T 2286/08 () of 19.7.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T228608.20120719
Datum der Entscheidung: 19 Juli 2012
Aktenzeichen: T 2286/08
Anmeldenummer: 05000467.0
IPC-Klasse: A61B 19/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Video-Tracking und -Registrierung
Name des Anmelders: BrainLAB AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit: ja (nach Änderungen)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 22. Juli 2008 zur Post gegebene Entscheidung nach Lage der Akte der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patent anmeldung Nr. 05 000 467.0 zurückgewiesen wurde. Die Zurückweisung wurde mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit der beanspruchten Gegenstände begründet.

II. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte hiergegen am 5. August 2008 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 20. November 2008 eingereicht.

III. Mit Bescheid vom 19. April 2012 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Meinung mit, insbesondere hinsichtlich den Anforderungen von Klarheit und erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Dokument

D1: US-A-6 006 126.

IV. Am 19. Juli 2012 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Beschwerdeführerin die bisherigen Anträge zurückzog und abschließend beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 16 und Beschreibungsseiten 1, 1a und 2 bis 8, sowie der ursprünglich eingereichten Zeichnungsblätter 1/2 und 2/2 zu erteilen.

V. Die unabhängigen Verfahrens- und Vorrichtungsansprüche 1 und 10 lauten wie folgt:

"1. Tracking- und Registrierungsverfahren zum räumlichen Orten und Verfolgen eines medizinischen Instruments (8) und eines Patienten (5) bzw. eines Patientenkörperteils mit einer Kameraanordnung (1) die mindestens zwei Kameras (2) aufweist, sowie zum gegenseitigen Zuordnen der Raumposition des Patienten (5) bzw. des Körperteils des Patienten (5) und eines akquirierten, gespeicherten Patientendatensatzes, bei dem mittels derselben Kameraanordnung (1)

- Trackingmarkierungen (4) auf dem medizinischen Instrument (8) und dem Patienten (5) bzw. dem Patientenkörperteil aufgenommen, aus den Kameraaufnahmen extrahiert und verfolgt werden, um die Ortung und die Verfolgung des medizinischen Instruments (8) und des Patienten (5) bzw. des Körperteils durchzuführen; und

- Videoaufnahmen der Oberfläche des Patienten (5) bzw. des Körperteils erstellt werden, in denen Oberflächen teile unterstützt durch ein computergestütztes Morphingverfahren identifiziert werden, welche durch ein computergestütztes Matchingverfahren mit entsprechenden Oberflächenteilen in dem gespeicherten Patientendaten satz in Korrespondenz gebracht werden, um die Zuordnung der Raumposition des Patienten (5) bzw. des Körperteils eines Patienten (5) und des Patientendatensatzes durchzuführen."

"10. Vorrichtung zum räumlichen Orten und Verfolgen eines medizinischen Instruments (8) und eines Patienten (5) bzw. eines Patientenkörperteils, die einen Computer (10) und eine einzige mit dem Computer (10) verbundene Kameraanordnung (1) mit mindestens zwei Kameras (2) aufweist, wobei die Kameraanordnung (1) ausgestaltet ist, Trackingmarkierungen auf dem medizinischen Instrument (8) und dem Patienten (5) bzw. dem Patientenkörperteil aufzunehmen, wobei der Computer (10) mittels eines darauf geladenen Programms ausgestaltet ist, die Trackingmarkierungen aus den Kameraaufnahmen zu extrahieren und zu verfolgen, um die Ortung und die Verfolgung des medizinischen Instruments (8) und des Patienten (5) bzw. des Körperteils durchzuführen, wobei die Kameraanordnung (1) ferner dazu ausgestaltet ist, Videoaufnahmen der Oberfläche des Patienten (5) bzw. des Körperteils zu erstellen, wobei der Computer mittels des Programms ferner dazu ausgestaltet ist, in den Video aufnahmen Oberflächenteile mittels eines Morphing verfahrens zu identifizieren und mittels eines Matching verfahrens mit entsprechenden Oberflächenteilen in dem gespeicherten Patientendatensatz in Korrespondenz zu bringen, um die Zuordnung der Raumposition des Patienten (5) bzw. des Körperteils des Patienten (5) und des Patientendatensatzes durchzuführen."

Die Ansprüche 2 bis 7 und 11 bis 16 sind hiervon abhängige Ansprüche.

