T 1896/08 () of 1.3.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T189608.20110301
Datum der Entscheidung: 01 März 2011
Aktenzeichen: T 1896/08
Anmeldenummer: 97110566.3
IPC-Klasse: B41J 2/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Antitrielbeschichtung für Tintenstrahldruckköpfe
Name des Anmelders: Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.
Name des Einsprechenden: Uwe Spandern
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung (ja)
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr.0 816 094 zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.

II. Der Einspruch der Beschwerdeführerin stützte sich auf die in Artikel 100(a) EPÜ (fehlende Neuheit, Artikel 54 EPÜ; mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ), und 100(b) EPÜ genannten Einspruchsgründe.

III. Am 1. März 2011 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückzuweisung der Beschwerde.

V. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D2: WO-A-96/06895

D8-1: WO-A-92/21729

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"1. Tintenstrahldruckkopf mit einer Antitrielschicht aus einem polymeren Werkstoff, wobei letzterer hergestellt ist unter Verwendung mindestens einer Verbindung I

XaRbSiR'(4-a-b) I

mit

X = hydrolysierbare Gruppe,

R = gegebenenfalls substituiertes Alkyl, Aryl, Alkenyl, Alkylaryl oder Arylalkyl,

R'= organischer Rest mit mindestens einer polymerisierbaren Gruppe,

a = 1 bis 3,

b = 0 bis 2,

und wobei nach Hydrolyse von Gruppen X der Verbindung(en) I Kondensation und durch Kupplungs reak tionen von Gruppen R' der Verbindung(en) I organische Polymerisation erfolgte."

VII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Auslegung des Anspruchs 1

Anspruch 1 umfasse Wertekombinationen der Parameter a und b, bei denen die Summe 4-a-b null sei. Somit sei der organische Rest R'(4-a-b) nicht zwingend in den Verbindungen I vorhanden und der Verfahrensschritt "durch Kupplungsreaktionen von Gruppen R' der Verbindung(en) I organische Polymerisation erfolgte" dementsprechend optional.

Es sei bevorzugt, die Verbindungen I als einziger oder Hauptanteil einzusetzen (Absatz [0008], Streitpatent). Die besonders geeigneten Systeme bzw. Beispiele der Zeilen 3 und 6 der Tabellen (Absätze [0014] und [0022], Streitpatent) beinhalteten dementsprechend auch hauptanteilig - bis zu 95% - Substanzen wie P=Phenyltrimethoxysilan und P2=Diphenylsilandiol, die keine Gruppen R' enthielten. Substanzen mit einem organischen Rest R' (G=Glycidoxypropyltrimethoxysilan und M=Methacryloxypropyltrimethoxysilan) seien in fünf aus sechs Fällen nur in geringen Mengen vorhanden. Auch Nebenanspruch 2 verweise auf die Verwendung der Substanzen P und P2, die keine Gruppe R' enthielten. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nur so zu verstehen, dass die Gruppe R' der Verbindungen I und dementsprechend auch die organische Polymerisation abwesend sein könne.

Ausführbarkeit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei als "product-by-process"-Anspruch formuliert, und es gebe zudem kein einziges Ausführungsbeispiel, bei dem nur eine einzige Verbindung I verwendet werde (vgl. die Tabellen der Absätze [0014] und [0022]). Die Erfindung sei somit nicht ausreichend offenbart.

Erfinderische Tätigkeit

Ausgehend von der Druckschrift D2 würde ein Fachmann die Lehre der Druckschrift D8-1 zum Zwecke der Verbesserung der Abriebfestigkeit heranziehen und somit unmittelbar zum Gegenstand des Anspruchs 1 (Streitpatent) gelangen, welcher somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Auslegung des Anspruchs 1

In Anbetracht des Streitpatents sei die einzige widerspruchslose Auslegung des Gegenstandes des Anspruchs 1, dass sowohl die Gruppen R' als auch deren organische Polymerisation zwingend vorhanden seien.

Ausführbarkeit

Die Patentschrift enthalte Ausführungsbeispiele, und es gäbe keine konkreten Beweise für eine mangelnde Ausführbarkeit.

Erfinderische Tätigkeit

Der Werkstoff der Antitrielschicht gemäß Streitpatent löse nicht nur die im Absatz [0006] offenbarte Aufgabe, sondern weise zusätzlich auch die im Absatz [0011] aufgezählten Eigenschaften auf, nämlich eine gute Haftung auf Druckkopfmaterialen, eine gute Verträg lichkeit mit der Wärmedehnung des Druckkopfes und eine pinhole-freie Planarisierung sägerauer Druck kopf stirn flächen. Zu diesen letzteren Eigenschaften gäbe es in keiner der Druckschriften D2 und D8-1 irgendeinen Hinweis. Andere Aufgaben wie z.B. auch die Abrieb festigkeit seien durch die Druckkopfschicht der Druckschrift D2 bereits gelöst. Daher habe der von der Druckschrift D2 ausgehende Beschichtungsfachmann keinerlei Anregung, die Lehre der allgemeineren Druckschrift D8-1 in Betracht zu ziehen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Auslegung des Anspruchs 1 des Streitpatents

1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 (Streitpatent) umfasst Wertekombinationen der Parameter a ("a = 1 bis 3") und b ("b = 0 bis 2"), bei denen die Summe 4-a-b null ist (z.B. a=b=2 oder a=3 und b=1). Es stellt sich somit die Frage, ob die Gruppe R'(4-a-b) der Verbindungen I dementsprechend abwesend sein kann.

