T 1186/08 () of 20.7.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T118608.20110720
Datum der Entscheidung: 20 Juli 2011
Aktenzeichen: T 1186/08
Anmeldenummer: 06015447.3
IPC-Klasse: A61B 19/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Darstellung von Objektausrichtung an Kugelgelenken
Name des Anmelders: BrainLAB AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit: ja (nach Änderungen)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 3. März 2008 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 06015447.3 zurückgewiesen wurde. Die Zurückweisung wurde mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit der in den ursprünglich eingereichten unabhängigen Ansprüchen definierten Gegenstände begründet.

II. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte hiergegen am 11. März 2008 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 3. Juni 2008 eingereicht.

III. Die derzeitigen Anträge der Beschwerdeführerin sind die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Basis folgender Unterlagen:

Ansprüche: Nr. 1 bis 10 eingereicht am 3. Mai 2011;

Beschreibung: Seiten 1, 3 und 6 wie ursprünglich eingereicht; Seiten 2a, 4 und 5 eingereicht am 3. Mai 2011; Seite 2b (als Einschub auf Seite 2a) eingereicht am 7. Juli 2011;

Zeichnungen: Blatt 1/3 bis 3/3 wie ursprünglich eingereicht.

Hilfsweise wird die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

IV. Von den zitierten Dokumenten sind die folgenden für diese Entscheidung von Bedeutung:

D1: WO-A-03/096 920

D3: WO-A-02/080 824

D4: US-A-2004/0 205 973

D5: US-A-5 592 745.

V. Die geltende Fassung der unabhängigen Ansprüche 1, 8 und 10 lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur medizintechnischen Darstellung der Ausrichtung eines Objekts an einem Kugelgelenk, bei dem

- am Kugelgelenk eine aus der Gelenkpfanne heraus ragende Nullwinkelrichtung definiert wird, und Richtungen definiert werden, die als anatomische Richtungen definiert sind,

- das Objekt eine definierte Vorzugsrichtung aufweist, die im Verhältnis zur Nullwinkelrichtung auszurichten ist, und bei dem

- eine graphische Darstellung der Objektausrichtung erfolgt, bei weicher die Abweichung der Vorzugsrichtung zur Nullwinkelrichtung zahlenmäßig dargestellt wird und das Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung zu den anatomischen Richtungen auf einer Umfangsdarstellung als Anteilswert der anatomischen Richtungen dargestellt wird."

"8. Programm, das, wenn es auf einem Computer läuft oder in einem Computer geladen ist, den Computer veranlasst, ein Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 7 durchzuführen."

"10. Medizintechnische Darstellungsvorrichtung für die Darstellung der Ausrichtung eines Objekts an einem Kugelgelenk, mit

- einer Datenspeicherungs- und Datenverarbeitungseinrichtung, die anatomische Daten speichert, mittels der am Kugelgelenk eine aus der Gelenkpfanne heraus ragender Nullwinkelrichtung definiert wird, und Richtungen definiert werden, die als anatomische Richtungen definiert sind, und mittels derer eine Objekt-Vorzugsrichtung definiert wird, die im Verhältnis zur Nullwinkelrichtung auszurichten ist, und mit

- einer Graphik-Verarbeitungseinheit und einer Graphikausgabe, mittels derer eine graphische Darstellung der Objektausrichtung erfolgt, bei weicher die Abweichung der Vorzugsrichtung zur Nullwinkelrichtung zahlenmäßig dargestellt wird und das Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung zu den anatomischen Richtungen auf einer Umfangsdarstellung als Anteilswert der anatomischen Richtungen dargestellt wird."

Die Ansprüche 1 bis 7 und 9 sind abhängige Ansprüche.

VI. In der angefochtenen Entscheidung war der Gegenstand der ursprünglichen unabhängigen Ansprüche ausgehend von Dokument D1, bzw. D3, als naheliegend angesehen worden, im wesentlichen weil die zahlenmäßige Darstellung der Winkelabweichung und die Darstellung des Ausrichtungsverhältnisses auf einer Umfangsdarstellung für den Fachmann nur Design Optionen ohne irgendeinen besonderen technischen Effekt seien.

