European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2011:T191308.20111124 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 24 November 2011 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1913/08 | ||||||||
Anmeldenummer: | 97925944.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | C09D 133/06 B05D 7/26 C08G 18/78 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Mehrschichtige Lackierung, Verfahren zu deren Herstellung und hierfür geeigneter nicht-wässriger Decklack | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF Coatings GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | PPG Industries Ohio, Inc. DuPont Performance Coatings GmbH |
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Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulassung während der mündlichen Verhandlung angebotener Beweismittel (nein) Hauptantrag und 2. Hilfsantrag - Verstoss gegen Artikel 123(2) EPÜ 1. und 3. Hilfsantrag: Erfinderische Tätigkeit (nein) - Lösung naheliegend bei Suche nach Alternativen |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 0 843 706 betrifft eine mehrschichtige Lackierung, deren nicht-wässriger Decklack ein bestimmtes, sekundäre Hydroxylgruppen enthaltendes Polyacrylatharz enthält, das mittels Tris(alkoxycarbonylamino)triazin vernetzt ist.
II. Gegen die Erteilung des Patents wurde Einspruch erhoben von PPG Industries Ohio, Inc. (Einsprechende I) und DuPont Performance Coatings GmbH (Einsprechende II).
Der Einspruch richtete sich gegen den gesamten Umfang des Patents und stützte sich auf Gründe gemäß Artikel 100(a) (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), 100(b) und (c) EPÜ.
III. Im Einspruchsverfahren wurden u. a. die folgenden Druckschriften genannt:
(D1) EP-A-0 604 922
(D2) WO-A-95/23 653
(D3) WO-A-96/34 905
(E3) US-A-5 503 935
(E15) WO-A-97/03 102
(E16) WO-A-97/06 197
(E25) Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Auflage, Band 16, Verlag Chemie, Weinheim/DE 1978, 612
(E26) Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry, 5. Auflage, Band A 16, VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim/DE 1990, 441-443
IV. Die Einsprechende I, PPG Industries Ohio, Inc., erhob Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das Streitpatent in der gemäß Hilfsantrag 1 geänderten Fassung den Erfordernissen des EPÜ genüge.
V. Die Einspruchsabteilung entschied
- die geänderten Ansprüche des Hauptantrags genügten nicht den Anforderungen des Artikels 123(2) EPÜ.
- die Ansprüche des Hilfsantrags erfüllten die Erfordernisse von Artikel 123(2), 83 und 84. Ihr Gegenstand sei neu, da er sich von der Offenbarung der Dokumente (D3), (E15) und (E16) unterscheide.
- Dokument (D1) bilde den nächstliegenden Stand der Technik. Aufgabe des Streitpatents sei es gewesen, eine mehrschichtige Lackierung zur Verfügung zu stellen, die eine gute Witterungsstabilität sowie eine hohe Kratzfestigkeit bei gleichzeitiger Unterdrückung des Weißanlaufens des Lackes gewährleistet. Die Beispiele des Streitpatents zeigten, dass diese Aufgabe gelöst werde. Weder diese Aufgabe noch deren Lösung sei aus den zitierten Dokumenten zu entnehmen.
VI. Im Beschwerdeverfahren wurden zusätzlich u. a. das folgende Dokument zitiert:
(E41) Vergleichsversuch, eingereicht von der Patentinhaberin mit dem Schreiben mit Datum vom 2. Juli 2009, eine Seite.
VII. Dieser Entscheidung liegen die folgenden Patentansprüche zugrunde:
Ansprüche 1 bis 6 des Hauptantrags;
Ansprüche 1 bis 6 des 1. Hilfsantrags;
Ansprüche 1 bis 6 des 2. Hilfsantrags;
Ansprüche 1 bis 6 des 3. Hilfsantrags;
jeweils eingereicht mit Schreiben vom 16. November 2011.