1.2 Wenn der organische Rest R'(4-a-b) in den Verbindungen I fehlt, entsteht ein Widerspruch zum nicht als optional gekennzeichneten letzten Merkmal des Anspruchs 1 ("durch Kupplungsreaktionen von Gruppen R' der Verbindung(en) I organische Polymerisation erfolgte", Streitpatent), weil dann die organische Polymerisation nicht mehr ausführbar ist. Um diesen Widerspruch zu vermeiden, muss der organische Rest R'(4-a-b) in der mindestens einen Verbindung I zwingend vorhanden sein, und die organische Polymerisation der Gruppen R' somit erfolgt. Die Angaben "a = 1 bis 3" und "b = 0 bis 2" sind somit nicht so zu lesen, dass sie alleinig die Definition der Verbindungen XaRbSiR'(4-a-b) abschließen.

1.3 Im Streitpatent wird zudem die organische Polymerisation als Abgrenzung zum Stand der Technik angeführt (Absätze [0004] und [0005], jeweils letzter Satz). Ferner weisen die beanspruchten polymeren Werkstoffe gemäß der Beschreibung ein Netzwerk mit einem anorganischen und einem organischen Teil auf (Absatz [0013]). Alle Ausführungsbeispiele beinhalten auch eine organische Polymerisation (Absätze [0016] und [0026]).

Gemäß Absatz [0008] der Beschreibung wird bevorzugt, die Verbindungen I als einziger oder als Hauptbestandteil für die Herstellung des polymeren Werkstoffes einzusetzen. Diese bevorzugte Ausgestaltung schließt somit weitere, wie z.B. in den Tabellen der Absätze [0014] und [0022] enthaltene Möglichkeiten nicht aus.

Die Beschreibung steht somit im Einklang mit der obigen widerspruchslosen Auslegung des Anspruchs 1.

1.4 Bei denen in Anspruch 2 verwendeten Verbindungen handelt es sich nicht zwingend um Verbindung(en) I gemäß Anspruch 1. Anspruch 2 ist lediglich so zu verstehen, dass gegebenenfalls zusätzlich zur Verbindung I gemäß Anspruch 1 auch Verbindungen aus der Gruppe Glycidoxypropyl trimethoxy silan, Phenyltrimethoxysilan, Diphenylsilandiol und Methacryloxypropyltrimethoxysilan verwendet werden. Somit geht von Anspruch 2 auch kein Widerspruch aus.

1.5 Folglich ist die widerspruchslose Auslegung des Anspruchs 1, bei der die organische Polymerisation stattfindet und mindestens eine Gruppe R' dementsprechend vorhanden ist, vom Streitpatent gestützt. Da ein Patent mit der Bereitschaft auszulegen ist, es zu verstehen und nicht mit dem Willen, es misszuverstehen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage, Juli 2010, Abschnitt II.B.5.1 "Auslegung der Ansprüche" - "Allgemeine Grundsätze") ist Anspruch 1 auch nur so zu verstehen, dass eine organische Poly meri sation stattfindet und mindestens eine Gruppe R' in der mindestens einen Verbindung I zwingend vorhanden ist.

2. Ausführbarkeit

Der im Anspruch 1 beanspruchte Tintenstrahldruckkopf mit einer Antitrielschicht aus einem polymeren Werkstoff wird durch ein Verfahren zur Herstellung dieses Werkstoffs gekennzeichnet und ist somit als "product by process"-Anspruch zu sehen. Es wurde nicht bestritten, dass an einem derartigen Tintenstrahldruckkopf festgestellt werden kann, ob der polymere Werkstoff mittels einer Hydrolyse, einer Kondensation und einer auf Kupplungsreaktionen basierenden organischen Polymerisation hergestellt wurde.

Die Patentschrift enthält zudem verschiedene Aus führungs beispiele, die die gestellte Aufgabe lösen (Absätze [0022] bis [0030]).

Die Beschwerdeführerin hat keine Beweise dafür gebracht, dass ein Fachmann nicht die Hydrolyse, Kondensation und die die organische Polymerisation bewirkenden Kup plungs reaktionen mit gegebenenfalls auch nur einer der beanspruchten Siliziumverbindungen I ausführen könne.

Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(b) EPÜ wurde somit nicht ausreichend bewiesen.

3. Neuheit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist neu, da sich der Tintenstrahldruckkopf vom vorliegenden Stand der Technik, insbesondere von dem der Druckschrift D2 dadurch unterscheidet, dass durch Kupplungs reak tionen von Gruppen R' der Verbindungen I eine organische Polymerisation erfolgte.

