ohne weiteres verständlich sei. Es besteht kein Anlass, von dieser vorläufigen Beurteilung abzuweichen.

2. Änderungen (Artikel 123 (2), (3) EPÜ)

Es wurde lediglich Anspruch 6 unter Änderung der Rückbeziehungen gestrichen, was ohne weiteres zulässig ist.

3. Neuheit (Artikel 54 (2) EPÜ 1973)

Die Neuheit ist unbestritten. Keine der zitierten Entgegenhaltungen offenbart die Bildung der Differenz von CAD-Datensätzen in einem Verfahren zur Reparatur und/oder Modifikation von Bauteilen einer Gasturbine.

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

4.1 Als nächstkommender Stand der Technik wurde von der Beschwerdeführerin - abweichend von der Beschwerdebegründung - nicht mehr D3, sondern D9 angesehen, wo ebenfalls die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 offenbart sind. Es geht dort um ein Verfahren zur Reparatur von Bauteilen einer Gasturbine, bei dem ein beschädigter Abschnitt des zu reparierenden Bauteils 3 aus diesem Bauteil herausgearbeitet und ein hergestelltes Ersatzteil 1 in das zu reparierende Bauteil 3 integriert wird.

4.2 Das Argument der Beschwerdeführerin, für die Herstellung von neuen Turbinenschaufeln und deren Reparatur sei ein- und derselbe Fachmann zuständig, wurde nicht bestritten und kann zwar insoweit als zutreffend angesehen werden. Jedoch stellen sich diesem Fachmann bei der Reparatur von Turbinenschaufeln andersartige Probleme als bei deren Neuanfertigung. So ist das Rapid Prototyping, wie es in D14 (Seite 20, 3. Absatz) beschrieben ist, ein Element des "Simultaneous Engineering", bei dem es um die Einsparung von Entwicklungszeit bei Neuentwicklungen aufgrund höherer Parallelisierung geht. Dabei wird die vollständige 3D-Geometrie-Information aus dem CAD in Schichtinformationen zerlegt und diese Schichten werden unmittelbar per Computer gebaut.

4.3 Dem einschlägigen Fachmann erschließt sich beim Lesen des Fachbuches D14 unmittelbar, dass dieses Rapid-Prototyping-Verfahren für die Herstellung der Teilstücke einer Turbinenschaufel geeignet ist, wie es D7 offenbart, denn hier liegt die Geometrie der herzustellenden Teile von Beginn an fest. Ganz anders sind die Verhältnisse jedoch bei einem Reparaturverfahren, wie es in D9 beschrieben ist und bei dem beispielsweise durch parallele Funkenerosion ein in der Kristallstruktur übereinstimmendes Reparaturteil angefertigt und über einen Schmelzvorgang in das zu reparierende Teil integriert wird. Jedenfalls muss die Geometrie des Reparaturteils erst einmal ermittelt werden. In diesem Zusammenhang werden in D9 weder Rapid Prototyping noch Rapid Manufacturing erwähnt.

4.4 Der wesentliche Unterschied zwischen einem Reparaturverfahren und der Neuteilkonstruktion besteht darin, dass die Geometrie des beschädigten Teils und die des Reparaturteils genau aufeinander passen müssen. Da in D9 jeglicher Anhaltspunkt in Richtung der Verwendung von CAD-Datensätzen fehlt, wird der Fachmann durch diesen Stand der Technik gerade nicht dazu angeregt, das zur schnellen Entwicklung von Neuteilen geeignete Rapid-Prototyping-Verfahren in der beanspruchten Weise bei Reparaturverfahren in Betracht zu ziehen.

4.5 Schließlich konnte die Beschwerdeführerin nicht überzeugend darlegen, dass der Fachmann die beanspruchte Lösung auffinden konnte, ohne erfinderisch tätig zu werden, dass nämlich das Ersatzteil mit Hilfe eines Rapid Manufacturing Prozesses hergestellt wird und dass zur Ermittlung eines hierfür notwendigen CAD-Datensatzes eine Differenz zwischen dem CAD-Datensatz eines unbeschädigten Bauteils oder Neuteils und dem CAD-Datensatz des beschädigten Bauteils mit herausgearbeitetem Abschnitt gebildet wird. Vielmehr beruht das Beschwerdevorbringen auf unzulässiger rückschauender Betrachtung in Kenntnis der Erfindung. Das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit kann nicht allein durch die Behauptung bewiesen werden, dass die "fehlenden" Merkmale dem Fachmann bekannt seien und selbstverständlich auch bei unterschiedlicher technischer Problemstellung angewendet würden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen

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