a) Die unabhängigen Ansprüche 1, 2 und 6 des Hauptantrags lauten wie folgt:
" 1. Verfahren zur Herstellung einer mehrschichtigen Lackierung, bei dem
(1) ein ggfs. pigmentierter Basislack auf eine
Substratoberfläche aufgebracht wird,
(2) aus der in Stufe (1) aufgebrachten
Basislackschicht ein Polymerfilm gebildet wird,
(3) ggfs. hierauf ein oder mehrere weitere
Lackschichten aufgetragen werden,
(4) sodann ein nicht-wässriger Decklack aufgebracht
wird, der
A) ein sekundäre OH-Gruppen enthaltendes
hydroxyfunktionelles Polyacrylatharz mit einer Hydroxylzahl von 100 bis 200, einer Säurezahl von 0 bis 35, vorzugsweise von 0 bis 23, einer Glasübergangstemperatur von -35 bis +70 ºC, vorzugsweise von -20 bis +40 ºC und einem zahlenmittleren Molekulargewicht von 1500 bis 30000, vorzugsweise von 2000 bis 15000,
B) Vernetzungsmittel enthält
und anschliessend
(5) die Lackschichten zusammen eingebrannt werden,
dadurch gekennzeichnet, dass das Vernetzungsmittel Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin oder Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin und Aminoplastharz oder Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin und Aminoplastharz und blockierte Isocyanate, die verschieden von dem Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin sind, ist."
"2. Mehrschichtige Lackierung enthaltend
(1) eine Schicht eines Polymerfilms eines ggfs.
pigmentierten Basislacks, der auf eine Substratoberfläche aufgebracht ist,
(2) ggfs. ein oder mehrere hierauf aufgebrachte
Lackschichten,
(3) eine Schicht eines nicht-wässrigen Decklacks, der
A) ein sekundäre OH-Gruppen enthaltendes
hydroxyfunktionelles Polyacrylatharz mit einer Hydroxylzahl von 100 bis 200, einer Säurezahl von 0 bis 35, vorzugsweise von 0 bis 23, einer Glasübergangstemperatur von -35 bis +70 ºC, vorzugsweise von -20 bis +40 ºC und einem zahlenmittleren Molekulargewicht von 1500 bis 30000, vorzugsweise von 2000 bis 15000,
B) Vernetzungsmittel
enthält
und anschliessend
(4) die Lackschichten zusammen eingebrannt werden,
dadurch gekennzeichnet, dass das Vernetzungsmittel Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin oder Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin und Aminoplastharz oder Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin und Aminoplastharz und blockierte Isocyanate, die verschieden von dem Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin sind, ist."
"6. Verwendung der mehrschichtigen Lackierung nach einem
der Ansprüche 2 bis 5 zur Beschichtung von Automobilkarosserien."
b) Die Ansprüche des 1. Hilfsantrags entsprechen denen des Hauptantrags, wobei jedoch in den Ansprüchen 1 und 2 der Passus
"oder Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin und Aminoplastharz und blockierte Isocyanate, die
verschieden von dem Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin
sind,"
gestrichen wurde.
c) Die Ansprüche des 2. Hilfsantrags entsprechen denen des Hauptantrags, wobei jedoch in den Ansprüchen 1 und 2 das Polyacrylatharz wie folgt definiert wird:
"A) ein sekundäre OH-Gruppen enthaltendes
hydroxyfunktionelles Polyacrylatharz mit einer Hydroxylzahl von 100 bis 200, einer Säurezahl von 3,9 bis 15,5, einer Glasübergangstemperatur von -20 bis +15 ºC, und einem zahlenmittleren Molekulargewicht von 2500 bis 5000,"
d) Die Ansprüche des 3. Hilfsantrags entsprechen denen des Hauptantrags, wobei jedoch die Ansprüche 1 und 2 sowohl die Einschränkungen des 1. als auch des 2. Hilfsantrags enthalten.
VIII. Die Beschwerdeführerin sah weder die mit Bereichen angegebenen Parameter des Polyacrylatharzes, noch die Auswahl der Vernetzungsmittel als ursprünglich offenbart an.
Da keine Messmethoden für die Parameter des Polyacrylatharzes in den Ansprüchen angegeben seien, seien die Ansprüche unklar. Da zudem für das zahlenmittlere Molekulargewicht keine Messmethode im Patent angegeben sei, sei der Gegenstand der Ansprüche nicht so vollständig offenbart, dass der Fachmann ihn ausführen könne.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 sei nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments (D3) oder (E16).