Von der in der Druckschrift D8-1 offenbarten Schicht unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents dadurch, dass diese auf einem Tinten strahl druck kopf als Antitrielschicht aufgebracht ist.

Im Laufe der mündlichen Verhandlung wurde die Neuheit auch nicht mehr bestritten.

4. Erfinderische Tätigkeit

Die Druckschrift D2 bildet den nächstliegenden Stand der Technik und offenbart einen Tintenstrahldruckkopf, dessen Düsenplatte mit einer für die Tinte benetzungs resistenten Schicht versehen ist (Seite 1, ersten beiden Absätze; Seite 3, vorletzter Absatz). Zudem ist das Beschichtungsmaterial für den Tinten strahl druckkopf unaufwendig aufzubringen und haftet gut auf dem Substratmaterial (Druckschrift D2, Seiten 2 und 4, jeweils zweiter Absatz; Seite 26, letzter Absatz). Der in der Druckschrift D2 offenbarte Tinten strahl druck kopf löst somit alle im Absatz [0006] des Streitpatents genannten Aufgaben.

Das den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents von der in der Druckschrift D2 offenbarten Beschichtung unterscheidende Merkmal, "dass durch Kupplungs reak tionen von Gruppen R' der Verbindungen I eine organische Polymerisation erfolgte", wird nicht ursächlich im Streitpatent mit irgend einer der auch sonstigen vorteilhaften Eigenschaften (wie z.B. von der Beschwerdegegnerin angeführte thermische Anpassungs fähigkeit, Haftung auf unterschiedlichen Substraten oder pinhole-freie Planarisierung sägerauer Druck kopf stirn flächen) in Verbindung gebracht. Anspruch 1 gemäß Streitpatent ist auch nicht explizit auf derartige vorteilhafte Eigenschaften gerichtet.

In der Druckschrift D2 wird ein Beschichtungsfachmann darauf hingewiesen, dass eine gute Abriebsfestigkeit der Antitrielbeschichtung des Tintenstrahldruckkopfs wünschenswert ist (Druckschrift D2, Seite 6, erster Absatz; Seite 26, letzter Satz). Auch wenn die Druckschrift D2 bereits lehrt, dass sich die für eine gewünschte Abriebsfestigkeit nötige Härte mittels weiterer Siloxaneinheiten einstellen lässt (Druckschrift D2, Seite 6, erster Absatz und der die Seiten 10 und 11 überbrückender Absatz), wird sich der Beschichtungsfachmann weiterhin die Aufgabe stellen vermeintlich bessere Alternativen auch diesbezüglich zu suchen.

Dabei wird er auch die Druckschrift D8-1 in Betracht ziehen, dessen Aufgabe darin besteht, eine Beschich tungs zusammen setzung zur Verfügung zu stellen, die mechanische Beständigkeit, Abrieb festigkeit und ausgezeichnete Anti haft eigen schaften aufweist (Druckschrift D8-1, Seite 1, Zeilen 21 bis 29).

In der Druckschrift D8-1 wird diese Aufgabe gelöst durch eine Beschichtungszusammensetzung auf der Basis von unter anderem auch Polykondensaten hydrolysierbarer Si-Verbindungen, wobei diese auch nicht-hydrolysierbare kohlenstoffhaltige Gruppen B aufweisen (Druckschrift D8-1, Seiten 1 und 2 überbrückender Absatz). Hierbei besonders bevorzugte nicht-hydrolysierbare Gruppen B sind solche, die über eine (mehrfach) ungesättigte Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung verfügen, die den Vorteil haben, dass eine zweifache Härtung erfolgen kann, nämlich eine Verknüpfung der ungesättigten organischen Reste durch (radikalische) Polymerisation und eine thermische Vervollständigung der Polykondensation (Druckschrift D8-1, Seiten 4 und 5 überbrückender Absatz). Dass die Beschichtungszusammensetzung gemäß der Druckschrift D8-1 der des Anspruchs 1 entspricht, war zwischen den Parteien unstrittig (siehe hierzu auch Druckschrift D8-1, Beispiel 1, Seite 16, Zeilen 20ff).

Somit wird der Beschichtungsfachmann, ohne erfinderisch tätig zu werden, durch die Lehre der Druckschrift D8-1 dazu angeregt, aus der Druckschrift D2 bekannte Tintenstrahldruckkopfbeschichtungen auf Si Basis mittels ungesättigter Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen einer zweifachen Härtung zu unterziehen und dadurch unmittelbar zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents zu gelangen.

Dass die Schicht gemäß Anspruch 1 (Streitpatent) zusätzlich auch weitere Aufgaben (wie z.B. von der Beschwerdegegnerin angeführte thermische Anpassungs fähigkeit, Haftung auf unterschiedlichen Substraten oder pinhole-freie Planarisierung sägerauer Druck kopf stirn flächen) gelöst werden, ändert nichts daran, dass aus den bereits aufgezeigten Gründen der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents naheliegend war.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch den vorliegenden Stand der Technik nahe gelegt und beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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