Darüber hinaus enthält der Anspruchssatz zwei weitere, jeweils auf ein Programm bzw. ein Computerprogramm-Speichermedium gerichtete Ansprüche folgenden Wortlauts:

"8. Programm, das, wenn es auf einem Computer läuft oder in einem Computer geladen ist, den Computer veranlasst, ein Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 7 durchzuführen."

"9. Computerprogramm-Speichermedium, das ein Programm nach Anspruch 8 aufweist."

VI. Zur Stütze einer erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen die unter den nachfolgenden Punkten 3.2 bis 3.5 angegebenen entscheidungsrelevanten Argumente vor. Die Beschwerdeführerin reichte während des Beschwerdeverfahrens ferner zwei weitere Dokumente ein, die die Durchführung von Morphingverfahren im Bereich der allgemeinen Bildverarbeitung beschreiben.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

Grundlage für den Gegenstand des Verfahrensanspruchs 1 bilden die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 3 und 6, nebst ursprünglicher Beschreibungsseite 2, Zeilen 5 bis 6 und 11 bis 12. Grundlage für den Gegenstand des unabhängigen Vorrichtungsanspruchs 10 bildet der ursprünglich eingereichte Vorrichtungsanspruch 12, ergänzt durch das Merkmal eines Computers (gemäß dem die ursprünglichen Seiten 4 und 5 überbrückenden Satz), der mittels eines darauf geladenen Programms die Verfahrensschritte der ursprünglichen Ansprüche 3 und 6 durchführt. Die auf ein Programm bzw. ein Computerprogramm-Speichermedium gerichteten Ansprüche 8 und 9 entsprechen jeweils den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 10 und 11.

Die durchgeführten Änderungen erfüllen somit das Erfordernis von Artikel 123(2) EPÜ und beheben zugleich die von der Kammer beanstandeten Klarheitsmängel.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Der nächstliegende Stand der Technik ist durch das Dokument D1 gegeben. Es offenbart ein Verfahren für die Navigation eines medizinischen Instruments relativ zur anatomischen Umgebung (Spalte 2, Zeilen 13 bis 29). Dazu werden in D1 Trackingmarkierungen (702, 703 in Figur 7) auf einem Instrument (701) mittels einer Kameraanordnung mit zwei Kameras (704, 705) aufgenommen und verfolgt, nachdem die notwendige Registrierung mit gespeicherten Patientendaten erfolgt ist (Spalte 12, Zeilen 38 bis 55; Spalte 2, Zeilen 20 bis 29). Dazu werden im Ausführungs beispiel der Figur 7 ebenfalls Trackingmarkierungen auf dem Patienten angebracht und von denselben Kameras aufgenommen (siehe Spalte 12, Zeilen 26 bis 27). Figur 10A zeigt derartige Trackingmarkierungen beispielhaft als ein mittels Laser aufprojiziertes Liniengitter 870. Die entsprechenden "Oberflächenteile" in den Videoaufnahmen (z.B. die Punkte des Gitters 870B in Figur 10B) werden mit den Punkten der Punktewolke 872 (Figur 10C) der gespeicherten Patienten-Bilddaten durch ein computer gestütztes Matchingverfahren in Korrespondenz gebracht (Spalte 17, Zeile 66 bis Spalte 18, Zeile 7).

D1 erwähnt einleitend ebenfalls die Verfolgung von Patientenbewegungen (vgl. Spalte 9, Zeilen 44 bis 46: "Thus, the entire field (instruments, microscope, anatomy) can be tracked in real time."), ohne jedoch konkrete, explizite Angaben über diesen Verfahrensschritt im Ausführungsbeispiel der Figur 7 zu geben. Eine derartige Verfolgung der Markierungen auf dem Patienten ergibt sich allerdings naheliegenderweise schon deshalb, da bei einer intraoperativen Positionsänderung des Patienten eine erneute Referenzierung der Patientenmarkierungen notwendig wird, um nach Positionsänderung eine zuverlässige Navigation des Instruments weiterhin durchführen zu können (vgl. Spalte 2, Zeilen 13 bis 29). Dieses aus D1 offensichtliche Problem entspricht dem in der Anmeldung auf Seite 1, Absatz 2 erwähnten Problem der Verfolgung des Patientenkörpers zur Vermeidung der Fortpflanzung von Ungenauigkeiten und daraus resultierenden Berechnungsfehlern. Mit derartigen erneuten Referenzierungen des Patienten würden die Markierungen auf dem Patienten "verfolgt", wie im Anspruch 1 definiert wird.

