T 0043/09 (Hohlfaserdialysator/FRESENIUS MEDICAL CARE DEUTSCHLAND) of 17.9.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T004309.20120917
Datum der Entscheidung: 17 September 2012
Aktenzeichen: T 0043/09
Anmeldenummer: 01909766.6
IPC-Klasse: B01D 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Befüllung einer Filtervorrichtung, vorzugsweise Hohlfaserdialysator mit gelockten Hohlfasern
Name des Anmelders: Fresenius Medical Care Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: GAMBRO LUNDIA AB
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 114(2)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde (ja)" "Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja) - Verbesserung (ja) - kein Naheliegen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
T 0279/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die Europäische Patentanmeldung EP 01 909 766.6 wurde am 31. Mai 2006 (Datum der Bekanntgabe der Erteilung im Patentblatt 2006/22) das europäische Patent EP-B-1 257 333 mit 8 Patentansprüchen erteilt.

II. Der unabhängige Patentanspruch des erteilten Patents lautet:

"1. Verfahren zur Befüllung einer Filtervorrichtung, vorzugsweise eines Hohlfaserdialysators für die Hämodialyse, bestehend aus einem zylindrischen Filtergehäuse und einem in diesem angeordneten Bündel aus gelockten Hohlfasern mit einer periodischen Texturierung, wobei alle Hohlfasern entsprechend folgender geometrischer Gesetzmäßigkeiten gelockt sind:

5 . d < lambda < L/12 . 1/(1 + 2D/L) (1)

und

d/5 < a < lambda/5 (2),

wobei lambda die Wellenlänge der gelockten Hohlfaser darstellt,

d den Außendurchmesser der Hohlfaser,

L die effektive Länge der Hohlfasern,

D den Durchmesser des Faserbündels und

a die Amplitude der Lockung,

bei dem die zu Beginn der Befüllung im Außenraum vorhandene Luft durch einen von oben nach unten durch das Filtergehäuse geführten Flüssigkeitsvolumenstrom verdrängt wird."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 betreffen besondere Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1.

III. Gegen das erteilte Patent wurde unter Hinweis auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100(a) EPÜ Einspruch eingelegt.

IV. Der Einspruch stützte sich unter anderem auf folgende Dokumente:

D1: EP-B-0 705 611

D1a: US-A-5 895 571

D2: US-A-4 293 413

D3: WO-A-81/01 800

D15: DE-A-28 51 687

D15a: GB-A-2 009 034 (Familiendokument zu D15)

D16: JP-A-02 258 035

Dl6a: deutsche Übersetzung von D16

D20: US-A-5 470 659

V. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Einspruch hinreichend substantiiert und zulässig sei. Dokument D20 sei aber verspätet eingereicht worden und wurde mangels Relevanz nicht ins Verfahren zugelassen.

Die Neuheit stand außer Streit. Als nächstliegender Stand der Technik wurde das Dokument D1 betrachtet. Nach Meinung der Einspruchsabteilung offenbare dieses Dokument ein Verfahren zum Befüllen eines Dialysators, bei dem die Dialysatseite von unten nach oben befüllt werde. Allerdings gehe aus D1 kein texturiertes, gelocktes Hohlfaserbündel mit allen geometrischen Merkmalen, die von Anspruch 1 des Streitpatents gefordert wurden, hervor. Die Aufgabe des Streitpatents sah die Einspruchsabteilung darin, ein verbessertes Verfahren zum Befüllen eines Dialysators anzugeben. Da keines der bekanntgewordenen Dokumente, insbesondere auch nicht D15 und D16, ein Hohlfaserbündel mit der anspruchsgemäßen Texturierung zeigte, hatte die beanspruchte Lösung nicht nahegelegen.

VI. Die Beschwerde der Einsprechenden (im folgenden: Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde mit Schreiben vom 8. Januar 2009 eingelegt. Die Beschwerdebegründung vom 14. April 2009 enthielt die Argumente der Beschwerdeführerin.

VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) entgegnete im Schreiben vom 22. Juli 2009 den Ausführungen der Beschwerdeführerin.

