T 2107/08 (Handover/DLR) of 26.1.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T210708.20110126
Datum der Entscheidung: 26 Januar 2011
Aktenzeichen: T 2107/08
Anmeldenummer: 05025217.0
IPC-Klasse: H04Q7/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Durchführen von Handover- und Roaming-Prozeduren in Funknetzen
Name des Anmelders: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Haupt- und Hilfsantrag) - verneint
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Anmeldung Nr. 05025217.0 aufgrund des Artikels 97 (2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Gegenstand des geltenden unabhängigen Anspruchs 1 nicht neu sei (Artikel 54 EPÜ) und die weiteren Merkmale der abhängigen Ansprüche 2-8 nicht neu seien bzw. nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Es wurde auf die folgenden Druckschriften verwiesen:

D1: EP 1253796 A2

D2: EP 1460873 A1

III. Zusammen mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin neue Anspruchssätze gemäß einem Haupt- und einem Hilfsantrag ein. Es wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Haupt- oder des Hilfsantrags zu erteilen. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

IV. In einer Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung nahm die Kammer zur unzulässigen Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung (Artikel 123(2) EPÜ), zur Klarheit des Wortlauts der Ansprüche beider Anträge (Artikel 84 EPÜ) sowie zur Neuheit (Artikel 54(2) EPÜ) und erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) des beanspruchten Verfahrens beider Anträge vorläufig Stellung.

V. Die Beschwerdeführerin reichte am 23. Dezember 2010 geänderte Ansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag ein. Es wurde beantragt, die Zurückweisungsentscheidung auf¬zu¬heben und ein Patent auf der Grundlage der am 23. De¬zember 2010 eingereichten Ansprüche 1-8 (Hauptantrag) oder der Ansprüche 1-4 (Hilfsantrag) zu erteilen.

Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:

"Verfahren zum Durchführen von Handover- und Roaming-Prozeduren zwischen einem mobilen Funkkommunikations¬endgerät eines Nutzers (N; N1, N2, N3) und Zugriffs¬stationen, die verschiedenen, unterschiedlich ver¬walteten und/oder zugangstechnologisch unterschied¬lich ausgelegten Funknetzen (UMTS, BT, WLAN) angehören können, dadurch gekennzeichnet, dass das mobile Funk¬kommunika¬tions¬endgerät des Nutzers (N; N1, N2, N3) über eine beliebige verfügbare Netzwerkanbindung auf eine zentrale, netzübergreifende Datenbank (DB) zurückgreift, in der alle am augenblicklichen Ort des Nutzers erreich¬baren Funknetze (UMTS, BT, WLAN) und deren Zugangs¬parameter als Informationen enthalten sind, dass die Befüllung der Datenbank mit diesen Informationen entweder durch deren Betreiber oder durch Beobachtungen und Feedback derjenigen mobilen Funk-Kommunikations¬geräte oder Zugriffsstationen vorgenommen wird, die das Verfahren einsetzen, und dass auf der Grundlage dieser aus der Datenbank erhaltenen Informationen mittels eines Programms auf dem mobilen Funkkommunikationsendgerät des Nutzers das jeweils geeignete Zugangsfunknetz ohne weitere notwendige Interaktionen des Nutzers ausgewählt und eine Verbindungsübergabe des mobilen Funkkommunika¬tions¬¬endgeräts des Nutzers in das ausgewählte Zugangsfunknetz durchgeführt wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags fügt dem Anspruch 1 des Hauptantrags die folgenden weiteren Merkmale hinzu:

"dass über eine Schnittstelle ein Optimierungsverfahren, das die höchstmögliche Verfügbarkeit der beteiligten Funknetze (UMTS, BT, WLAN) oder die niedrigsten Über¬tragungskosten der beteiligten Funknetze betrifft, zur Auswahl eines Funknetzes (UMTS, BT, WLAN) integriert wird und dass in der Datenbank (DB) zwischen Netzbe-treibern und Internet-Service-Anbietern unterschieden wird, so dass günstige lokale Internetzugänge gegenüber netzweiten Zugängen eines oder mehrerer Betreiber bevorzugt werden."

