T 2348/08 () of 19.1.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T234808.20110119
Datum der Entscheidung: 19 Januar 2011
Aktenzeichen: T 2348/08
Anmeldenummer: 02024817.5
IPC-Klasse: B22F 3/105
B29C 67/00
B23K 26/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung eines Formkörpers durch Metallpulverschmelzverfahren
Name des Anmelders: CL Schutzrechtsverwaltungs GmbH
Name des Einsprechenden: EOS GmbH Electro Optical Systems
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Offenkundige Vorbenutzung - Vertraulichkeit (verneint) (Punkt 4.2)
Klarheit der Ansprüche (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP-B1-1 419 836 betrifft ein Pulverschmelzverfahren zur Herstellung eines Formkörpers, bei dem Metallpartikel durch Energieeintrag miteinander verfestigt werden - ein sogenanntes "Rapid Prototyping" Verfahren.

II. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt und diesen darauf gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei (Artikel 100 a) EPÜ); als Einspruchsgründe wurden auch Artikel 100 b) und Artikel 100 c) EPÜ erwähnt.

III. Die Einspruchsabteilung beschloss die Aufrechterhaltung des Patents im geänderten Umfang gemäß dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten ersten Hilfsantrag. Die Entscheidung ist am 9. Oktober 2008 zur Post gegeben worden.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (die Beschwerdeführerin) am 18. Dezember 2008 Beschwerde unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr eingelegt und am 16. Februar 2009 ihre Beschwerde begründet.

V. Eine mündliche Verhandlung fand am 19. Januar 2011 statt. Während der Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin unter Rücknahme aller übrigen Anträge einen geänderten Anspruchssatz als Hauptantrag eingereicht.

VI. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (die Patentinhaberin) beantragt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Basis des als (neuen) Hauptantrag während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatzes nebst während der mündlichen Verhandlung angepasster Beschreibung und (unveränderten) Figuren 1 bis 7.

VII. Ansprüche

Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1.

a) Verfahren zur Herstellung eines Formkörpers aus

Metallpulver, nämlich Metallpulverschmelzverfahren, wobei

b) - aus Metallpulver bestehendes Baumaterial schichtweise auf eine Oberfläche aufgetragen und

c) - durch den Eintrag von Strahlungsenergie verfestigt wird,

d) - die Strahlungsenergie spurweise auf die zu verfestigende Schicht trifft und

e) - das Metallpulver in jeder Schicht aufgeschmolzen wird,

f) - zur Verfestigung des Formkörpers sich mit ersten parallelen Spuren (1-4) kreuzende zweite Spuren (9-12) von Strahlungsenergie derart eingetragen werden, dass

g) - verfestigte parallele erste und parallele zweite

Einzelmaterialstränge (20) gebildet werden,

h1) wobei die unverbunden, unmittelbar nebeneinanderliegenden ersten Einzelmaterialstränge durch die zweiten Einzelmaterialstränge zu einer vernetzten Geflechtstruktur verbunden werden, und

h2) eine Überlappung von benachbarten Parallelspuren (1-4; 9-12) vermeiden wird sowie

h3) die zweiten Spuren über die ersten Spuren gelegt werden, nachdem eine weitere Pulverschicht aufgetragen worden ist, und

i) die Kreuzungspunkte der ersten und zweiten Einzelmaterialstränge (20) zur Bildung eines Gitters aus Einzelmaterialsträngen (20) miteinander verschmolzen sind."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 16 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Verfahrens.

VIII. Stand der Technik

Die Beschwerdeführerin nahm in ihrer Beschwerdebegründung u.a. auf die folgenden in der angefochtenen Entscheidung erwähnten Druckschriften Bezug:

E4: DE 100 42 134 C2

E6a: Schreiben von EOS GmbH an die Firma Nolato Mobile AB, Kristianstad, Schweden vom 13. Juni 2000.

E6b: Kopie der an Noloto Mobile AB gelieferten englischsprachigen Bedienungsanleitung einer EOSINT M 250 Xtended, Ausgabe 08.99.

E6c: Kaufvertrag zwischen Nolato Mobile AB, Kristianstad, Schweden und EOS GmbH - Electro Optical Systems, München, vom 30. Mai 2000.

In der Beschwerdebegründung verwies die Beschwerdeführerin zusätzlich noch auf das folgende Dokument:

E15: Schulungsunterlagen zur EOSINT M250Xtended, Stand 09.02.

