T 1786/08 () of 22.7.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T178608.20100722
Datum der Entscheidung: 22 Juli 2010
Aktenzeichen: T 1786/08
Anmeldenummer: 99120097.3
IPC-Klasse: F41H 5/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Panzerglasscheibe für Kraftfahrzeug
Name des Anmelders: Isoclima GmbH
Name des Einsprechenden: SAINT-GOBAIN GLASS FRANCE
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - Kombination von Merkmalen kann nicht unmittelbar und eindeutig abgeleitet werden (Punkt 2.1)
Erfinderische Tätigkeit (ja) - rückschauende Betrachtungsweise
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP-B1-1 010 963 betrifft eine Panzerglasscheibe, insbesondere zur Verwendung als versenkbare Seitenscheibe eines Kraftfahrzeugs. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt und diesen darauf gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei (Artikel 100(a) EPÜ).

II. Die Einspruchsabteilung ist zum Ergebnis gekommen, dass keiner der Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht, und daher hat sie entschieden, den Einspruch zurückzuweisen. Die Entscheidung ist am 11. Juli 2008 zur Post gegeben worden.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (die Beschwerdeführerin) am 9. September 2008 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet und am 31. Oktober 2008 ihre Beschwerde begründet.

IV. Eine mündliche Verhandlung fand am 22. Juli 2008 statt.

V. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Ansprüche

Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:

"1. Panzerglasscheibe, insbesondere zu Verwendung als versenkbare Seitenscheibe eines Kraftfahrzeugs, mit mehreren schichtweise angeordneten Glasscheiben (1,3,5) mit dazwischenliegenden Verbundschichten (2,4), wobei mindestens eine äußere, erste Glasscheibe (1), eine zu der äußeren Glasscheibe (1) nach innen nächstliegende, zweite Glasscheibe (3) und eine zur zweiten Glasscheibe (3) nach innen nächstliegende, dritte Glasscheibe (5) vorgesehen sind, wobei die äußere, erste Glasscheibe (1) am Rand der Panzerglasscheibe über die zweite und dritte Glasscheibe vorragt, um einen Vorsprung (8) zum Eingriff in einen Türrahmen oder Rahmen (14) auszubilden

dadurch gekennzeichnet,

dass die dritte Glasscheibe (5) am Rand der Panzerglasscheibe über die zweite Glasscheibe (3) vorragt, um zwischen der äußeren, ersten Glasscheibe (1) und der dritte Glasscheiben (5) eine Vertiefung (12) auszubilden, und dass eine Randverstärkung (6) vorgesehen ist, die am Rand der Panzerglasscheibe zumindest an einer innenliegenden Oberfläche der äußeren, ersten Glasscheibe (1) befestigt ist, die innenliegende Oberfläche abdeckt und sich in die Vertiefung (12) derart hinein erstreckt, dass die dritte Glasscheibe (5) die Randverstärkung (6) überlappt und die zweite Glasscheibe (3) und die Randverstärkung (6) stirnseitig zueinander benachbart sind."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der in Anspruch 1 definierten Panzerglasscheibe.

VII. Stand der Technik

Die Einspruchsabteilung hat u.a. die folgenden Dokumente in ihrer Entscheidung erwähnt:

D1: WO-A-98/57805

(Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ)

D2: DE-A-28 51 527

D3: DE-A-44 15 879

D4: US-A-4 277 294

D5: DE-C-197 29 897.

VIII. Vorbringen der Beteiligten

Neuheit

a) Dokument D1

Die Beschwerdeführerin trug vor, dass dem Fachmann bei Berücksichtigung der Merkmale der Ansprüche 1 bis 3 der D1 und seines allgemeinen Fachwissens der Gegenstand des Anspruchs 1 offenbart sei.