3.2 Im Gegensatz zur Offenbarung von D1 werden im Verfahren des Anspruchs 1 die Oberflächenteile des Patienten zunächst durch ein computergestütztes Morphingverfahren identifiziert, und erst in einem darauffolgenden, weiteren Schritt werden die identifizierten Oberflächenteile durch ein computergestütztes Matchingverfahren mit entsprechenden Oberflächenteilen in dem gespeicherten Patientendatensatz in Korrespondenz gebracht.

3.3 Durch den Einsatz eines Morphingverfahrens zur Identifizierung von Oberflächenteilen beschreibt die vorliegende Erfindung einen anderen Weg als D1. Das Morphen der Videobilder beider Kameras erlaubt die Bilder über ihre Erstreckung hinweg lokal so lange zu deformieren, z.B. zu strecken oder zu stauchen, bis eine Übereinstimmung der Bilder vorliegt. Beim Morphen der Bilder stehen für die Identifizierung von Oberflächenteilen nicht mehr nur diskrete Bildelemente, wie z.B. einzelne Gitterpunkte wie in D1, zur Verfügung, sondern sämtliche Bildbestandteile, so auch beispielsweise Helligkeits- oder Farbgradienten. Dies führt dazu, dass die aus den 2D-Videobildern gewonnenen dreidimensionalen Daten der Patientenoberfläche feiner aufgelöst sind, was die anschließende Registrierung ("in Korrespondenz bringen") mit dem gespeicherten Patientendatensatz über ein computergestütztes Matchingverfahren genauer macht. Darüber hinaus erlaubt das beanspruchte Verfahren ohne die in D1 beschriebene Laser-Projektion eines Gitters auf den Patientenkörper auszukommen.

Folglich löst das erwähnte Unterscheidungsmerkmal das objektive technische Problem einer genaueren Zuordnung der Raumposition des Patienten zum gespeicherten Patientendatensatz bei gleichzeitiger Verringerung des apparativen Aufwands.

3.4 Das in der vorliegenden Erfindung verwendete Morphingverfahren ist ein an sich bekanntes Verfahren, das jedoch in dem beanspruchten Zusammenhang der Identifizierung von Patientenober flächen teilen in einem Trackingsystem noch nicht verwendet wurde. Zusätzlich zu den in der angefochtenen Entscheidung herangezogenen gebietsfremden Anwendungen von Morphingverfahren reichte die Beschwerdeführerin während des Beschwerdeverfahrens sogar weitere Dokumente ein, die die Durchführung von Morphingverfahren im Bereich der allgemeinen Bildverarbeitung genauer beschreiben.

Die Kammer schließt sich somit der Sichtweise der Beschwerdeführerin an, wonach die Verwendung dieser ansonsten bekannten Morphingverfahren im konkreten Fall der Identifizierung von Patientenober flächenteilen im Tracking- und Registrierungsverfahren eines medizinischen Instruments und eines Patienten gemäß D1 dem Fachmann nicht nahegelegt wird.

Es werden auch in keinem weiteren Tracking- und Registrierungsverfahren, das aus den in der angefochtenen Entscheidung zitierten Dokumenten bekannt ist, Patientenober flächen teile mittels eines Morphing verfahrens identifiziert, die anschließend mittels eines Matchingverfahrens mit einem gespeicherten Patientendatensatz in Korrespondenz gebracht werden.

3.5 Demzufolge beruht das Tracking- und Registrierungs verfahren des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Dies gilt somit auch für den Anspruch 8, der ein Programm zur Durchführung des Verfahrens gemäß Anspruch 1 definiert, und es gilt ferner auch für den Anspruch 9, der ein Computerprogramm-Speichermedium mit besagtem Programm (gemäß Anspruch 8) definiert.

Die Vorrichtung gemäß unabhängigem Anspruch 10 beinhaltet die strukturellen Merkmale, die dem Verfahren des Anspruchs 1 entsprechen, und ist somit ebenfalls patentierbar.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Ansprüche: Nr. 1 bis 16 eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2012;

Beschreibung: Seiten 1, 1a, 2 bis 8 eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2012;

Zeichnungen: Blatt 1/2 bis 2/2 wie ursprünglich eingereicht.

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