IX. Vorbringen der Beteiligten

a) Zulässigkeit der vorliegenden Ansprüche

Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche sehr spät im Verfahren eingereicht wurden. Anspruch 1 betreffe nicht nur Merkmale der erteilten Unteransprüche, sondern auch Merkmale aus der Beschreibung, so dass von der Beschwerdeführerin vernünftigerweise nicht habe erwartet werden können, solche Änderungen antizipierend zu berücksichtigen. Die Beschwerdegegnerin habe die Ansprüche früher stellen können, weil die Interpretation der Druckschriften E4 und E6b schon im Einspruchsverfahren bekannt gewesen wären. Der neue Anspruchssatz solle daher nicht zugelassen werden.

Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass die neuen Ansprüche in Erwiderung auf Anmerkungen eingereicht worden seien, die erst spät im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 18. November 2010 vorgebracht worden wären. Anspruch 1 enthalte Merkmale aus den erteilten Unteransprüche und lediglich den Begriff "unmittelbar" aus der Beschreibung. Die Berücksichtigung führe daher nicht zu einer Verfahrensverzögerung.

b) Zulässigkeit der Entgegenhaltung E6b

Die Beschwerdegegnerin bestritt, dass die Entgegenhaltung E6b der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, weil auf Seite 1.2 der E6b der rechtliche Hinweis stehe, dass die Betriebsanleitung nicht ohne vorherige Zustimmung der EOS GmbH Elektro Optical Systems verbreitet werden dürfe.

Die Beschwerdeführerin trug vor, dass Seite 1.2 der E6b lediglich einen üblichen Urheberrechtsvermerk darstelle. Es handle sich nicht um einen Geheimhaltungshinweis und habe mit dem Inhalt der Druckschrift nichts zu tun.

c) Zulässigkeit der Entgegenhaltung E15

Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass E15 spät im Verfahren eingereicht wurde. Das Dokument wurde nicht im Original und zur Gänze vorgelegt. Da die Figuren unlesbar seien und es nicht möglich sei, den Auszug im Kontext des ganzen Dokument nachzuprüfen, solle E15 im Verfahren nicht zugelassen werden.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die E15 im Verfahren zuzulassen, weil die Offenbarungsgehalt der E15 über E6b hinausgehe. E15 sei ein Auszug der Schulungsunterlagen zur Lasersinteranlage der E6b. Der Umstand, dass E15 lediglich auszugsweise und nicht komplett eingelegt worden sei, sei unschädlich, weil die E15 insoweit mit einem zitierten Kapital eines Buchs zu vergleichen sei. Der Auszug sei relevant für die Frage, ob der Fachmann ausgehend von der E6b die Merkmale h1) und h2) in nahe liegenden Weise kombiniert hätte. Insbesondere offenbare E15 Supportstrukturen, die aus einem Gitter von nicht überlappenden parallelen X- und Y-Linien bestehen. Die in E15 gezeigten Supportstrukturen seien typische Objekte, die mit einer Vorrichtung nach E6b erzeugt werden könnten.

d) Artikel 84 EPÜ

Die Beschwerdeführerin war der Meinung, dass das Merkmal h1 in der Anspruchsfassung nach dem (neuen) Hauptantrag unterschiedliche Interpretationen erlaube, wobei nicht klar sei, ob

a) alle ersten Einzelmaterialstränge gebildet werden müssen, bevor die zweiten Einzelmaterialstränge gebildet werden können,

und

b) ob die nebeneinander liegenden Einzelmaterialstränge in einem Abstand voneinander oder in Kontakt miteinander liegen.

Die verschiedenen Interpretationen führten zu einer Unklarheit des Anspruchs 1.

Die Beschwerdegegnerin führte aus, dass der Anspruch 1 nicht unklar, sondern lediglich breiter als die von der Beschwerdeführerin angeführten unterschiedlichen Interpretationen sei.

e) Erfinderische Tätigkeit

E6b (Kombination von Seiten 7.38/39 und Seite 7.32)

Die Beschwerdeführerin sah E6b als nächstliegenden Stand der Technik. Auf Seiten 7.38/39 werde die Herstellung eines Formkörpers aus Metallpulver durch den Eintrag von Laserenergie beschrieben. Insbesondere seien hier die ersten Startschichten des Formkörpers offenbart, die eine Gitterstruktur mit parallelen nebeneinanderliegenden Einzelmaterialspuren aufweisen.