VII. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die vorliegende Erfindung biete eine graphische Darstellung, anhand derer auch ein ungeübter Chirurg sofort erkennen könne, welche Änderungen an der Ausrichtung eines Objekts vorzunehmen seien, um die gewünschte Soll-Ausrichtung zu erreichen. Bei dieser Darstellung werde die Abweichung zur Soll-Ausrichtung zahlenmäßig exakt angegeben, wobei ferner das Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung des Objekts auf einer Umfangsdarstellung dargestellt werde, und zwar als Anteilswert der anatomischen Richtungen. Keines der Dokumente D1 oder D3 offenbare diese Merkmale oder weise auf sie hin. Auch würde der Fachmann die Dokumente D4 und D5 nicht heranziehen, da diese in einem der Medizintechnik völlig fremden technischen Gebiet angesiedelt seien.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

In den unabhängigen Ansprüchen 1 und 10 wurde der ursprünglich verwendete Begriff "Nullwinkel" dahingehend präzisiert, dass es sich dabei um eine Richtung, nämlich die "Nullwinkelrichtung" handelt (vgl. Seite 6, Zeilen 7 bis 10 der ursprünglich eingereichten Beschreibung). Im Anspruch 1 wurde ferner die graphische Darstellung der Abweichung der Vorzugsrichtung zur Nullwinkelrichtung als eine zahlenmäßige Darstellung definiert, die im ursprünglichen Anspruch 1 lediglich als fakultatives Merkmal enthalten war. Die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepasst und es wurde eine Würdigung des nächstliegenden Standes der Technik eingefügt. Die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ sind somit erfüllt.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Als nächstliegender Stand der Technik kann das Dokument D3 angesehen werden. Es offenbart ein Verfahren zur medizintechnischen graphischen Darstellung der aktuellen Ausrichtung eines Objekts, z.B. einer Implantathalte- und -Setzvorrichtung, an einem Kugelgelenk, wobei die Abweichung der Vorzugsrichtung des Objekts zu einer Soll- oder Nullwinkelrichtung mittels eines Fadenkreuzes in einem Koordinatensystem angezeigt wird (siehe Figur 4). Dabei ist die Anteversion bzw. die Retroversion auf der Abszisse und die Abduktion bzw. die Adduktion auf der Ordinate aufgetragen. Die Soll- oder Nullwinkelrichtung des Objekts ist dann erreicht, wenn das die Ist-Ausrichtung darstellende Fadenkreuz im Ursprung des Koordinatensystems zu liegen kommt (siehe Figur 4; Seite 15, Zeilen 2 bis 9). Die Kreuzungspunkte der Linien des Fadenkreuzes mit den jeweiligen Achsen des Koordinatensystems stellen somit die "Abweichung der Vorzugsrichtung zur Nullwinkelrichtung" dar, wobei die simultane Darstellung der Streckenabschnitte auf Abszisse und Ordinate auch das "Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung zu den anatomischen Richtungen" darstellt.

Die graphische Darstellung in D3 erlaubt eine qualitative Darstellung des Ausrichtungsverhältnisses der Vorzugsrichtung zu den anatomischen Richtungen, mit der es möglich ist, bereits einige der in der Anmeldung angegebenen Probleme teilweise zu lösen (siehe Seite 3, erster Absatz und Seite 6, letzter Absatz der Anmeldung). Beispielsweise erkennt der Chirurg beim Betrachten des in D3 dargestellten Fadenkreuzes die Abweichung der Ist- von der Sollposition und er weiß, in welche Richtung die Abweichung geht. Mit einer solchen visuellen Unterstützung lässt sich die Abweichung korrigieren, indem eine entsprechende Winkelverstellung in Gegenrichtung vorgenommen wird.

3.2 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 unterscheidet sich von demjenigen aus D3 darin, dass das Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung des Objekts zu den anatomischen Richtungen auf einer Umfangsdarstellung als Anteilswert der anatomischen Richtungen dargestellt wird und dass die Abweichung der Vorzugsrichtung zur Nullwinkelrichtung zahlenmäßig dargestellt wird.

3.3 Die durch die Unterscheidungsmerkmale objektiv zu lösende Aufgabe besteht darin, die Genauigkeit und die Ergonomie der graphischen Darstellung von Objektausrichtungen an Kugelgelenken zu verbessern. Diese Aufgabe entspricht auch der auf Seite 2, Absatz 2 der ursprünglichen Anmeldung angegebenen Aufgabe (vgl. auch den Seiten 5 und 6 der Anmeldung überbrückenden Absatz; siehe Figuren 2 und 3).