VIII. Aufgrund der hilfsweise gestellten Anträgen beider Parteien wurde eine mündliche Verhandlung für den 25. September 2012 anberaumt.

Die Beschwerdeführerin teilte in der Folge mit Schreiben vom 25. Juli 2012 mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

Die Kammer entschied daher, die mündliche Verhandlung abzusagen und das Verfahren schriftlich weiterzuführen.

IX. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Aus D1 sei einerseits bereits ein Verfahren zum Befüllen eines Dialysators gemäß Anspruch 1 des Streitpatents bekannt. Andererseits seien Hohlfaserbündel mit den Merkmalen des Anspruchs 1 jeweils aus den Dokumenten D20, D15/D15a und D16/D16a bekannt.

D20 sei hochrelevant und solle daher ins Verfahren zugelassen werden. Es offenbare ein Bündel von 1000 gelockten Hohlfasern mit geometrischen Charakteristiken, die alle die Bedingungen von Anspruch 1 des Streitpatents erfüllten, nämlich:

Länge : L = 250 mm

Bündeldurchmesser : D = 14 mm

Faseraußendurchmesser : d = 0.216 mm

Lockungslänge : lambda = circa 20 mm (also unter der Annahme einer Schwankungsbreite von +/- 10% zwischen 18 und 22)

Lockungsamplitude : a = 1 mm

Damit sei den Bedingungen des Anspruchs 1 des Streitpatents Genüge getan. Die genannten Gesetzmäßigkeiten wiesen alle Fasern des Fasernbündels gleichermaßen auf.

Aus D15/D15a sei ein Hohlfaserbündel aus 1200 gelockten Fasern bekannt, von denen eine Mehrzahl folgende Bedingungen erfülle:

Länge : L = 300 mm

Bündeldurchmesser : D = 25 mm

Faseraußendurchmesser : d = 0.540 mm

Lockungslänge : lambda = 5 bis 10 mm Lockungsamplitude : a = 0,1 bis 0,2 mm,

woraus die nachstehenden Beziehungen abzuleiten wären:

5d = 2.7 < lambda = 5 bis 10 < L/12 x 1/(1 + 2D/L) = 21.4

und

d/5 = 0.1 < a = 0.1 bis 0.2 < lambda/5 = 1 bis 2

Das Hohlfaserbündel von D15/D15a unterscheide sich von dem Hohlfaserbündel, das im Verfahren gemäß Streitpatent verwendet werde, nur dadurch, dass nicht alle, sondern nur eine Mehrzahl der Fasern des Faserbündels die erwähnten Gleichungen erfülle. Die Beschwerdeführerin argumentierte, das Streitpatent treffe also hinsichtlich der Art der Hohlfaserbündel nur eine Auswahl aus D15/D15a. Die Auswahl sei aber nicht neu, weil sie mit keinem spezifischen Effekt verbunden sei und somit die Kriterien für die Neuheit eines Teilbereichs (gemäß T 0279/89) nicht erfülle.

Aus D16/D16a seien Hohlfaserbündel mit allen Merkmalen der beanspruchten Lockungsgeometrie bekannt, mit Ausnahme der Länge und des Durchmessers des Faserbündels. Bei plausiblen Annahmen für diese Werte fielen auch die Faserbündel aus D16/D16a unter Anspruch 1 des Streitpatents.

In Anbetracht der Tatsache, dass der Anspruch 1 des Streitpatents sowohl Verfahrens- als auch Vorrichtungsmerkmale umfasse, stelle sich die Frage, ob D1 oder aber D20 bzw. D15/D15a oder D16/D16a als nächstliegender Stand der Technik anzusehen sei.

Ausgehend von D1 habe die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung jedenfalls die Aufgabe des Streitpatents falsch definiert. Da in D1 bereits ein Verfahren zum Befüllen eines Dialysators von oben nach unten (d.h. ohne Wenden des Dialysators) beschrieben sei und sich die Befüllung gemäß Streitpatent davon nicht unterscheide, könne die Aufgabe nicht in einer Verbesserung des Befüllens gesehen werden. Vielmehr habe die Aufgabe ausgehend von D1 darin bestanden, andere Dialysatoren mit anderen Faserbündeln anzugeben, die ebenfalls von oben befüllbar seien.