Es sei jedoch nicht offenbart, dass die zweiten Spuren über die ersten Spuren gelegt werden, nachdem eine weitere Pulverschicht aufgetragen worden sei, um eine Geflechtstruktur in den ersten Schichten zu erzielen. Die ersten Schichten seien jedoch wichtig für die gesamte Festigkeit des Endprodukts. Deshalb bestehe ausgehend von den Seiten 7.38/39 der E6b die objektive Aufgabe darin, die Festigkeit der Struktur zu erhöhen.

Auf Seite 7.32 werden zwei übereinanderliegenden Schichten dargestellt, in denen jeweils ein Rechtgitter ausgebildet sei (siehe die dritte Hatch-Variante in der unteren Abbildung). Obwohl die Festigkeit auf Seite 7.32 nicht explizit erwähnt sei, sei es für den Fachmann klar, dass eine solche Struktur die Festigkeit des Endprodukts verbessern werde. Wenn man die auf Seiten 7.38/39 beschriebenen Schichten mit dieser Hatch-Variante bilde, werde das in Anspruch 1 definierte Verfahren erreicht.

Die Beschwerdegegnerin betonte, dass sich die Seiten 7.38/39 lediglich auf den ersten Schichten bezögen, deren Struktur sich vom eigentlichen Werkstück unterschiede. Durch diese Offenbarung werde keine kreuzende Gitterstruktur geschaffen, die einen Formkörper bildet.

Seite 7.32 offenbare eine Hatch-Struktur, aber es sei ihr nicht zu entnehmen, ob eine Überlappung von benachbarten Parallelspuren vermeiden werde. Nach der Lehre der E6b sei eine Überlappung der Spuren wichtig, um die Festigkeit des Formkörpers zu verbessern. Daher sei es für den Fachmann, der mit der Aufgabe der Festigkeit des Endprodukts beschäftigt sei, nicht offensichtlich, auf diese Maßnahme zu verzichten. Eine Kombination der Offenbarung der Seiten 7.32 und 7.38/39 mit dem Ergebnis, einen Festkörper mit unmittelbar nebeneinanderliegende Stränge, die nicht überlappend seien, herzustellen, könne nur rückschauend gemacht werden. Ferner sei nirgendwo in E6b offenbart, dass die zweiten Spuren über die ersten Spuren gelegt werden, nachdem eine weitere Pulverschicht aufgetragen worden sei. Das Verfahren nach Anspruch 1 sei daher erfinderisch.

Die Kombination von E6b, Seite 7.32, und E4

Die Beschwerdeführerin argumentierte, es sei auf Seite 7.32 nicht explizit offenbart, dass eine Überlappung von benachbarten Parallelspuren vermieden werde. Ausgehend von dieser Offenbarung sei die objektive Aufgabe darin zu sehen, einen spannungsfreien Formkörper herzustellen.

E4 betreffe auch dieses Problem (siehe Absatz [0005], "Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde…, bei der Herstellung von größeren Werkstücken mit Sicherheit ein Verzug der Werkstücke vermeiden werden"). Die Lösung nach E4 sei die nacheinander abfolgende Bestrahlung der Gitterstruktur in der Weise, dass nacheinander bestrahlte Bestrahlungslinien einen Abstand voneinander haben (Figur 2, Absätze [0024], [0025]).

Wenn man das Verfahren nach Seite 7.32 der E6b unter Rückgriff auf die Lehre der E4 ausführe, sei es offensichtlich, dass die Überlappung der Einzelspuren vermieden werde, um die Spannung im Formkörper zu eliminieren. Das Verfahren nach Anspruch 1 beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Beschwerdegegnerin räumte ein, dass die E4 die Vermeidung des Verzugs bei der Herstellung der Werkstücke betreffe. Nach der Lehre der E4 werde die Aufgabe durch die Beabstandung der Einzelabschnitte (Gruppierungen der Bestrahlungslinien) gelöst, nicht jedoch mittels der Vermeidung von überlappenden benachbarten Spuren. Bei der Gitterstruktur der E4 handele es sich lediglich um eine Umrandungsgitterstruktur für die Einzelabschnitte, die mit einer "Hatchstruktur" ausgefüllt werde und für sich genommen keinen Formkörper bilde. Die Gitterstruktur sei daher lediglich eine zusätzliche Maßnahme neben den miteinander verbundenen bzw. überlappenden Bestrahlungslinien innerhalb der Einzelschnitte. Die Kombination der Seite 7.32 der E6b mit der E4 könne daher nicht zu der beanspruchten Erfindung führen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der vorliegenden Ansprüche