Dokument (D1) sei der nächstliegende Stand der Technik. Das dort beschriebene Harz Joncryl® 500 erfülle alle Merkmale des Polyacrylatharzes der vorliegenden Ansprüche, mit der Ausnahme, dass sein zahlenmittleres Molekulargewicht mit 1 300 leicht unterhalb des beanspruchten Bereichs von 1 500 bis 30 000 liege. Aufgabe sei es gewesen, ein alternatives Beschichtungssystem bereitzustellen, das sich für eine Mehrschichtenlackierung eignet. Die geringe Erhöhung des Molekulargewichts sei willkürlich und könne nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Daher beruhe der Gegenstand der Ansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
IX. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, die Parameter des Polyacrylatharzes seien auf Seite 7, die Kombination der Vernetzer sei auf den Seiten 5, 6 und 12 ursprünglich offenbart.
Die fehlende Angabe der Messmethode des zahlenmittleren Molekulargewichts hindere den Fachmann nicht an der Ausführung der Erfindung, sondern führe allenfalls zur mangelnden Klarheit der Ansprüche. Letztere sei jedoch kein Einspruchsgrund.
Der Gegenstand der Ansprüche sei neu, unter anderem, da weder Dokument (D3) noch (E16) ein Polyacrylatharz mit einem zahlenmittleren Molekulargewicht von 1500 bis 30 000 offenbare.
Dokument (D1) sei der nächstliegende Stand der Technik. Aufgabe sei es gewesen, einen nicht-wässrigen Lack bereitzustellen, der eine gute Bewitterungsstabilität sowie eine hohe Kratzfestigkeit bei gleichzeitiger Unterdrückung des Weißanlaufens des Lacks gewährleistet.
Die Aufgabe des Weißanlaufens sei dem Dokument (D1) nicht zu entnehmen. Der Fachmann hätte es daher zur Lösung nicht herangezogen. Hydroxypropylmethacrylat könne nicht nur durch die Reaktion von Methacrylsäure mit Propylenoxid hergestellt werden. Die im im Dokument (D1) genannten Polyacrylatharz Joncryl® 500 enthaltenen Hydroxypropylgruppen wiesen daher nicht notwendigerweise sekundäre Hydroxylgruppen auf. Die Vergleichsversuche in der Patentschrift und im Dokument (E41) zeigten, dass ein Lack ohne sekundäre OH-Gruppen mehr zum Weißanlaufen neige. Folglich werde ein positiver Effekt gegenüber den im Dokument (D1) offenbarten Lacken erzielt.
X. Die weitere Verfahrensbeteiligte nahm im Beschwerdeverfahren nicht sachlich Stellung.
XI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 16. November 2011 vorgelegten Haupt- und drei Hilfsanträgen aufrechtzuerhalten.
Die weitere Verfahrensbeteiligte hat in diesem Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt.
XII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer angebotene Beweismittel
Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung angeboten, Berechnungen zur Glasübergangstemperatur des in den Dokumenten (D1) und (E3) genannten Polyacrylatharzes JONCRYL®500 auf der Grundlage der Fox-Gleichung vorzulegen. Sie räumte ein, dass diese Berechnungen komplex seien.
Die Beschwerdeführerin entgegnete, es sei ihr nicht im Rahmen dieser mündlichen Verhandlung möglich, solche Berechnungen zu überprüfen.
Gemäß Artikel 13(3) der Verfahrensordung der Beschwerdekammern werden Änderungen des Vorbringens "nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder dem bzw. den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist." (siehe Beilage zum ABl. EPA 1/2011, 39).
Die Kammer teilte die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Zulassung der Berechnungen zur Glasübergangstemperatur von JONCRYL®500 angesichts ihrer Komplexität eine Verlegung der mündlichen Verhandlung zwecks Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin erfordert hätte. Letzterer war nicht zuzumuten, während der mündlichen Verhandlung die Berechnungen nachzuvollziehen und dazu Stellung zu nehmen. Die Kammer ließ deshalb diese Berechnungen nicht in das Verfahren zu.
Hauptantrag und zweiter Hilfsantrag
3. Artikel 123(2) EPÜ
3.1 Die ursprüngliche Fassung der Ansprüche 1 bis 3 definiert die Vernetzungsmittel wie folgt:
"B) als Vernetzungsmittel Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin und
C) ggfs. weitere Vernetzungsmittel, wie blockierte Isocyanate, die verschieden von dem Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin sind, und/oder Aminoplastharze".