Es habe nun nahegelegen, dafür einen Dialysator mit einem gelockten Hohlfaserbündel gemäß D20 bzw. D15/D15a oder D16/D16a vorzuschlagen, da aus jedem dieser Dokumente bekannt sei, dass die gelockten Faserbündel einen besseren Kontakt zur umgebenden Flüssigkeit böten. Daher könne sich die Priming-Flüssigkeit besser ausbreiten und die Luft besser aus dem Faserbündel verdrängen.

Gehe man hingegen von D15/D15a, D16/D16a oder D20 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so habe die Aufgabe des Streitpatents darin bestanden, die am besten geeignete Befüllmethode für den jeweiligen Typ von Hohlfaserdialysator zu finden. Es habe nahegelegen, routinemäßig die zwei bekannten Befüllmethoden (von oben nach unten gemäß D1) oder umgekehrt (gemäß D3) zu untersuchen, wobei die aus D1 bekannte Vorgangsweise den offenkundigen Vorteil aufweise, dass der Dialysator nicht gewendet werden müsse.

Anspruch 1 des Streitpatents beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

X. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Die Beschwerdeführerin und Einsprechende habe sich nur mit den Anspruchsmerkmalen 1 und 5 gemäß der Merkmalsanalyse des Schriftsatzes vom 22. Juli 2009, Seite 3, auseinandergesetzt und im Übrigen nur pauschal auf eine Vielzahl von Dokumenten verwiesen. Der Einspruch und die Beschwerde seien daher wegen mangelnder Substantiierung als unzulässig zu verwerfen.

Die Beschwerde sei aber auch sachlich unbegründet.

Die Erfindung beruhe auf der Erkenntnis, dass es durch die Verwendung einer Filtervorrichtung mit der patentgemäßen Texturierung und Lockung der Hohlfasern möglich sei, den Dialysatbereich des Filters mit einem Flüssigkeitsstrom zu befüllen, der von oben nach unten durch das Filtergehäuse geführt werde. Hierdurch könne auf das Drehen des Dialysators zwischen dem Befüllen des Dialysatbereichs und dem Befüllen des Blutbereichs verzichtet werden.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und der Einspruchsabteilung gehe aus D1 kein Verfahren hervor, bei dem die Dialysatseite eines Dialysators (der Außenbereich) von oben nach unten befüllt werde. Mit "priming position" sei dort nur die Position gemeint, in welcher die Blutseite befüllt werde.

D2 und D3 sähen vor, den Flüssigkeitsstrom in einer Filtervorrichtung umzukehren, um beim Befüllen der Filtervorrichtung die Position des Filters beibehalten zu können. Sie führten daher von der erfindungsgemäßen Lehre weg.

Auch eine Filtervorrichtung mit den Merkmalen 2 bis 4 der Merkmalsanalyse sei aus dem Stand der Technik nicht bekannt.

Es entspreche nicht den Tatsachen, dass die Filtervorrichtung gemäß der vorliegenden Erfindung eine Auswahl aus der in D15 gezeigten Filteranordnung darstelle, worauf die bezüglich einer Auswahlerfindung aufgestellten Grundsätze anzuwenden wären. Vielmehr sei die erfindungsgemäß verwendete Filtervorrichtung strukturell verschieden.

D16 offenbare ein Verfahren zur Herstellung von Hohlfasern, schweige aber zum Aufbau der Filtervorrichtung, insbesondere zu Länge und Dicke des Filtergehäuses, und zur möglichen Relevanz dieser Abmessungen. Der Fachmann habe daher keinen Anlass gehabt, ein Filtergehäuse zu finden, das zusammen mit den in D16 gezeigten Hohlfasern zu einer Filtervorrichtung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents führen würde.

D20 schließlich solle nicht ins Verfahren zugelassen werden, da es keine Filtervorrichtung aus einem Hohlfaserbündel offenbare, sondern nur eine Messanordnung zur Bestimmung der Durchlässigkeit dieser Hohlfasern (siehe Spalte 7, Zeile 50 und folgende). Die Enden der Hohlfasern seien verschlossen, was das Hohlfaserbündel für eine Filtervorrichtung unbrauchbar mache. Aus den Dimensionen der Messvorrichtung könnte keine Lehre für die Dimensionierung der erfindungsgemäßen Filtervorrichtung gezogen werden, insbesondere was die Länge der Hohlfasern und den Durchmesser des Faserbündels angehe.

