T 1707/08 () of 16.2.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T170708.20120216
Datum der Entscheidung: 16 Februar 2012
Aktenzeichen: T 1707/08
Anmeldenummer: 05015326.1
IPC-Klasse: G09B 7/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Datenverarbeitungssystem und Verfahren zum computergestützten Lernen
Name des Anmelders: CompuGroup Medical AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 103(1)(a)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 R 45
Schlagwörter: Merkmal nicht fachnotorisch - Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung zur Durchführung einer zusätzlichen Recherche
Rückerstattung der Beschwerdegebühr (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1242/04
T 1515/07
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0779/11

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 05 015 326 zurückzuweisen (Artikel 97(2) EPÜ).

II. Das Prüfungsverfahren kann wie folgt zusammengefasst werden:

Die Recherchenabteilung teilte der Anmelderin in einer Erklärung nach Regel 45 EPÜ 1973 mit, dass sich die Ansprüche auf nichttechnische Sachverhalte bezögen, die nach Artikel 52(2) und (3) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossen wären, oder auf allgemein bekannte Merkmale zu deren technologischer Umsetzung. Es könnte keine technische Aufgabe festgestellt werden, deren Lösung eine erfinderische Tätigkeit beinhalten würde. Daher wäre es nicht möglich, sinnvolle Ermittlungen über den Stand der Technik durchzuführen. Sollten die der Erklärung zugrunde liegenden Mängel behoben werden, könnte im Zuge der Prüfung eine Recherche durchgeführt werden.

In der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung beantragte die Anmelderin ein Patent zu erteilen auf Grundlage der ursprünglich eingereichten Ansprüche (Hauptantrag) oder auf Grundlage der mit Schreiben vom 15.04.2008 als erstem beziehungsweise zweitem Hilfsantrag eingereichten Ansprüche. Ferner beantragte die Anmelderin die Durchführung einer zusätzlichen Recherche. Der Wortlaut des Anspruchs 1 des zweiten Hilfsantrags lautete wie folgt:

"Datenverarbeitungssystem mit

- Mitteln (118) zum Zugriff auf eine medizinische Fall-Datenbank (104),

- Mitteln (118, 120, 124; 136) zur Eingabe fallbezogener Daten in die Fall-Datenbank,

- Mitteln (118) zum Zugriff auf eine medizinische Fachfragen-Datenbank (110),

- Mitteln (118) zur Generierung einer Abfrage für die Fachfragen-Datenbank mit Hilfe der fallbezogenen Daten,

- Mitteln (118, 120; 150) zur Ausgabe einer durch die Abfrage erhaltenen Fachfrage,

- Mitteln (118, 120; 150, 154) zur Eingabe einer Antwort auf die Fachfrage,

- Mitteln (118) zur Auswertung der Antwort,

wobei die Fall-Datenbank für jeden Patienten eine virtuelle Karteikarte zur Eingabe der fallbezogenen Daten des betreffenden Patienten beinhaltet, wobei die Abfrage nach Schließen der virtuellen Karteikarte generiert wird, wobei die Fachfragen-Datenbank zu jeder Fachfrage eine Fachfragen-Kennung als Zugriffsschlüssel beinhaltet, wobei das Datenverarbeitungssystem ferner Mittel zur Speicherung einer Fachfragen-Kennung, wenn auf die entsprechende Fachfrage nach der Ausgabe keine Antwort eingegeben wird, aufweist, wobei das Datenverarbeitungssystem ferner eine Schnittstelle (130) aufweist für ein tragbares elektronisches Gerät (132) zur Übertragung der gespeicherten Fachfragen-Kennungen und / oder der entsprechenden Fachfragen an das tragbare Gerät."

Die Prüfungsabteilung entschied in der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand der Ansprüche 1, 8 und 10 des Hauptantrags, des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags und des Anspruchs 1 des zweiten Hilfsantrags keine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ 1973 aufweise und dass sie dem Antrag auf eine zusätzliche Recherche nicht stattgäbe.

III. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin (Anmelderin), die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags oder der Hilfsanträge 1 oder 2, alle eingereicht mit Schreiben vom 20. Dezember 2011, zu erteilen oder die Sache an die 1. Instanz zurückzuverweisen, sowie die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

IV. Der Wortlaut des Anspruchs 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Datenverarbeitungssystem mit

- Mitteln (118) zum Zugriff auf eine medizinische Fall-Datenbank (104),

- Mittel zum Empfang fallbezogener Daten von einem medizintechnischen Gerät (124),

- Mitteln (118, 120, 124; 136) zur Eingabe der fallbezogenen Daten in die Fall-Datenbank,

- Mitteln (118) zum Zugriff auf eine medizinische Fachfragen-Datenbank (110),

- Mitteln (118) zur Generierung einer Abfrage für die Fachfragen-Datenbank mit Hilfe der fallbezogenen Daten,

- Mitteln (118, 120; 150) zur Ausgabe einer durch die Abfrage erhaltenen Fachfrage,

- Mitteln (118, 120; 150, 154) zur Eingabe einer Antwort auf die Fachfrage,

- Mitteln (118) zur Auswertung der Antwort."

V. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

(a) Hauptantrag / Zurückverweisung

Das im Anspruch 1 enthaltene Merkmal betreffend Mittel zur Generierung einer Abfrage für die Fachfragen-Datenbank mit Hilfe fallbezogener Daten sei technischer Natur, da es erforderlich sei, die fallbezogenen Daten mittels des Datenverarbeitungssystems zu verarbeiten, um daraus Informationen zu extrahieren, welche bei der Abfrage verwendet werden können. Dieses Merkmal sei auch nicht notorisch bekannt.

Außerdem enthalte Anspruch 1 das Merkmal, dass das Datenverarbeitungssystem Mittel zum Empfang fallbezogener Daten von einem medizinisch-technischen Gerät aufweise, wodurch sichergestellt werde, dass der Arzt mit den Fachfragen konfrontiert werde, welche für ihn relevant seien. Fehlinterpretationen der Messdaten oder Tippfehler, welche zu irrelevanten Fachfragen führen können, werden dadurch vermieden.

Durch die Kombination dieser Merkmale werde das objektive technische Problem gelöst, einen Arzt mit Fachfragen für einen Lernvorgang zu konfrontieren, welche von ihm behandelte medizinische Fälle betreffen. Die beanspruchte Lösung könne nicht als Routinetätigkeit angesehen werden, die mit herkömmlichen Programmiertechniken zu bewältigen sei. Ausgehend von dem in der Anmeldung erwähnten Dokument DE 697 17 659 T2 sei es daher nicht möglich, in naheliegender Weise zum Gegenstand der Ansprüche des Hauptantrags zu gelangen, der somit erfinderisch sei.

(b) Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Durch die Durchführung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit habe die Prüfungsabteilung implizit anerkannt, dass der beanspruchte Gegenstand nicht nur notorischem Fachwissen zuzuordnen sei. Demnach hätte gemäß der Entscheidung T 1242/04 eine zusätzliche Recherche durchgeführt werden müssen.

Ferner gehe aus der Abschrift der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung hervor (siehe Punkt 11), dass nach Meinung der Prüfungsabteilung ein tragbares elektronisches Gerät zum Prioritätszeitpunkt für den Zweck der Datenverarbeitung üblich gewesen sei. In der Entscheidung werde argumentiert (siehe Punkt 4.4), dass die im Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags beanspruchte Verwendung eines tragbaren Geräts nicht ein Merkmal sei, welches eine erfinderische Tätigkeit aufweisen könne; vielmehr müsse dies fachüblich entschieden werden. Daraus gehe hervor, dass die Prüfungsabteilung der Ansicht gewesen sei, dass die Verwendung eines tragbaren Geräts nicht als notorisches Fachwissen anzusehen sei. Damit wäre es aber entsprechend gängiger Rechtsprechung notwendig gewesen eine zusätzliche Recherche anzufertigen (siehe die Entscheidung T 1515/07).

Es stelle daher einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, dass keine zusätzliche Recherche durchgeführt worden sei. Daher sei die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit

Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag / Zurückverweisung

2.1 Die Recherchenabteilung teilte der Anmelderin - auf Artikel 52(2) und (3) EPÜ 1973 verweisend - in einer Erklärung nach Regel 45 EPÜ 1973 mit, dass es nicht möglich wäre, sinnvolle Ermittlungen über den Stand der Technik durchzuführen.

Die Prüfungsabteilung gab dem Antrag der Anmelderin auf eine zusätzliche Recherche nicht statt und wies die Anmeldung in der angefochtenen Entscheidung wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ 1973 zurück.

2.2 In der angefochtenen Entscheidung wurde als nächstliegender Stand der Technik eine Datenverarbeitungsanlage angesehen, welche am Anmeldetag wohlbekannt gewesen sei. Letzteres wurde von der Beschwerdeführerin (Anmelderin) nicht bestritten.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags betrifft ein Datenverarbeitungssystem mit – unter anderen – folgenden zusätzlichen Merkmalen:

(i) "Mittel [sic] zum Empfang fallbezogener Daten von einem medizintechnischen Gerät (124)", und

(ii) "Mitteln (118) zur Generierung einer Abfrage für die Fachfragen-Datenbank mit Hilfe der fallbezogenen Daten".

Die Kammer teilt die Ansicht der Beschwerdeführerin (Anmelderin), dass diese Merkmale den Vorteil haben, dass Fehlinterpretationen der Messdaten oder Tippfehler, welche zu irrelevanten Fachfragen führen können, vermieden werden. Die von den Merkmalen (i) und (ii) gelöste technische Aufgabe kann daher darin gesehen werden, die Lehrmethode in benutzerfreundlicher und Fehler-resistenter Weise zu implementieren.