3.2 Im Hauptantrag und im zweiten Hilfsantrag sehen die Ansprüche vor, "dass das Vernetzungsmittel"
- Tris(alkoxycarbonylamino)Triazin (TACT) oder
- TACT und Aminoplastharz oder
- TACT und Aminoplastharz und von TACT verschiedene
blockierte Isocyanate "ist".
3.3 Das bedeutet, dass in diesen Anträgen die weiteren Vernetzungsmittel C) eingeschränkt wurden
- erstens durch die Auswahl der ursprünglich nur beispielhaft ("wie") genannten Isocyanate "und/oder" Aminoplastharze,
- zweitens durch die Streichung der Möglichkeit, dass innerhalb der Gruppe Isocyanate "und/oder" Aminoplastharze die genannten blockierten Isocyanate die einzigen zusätzlichen Vernetzer C) sein können, und
- drittens durch den Ausschluss weiterer Vernetzer (aufgrund der Formulierung "dass das Vernetzungsmittel ... ist").
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass keine Belege vorgelegt worden sind, die darauf hinweisen könnten, dass der Fachmann nur die genannten blockierten Isocyanate oder Aminoplastharze als weitere Vernetzungsmittel erwogen hätte. Folglich ist davon auszugehen, dass der Fachmann die oben genannten Einschränkungen auch als solche empfindet.
3.4 Die Summe dieser Änderungen bewirkt, dass die in den Ansprüchen des Hauptantrags und des 2. Hilfsantrags definierte Gruppe von Vernetzern nicht direkt und unmittelbar aus den ursprünglichen Ansprüchen herleitbar ist.
In den Beispielen wurde ausschließlich TACT als Vernetzer eingesetzt.
In den übrigen Teilen der ursprünglichen Anmeldung findet sich - abgesehen von der wortwörtlichen Wiederholung der Ansprüche - nur auf Seite 12 eine Definition der Vernetzer. Dort heißt es auf den Zeilen 5-9 wie folgt:
"Die Tris(Alkoxycarbonylamino)Triazine und deren Derivate können erfindungsgemäss auch im Gemisch mit herkömmlichen Vernetzungsmitteln eingesetzt werden (Komponente C). Hier kommen insbesondere von den Tris(Alkoxycarbonylamino)Triazinen verschiedene blockierte Polyisocyanate in Betracht. Ebenso sind Aminoplastharze z. B. Melamine, einsetzbar."
Diese Textstelle stellt von TACT verschiedene blockierte Isocyanate und Aminoplastharze als Alternativen dar. Sie offenbart somit nicht die Kombination dreier Vernetzer, nämlich von TACT mit Aminoplastharzen und mit von TACT verschiedenen blockierten Isocyanaten.
3.5 Die Gruppe der in den Ansprüchen des Hauptantrags und des zweiten Hilfsantrags genannten Vernetzer ist daher der ursprünglichen Anmeldung nicht direkt und unmittelbar zu entnehmen. Die geänderten Ansprüche verletzen somit die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ. Aus diesen Gründen wies die Kammer diese Anträge zurück.
Erster und dritter Hilfsantrag
4. Artikel 123(2) EPÜ
Die Ansprüche 1 und 2 des ersten Hilfsantrags basieren auf dem ursprünglichen Anspruch 1 bzw. 2, jeweils kombiniert mit dem ursprünglichen Anspruch 5 und Seite 7, Zeilen 22-28 der ursprünglichen Beschreibung.
Die Ansprüche 1 und 2 des dritten Hilfsantrags basieren auf dem ursprünglichen Anspruch 1 bzw. 2, jeweils kombiniert mit dem ursprünglichen Anspruch 6.
Die Ansprüche 3 bis 6 beider Ansprüche entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 4, 7, 8 und 10.
5. Artikel 84 und 100(b) EPÜ
5.1 Ein Mangel an Klarheit bzw. Deutlichkeit der Ansprüche gemäß Artikel 84 EPÜ ist kein Einspruchsgrund. Daher ist er im Einspruchsbeschwerdeverfahren nur dann zu prüfen, wenn der angebliche Mangel durch Änderungen in den erteilten Ansprüchen vorgerufen wird. Die Parameter des Polyacrylatharzes waren bereits Merkmale der erteilten Fassung des Patents, ohne dass dort die entsprechenden Messmethoden angegeben waren (siehe die erteilten Ansprüche 1 und 4). Folglich ist der angebliche Mangel an Deutlichkeit nicht durch Änderungen der erteilten Ansprüche verursacht und ist nicht von der Kammer zu prüfen.