XI. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent im vollen Umfang aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Einspruchs bzw. der Beschwerde

Die Beschwerdegegnerin hat gerügt, dass der Einspruch bzw. die Beschwerde wegen mangelnder Substantiierung nicht zulässig sei und verworfen werden solle. Es wurde argumentiert, die Beschwerdeführerin habe sich nicht mit allen Merkmalen des erfindungsgemäßen Verfahrens auseinandergesetzt, insbesondere nicht mit dem wesentlichen Merkmal, dass alle Hohlfasern der Filtervorrichtung den im Anspruch 1 angegebenen geometrischen Bedingungen genügen müssten.

Nach Auffassung der Kammer ist die Beschwerde aber ausreichend mit Gründen versehen und daher zulässig. Im Beschwerdeschriftsatz sind die Dokumente und die Fundstellen in diesen Dokumenten angegeben, die nach Meinung der Beschwerdeführerin für die Neuheit und erfinderische Tätigkeit relevant seien, wobei die Anspruchsmerkmale mit den Merkmalen des Standes der Technik korreliert werden. Was das Anspruchsmerkmal betrifft, wonach alle Hohlfasern der Filtervorrichtung den unter Anspruch 1 angegebenen geometrischen Bedingungen genügen müssen, so hat die Beschwerdeführerin argumentiert, dass im Hinblick auf D15/D15a keine neue Auswahl an Fasereigenschaften getroffen worden sei. Dass die Kammer diesem Argument nicht beipflichtet (siehe Punkt 4.6.2), ändert nichts an der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin substantiiert argumentiert hat.

Die Beschwerde ist daher zulässig.

2. Zulassung von D20

2.1 Dokument D20 wurde verspätet eingereicht. Die Einspruchsabteilung hat es als prima facie nicht relevant eingestuft und daher nicht ins Verfahren zugelassen (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 2).

Die Beschwerdeführerin hat dem widersprochen und die Relevanz von D20 unterstrichen.

Nach Artikel 114(2) EPÜ braucht das Europäische Patentamt Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen. Dem entscheidenden Organ wird also diesbezüglich ein Ermessen eingeräumt.

Gemäß G 7/93 sollte sich eine Beschwerdekammer über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, nur dann hinwegsetzen, wenn sie zu der Auffassung gelangt, dass das Ermessen nach falschen Kriterien ausgeübt wurde oder der Ermessensspielraum überschritten wurde.

Die Beschwerdeführerin selbst hat nicht vorgetragen, dass ein solcher Fall vorliege. Die Kammer kann ebenfalls keine Gründe erkennen, die eine Korrektur der erstinstanzlichen Entscheidung erforderlich machten. D20 wird daher nicht ins Verfahren zugelassen.

2.2 Unabhängig davon hat die Kammer aber D20 geprüft und erachtet es ebenfalls für nicht relevant. D20 offenbart die Herstellung eines Bündels von 1000 gekräuselten (undulierten) Hohlfasern aus regenerierter Cellulose mit einer Länge L von 250 mm, einem Bündeldurchmesser D von 14 mm, einem Faseraußendurchmesser d von 0,216 mm, einer Lockungslänge lambda von circa 20 mm und einer Lockungsamplitude a von 1 mm. Die Hohlfasern sind an einem Ende verschlossen (siehe Anspruch 1; Spalte 7, Zeilen 26 bis 32). Sie sind dadurch für den Einsatz in einem Dialysator prinzipiell nicht geeignet. Ein konkretes Verfahren zum Befüllen eines Dialysators wird in D20 auch nicht offenbart.

3. Neuheit

3.1 D1 macht keine Angaben über eine Lockung oder Texturierung von Hohlfasern. Es offenbart somit keinen Hohlfaserdialysator für die Hämodialyse oder ein Verfahren zu dessen Befüllung, wobei die Hohlfaserbündel den geometrischen Bedingungen gemäß Anspruch 1 des Streitpatents genügen würden.