Nach Anspruch 1 können nur entweder eine starre Ausformung oder mehrere starre Ausformungen vorhanden sein. Bei Verwendung von mehreren Ausformungen lehre der abhängige Anspruch 2 den Fachmann, dass diese sich in Verlängerung einer einzigen Gruppe aus aneinander angrenzenden Verbundglasscheiben befinden. Nach dem abhängigen Anspruch 3 sei eine der verwendeten Ausformungen als metallische Einfügung ausgebildet, die sich in der Verbundstruktur in Verlängerung einer Glasscheibe befindet. Die metallische Einfügung könne nicht als eine Verlängerung der ersten Glasscheibe ausgebildet werden, da es sich dann um keine Einfügung handeln würde, die in der Verbundstruktur angeordnet sei. Da es sich bei der zweiten Scheibe um eine Verbundscheibe handele, könne die metallische Einfügung nur in Verlängerung zur dritten Scheibe (eine Glasscheibe) vorgesehen werden. Eine solche Anordnung entspreche der in Anspruch 1 des Streitpatents definierten Panzerglasscheibe.

Die angegebenen Beispiele dienten ausschließlich zur Illustration der Erfindung, die nicht auf diese Ausführungsbeispiele beschränkt sei. Nicht alle möglichen Merkmalskombinationen könnten als Ausführungsbeispiele angegeben werden, aber der Fachmann berücksichtige trotzdem alle in der D1 offenbarten Merkmale. Bei Berücksichtigung der Merkmale der Ansprüche 1 bis 3 sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu.

Dem widerspricht die Beschwerdegegnerin, weil keine der vier Ausführungsbeispiele nach Figuren 1 bis 4 in der Einzelschau alle Merkmale des Gegenstands des Anspruchs 1 enthalte und an keiner Stelle in D1 auf solche Kombination ausdrücklich hingewiesen werde. Der Gegenstand des Anspruchs 1 könne nicht neuheitsschädlich durch D1 vorweggenommen sein, da nur durch eine erfinderische Zusammenstellung von einzelnen Merkmalen der verschiedenen in den Ansprüche 1 bis 3 bzw. Figuren 2 und 4 offenbarten Merkmale unter unzulässiger Expost-Synthese die beanspruchte Panzerscheibe abgeleitet werden könne.

b) Dokument D2

D2 betrifft eine Panzerglasscheibe aus einem Mehrschichtglas und beschreibt insbesondere eine Öffnung im Inneren der Panzerglasscheibe zum Einbau einer Kugellafette.

Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, dass die Anordnung der Glasscheiben alle Merkmale des Anspruchs 1 für einen innen liegenden Rand innerhalb der Panzerglasscheibe offenbare (siehe insbesondere das untere Teil der Figur 1 der D1). Da Anspruch 1 nicht ausschließlich auf einen äußeren Rand beschränkt sei, sei die Panzerglasscheibe des Anspruchs 1 nicht neu.

Nach Anspruch 1 sei eine Panzerglasscheibe beansprucht, die einen Rand aufweisen solle. Hinsichtlich des Randes sei lediglich vermerkt, dass ein Vorsprung ausgebildet sei, der zum Eingriff in einen Türrahmen oder Rahmen geeignet sei. Obwohl sich ein großer Teil der Beschreibung auf Panzerglasscheiben für Kraftfahrzeuge beziehe, sei das Merkmal lediglich als fakultativ definiert ("… insbesondere zur Verwendung als versenkbare Seitenscheibe eines Kraftfahrzeuges"). Deshalb beziehe sich Anspruch 1 auf jegliche Ränder von Panzerglasscheiben, als auch einen im Inneren der Panzerglasscheiben angeordneten, geschlossenen Rand.

Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass der Begriff "Rand" der Panzerglasscheibe bei zutreffender Würdigung und Auslegung des Streitpatents den Außenrand oder Außenumriss und nicht eine Aussparung bedeute. Da die Panzerglasscheibe des Anspruchs 1 einen anderen Aufbau als die in D2 beschriebene Panzerglasscheibe besitze, die keine Randverstärkung aufweise, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

Erfinderische Tätigkeit

a) Gegenüber D2 allein:

Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass D2 offenbare, dass die Beschußsicherheit der Panzerglasscheibe in dem an die Halteplatte unmittelbar angrenzenden Nachbarbereich weiterhin gewährleistet sei. Da Bruchsicherheit und Beschußsicherheit eng miteinander verwandt seien, beträfen das Streitpatent und D2 die gleiche Aufgabe. Es sei unerheblich, ob man die Panzerglasscheibe an einem Innenrand oder an einem Außenrand gegen Ausbruch und Durchschuss gesichert halte. Es sei daher für den Fachmann offensichtlich, einen Außenrand mit der gleichen Ausgestaltung vorzusehen, um dieselbe Wirkung zu erzielen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 weise somit gegenüber der D2 allein keine erfinderische Tätigkeit.

Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass der D2 keinerlei Hinweise auf die Aufgabe der Erfindung des Patents, nämlich die Bruchgefahr am Umfang der Panzerglasscheibe auszuschließen, zu entnehmen seien, und der Fachmann beim Lesen der D2 weder ausdrücklich noch implizit einen Hinweis erhalte, den in D2 offenbarten, bündigen Außenrand zu modifizieren oder umzubilden. Folglich beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

b) D3 und D2 bzw. D2 und D3

Die Beschwerdeführerin trug vor, dass D3 eine Panzerglas-Seitenscheibe für ein Kraftfahrzeug betreffe, bei der die Aufgabe gelöst werden solle, den Randbereich der Panzerglasscheibe so auszubilden, dass ein auf den Randbereich auftreffendes Geschoss diese nicht durchschlagen könne. Ausgehend von D2 sei es für den Fachmann offensichtlich, die in D2 beschriebenen Anordnung für den Randbereich der Panzerglasscheibe der D3 zu verwenden, um die gleiche Aufgabe zu lösen.

Der Unterschied von Anspruch 1 gegenüber der D3 bestehe darin, dass eine Vertiefung gebildet werde, in der die Randverstärkung aufgenommen sei. Ausgehend von D3 sei die objektive Aufgabe, den Rand auszubilden, so dass eine raumsparendere Bauweise ermöglicht werde, ohne dass die Ausbruchsicherheit leide.

D2 betreffe auch eine Panzerglasscheibe, die in einer Randausbildung beschusssicher und ausbruchsicher sei; die Randverstärkung der D2 werde in einer Vertiefung einer von drei Glasschieben befestigt. Somit erhalte der Fachmann aufgrund einer Zusammenschau der D3 und D2 zwanglos den Gegenstand des Anspruchs 1 in nahe liegender Weise.

Die Beschwerdegegnerin war der Auffassung, dass D3 nicht die Aufgabe betreffe, die Bruchgefahr am Rand der Panzerglasscheibe am Übergangsbereich zwischen der Randverstärkung und dem angrenzenden Glas auszuschließen. Zusätzlich könne eine bloße formale Kombination der Inhalte der D2 und D3 nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen, und daher beruhe die beanspruchte Panzerglasscheibe auf einer erfinderischen Tätigkeit.

c) D4 und D2

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass D4 ein Panzerglas für ein Flugzeugfenster offenbare, das ein metallisches Einlegeteil in eine Vertiefung des mehrschichtigen Aufbaus aufweise, um damit die randseitige Verstärkung eines solchen Aufbaus zu gewährleisten.

Die einzelnen baulichen Maßnahmen des Anspruchs 1, die die Vertiefungsausbildung innerhalb der Scheibenanordnung und die Anordnung des Versteifungselementes innerhalb dieser Vertiefung betreffen, entnehme der Fachmann der D2, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber D2 und D4 keine erfinderische Tätigkeit aufweise.

Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass es der Fensterscheibe von D4 an einer äußeren und einer inneren Glasscheibe fehle, wie sie in Anspruch 1 definiert seien, und an einer Randverstärkung, die sich in die beanspruchte Vertiefung erstreckt. Die D2 beschreibe lediglich eine in einer Panzerglasscheibe integrierte Kugellafette und enthalte keinen Hinweis auf die wesentlichen Merkmale des Anspruchs 1. Deshalb könne die Kombination der D4 und D4 nicht zum beanspruchten Gegenstand führen.

d) D5 und D2 oder D4

Hier argumentierte die Beschwerdeführerin, dass D5 eine mehrschichtige Türscheibe aus Panzerglas beschreibe, die versenkbar in einem Türrahmen aufgenommen sei. Sie erfülle die Aufgabe, dass bei Gewalteinwirkung verhindert werde, dass die Scheibe aus ihrem Rahmen falle könne. Wegen der randseitigen Ausbildung der Panzerglasscheibe und im Zusammenhang mit dem Profilelement (8) werde auch die Aufgabe, die Bruchgefahr am Rand der Panzerglasscheibe auszuschließen, gelöst. Gegenüber der D5 bestehe somit die objektive Aufgabe, die Scheibe so auszubilden, dass sie sich in Fensteröffnungen einsetzen lassen, die keine versenkbaren Glasscheibe zulassen.