5.2 Die Beschwerdeführerin hielt den Gegenstand der Ansprüche für mangelhaft offenbart gemäß Artikel 100(b) EPÜ, da das Streitpatent keine Messmethode für das zahlenmittlere Molekulargewicht offenbart. Da sie die Ausführbarkeit bezweifelt hatte, war es auch ihre Aufgabe, dies durch Beweismittel zu belegen. Auf Befragen konnte sie jedoch keine Beweismittel vorlegen, die nahelegten, dass verschiedene Methoden zu verschiedenen Ergebnissen führen. Daher entschied die Kammer, dass keine Gründe gemäß Artikel 100(b) der Aufrechterhaltung des patents entgegenstehen.
6. Neuheit
Die Beschwerdeführerin hielt den Gegenstand der Ansprüche für nicht neu gegenüber der Offenbarung eines der Dokumente (D3) oder (E16).
Keines dieser Dokumente offenbart direkt und unmittelbar die Kombination eines sekundäre Hydroxylgruppen aufweisenden Polyacrylatharzes mit einem zahlenmittleren Molekulargewicht von mindestens 1 500 mit Tris(alkoxycarbonylamino)triazin als Vernetzer. Da der erste und der dritte Hilfsantrag aus anderen Gründen nicht gewährbar sind und da die Dokumente (D3) und (E16) gemäß Artikel 54(3) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ nicht bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden, kann auf eine ausführliche Begründung verzichtet werden.
7. Erfinderische Tätigkeit / Erster Hilfsantrag
7.1 Der nächstliegende Stand der Technik
Die Kammer stimmt mit den Parteien überein, dass das Dokument (D1) als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten ist.
Dieses Dokument beansprucht eine härtbare Zusammensetzung enthaltend
(1) ein polyfunktionelles Hydroxylgruppen enthaltendes
Material,
(2) ein Triazintriscarbamat und einen
(3) sauren Härtungskatalysator (siehe Anspruch 1).
Aus den Beispielen ist nur für die Beispiele 1 bis 5 explizit offenbart, wie die Hydroxylgruppen an das Material (1) gebunden sind. Dort handelt es sich um das Acrylharz A, dessen Hydroxylgruppen aus dem Monomer Hydroxyethylacrylat stammen, also primäre Hydroxylgruppen sind.
In der Beschreibung wird als Material (1) das Polyacrylatharz JONCRYL®500 vorgeschlagen, das angeblich
- aus einem Monomerengemisch von 50 % Styrol, 20 % Hydroxypropylmethacrylat und 30 % Butylacrylat hergestellt wurde (also mangels saurer Monomeren eine Säurezahl von Null hat),
- eine Hydroxylzahl von 140 und
- ein zahlenmittleres Molekulargewicht von 1 300
aufweist (siehe Seite 3, Zeilen 14-29).
Gemäß Dokument (E3) hat JONCRYL®500
- ein zahlenmittleres Molekulargewicht Mn von 1 300
- eine Glasübergangstemperatur Tg von -5 ºC und
- eine Hydroxylzahl von 140 (siehe Spalte 3, Zeile 61).
7.1.1 Die Beschwerdegegnerin war der Ansicht, die in JONCRYL®500 aus dem Monomer Hydroxypropylmethacrylat resultierenden Hydroxylgruppen seien nicht notwendigerweise sekundär.
Jedoch geht aus den Dokumenten (E25) und (E26) hervor, dass vor dem Prioritätstag des Streitpatents Hydroxypropylmethacrylat durch Umsetzung von Methacrylsäure mit Propylenoxid hergestellt wurde (siehe (E25), Seite 612, linke Spalte, letzter Satz des Unterkapitels "Herstellung"; siehe (E26), Seite 443, Mitte der linken Spalte). Hierdurch wird als Hauptprodukt 2-Hydroxypropylmethacrylat erhalten, d. h. das Monomer mit den sekundären Hydroxylgruppen (siehe Punkt 4.2 b) der angefochtenen Entscheidung, erster Satz des zweiten Absatzes, wo offensichtlich u.a. Bezug genommen wird auf das Dokument (D2), Seite 25, Zeilen 8-11).