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D1.

3.2 D3 betrifft eine Vorrichtung zur Umkehr der Fliessrichtungen in einem Dialyseapparat. Als Dialysefilter können Hohlfaserdialysatoren verwendet werden. D3 macht aber keine Angaben, ob die Hohlfasern gestreckt oder aber gelockt bzw. texturiert sind (siehe Figur 2; Seite 11, Zeilen 16 bis 37).

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D3.

3.3 D15/D15a offenbart semipermeable Hohlfasern und Hohlfaserbündel mit geringer Kräuselung und kurzer Wellenperiode für die Verwendung in Fluidtrennvorrichtungen (siehe Anspruch 1; Spalte 3, Zeilen 18 bis 25). Ein bestimmtes Verfahren zum Befüllen eines Dialysators wird nicht offenbart.

3.4 D16/D16a betrifft eine Dialysemembran aus Hohlfasern mit 10 bis 25 Kräuselungen pro 10 cm Faserlänge und einem Außendurchmesser von 200 bis 500 mym (siehe Patentanspruch 1 sowie Seite 4, letzter Absatz und Seite 5, zweiter Absatz). Die Hohlfaserbündel, die zu mindestens 20%, vorzugsweise 60%, aus solcherart gekräuselten Hohlfasern bestehen, dienen zur Hämodialyse von Patienten. Ein bestimmtes Verfahren zum Befüllen eines Dialysators wird jedoch nicht offenbart.

3.5 Die Kammer hat sich auch überzeugt, dass keines des anderen zitierten Dokumente den beanspruchten Gegenstand vorwegnimmt.

3.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist daher neu. Somit ist auch die Neuheit der von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche gegeben.

Die Bestimmungen des Artikels 54 EPÜ sind erfüllt.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Gegenstand der Erfindung

Das Streitpatent beschäftigt sich mit Filtervorrichtungen für die Hämodialyse, die einen Dialysatbereich und einen Blutbereich aufweisen, die durch eine semipermeable Membran getrennt sind. Im Speziellen betrifft das Streitpatent ein Verfahren zum Befüllen ("Priming") des Dialysatbereichs von Hohlfaserdialysatoren.

4.2 Nächster Stand der Technik

Die Kammer betrachtet Dokument D1 als den nächstliegenden Stand der Technik, weil es sich, unter anderem, ebenfalls mit dem Befüllen von Hohlfaserdialysatoren beschäftigt.

So offenbart Dl eine Vorrichtung zur Hämodialyse mittels Hohlfaserdialysator und ein Verfahren zum verbesserten Betrieb desselben. Gemäß Figur 2 wird der zylindrische Filter (Dialysator) (18) in einer Halterung (63) befestigt, wobei die Blutseite durch Zuflussleitung (38) und Abflussleitung (40) und die Dialysatseite durch Zuflussleitung (17) und Abflussleitung (20) hergestellt sind und der blutseitige Ausgang höher liegt als der Bluteingang. Diese Position entspricht der normalen "Priming"-Position eines Hohlfaserdialysators, in welcher die Gasbläschen sich aufwärts in Richtung Blutauslass bewegen (siehe Spalte 4, Zeilen 39 bis 46). D1 erläutert, dass nach dem Stand der Technik nach dem Befüllen der Blutseite der Dialysator um 180º gedreht werden müsse, so dass der Blutausgang tiefer als der Eingang liege (siehe Spalte 4, Zeilen 46 bis 49). Gemäß Dl ist für den Betrieb aber kein Drehen der Vorrichtung nach dem Befüllen notwendig, weil neuartige "high-flux" Membrandialysatoren mit geringerem Druckabfall und daher geringerer Gasbläschenbildung arbeiteten (siehe Spalte 5, Zeilen 16 bis 23, 40 bis 43). Es ist daher möglich, ohne Drehen auszukommen und die Blutanschlussleitungen entsprechend kürzer zu gestalten, was zu einer geringeren Belastung des Kreislaufs des Patienten durch das extra-korporale Blutvolumen führt.