Zu diesem Zweck würde der Fachmann das Profilelement (8) mit der Panzerglasscheibe zu einer Einheit verbinden, indem er das Profilelement (8) mit dem Vorsprung (9) in die Nut beispielweise einklebe. Ein solches Einkleben von Befestigungselementen sei bekannt aus der D2 oder der D4.

Die Beschwerdegegnerin führte aus, dass der D5 keine Anregung zu entnehmen sei, das separate Profilelement des Türrahmens mit der Panzerglasscheibe in einem Verbund auszubilden. Der Außenrand der Panzerglasscheibe der D2 weise kein Verstärkungselement auf und aufgrund des vollständig unterschiedlichen Randaufbaus der Glasscheibe der D4 könnten diese Dokumente keine weitergehenden Hinweise geben.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

2.1 Dokument D1

2.1.1 D1 ist als Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) zitiert und damit nur bezüglich Neuheit zu betrachten.

2.1.2 D1 offenbart Panzerverglasungen, insbesondere für Seitenscheiben für Kraftfahrzeuge. Eine Panzerglasscheibe, die die Kombination der in Anspruch 1 definierten Merkmale aufweist, ist in D1 nicht ausdrücklich beschrieben. Die Beschwerdeführerin trägt jedoch vor, dass der Fachmann unter Berücksichtigung der gesamten Lehre der D1, insbesondere der Ansprüche 1 bis 3, und seines allgemeinen Fachwissens, die beanspruchte Panzerglasscheibe entnehmen würde.

2.1.3 Anspruch 1 der D1 definiert eine Panzerglasscheibe, die eine oder mehrere starre Ausformungen aufweist. Nach dem abhängigen Anspruch 2 befinden sich die Ausformungen in Verlängerung einer einzigen Scheiben oder Gruppe aneinander angrenzenden Scheiben. Der abhängige Anspruch 3 weist das Merkmal auf, dass die oder mindestens eine der Ausformungen aus einer insbesondere metallischen Einfügung besteht, die teilweise in der das Glas bildenden Verbundstruktur in Verlängerung einer oder mehrerer Scheiben angeordnet wird.

2.1.4 Es ist daher möglich, wie die Beschwerdeführerin argumentiert hat, die Merkmale zu kombinieren, so dass ein Verbundpanzerglas nach Anspruch 1 des Streitpatents aus D1 ergibt. Dies ist jedoch das Ergebnis mehrer Entscheidungen, die der Fachmann bedenken muss. Die Ansprüche 1 bis 3 der D1 lassen auf jeden Fall offen, zum Beispiel:

- ob das Panzerglas eine oder mehrere Ausformung(en) aufweist,

- ob die Ausformung in Verlängerung der von dem Panzerglas definierten Oberfläche verläuft,

- wie viele Glasscheiben verlängert werden sollen, um die Ausformung zu bilden,

- ob die metallische Einfügung in Verlängerung einer Scheibe aus Glas oder einer haftfähigen Zwischenschicht angeordnet wird.

Es könnte sein, dass die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Ausführungsform für den Fachmann offensichtlich ist, aber die Rechtsprechung der Beschwerdekammern geht von einem engen Neuheitsbegriff aus, d.h. die beanspruchte Kombination von Merkmalen muss unmittelbar und eindeutig aus einer Entgegenhaltung entnehmbar sein.