Daher geht die Kammer davon aus, dass das im Dokument (D1) genannte Polyacrylatharz JONCRYL®500 sekundäre Hydroxylgruppen aufwies.
7.1.2 Ferner war die Beschwerdegegnerin der Ansicht, dass nicht JONCRYL®500, sondern ein in den Beispielen des Dokuments (D1) eingesetztes Harz als Ausgangspunkt für den Gegenstand der Ansprüche und somit für Vergleichsversuche anzusehen sei.
Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern orientiert sich jedoch die Wahl des Ausgangspunkts für die Erfindung - und die Basis für Vergleichsversuche - innerhalb des nächstliegenden Standes der Technik auf die größtmögliche Strukturnähe zur Erfindung; sie ist daher nicht auf die als besonders bevorzugt offenbarten Beispiele beschränkt (siehe T 182/82, ABl. EPA 1984, 401, Punkt 4 der Entscheidungsgründe).
Da Joncryl®500 die in den vorliegenden Ansprüchen geforderten sekundären Hydroxylgruppen aufweist, ist - im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdegegnerin - eine JONCRYL®500 enthaltende Zusammensetzung als Ausgangspunkt der beanspruchten Erfindung auszuwählen.
Hierbei ist irrelevant, ob die Monomermischung zur Herstellung von JONCRYL®500
20 % Hydroxypropylmethacrylat und 30 % Butylacrylat wie in (D1) beschrieben, oder
30 % Hydroxypropylmethacrylat und 20 % Butylacrylat enthielt, wie es der angegebenen Hydroxylzahl entspricht, da die unabhängigen Ansprüche des ersten Hilfsantrags keine mengenmäßige Beschränkungen für diese Monomeren enthalten.
7.1.3 Folglich unterscheidet sich JONCRYL®500 nur dadurch von dem in den Ansprüchen 1 und 2 des ersten Hilfsantrags definierten Polyacrylatharz, dass das zahlenmittlere Molekulargewicht mit 1 300 unterhalb des beanspruchten Bereichs von 1 500 bis 30 000 liegt.
7.1.4 Dokument (D1) offenbart in diesem Zusammenhang auch die Vernetzung mit TACT (siehe Anspruch 8) und die Verwendung der so hergestellten Zusammensetzungen zum Lackieren von Autos (siehe Seite 2, Zeilen 2-4 und 56).
7.2 Die zu lösende Aufgabe
7.2.1 Laut der dem Streitpatent zugrunde liegenden Anmeldung war es Aufgabe der Erfindung, eine mehrschichtige Lackierung zur Verfügung zu stellen, "die sowohl bei der Freibewitterung in Jacksonville als auch bei Feuchtigkeitsbelastungen zu guten Ergebnissen führt." (siehe Seite 4, Zeile 20, bis Seite 5, Zeile 7).
7.2.2 Bei der Beurteilung, welche Aufgabe sich objektiv angesichts des nächstliegenden Standes der Technik stellte, ist folgendes zu beachten:
Erstens stimmten die Parteien in der mündlichen Verhandlung darin überein, dass am Prioritätstag des Streitpatents Mehrschichtlackierungen für Autos üblich waren.
Zweitens werden in den vorliegenden Vergleichsversuchen keine Angaben zum zahlenmittleren Molekulargewicht des Polyacrylatharzes gemacht (siehe Seite 7, Zeile 11, bis Seite 8, Zeile 19 des Streitpatents; siehe im Dokument (E41)). Die Versuche (E41) ziehen als Vergleich das im Jahre 2009 unter der Bezeichnung "Joncryl® 500" verkaufte Harz heran. Letzteres weist jedoch keine Hydroxypropylgruppen, und somit keine sekundären Hydroxylgruppen auf. Die Versuche (E41) stellen daher keinen Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik dar. Folglich können die Vergleichsversuche (E41) und die des Streitpatents keinen unerwarteten Effekt belegen, der sich beim Ersatz von dem im Dokument (D1) offenbarten JONCRYL®500 durch ein höhermolekulares Polyacrylatharz ergeben könnte.