Die Vorrichtung arbeitet im Gegenstrom, wobei das Blut von unten nach oben fließt (siehe Spalte 8, Zeilen 24-27).

Nach Ansicht der Patentinhaberin geht aus Dl nicht explizit hervor, wie der Filter befüllt wird. Dl beschäftige sich damit, dass der Filter nach der Befüllung nicht gedreht wird. Dies erlaube jedoch keinen Rückschluss darauf, wie der Prozessschritt der Befüllung an sich vorgeht. Es sei lediglich die Flussrichtung des Blutes von unten nach oben aus Dl abzuleiten.

Die Kammer schließt sich dem an. D1 offenbart zwar, dass wie in der vorliegenden Erfindung das Befüllen der Blutseite und der Dialysebetrieb in derselben Position stattfinden, nämlich mit dem Dialysatauslass unten (Blutauslass oben). Jedoch macht D1 keine Aussage, in welcher Position sich der Dialysator während des Befüllens der Dialysatseite befindet. Die vorstehend zitierten Stellen betreffen nur die Situation, in der die Blutseite befüllt wird. Es ist klar, dass das Augenmerk von D1 vor allem auf diesen Befüllungsschritt gerichtet ist, weil beim Befüllen der Blutseite der Patient bereits an den Dialysator angeschlossen sein muss, folglich ein Drehen des Dialysators längere Leitungen voraussetzt und Auswirkungen auf den Patienten hätte.

Die Einspruchsabteilung wies in der angefochtenen Entscheidung auf Spalte 5, Zeilen 8 bis 23, hin, wo von einer "unteren Dialysatabflussleitung während der Befüllung" gesprochen werde. Eine solche Vorgangsweise führe bei konventionellen Filtereinheiten zu Problemen durch Einschluss von Luft.

Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung ist die Kammer aber der Ansicht, dass diese Aussage sich nicht auf die Priming-Position, sondern auf den Dialysebetrieb eines konventionellen Dialysators bezieht. Vgl. Spalte 5, Zeilen 1 bis 3: "The typical membrane dialyzer is in the blood outlet end-down position during operation..." (Hervorhebung durch die Kammer). Diese unmittelbar vorangehende Textstelle macht ersichtlich, dass hier von einem Dialysebetrieb die Rede ist, wie er zum Stand der Technik vor D1 gehörte. Wenn in Spalte 5, Zeilen 11 und 12, von der "priming position" gesprochen wird, so nur, um klarzustellen, dass diese Position mit "Dialysataustritt unten" der normalen Priming-Position entspricht.

Die Kammer kommt also zum Schluss, dass aus D1 kein Verfahren zum Befüllen eines Hohlfaserdialysators bekannt ist, bei dem die Dialysatseite von oben nach unten befüllt wird.

Es war außerdem unstrittig, dass D1 auch kein Hohlfaserbündel mit den geometrischen Merkmalen (Lockung und Texturierung) gemäß Anspruch 1 des Streitpatents offenbart.

4.3 Aufgabe

Ausgehend von D1 kann die technische Aufgabe, wie sie im Streitpatent angegeben wird, beibehalten werden (vgl. Streitpatent, Abschnitt [0011]). Sie bestand darin, das Verfahren zur Befüllung des Dialysatbereichs (Außenraums) eines Hohlfaserdialysators für die Hämodialyse zu verbessern, insbesondere den Dialysatbereich möglichst schnell und luftfrei zu befüllen.

4.4 Lösung

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent ein Verfahren gemäß Anspruch 1 vor, das dadurch gekennzeichnet ist, dass

erstens die Texturierung der Hohlfasern folgenden geometrischen Gesetzmäßigkeiten genügt:

5 . d < lambda < L/12 . 1/(1 + 2D/L) (1)

und

d/5 < a < lambda/5 (2),

wobei lambda die Wellenlänge der gelockten Hohlfasern,

d den Außendurchmesser der Hohlfasern,

L die effektive Länge der Hohlfasern,

D den Durchmesser des Faserbündels und

a die Amplitude der Lockung darstellt,

und dass zweitens die zu Beginn der Befüllung im Außenraum vorhandene Luft durch einen von oben nach unten durch das Filtergehäuse geführten Flüssigkeitsvolumenstrom verdrängt wird.