2.1.5 Angesichts der Auswahl für den Fachmann, der die Ansprüche 1 bis 3 der D1 liest, kann der Gegenstand gemäß Anspruch 1 nicht unmittelbar und eindeutig abgeleitet werden, weil D1 dem Fachmann keinen Hinweis gibt, der zu einer Panzerglasscheibe mit der besonderen Kombination der Merkmale gemäß Anspruch 1 führt. Eine solche Kombination kann nur mit nachträglicher Einsicht erhalten werden und daher ist die beanspruchte Panzerglasscheibe hinsichtlich der D1 neu.

2.2 Dokument D2

2.2.1 D2 betrifft eine Kugellafette zum Einbau in Fahrzeuge und offenbart eine Panzerglasscheibe aus mehreren Glasscheiben, in der eine Kugellafette eingebaut ist. Die Lafette ist in eine kreisrunde Aussparung der Panzerglasscheibe eingesetzt, wobei die Panzerglasscheibe rund um die Aussparung einen Innenrand aufweist. Der Zweck der Anordnung des Innenrands ist daher, die Kugellafette zu montieren, und betrifft nicht die Bruchgefahr an einem Rand einer Panzerglasscheibe, die in D2 nicht erwähnt ist.

2.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf die Verwendung einer Panzerglasscheibe in Kraftfahrzeugen beschränkt sei, und der definierte Rand überall an einer Panzerglasscheibe vorgesehen werden könne, z.B. innerhalb der Panzerglasscheibe. Obwohl Anspruch 1 definiert, dass die äußere, erste Glasscheibe am Rand der Panzerglasscheibe über die zweite und dritte Glasscheibe vorragt, um einen Vorsprung zum Eingriff in einen Türrahmen oder Rahmen auszubilden, könne dieser Vorsprung entlang eines inneren Rand liegen.

Die naheliegende Bedeutung des Begriffs "Rand" gemäß dem Anspruch 1 ist allerdings im Hinblick auf die Verwendung als Seitenscheibe eines Kraftfahrzeugs und das Merkmal betreffend den Eingriff des Vorsprungs in einen Türrahmen diejenige eines Außenrands der Panzerglasscheibe. Nach der Rechsprechung der Beschwerdekammern sind die Beschreibung und die Figuren heranzuziehen, um die nächstliegende Auslegung des Anspruchswortlauts zu bestätigen (siehe die Rechsprechung der Beschwerdekammern II.B.5, Punkt 5.3). Das Streitpatent betrifft die Aufgabe, die Bruchgefahr am Rand der Panzerglasscheibe auszuschließen; es beschreibt lediglich Panzerglasscheiben für Fahrzeuge und die Figur zeigt den äußeren Rand einer Panzerglasscheibe in Verbindung mit einem Fahrzeugrahmen. Das Streitpatent gibt daher keinen Anlass, unter dem beanspruchten Rand der Panzerglasscheibe einen anderen als den Außenrand zu verstehen.

2.2.3 Da D2 die Struktur des äußeren Rands des Panzerglases nicht offenbart, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

3.1 Gegenüber D2 allein

3.1.1 Die im Streitpatent formulierte Aufgabe betrifft die Bruchgefahr am Rand einer Panzerglasscheibe, insbesondere der versenkbaren Seitenscheibe eines Kraftfahrzeugs (Absätze [0001] und [0006] der Beschreibung). Die vorgeschlagene Lösung ist die in Anspruch 1 definierte Konstruktion der Panzerglasscheibe.

3.1.2 Innerhalb der Aussparung der Panzerglasscheibe nach D2 ist eine Halteplatte (14,18) für den Kugelkörper angeordnet. D2 erwähnt (Seite 10, letzter Satz des ersten Absatzes), dass die Beschußsicherheit der Panzerscheibe in dem an die Halteplatte unmittelbar angrenzenden Nachbarbereich weiterhin gewährleistet ist. Deswegen argumentiert die Beschwerdeführerin, dass eine solche Halteplatte die Bruchsicherheit des inneren Rands der Panzerglasscheibe verbessere. Da D2 einen Rand mit dieselben konstruktiven Merkmale aufweise und dieselben Wirkung erziele fände der Fachmann diese Anordnung auch als geeignet für den Außenrand, um die Aufgabe zu lösen.