7.2.3 Aus diesen Gründen verbleibt als im Hinblick auf das Dokument (D1) gestellte Aufgabe, alternative mehrschichtige Lackierungen zur Verfügung zu stellen, die sowohl bei der Freibewitterung in Jacksonville als auch bei Feuchtigkeitsbelastungen zu guten Ergebnissen führen.
7.2.4 Aufgrund der in Tabelle 2 des Streitpatents zum Weißanlaufen nach Feuchtigkeitsbelastung und zur Jacksonville-Note gemachten Angaben geht die Kammer davon aus, dass der Gegenstand der Ansprüche diese Aufgabe löst, sofern das dort beschriebene Polyacrylatharz A ein zahlenmittleres Molekulargewicht innerhalb des beanspruchten Bereichs besitzt.
7.3 Lösung dieser Aufgabe
7.3.1 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent vor, das zahlenmittlere Molekulargewicht des Polyacrylatharzes von 1 300 auf 1 500 bis 30 000 zu erhöhen.
7.3.2 Dokument (D1) gibt außer für JONCRYL®500 nur noch für zwei andere, in den dort beanspruchten Zusammensetzungen zu verwendenden Polyacrylatharze zahlenmittlere Molekulargewichte an, nämlich den Wert 4 000 für COPOLYMER B und 3 900 für COPOLYMER C (siehe Seite 8, Zeile 34, und Seite 9, Zeile 5).
7.3.3 Es war daher naheliegend für den Fachmann auf der Suche nach alternativen Beschichtungen, das zahlenmittlere Molekulargewicht ausgehend von JONCRYL®500 auf Werte von 4 000 oder 3 900 zu erhöhen, und somit zum Gegenstand der vorliegenden Ansprüche 1, 2 und 6 zu gelangen. Aus diesem Grund beruht dieser Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
8. Erfinderische Tätigkeit / Dritter Hilfsantrag
8.1 Die unabhängigen Ansprüche des dritten Hilfsantrags unterscheiden sich von denen des ersten Hilfsantrags nur dadurch, dass in ersteren für das Polyacrylatharz
- die Säurezahl auf 3,9 bis 15,5,
- die Glasübergangstemperatur auf -20 bis 15 ºC, und
- das zahlenmittlere Molekulargewicht auf
2 500 bis 5 000
eingeschränkt wurde.
8.2 In den Vergleichsbeispielen (E41) und im einzigen Beispiel des Streitpatents, das als "erfindungsgemäß" gekennzeichnet ist, wird das Polyacrylatharz A eingesetzt. Dieses besitzt eine Säurezahl von 17 und entspricht somit nicht den Anforderungen der gemäß obigen Punkt 8.1 eingeschränkten Ansprüche (siehe Seite 7, Zeilen 11-24 des Streitpatents).
Daher gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gegenstand der Ansprüche des dritten Hilfsantrag eine andere Aufgabe löst als die oben unter Punkt 7.2.3 angegebene.
8.3 Aus den vorstehend genannten Gründen erscheint die Festlegung des Bereichs für die Säurezahl auf 3,9-15,5 willkürlich. Da das Dokument (D1) saure Polyacrylate nicht ausschließt, hätte der Fachmann auf der Suche nach Alternativen auch Polyacrylate mit einer Säurezahl in diesem Bereich in Erwägung gezogen.
Auch die Festlegung auf den engeren Bereich für die Glasübergangstemperatur kann nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen, da das im Dokument (D1) offenbarte Harz JONCRYL®500 laut Dokument (E3) eine Glasübergangstemperatur in diesem Bereich aufweist (nämlich -5 ºC; siehe oben unter Punkt 7.1).
Die oben unter Punkt 7.3.3 gezogenen Schlussfolgerungen gelten daher auch für die unabhängigen Ansprüche 1, 2 und 6 des dritten Hilfsantrags. Es war folglich auch naheliegend, ein Polyacrylat mit einem Molekulargewicht innerhalb des gemäß diesem Antrag eingeschränkten Bereichs einzusetzen.
8.4 Aus diesen Gründen beruht der Gegenstand der Ansprüche 1, 2 und 6 des dritten Hilfsantrags nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
9. Aus den vorstehend genannten Gründen ist keiner der von der Beschwerdegegnerin gestellten Anträge gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.