Im Vergleich mit den von der Beschwerdegegnerin zunächst eingereichten Ansprüchen schließt der in der mündlichen Verhandlung als (neuer) Hauptantrag eingereichte Anspruch 1 das Merkmal des erteilten abhängigen Anspruchs 3 und den Begriff "unmittelbar" aus der Beschreibung des Streitpatents ein. Der neue Anspruch 1 unterscheidet sich daher nicht erheblich von den zuvor im Verfahren eingereichten Ansprüchen. Er führt zu keinen neuen Einwänden und seine Zulassung erfordert keine Prüfung, die den Verfahrensverlauf beträchtlich verzögerte. Der neue Anspruch 1 dient zudem dazu, in der mündlichen Verhandlung erhobene Einwände auszuräumen. Aus diesen Gründen ist der neue Anspruchssatz im Beschwerdeverfahren zuzulassen.

3. Zulässigkeit der Entgegenhaltung E15

E15 betrifft einen Auszug der Schulungsunterlagen zur EOSINT M250 Xtended, Stand 09.02 (die Lasersinteranlage der E6b) und wurde erst mit der Beschwerdebegründung ins Verfahren eingeführt.

Die kompletten Schulungsunterlagen wurden nicht eingereicht und die Figuren der eingereichten Kopie der E15 sind weitgehend unleserlich. Zwar ist es nicht immer nötig, eine Publikation komplett einzureichen, und sind Schulungsunterlagen für eine Vorrichtung häufig nicht ohne Schwierigkeiten zu erhalten. Entscheidend ist vorliegend indessen, dass es nicht möglich ist, den Auszug E15 im Kontext der ganzen Schulungsunterlagen nachzuprüfen. Hinzu kommt, dass diese Druckschrift eingereicht wurde, um nachzuweisen, dass es nicht unüblich ist, Support-Strukturen für ein bestimmtes Bauteil zu generieren, um ein besseres Ablösen des Bauteils von der Unterlage zu ermöglichen. Jedoch scheint prima facie dieses Argument hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf E6b nicht sehr relevant zu sein.

Aus diesen Gründen ist E15 im Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen.

4. E6b als Stand der Technik

4.1 Die Beschwerdegegnerin behauptete, dass die E6b nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Bei der E6b handelt es sich um die Bedienungsleitung einer Lasersinteranlage vom Typ EOSINT M 250 Xtended. Auf Seite 2 der Bedienungsanleitung ist die Ausgabe als 08.99 mit 2000 gegeben. Zusätzlich hat die Beschwerdeführerin als Antwort auf den Kaufvertrag mit Nolato Mobile (siehe E6c) ein Schreiben am 13. Juni 2000 (E6a) gesendet, in dem die Bedienungsleitung in Englisch (E6b) als Anlage genannt ist. Es ist daher glaubhaft, dass die Bedienungsleitung vor dem Anmeldetag des Streitpatentes (7. November 2002) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

4.2 Die Beschwerdegegnerin trug ferner vor, dass wegen des rechtlichen Hinweises auf Seite 1.2 der E6b die Betriebsanleitung nicht hätte verbreitet werden dürfen und somit nicht öffentlich zugänglich gewesen wäre.

Der erste Absatz auf Seite 1.2 der E6b lautet:

"The operating instructions must not be electronically or mechanically reproduced… without the express written approval of EOS GmbH Electro Optical Systems."

Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass dieser Absatz einen üblichen Urheberrechtsvermerkung darstellt. Er bedeutet keinen Geheimhaltungsvorbehalt, so dass der Inhalt der E6b insgesamt nicht als vertraulich anzusehen ist.

5. Artikel 84 EPÜ

5.1 Der Anspruch 1 unterscheidet sich u.a. vom erteilten Anspruch 1 dadurch, dass

"die unverbunden, unmittelbar nebeneinanderliegenden ersten Einzelmaterialstränge durch die zweiten Einzelmaterialstränge zu einer vernetzten Geflechtstruktur verbunden werden".

Die Beschwerdeführerin behauptete, dass dieses Merkmal verschiedene Interpretationen zulasse, die zur Unklarheit darüber führten,

a) ob alle ersten Einzelmaterialstränge gebildet werden müssen, bevor die zweiten Einzelmaterialstränge gebildet werden können, und

b) ob die nebeneinanderliegenden Einzelmaterialstränge in einem Abstand voneinander oder in Kontakt miteinander liegen.