Der maßgebende Fachmann kann daher als der auf dem Gebiet der Datenverarbeitung kundige Fachmann angesehen werden.

Nach Ansicht der Kammer geht zumindest das Merkmal (i) über das hinaus, was unbestreitbar zum Fachwissen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung gehört, d.h. dieses Merkmal zählt nicht zum "notorischen" Fachwissen, da es nicht generisch ist. Ferner wird es auch von der Beschwerdeführerin (Anmelderin) bestritten, dass das Merkmal (i) zum Fachwissen des Fachmanns zählt.

2.3 Die Kammer ist der Ansicht, dass es unter diesen Umständen notwendig ist, eine zusätzliche Recherche zur Bestimmung des einschlägigen Standes der Technik durchzuführen, bevor die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags beurteilt werden kann (siehe T 1242/04, Gründe 8 und 9). Die Angelegenheit ist daher zur Durchführung einer zusätzlichen Recherche und zur weiteren Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen (Artikel 111(1) EPÜ 1973).

3. Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr

3.1 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin geht insbesondere aus Punkt 11 der Abschrift der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung und aus Punkt 4.4 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Prüfungsabteilung der Meinung war, dass zumindest das Vorsehen des tragbaren elektronischen Geräts nicht als notorisch bekannt einzustufen sei und dass diesbezüglich eine Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit stattzufinden habe.

3.2 Im Punkt 11 der Abschrift der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung findet sich folgende Feststellung:

"Ein tragbares elektronisches Gerät im Sinne der Anmeldung war ebenfalls zum Prioritätszeitpunkt für den Zweck der Datenverarbeitung üblich."

Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Prüfungsabteilung nicht der Ansicht gewesen sei, dass ein tragbares Gerät zum notorischen Fachwissen gehört. Vielmehr ist diese Feststellung mit einer solchen Ansicht im Einklang. Ferner steht im Punkt 17 der oben genannten Abschrift, dass die Prüfungsabteilung während des Verfahrens die Möglichkeit gehabt hätte Dokumente einzuführen wenn sie "mehr als ein solches Client/Server-System mit einem tragbaren elektronischen Gerät in der Anmeldung gesehen hätte". Sie wäre jedoch zu dem Schluss gekommen, dass eine "abschließende Entscheidung auf Basis des notorischen Standes der Technik getroffen werden könne, da alle technischen Mittel des Anspruchs wie auch der gesamten Anmeldung notorisch bekannt seien". Daraus geht nach Ansicht der Kammer klar hervor, dass die Prüfungsabteilung in der Tat der Meinung war, dass ein tragbares elektronisches Gerät zum notorisch bekannten Fachwissen zählt.

3.3 Im Punkt 4.4 der angefochtenen Entscheidung wird ausgeführt, dass Fragen, die man später beantworten möge, gespeichert werden müssen. Ob dies im Gedächtnis des Schülers, in einem Heft oder in einem tragbaren elektronischen Gerät geschehe, sei "nicht ein Merkmal, welches erfinderische Tätigkeit aufweisen" könne, sondern sei "fachüblich zu entscheiden".

Daraus lässt sich aber nach Ansicht der Kammer lediglich schließen, dass die Prüfungsabteilung der Ansicht war, dass die in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags beanspruchte Kombination von Merkmalen keine erfinderische Tätigkeit aufweist. Dies impliziert jedoch nicht, dass die Prüfungsabteilung ein tragbares elektronisches Gerät nicht als notorisches Fachwissen angesehen hätte. Im Punkt 5.3 der Entscheidung wird vielmehr festgestellt, dass die Prüfungsabteilung in der Anmeldung keine technischen Elemente erkenne, "die über ein allgemein bekanntes Client-Server Computersystem (eventuell auch in Verbindung mit einem tragbaren elektronischen Gerät) hinaus gingen". Dies steht im Einklang mit der oben angegebenen Schlussfolgerung, dass die Prüfungsabteilung der Meinung war, dass ein tragbares elektronisches Gerät zum notorisch bekannten Fachwissen zählt.

3.4 Die Kammer hat daher keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Prüfungsabteilung der Ansicht war, dass der beanspruchte Gegenstand keine erfinderische Tätigkeit allein im Hinblick auf notorisch bekanntes Fachwissen aufweist. Dass die Prüfungsabteilung keine zusätzliche Recherche ausgeführt hat, stellt nach Ansicht der Kammer unter diesen Umständen keinen wesentlichen Verfahrensfehler dar (siehe T 1242/04, Gründe 9). Somit besteht für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr unter Regel 103(1)(a) EPÜ keine Grundlage.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die 1. Instanz zurückverwiesen.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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