3.1.3 D2 betrifft eine Kugellafette und die Aufgabe, eine solche Kugellafette in einer Panzerglasscheibe zu montieren. Die Funktion der Halteplatte ist es, den Kugelkörper der Lafette zu befestigen, und sie hat den Vorteil, dass die Justage der Lagerung des Kugelkörpers leicht möglich ist und unterschiedliche Kugelkörper bzw. Waffen in derselben Halteplatte gelagert werden können (Seite 11, zweiter Absatz). Obwohl nebenbei erwähnt wird, dass die Beschußsicherheit auch in dem an die Halteplatte angrenzenden Bereich gewährleistet ist, ist dieses kein Hinweis darauf, dass das spezifische Problem der Bruchsicherheit am Rand einer Panzerglasscheibe verbessert werden kann.

3.1.4 Ein Stand der Technik, der nicht auf denselben Zweck wie beim Streitpatent gerichtet ist, ist kein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Da die Lehre der D2 zuallererst auf den Einbau einer Kugellafette gerichtet ist, würde der Fachmann die D2 nicht als geeigneten Ausgangspunkt für die beanspruchten Erfindung wählen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher hinsichtlich D2 erfinderisch.

3.2 D3 und D2

3.2.1 D3 offenbart eine versenkbare Panzerglas-Seitenscheibe für ein Kraftfahrzeug. D3 betrifft die Aufgabe, den Randbereich der Fensterscheibe so auszubilden, dass ein auf den Randbereich auftreffendes Geschoss diesen nicht durchschlagen und in den Fahrzeuginnenraum gelangen kann (D3, Spalte 1, Zeilen 28 bis 35). Da D3 den selben Zweck wie das Streitpatent hat, ist dieses Dokument ein geeigneter Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

3.2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterschiedet sich von der in D3 beschriebenen Panzerglasscheibe dadurch, dass die dritte Glasscheibe über die zweite vorragt, so dass die Randverstärkung sich in die Vertiefung hinein erstreckt. Die Schwachstelle am Übergangsbereich zwischen Randverstärkung und Glas liegt also innerhalb der Vertiefung und wird somit durch die Seitenwände der Vertiefung abgestützt und verstärkt.

3.2.3 Ausgehend von der D3 besteht die objektive Aufgabe darin, die Bruchgefahr am Rand der Panzerglasscheibe noch weiter zu reduzieren.

3.2.4 Um das Eindringen von Geschossen in den Fahrzeuginnenraum zu vermeiden, wird bei D3 ein im Querschnitt L-förmig gestaltetes Panzerelement auf eine der Scheibeninnenseite zugewandte Randstufe aufgeklebt (siehe die Figur der D3). Daher gibt D4 keinen Hinweis, das L-förmige Panzerelement in eine Vertiefung zu versenken.

3.2.5 Die Beschwerdeführerin trägt vor, dass die Lösung der D2 zu entnehmen sei.

D2 offenbart einen Halteplattenteil, der in einer Vertiefung zwischen Glasscheiben im Inneren der Panzerglasscheibe montiert ist. Der Halteplattenteil muss so fest gehalten werden, um den Kugelkörper der Lafette stabil zu halten.

Weil der Zweck der Anordnung des Panzerglasrandes der D2 zu dem der D3 unterschiedlich ist, würde der Fachmann ohne nachträgliche Einsicht nicht erkennen, dass die Ausgestaltung des Halteplattenteils der D2 zu einer Lösung der objektiven Aufgabe führen könnte. Es liegt daher nicht nahe, die Lehre der D3 und D2 (bzw. D2 und D3) zu kombinieren, um die objektive Aufgabe zu lösen.

3.3 D4 und D2

3.3.1 D4 betrifft eine mit Randverstärkung vorgesehene Fensterscheibe, insbesondere für ein Flugzeug.

D4 weist ein metallisches Einlegeteil auf, das in eine Vertiefung in einer mehrschichtigen Panzerglasscheibe eingesetzt ist. Im Vergleich mit Anspruch 1 ragt jedoch die erste Glasscheibe der D4 nicht über die zweite und dritte Glasscheibe vor und die dritte Glasscheibe ragt nicht über die zweite vor. Die Folge ist, dass die Vertiefung nach D4 nicht zwischen der äußeren, ersten Glasscheibe und der dritten Glasscheibe, sondern in der Kunststoffschicht zwischen der ersten und zweiten Glasscheibe liegt. Da die zweite Glasscheibe und das metallische Einlegeteil nicht zueinander benachbart sind, ist die Wirkung der Randverstärkung nicht äquivalent mit der beanspruchten Panzerglasscheibe.

