T 1510/08 () of 4.11.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T151008.20101104
Datum der Entscheidung: 04 November 2010
Aktenzeichen: T 1510/08
Anmeldenummer: 05716910.4
IPC-Klasse: B60R 21/01
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zur Ansteuerung einer zweiten Airbagstufe
Name des Anmelders: ROBERT BOSCH GMBH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Klarheit (Hauptantrag, Hilfsantrag: nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 05 716 910.4 wurde mit der am 21. April 2008 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung wegen mangelnder Klarheit zurückgewiesen. Dagegen wurde von der Anmelderin am 13. Mai 2008 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig auch die Beschwerdegebühr entrichtet und die Beschwerdebegründung eingereicht.

II. Mit der am 12. Juli 2010 ergangenen Ladung zur mündlichen Verhandlung wies die Kammer die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie die von der Prüfungsabteilung in der Entscheidung angegebenen Gründe zur mangelnden Klarheit im Wesentlichen teile. Insbesondere wurde festgestellt, dass nicht klar ist, ob gemäß Anspruch 1 (vorgelegt mit der Beschwerdebegründung; siehe unten) die Aufprallgeschwindigkeit eines "genormten" Insassen oder des aktuellen Insassen bestimmt wird.

III. Es wurde am 4. November 2010 mündlich verhandelt. Die Beschwerdeführerin nahm an der mündlichen Verhandlung nicht teil und wurde folglich so behandelt, als stütze sie sich lediglich auf ihr schriftliches Vorbringen. Die Beschwerdeführerin hatte schriftlich mit der Beschwerdebegründung beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Klarheit der Patentansprüche gemäß Hauptantrag bzw. hilfsweise gemäß Hilfsantrag festzustellen, das Prüfungsverfahren zur Prüfung der Patentfähigkeit zurückzuverweisen und hilfsweise einen Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen.

Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Verfahren zur Ansteuerung einer zweiten Airbagstufe in Abhängigkeit von wenigstens einer Insassengröße und einer Crashschwere, dadurch gekennzeichnet, dass die insassenunabhängige Crashschwere in Abhängigkeit von einer Aufprallgeschwindigkeit (v) eines genormten, sich frei bewegenden Insassen auf den Airbag bestimmt wird, indem die Aufprallgeschwindigkeit in Abhängigkeit von einer Vorverlagerung des genormten Insassen und einer Zeit, die ab Crashbeginn startet, bestimmt wird, wobei von einer konstanten Vorverlagerung ausgegangen und die Zeit ab Crashbeginn gemessen wird, die verstreicht, bis der Insasse diese Vorverlagerung erreicht, dass die Crashschwere über eine auswählbare Kennlinie in Abhängigkeit von der Aufprallgeschwindigkeit bestimmt wird, dass die Kennlinie über den Crashtyp bestimmt wird."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet wie folgt:

"Verfahren zur Ansteuerung einer zweiten Airbagstufe in Abhängigkeit von wenigstens einer Insassengröße und einer Crashschwere, dadurch gekennzeichnet, dass die insassenunabhängige Crashschwere in Abhängigkeit von einer Aufprallgeschwindigkeit (v) eines genormten, sich frei bewegenden Insassen auf den Airbag bestimmt wird, indem die Aufprallgeschwindigkeit in Abhängigkeit von einer Vorverlagerung des genormten Insassen und einer Zeit, die ab Crashbeginn startet, bestimmt wird, indem mit dieser Vorverlagerung durch Division durch die Zeit die Aufprallgeschwindigkeit bestimmt wird, wobei von einer konstanten Vorverlagerung ausgegangen und die Zeit ab Crashbeginn gemessen wird, die verstreicht, bis der Insasse diese Vorverlagerung erreicht, dass die Crashschwere über eine auswählbare Kennlinie in Abhängigkeit von der Aufprallgeschwindigkeit bestimmt wird, dass die Kennlinie über den Crashtyp bestimmt wird."

IV. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerdebegründung dargelegt, die Aufprallgeschwindigkeit werde gemäß Anspruch 1 als die Aufprallgeschwindigkeit eines genormten, sich frei bewegenden Insassen auf den Airbag definiert. Die Aufprallgeschwindigkeit werde weiter so definiert, dass von einer konstanten Vorverlagerung ausgegangen und die Zeit ab Crashbeginn gemessen werde, die verstreiche bis der Insasse diese Vorverlagerung erreicht habe. Damit würden dem Fachmann klare und eindeutige Hinweise gegeben, wie er die Aufprallgeschwindigkeit des genormten Insassen zu bestimmen habe. Er brauche die Vorverlagerung, die einen konstanten Wert erreichen müsse, und die Zeit, die ab Crashbeginn gemessen werde. Die Vorverlagerung könne, wie aus der Beschreibung und Zeichnung hervorgehe, bspw. Seite 4, Zeilen 17-18, aus der Beschleunigung, die mit einem Beschleunigungssensor in Fahrzeuglängsrichtung erfasst werde, ermittelt werden. Die Zeit habe der Fachmann ab Crashbeginn zu messen, wobei der Beginn des Crashs durch den Kontakt der Unfallgegner bestimmt sei.