5.2 Das Unterschiedsmerkmal definiert jedoch lediglich, dass eine vernetzte Geflechtstruktur von den ersten und zweiten Einzelmaterialsträngen gebildet wird; diese Definition ist für den Fachmann klar. Wie die Beschwerdegegnerin ausgeführte, ist das streitige Merkmal breiter als die von der Beschwerdeführerin angeführten unterschiedlichen Interpretationen, dies bedeutet indes nicht, dass das Merkmal selbst nicht klar ist. Jedenfalls muss der breitere Umfang des Merkmals für die Beurteilung der Neuheit bzw. erfinderischen Tätigkeit in Betracht gezogen werden.

6. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

6.1 Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Formkörpers aus Metallpulver, wobei Metallpulver schichtweise auf einer Oberfläche aufgetragen und durch Strahlungsenergie spurweise verfestigt wird.

Die Beschwerdeführerin sah E6b als nächstliegenden Stand der Technik und die Kammer schließt sich dieser Anfassung an, weil E6b die Bedienungsleitung einer Lasersinteranlage zur schichtweise Herstellung von Teilen aus Metallpulver betrifft. Die E6b enthält zwei relevante Offenbarungen, erstens Seite 7.32 ("Hatch-Variante") und zweitens Seiten 7.38/39 ("Randbedingungen für den Bauprozess festlegen" und "Bauzeitberechnung").

(i) Offenbarung auf Seite 7.32

Nach dem in E6b offenbarten Verfahren wird Laserenergie spurweise auf die zu verfestige Pulverschicht treffen, um einen Hatch zu bilden, d.h. einen Bereich von verfestigten parallelen Einzelmaterialstränge. Auf Seite 7.32 werden Hatch-Varianten beim Verfestigen einer Schicht beschrieben. Im unteren Bild (zweite Figur von rechts) sind zwei übereinanderliegenden Schichten gezeigt und es sind kreuzende X- und Y-Hatchlinien zu erkennen, die sich in derselben Schicht befinden. Mittels solchem Schichtaufbau wird ein Formkörper hergestellt.

Der Durchmesser der Aushärtezone des Lasers der Anlage der E6b beträgt ca. 0.6 mm (Seite 7.33), allerdings ist der Abstand der einzelnen Hatchlinien für die auf Seite 7.32 dargestellten Beispiele nicht näher erwähnt. Da die Bilder schematisch sind, ist ihnen nicht eindeutig zu entnehmen, ob eine Überlappung von benachbarten Spuren vermieden wird (Merkmal h2 des Anspruchs 1).

(ii) Offenbarung auf Seiten 7.38/39

Diese Seiten betreffen die Bildung der ersten Startschichten des Formkörpers. Gemäß der Abbildung auf Seite 7.38 ist ein "DMLS-Start-Modus" aktiviert, der zehn Schichten umfasst. Der Hatch-Abstand der ersten Schicht ist mit 3.00 angegeben und, obwohl keine Einheiten explizit erwähnt sind, ist es naheliegend, dass der Fachmann die Einheiten als "mm" versteht. Da der Durchmesser des Verfestigungszone des Lasers der E6b Anlage ca. 0.6 mm beträgt, wird eine Überlappung von benachbarten Parallelspuren in der ersten Schicht vermieden.

Die Hatch-Struktur der ersten Schichten ist auf Seite 7.38 nicht näher definiert, insbesondere ist nicht offenbart, ob eine sich kreuzende Gitterstruktur gebildet wird. Außerdem betrifft dieses Beispiel lediglich die ersten zehn Schichten des Formkörpers. Die Abbildung auf Seite 7.38 zeigt, dass der Formkörper aus 99 Schichten gebildet wird. Die Struktur der anderen 89 Schicht ist nicht bekannt und deshalb ist daraus nicht ableitbar, dass der Formkörper unverbundene, unmittelbar nebeneinanderliegende Einzelmaterialstränge, die zu einer vernetzten Geflechtstruktur verbunden werden, aufweist (Merkmal h1 des Anspruchs 1).

6.2 Erfinderische Tätigkeit hinsichtlich der Offenbarung auf Seiten 7.38/39

6.2.1 Ausgehend von dieser Offenbarung wird die objektive Aufgabe darin gesehen, ein geeignetes Hatch, d.h. eine Hatch-Variante und Hatch-Abstand, für den Formkörper zu wählen, so dass ein im Wesentlichen spannungsfreier Formkörper unter Einsparung von Bauzeit mit ausreichender Festigkeit erzielt wird. Dies entspricht der Aufgabe, die der Erfindung zugrunde liegt (siehe Absatz [0006] des Streitpatents).