3.3.2 Ausgehend von D4 ist die objektive Aufgabe ebenfalls, die Bruchgefahr am Rand des Fensters noch weiter zu reduzieren.

3.3.3 Zur Frage, ob der Fachmann die D2 in Betracht ziehen würde, um diese Aufgabe zu lösen, sind die oben erwähnten Punkte hinsichtlich der D2 relevant. Insbesondere würde der Fachmann eine Randverstärkung einer Fensterscheibe für ein Flugzeug nur mit nachträglicher Einsicht der Erfindung mit einer eine Halterung für eine Kugellafette aufweisenden Panzerglasscheibe kombinieren.

3.3.4 Es ist auch zu bemerken, dass das Einlegeteil der D4 in eine Vertiefung eingesetzt ist, um einer Verformung während der Herstellung des Fensters zu widerstehen (siehe Spalte 4, Zeilen 21 bis 27 und Spalte 6, Zeilen 11 bis 15). Dies betrifft einen anderen Zweck als die Montierung der metallischen Halteplatte in dem Panzerglas der D2.

3.3.5 Die Kombination der Lehre der D4 und der D2 kann daher nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen.

3.4 D5 und D2/D4

3.4.1 D5 betrifft eine Türscheibe aus Panzerglas mit mehreren schichtweise angeordneten Glasscheiben, und ist daher als ein geeigneter Ausgangspunkt anzusehen.

3.4.2 Der Türrahmen weist eine gepanzerte Steg-Einrichtung (8) auf, durch die ein Durchschuss eines Projektils durch den Spalt zwischen Türrahmen und Dachpartie in das Fahrzeuginnere verhindert werden soll. An die Steg-Einrichtung (8) ist ein auskragender Steg (9) angeformt, der in eine Aussparung am Rand der Türscheibe ragt, aber nicht an der ersten Glasscheibe befestigt ist und sich nicht in eine Vertiefung, wie sie in Anspruch 1 definiert ist, erstreckt.

3.4.3 Ausgehend von D5 formuliert die Beschwerdeführerin die Aufgabe, die Scheibe so auszubilden, dass sie sich in Fensteröffnungen einsetzen lassen, die keine versenkbaren Glasscheiben zulassen. Da sowohl D5 als auch das Streitpatent schon versenkbare Seitenscheiben betreffen, ist diese Aufgabe etwas künstlich und lenkt den Fachmann zu der Lösung. Die objektive Aufgabe ist daher vielmehr neutral formuliert, die Bruchgefahr am Rand des Fensters noch weiter zu reduzieren.

3.4.4 Um die Lösung der Aufgabe zu erreichen, muss das Profilelement (8) mit der Panzerglasscheibe zu einer Einheit verbunden werden, indem das Profilelement (8) mit dem Vorsprung (9) in die Nut beispielweise eingeklebt wird.

3.4.5 Diese Lösung ist nicht der D5 selbst zu entnehmen, weil die Steg-Einrichtung (8) bzw. der Steg (9) die spezielle Aufgabe hat, dafür zu sorgen, dass die Panzerglasscheibe nicht nach außen aus dem Türrahmen herausfallen kann, und nicht dazu dienen sollen, den Rand selbst der Panzerglasscheibe zu verstärken. Daher ist ihr Aufbau völlig anders. Weder D2 noch D4 beschreibt die Randverstärkung einer Panzerglasscheibe des beanspruchten Typs (siehe oben) und es ist daher unrealistisch diese Dokumente mit D5 zu kombinieren.

3.5 Da somit der Gegenstand des Anspruchs 1 aus dem vorhandenen Stand der Technik nicht ohne Kenntnis der Erfindung in naheliegende Weise hergeleitet werden kann, ist er als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend auszusehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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