VI. In einem weiteren, am 24. Januar 2011 eingegangenen Schreiben teilte die Beschwerdeführerin der Kammer mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

VII. In der Beschwerdebegründung und dem am 23. Dezember 2010 eingereichten Schreiben brachte die Beschwerdeführerin vor, D1 sei auf einen anderen Zweck als die Anmeldung gerichtet und betreffe zudem einen anderen Gegenstand, nämlich die "Vermittlung von On-Demand-Diensten basierend auf verfügbaren Netz¬ressourcen". Die Erfindung hingegen unterstütze die Durchführung von Handover-Prozeduren. Der Erfindung und D1 gemeinsam sei lediglich die Datenbank, in der an verschiedenen Orten zugängliche Funknetze gespeichert und von Teilnehmern abfragbar seien. D1 werde von dem Fachmann nur in - unzulässiger - rückschauender Betrachtung wahrgenommen und könne folglich nicht als nächstliegender Stand der Technik zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden.

VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 26. Januar 2011 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt und endete mit der Verkündung der Entscheidung über die Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Erfindung - Hintergrund

Zellulare Mobilfunknetze zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, eine bestehende Verbindung zwischen einer Mobilstation und dem Netz ohne Unterbrechung von einer Funkzelle an eine andere zu übergeben. Die Verbindung kann zu einer Funkzelle desselben Netzes übergeben werden - in der Anmeldung als "Handover" bezeichnet - oder, wofür die Anmeldung den Begriff "Roaming" verwendet, zu einer Funkzelle eines fremden Netzes. Eine Übergabe an eine Funkzelle eines fremden Netzes soll unabhängig davon erfolgen, ob das fremde Netz dieselbe Zugangsart wie das erste Netz aufweist und ledig¬lich anders verwaltet ist (z.B. Wechsel vom GSM-Netz eines bestimmen Betreibers zum GSM-Netz eines anderen Betreibers) oder sich in der Zugangsart vom ersten Netz unterscheidet (z.B. Wechsel von einem GSM-Netz zu einem Bluetooth oder WLAN-Netz, vgl. Absatz [0002] der veröffentlichten Anmeldung). In der Anmeldung wird als Ziel der Erfindung angegeben, "eine kosten¬günstige, unterbrechungsfreie Nutzung von Funk¬netzen mit unterschiedlicher physika¬lischer Zugangs¬technik oder von Funknetzen mit gleicher physikalischer Zugangstechnik, aber unabhängiger Administration" zu erlauben (Absatz [0007]). Die Beschreibung befasst sich eingehend mit der Ermittlung von verfügbaren Funkzellen am jeweiligen Ort einer Mobilstation. Eine Verbindungs¬übergabe wird im Absatz [0002] der Anmeldung bei der Beschreibung des Stands der Technik erwähnt, die konkreten technischen Schritte einer Verbindungs¬übergabe sind jedoch nicht Gegenstand der Erfindung.

2. Anspruch 1 des Hauptantrags - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

Die Druckschrift D1 offenbart ein Verfahren zur Auswahl eines drahtlosen Netzzugangs für einen Benutzer. Für die Auswahl werden Netze unterschiedlicher Zugangsart in Betracht gezogen, beispielsweise 3G oder 4G Mobilfunk¬netze oder WLAN (Absatz [0002] von D1). Die Auswahl erfolgt anhand wirtschaftlicher Kriterien wie beispiels¬weise die Kosten der Verbindung über den jeweiligen Netzzugang, oder die für eine bestimmte Benutzer¬anwendung gewünschte Verbindungsqualität (Absätze [0004] und [0005]). Ein Server 120 stellt zum Zweck einer Netzauswahl eine Daten¬bank 210, in der für einen bestimmten Ort ver¬fügbare Netzzu¬gänge und entsprechende Zugangs¬infor¬mationen gesammelt werden, bereit (Figur 2 und Absatz [0014]). Es ergibt sich implizit aus D1 und wurde von der Beschwerde-führerin nicht in Frage gestellt, dass die Datenbank zumindest durch ihren Betreiber mit Netz¬zugangs¬infor¬mationen befüllt werden kann. Die Mobil¬station des Nutzers teilt dem Server ihren momentanen Aufenthaltsort mit und erhält im Gegenzug Informationen hinsichtlich der an ihrem Aufenthalt¬sort möglichen Netzzugänge (Absatz [0011]). Die Mobilstation nutzt die erhaltenen Netzzugangs¬informationen zur Auswahl eines geeigneten Netzes (Absatz [0012]).