6.2.2 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die Lösung auf Seite 7.32 der E6b entnehmbar sei. Dort sind in der unteren Abbildung vier Hatch-Varianten offenbart, und eine davon hat kreuzende X- und Y-Hatchlinien, die zu einer Geflechtstruktur führen könnten. Der Hatch-Abstand ist aber auf Seite 7.32 nicht offenbart, und es ist nicht eindeutig, dass der auf Seite 7.38 angegebene Hatch-Abstand der ersten Schicht (3.00 mm) auch für die anderen Schichten des Formkörpers verwendet wird.

6.2.3 Nach Anspruch 1 muss der Hatch-Abstand so gewählt werden, dass die unmittelbar nebeneinanderliegenden ersten Einzelmaterialstränge unverbunden sind, aber trotzdem durch die zweiten Stränge zu einer vernetzten Geflechtstruktur verbunden werden. Die Offenbarung auf Seite 7.32 überlässt dem Fachmann noch die weiter erforderlichen Maßnahmen, nämlich die Wahl der richtigen Option für die kreuzenden X- und Y-Hatchlinien und eines geeigneten Hatch-Abstands. Daher lässt die beanspruchte Anordnung der Einzelmaterialstränge sich aus 7.38/39 und 7.32 nicht in naheliegender Weise ableiten und das Verfahren des Anspruchs 1 hinsichtlich dieser Offenbarungen ist erfinderisch.

6.3 Erfinderische Tätigkeit hinsichtlich der Offenbarung auf Seiten 7.32 in Kombination mit E4

6.3.1 Das Verfahren nach Anspruch 1 unterschiedet sich von der Offenbarung auf Seite 7.32 dadurch, dass eine Überlappung von benachbarten Spuren vermieden wird. Dieses hat zur Wirkung, dass eine gleich verteilte Erwärmung der Pulverschichten erzielt wird, wodurch die Struktur des Formkörpers relativ spannungsfrei ist. Ausgehend von Seite 7.32 wird die objektive Aufgabe darin gesehen, eine Hatch-Variante zu wählen, die zu einem spannungsfreien Formkörper führt.

6.3.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die Lösung in E4 offenbart sei. E4 betrifft ein gattungsgemäße Metallpulverschmelzverfahren und insbesondere die Vermeidung des Verzugs des Formkörpers (E4, Absatz [0005]), d.h. der Formkörper ist spannungsfrei.

Nach E4 wird diese Aufgabe durch die bereichsweise Bestrahlung von Einzelabschnitten, die zeitlich nacheinander einen Abstand voneinander haben, gelöst. Innerhalb der Einzelschnitten sind jedoch miteinander verbundene bzw. überlappende Bestrahlungslinien vorhanden. E4 offenbart auch die Bildung einer Gitterstruktur. Die dazwischen liegende Bereiche der Gitterstruktur werden danach in Einzelabschnitten ausgefüllt (E4, Absätze [0024] und [0025]). Wie die Beschwerdegegnerin argumentierte, ist die Gitterstruktur der E4 als eine Umrandungsgitterstruktur für die Einzelabschnitte anzusehen.

Die Lehre der E4 ist daher darin zu sehen, Einzelabschnitte zu bilden, die mit einer "Hatchstruktur" ausgefüllt werden, um eine spannungsfreie Struktur zu erzielen. Diese Lösung betrifft jedoch ein anderes Verfahren.

Während sich das Verfahren nach E4 durch stochastische Bestrahlung auszeichnet, liegt dem Verfahren nach Anspruch 1 die Lösung zugrunde, eine Überlappung benachbarter bestrahlter Spuren zu vermeiden.

Diese Lösung ist aus der E4 nicht ableitbar, und daher kann die Kombination der Seite 7.32 der E6b mit E4 nicht zu der beanspruchten Erfindung führen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverweisen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Beschreibung: Spalten 1 bis 5, wie in der mündlichen Verhandlung als (neuer) Hauptantrag eingereicht;

Ansprüche: 1 bis 16, wie in der mündlichen Verhandlung als (neuer) Hauptantrag eingereicht;

Figuren: 1 bis 7, wie erteilt.

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