Weiterhin gebe der Begriff "Aufprallgeschwindigkeit" keinen unzutreffenden Eindruck wieder. Tatsächlich sei die Aufprallgeschwindigkeit durch die in Anspruch 1 definierten Größen eindeutig bestimmbar. Insbesondere sei die Aufprallgeschwindigkeit gemäß Anspruch 1 nicht mit der realen Aufprallgeschwindigkeit zu verwechseln, sondern als Rechengröße zu verstehen, mit deren Hilfe die Crashschwere zu ermitteln sei.

Dem Einwand, dass eine Vielzahl von Interpretationen möglich sei, entgegne die Anmelderin, dass durch den Gegenstand des Anspruchs 1 und insbesondere durch dessen Verfahrensschritte ein eindeutiger Verfahrensablauf definiert sei. Dass die Vorverlagerung sich womöglich mit unterschiedlichen Methoden bestimmen lasse und so eine gewisse Breite aufweise, oder auch der Crashbeginn durch verschiedene Verfahren bestimmen lasse, mache den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht unklar.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Anspruch 1 des Hauptantrags beinhaltet das Merkmal, wonach "die insassenunabhängige Crashschwere in Abhängigkeit von einer Aufprallgeschwindigkeit eines genormten, sich frei bewegenden Insassen auf den Airbag bestimmt wird". Aus diesem Verfahrenschritt geht hervor, dass die Crashschwere insbesondere durch die Aufprallgeschwindigkeit eines "genormten Insassen" bestimmt wird. Die nächsten Merkmale definieren die Aufprallgeschwindigkeit "in Abhängigkeit von einer Vorverlagerung des genormten Insassen und einer Zeit...die verstreicht, bis der Insasse diese Vorverlagerung erreicht". In diesem Verfahrensschritt wird somit eine ab Crashbeginn definierte Zeit bestimmt, die jedoch auf den "Insassen" und nicht auf den "genormten Insassen" bezogen ist. Folglich ist nicht klar, auf welche Fahrsituation sich die Ermittlung der Crashschwere gemäß Anspruch 1 konkret bezieht, ob von einer aktuellen Crashsituation mit einem aktuellen Insassen des Kraftfahrzeugs ausgegangen wird oder nur von einer virtuellen Crashsituation mit einem genormten Insassen. Falls ersteres zutreffen sollte, dann stünde dies im Widerspruch dazu, dass gemäß dem Anspruchswortlaut die Crashschwere als "insassenunabhängige Crashschwere" definiert ist (siehe auch Seite 1, Zeilen 25-27 der Beschreibung in der veröffentlichten Anmeldung, im Folgenden als WO-A bezeichnet). Falls letzteres zutreffen sollte, dann wäre nicht zu ersehen, welche Verfahrensschritte überhaupt auf die aktuelle Crashsituation bezogen sind und wie dann bei einer aktuellen Crashsituation eine Crashschwere überhaupt zu ermitteln wäre.

Insgesamt geht aus den vorgehenden Darlegungen hervor, dass dem Fachmann durch den Anspruchsgegenstand keine klare technische Lehre vermittelt wird, weil bei den genannten Verfahrensschritten grundsätzlich nicht klar zwischen der aktuellen Crashsituation mit einem aktuellen Insassen und einer virtuellen Crashsituation mit einem genormten Insassen unterschieden wird. Dieser grundsätzliche Klarheitsmangel ergibt sich bereits aus der gesamten ursprünglichen Anmeldung (siehe z.B. WO-A, Seite 1, Zeilen 28-31; Seite 2, Zeilen 5-14; Seite 4, Zeilen 15-21; Anspruch 1 und 2), weil daraus ebenfalls nicht hervorgeht, wie die Crashschwere in einer aktuellen Crashsituation mit einem aktuellen Fahrzeuginsassen im Gegensatz zu der Crashschwere in einer virtuellen Crashsituation mit einem genormten Insassen zu ermitteln ist und in welchem Zusammenhang die erste mit der zweiten Crashschwere steht.

Weiterhin ist das Merkmal des Anspruchs 1, wonach die Zeit "ab Crashbeginn gemessen wird", im Hinblick auf die Beschreibung nicht gestützt, weil diese keine Messmethoden und keine Messmittel für die Messung der Zeit ab Crashbeginn offenbart, sondern lediglich eine indirekte Bestimmung derselben mittels der Beschleunigungssensoren und der vorgegebenen Vorverlagerung (WO-A, Seite 2, Zeilen 5-14).

Schließlich ist noch festzuhalten, dass der Begriff "Aufprallgeschwindigkeit" im Anspruch 1 missverständlich und unklar ist, weil offensichtlich laut Beschreibung (siehe z.B. WO-A, Seite 4, Zeilen 19-21) die tatsächlich mittels Division der Vorverlagerung durch die Zeit ermittelte Geschwindigkeit lediglich eine mittlere Geschwindigkeit darstellt.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag kann die oben dargelegten Klarheitsmängel nicht beheben, da die vorgenommene Änderung keinen der obigen Einwände entkräftet. Folglich ist die Anmeldung wegen mangelnder Klarheit zurückzuweisen (Art. 84 EPÜ 1973). Es ist daher auch keine rechtliche Grundlage gegeben, das Verfahren zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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