4.5 Erfolg der technischen Lösung

Es wurde seitens der Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass die gestellte Aufgabe erfolgreich gelöst wurde. Die Kammer sieht auch keinen Grund, daran zu zweifeln, dass es mit dem Verfahren gemäß Anspruch 1 gelingt, den Dialysatbereich eines Hohlfaserdialysators luftfrei zu befüllen. Das Befüllen von oben nach unten geht schneller vonstatten als im Stand der Technik, da nach dem Befüllen der Blutseite kein Wenden des Dialysators um 180º erforderlich ist, bzw. da die Befüllung des Außenraumes gleichzeitig mit der blutseitigen Befüllung vorgenommen werden kann. Vgl. Streitpatent, Abschnitt [0010].

4.6 Naheliegen der Lösung

Es bleibt zu entscheiden, ob die beanspruchte Lösung im Hinblick auf den Stand der Technik nahegelegen hat.

4.6.1 Da D1 offen lässt, wie die Dialysatseite zu befüllen sei (vgl. Punkt 4.2), muss der Fachmann dies aus seinem Fachwissen bzw. aus einem anderen Stand der Technik ergänzen.

Der Fachmann wird hier nach Ansicht der Kammer auf die übliche Vorgangsweise, die beispielsweise in D3 beschrieben ist, zurückgreifen. Die Textstelle auf Seite 3, Zeilen 1 bis 18, beschreibt den konventionellen Betrieb eines Hohlfaserdialysators im Set-up-Modus ("Priming-Modus"). Die Dialysatseite wird dabei von unten nach oben befüllt ("normal upward direction"; siehe Zeile 2 und 3), danach der Dialysator um 180º gedreht und die Blutseite ebenfalls von unten befüllt. Bevor die Dialyse beginnen kann, muss der Dialysator nochmals um 180º gedreht werden. Die Nachteile dieses konventionellen Verfahrens sind in D3, Seite 3, Zeilen 22 bis 28, und im Streitpatent selbst beschrieben.

D3 sieht also vor, den Flüssigkeitsstrom in einer Filtervorrichtung umzukehren, um beim Befüllen der Filtervorrichtung die Position des Filters beibehalten zu können. Sie führen daher von der erfindungsgemäßen Lehre weg.

D2 offenbart eine vereinfachte Dialysevorrichtung mittels Hohlfaserdialysator, bei der nur mehr eine einzige Gasabscheidevorrichtung ("bubble trap") (36) an der Blutausgangsseite vorhanden ist (siehe Figur 1 und Spalte 2, Zeilen 44 bis 55). Die Vorrichtung weist außerdem ein Ventilsystem auf (Figur 2, Bezugszeichen 90), welches die Fliessrichtung der Dialyseflüssigkeit umkehren kann (siehe Spalte 4, Zeilen 33 bis 65). Beim "Primen" (Befüllen) der Seite der Dialysatflüssigkeit des Hohlfaserdialysators kann damit die Fliessrichtung gegenüber dem Dialysebetrieb umgekehrt werden, sodass die Primingflüssigkeit von unten nach oben fließt (siehe Spalte 5, Zeilen 8 bis 15). Diese Fliessrichtung entspricht der konventionellen Vorgangsweise gemäß D1 und D3.

Die Kammer schlussfolgert, dass der Fachmann aus D1, D2 oder D3 keine Lehre entnimmt, die Dialysatseite eines Hohlfaserdialysators von oben nach unten zu befüllen, geschweige denn, dass diese Dokumente einen Hinweis darauf gäben, dass es für die erfolgreiche Durchführung eines solchen Befüllungsverfahrens einer besonderen Ausgestaltung (Lockung, Texturierung) des Hohlfaserbündels gemäß Anspruch 1 des Streitpatents bedürfte.

4.6.2 Ein texturiertes, gelocktes Hohlfaserbündel mit den geometrischen Eigenschaften gemäß Anspruch 1 des Streitpatents ist nach Meinung der Kammer aus dem Stand der Technik ebenfalls nicht bekannt.