Während D1 sich auf die Auswahl eines Netzzugangs für eine neu aufzubauende Verbindung bezieht, ist das Verfahren gemäß Anspruch 1 auf das "Durchführen von Handover- und Roaming-Prozeduren", also die Übergabe einer bereits bestehenden Verbindung zwischen Funkzellen gerichtet. Somit ist das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags neu (Artikel 54 EPÜ).

3. Anspruch 1 des Hauptantrags - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist D1 relevanter Stand der Technik, von dem zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auszugehen ist. Gegenstand von D1 ist die Auswahl einer Funkzelle zum Aufbau einer Verbindung. Dem Fachmann ist bewusst, dass eine Verbin¬dungs¬übergabe ebenso den Aufbau einer neuen Verbindung erfordert, und zwar zu einer hierfür auszuwählenden anderen Funkzelle. Daher wird er die Offenbarung von D1 bei der Suche nach einer Lösung zum Auffinden geeigneter Funkzellen für eine Verbindungsübergabe berücksichtigen.

Gegenüber D1 unterscheidet sich das Verfahren gemäß Anspruch 1, dass es zur Durchführung einer Handover- bzw. Roaming-Prozedur vorgesehen ist und die bestehende Verbindung an das ausgewählte Zugangsfunknetz übergeben wird. Ausgehend von D1 besteht somit die objektive technische Aufgabe darin, eine bestehende Verbindung ohne Unterbrechung an ein geeignetes Funknetz zu übergeben.

Wie bereits oben erwähnt erfordert die Übergabe einer bestehenden Verbindung das Auffinden geeigneter Funk¬zellen, aus denen in einem weiteren Schritt eine be¬stimmte ausgewählt wird. Daher wird der Fachmann bei der Bestimmung einer Funkzelle zum Zweck der Verbindungs¬übergabe in derselben Weise vorgehen wie beim Aufbau einer neuen Verbindung und folglich in naheliegender Weise in Betracht ziehen, die für eine Verbindungs¬übergabe in Frage kommenden Funk-zellen in derselben Weise zu bestimmen wie in D1, und wird die bestehende Verbindung an eine aus diesen ausgewählte Funkzelle weitergeben. Der Fachmann gelangt somit in naheliegender Weise zu dem in Anspruch 1 beanspruchten Verfahren, das daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).

4. Anspruch 1 des Hilfsantrags - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Das weitere Merkmal des Anspruchs 1 des Hilfsantrags, wonach die Auswahl eines Funknetzes hinsichtlich der Verfügbarkeit oder der Kosten optimiert wird, ist aus D1 bekannt, vgl. die Absätze [0004] und [0005]; dies impliziert die Anwendung eines entsprechenden Optimierungs¬verfahrens. Das weitere Merkmal, nämlich zwischen Netzbetreibern und Internet-Service-Anbietern zu unterscheiden und einen Typ von Anbietern zu bevorzugen, wird dem Fachmann durch D2 nahegelegt, welches ihn anleitet, vorab Prioritäten für bestimmte Netzzugangsarten in einer Tabelle festzulegen und aus den vorgefundenen Netzen dasjenige mit der höchsten vorgewählten Benutzerpriorität auszuwählen. Die bevorzugte Auswahl eines Netzbetreibers oder eines Internet-Service¬anbieters hängt von den Bedürfnissen des Benutzers ab und ist somit willkürlich; sie trägt daher nicht zur erfinderischen Tätigkeit bei. Folglich beruht das Verfahren nach Anspruch 1 des Hilfsantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

5. Da somit keiner der vorliegenden Anträge das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ erfüllt, kann der Beschwerde nicht stattgegeben werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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