D15 beschreibt gekräuselte Hohlfasern, die zu Bündeln von 1200 Fasern zusammengefasst werden (siehe Beispiele 1 und 2); jedoch weisen nicht alle Fasern die gleiche Lockungsgeometrie auf (siehe Seite 7, Tabelle 1). Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das Streitpatent aus den Faserbündeln der D15 eine Auswahl treffe, die aber nicht den Kriterien für eine Auswahlerfindung genüge.

Die Kammer kann diesem Argument nicht folgen. Eine Auswahl würde voraussetzen, dass D15 mehrere Möglichkeiten zur Auswahl offenbarte. D15 offenbart aber nur eine konkrete Art von Faserbündel, das allerdings aus individuellen Fasern mit jeweils verschiedener Krümmungsamplitude und Wellenlänge besteht (siehe Tabelle 1). Diese Faserbündel unterscheidet sich daher vom dem im erfindungsgemäßen Verfahren verwendeten Faserbündel dadurch, dass es ungleich gelockte Hohlfasern enthält.

Aus D16 schließlich sind zwar gelockte Hohlfaserbündel bekannt, jedoch fehlen entsprechende Angaben zur Faserlänge und zum Durchmesser des Faserbündels. Zwar argumentiert die Beschwerdeführerin, dass jedes Faserbündel notwendigerweise eine bestimmte Länge und einen bestimmten Durchmesser aufweisen müsse; dies ändert aber nichts daran, dass D16 den Fachmann bezüglich dieser Angaben im Unklaren lässt. Die entsprechenden Daten aus D15 zu ergänzen, wie es die Beschwerdeführerin vorschlägt, entbehrt jeder Grundlage in D15 und in D16 selbst.

4.6.3 Selbst wenn man aber, wovon die Kammer aus obigen Gründen nicht überzeugt ist, unterstellte, dass ein Hohlfaserbündel mit den in Anspruch 1 beschriebenen geometrischen Eigenschaften im Stand der Technik bekannt wäre (beispielsweise aus D15 oder D16), so hätte der Fachmann keine Anregung gehabt, einen mit derartigen Hohlfaserbündeln ausgestatteten Hohlfaserdialysator auf der Dialysatseite von oben nach unten, also entgegen der herkömmlichen Richtung, zu "primen" (d.h. mit Dialyseflüssigkeit zu befüllen), da dies weder durch D1 noch durch D2 oder D3 nahegelegt wird.

4.7 Zu keinem anderen Ergebnis käme man, wenn man - einem Argument der Beschwerdeführerin folgend - nicht D1, sondern D15 oder D16 als nächstliegenden Stand der Technik betrachtete.

Ausgehend von einem dieser Dokumente bestünde die Aufgabe, die dem Streitpatent zugrunde liegt, darin, ein vereinfachtes Verfahren zur Befüllung einer Filtervorrichtung für die Hämodialyse anzugeben.

Bezüglich des Lösungsvorschlages und des Erfolgs der Lösung gelten die Ausführungen unter Punkt 4.4 und 4.5.

Die beanspruchte Lösung liegt im Hinblick auf den Stand der Technik nicht nahe, da aus D1, D2 oder D3 kein Verfahren hervorgeht, bei dem ein Hohlfaserdialysator auf der Dialysatseite von oben nach unten, also entgegen der herkömmlichen Richtung, befüllt wird.

4.8 Die Kammer kommt daher insgesamt zum Schluss, dass die Zusammenschau von D1, D2 oder D3 mit D15 oder D16 den Gegenstand des Streitpatents gemäß Anspruch 1 nicht nahelegen kann. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 haben zusammen mit dem gewährbaren Anspruch 1 Bestand.

4.9 Auch die anderen Dokumente des Standes der Technik geben keinen Hinweis auf die beanspruchte Erfindung.

4.10 Der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 bis 8 erfüllt daher die Bestimmungen des Artikels 56 EPÜ.

4.11 Da dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin stattgegeben werden kann, erübrigt sich die Durchführung der von der Beschwerdegegnerin nur hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung implizit zurückgenommen, indem sie erklärte, an der Verhandlung nicht teilzunehmen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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