3.4 Die in D3 offenbarte Darstellung gestattet es dem Benutzer lediglich, einen qualitativen Eindruck über das Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung zu den anatomischen Richtungen zu bekommen. Dokument D3 macht auch hinsichtlich der Verwendung eines solchen Verhältnisses explizit keinerlei Aussagen. Der Leser des Dokuments D3 würde daraus auch nicht erkennen, dass das besagte Verhältnis ein Parameter ist, der zur genaueren Ausrichtung des Objektes zu berücksichtigen wäre. Somit ergibt sich aus D3 auch keinerlei Veranlassung das besagte Verhältnis quantitativ anzugeben.

Folglich ist es aus D3 nicht naheliegend, das Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung zu den anatomischen Richtungen als Anteilswert der anatomischen Richtungen darzustellen. Darüber hinaus liefert D3 dem Fachmann auch keine Veranlassung, die Abweichung der Vorzugsrichtung zur Nullwinkelrichtung zahlenmäßig darzustellen.

3.5 Im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung und im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 6. Auflage 2010, I.A.2.6) ist diese Kammer der Meinung, dass die erwähnten Unterscheidungsmerkmale einer graphischen Darstellung von anatomisch relevanten technischen Parametern in der beanspruchten Form mit dem dargelegten technischen Effekt der Verbesserung der Genauigkeit und Ergonomie der graphischen Darstellung dieser Parameter einen technischen Charakter besitzen, sodass die besagten Unterscheidungsmerkmale bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen sind.

3.6 Das Unterscheidungsmerkmal, das Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung zu den anatomischen Richtungen als Anteilswert der anatomischen Richtungen darzustellen, ist auch durch die weiteren zitierten Dokumente des Standes der Technik nicht nahegelegt.

Dokument D1 offenbart ein Verfahren zur Darstellung der Position und Ausrichtung eines Objekts relativ zu einem Beckenknochen (siehe Figur 6), bei dem die Ausrichtung des Objekts relativ zum Beckenknochen perspektivisch angezeigt wird, wobei ein Pfeil die Abweichung des Objekts von einer durch einen Ring dargestellten Sollposition qualitativ anzeigt, und bei dem die Ausrichtung des Objekts bezüglich zwei verschiedenen anatomischen Richtungen numerisch angezeigt wird (siehe D1, Seite 14, Zeilen 16 bis 22). Die besagte perspektivische Darstellung ist aber keine zahlenmäßige Angabe der Abweichung der Ausrichtung des Objekts zur Sollposition, und die besagten numerischen Werte stellen keine Angabe des Verhältnisses der Ausrichtung des Objekts zu den anatomischen Richtungen auf einer Umfangsdarstellung als Anteilswert der anatomischen Richtungen dar. D1 gibt dem Fachmann keinerlei Hinweis, von der dort gewählten Darstellungsform abzuweichen. Selbst wenn der Fachmann ausgehend von D3 die in D1 gegebene Lehre berücksichtigen würde, würde er nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.

Die Kombination von D1 als nächstem Stand der Technik mit der Lehre aus D3 würde ebenfalls nicht zum beanspruchten Verfahren in naheliegender Weise führen, da keines der beiden Dokumente eine zahlenmäßige Angabe der Abweichung der Ausrichtung des Objekts zur Sollposition und eine Angabe des Verhältnisses der Ausrichtung des Objekts zu den anatomischen Richtungen auf einer Umfangsdarstellung als Anteilswert der anatomischen Richtungen vorsieht.

Dokument D5 bezieht sich auf eine Darstellungsvorrichtung für eine elektronische Richtwaage, wobei die Abweichung aus der waagerechten Sollposition als Prozentanteil dargestellt wird (vgl. Spalte 4, Zeilen 29 bis 32; Fig. 1C). Diese Technik liegt jedoch auf einem völlig fremden technischen Gebiet und liefert keinerlei Angaben zu einem Ausrichtungsverhältnis der Vorzugsrichtung eines Objekts zu den anatomischen Richtungen als Anteilswert der anatomischen Richtungen.

Derartige Angaben sind auch in dem ebenfalls gebietsfremden Dokument D4 nicht zu finden.

Die Kammer ist der Auffassung, dass der Fachmann auf dem Gebiet der chirurgischen Einsetzung von Gelenkimplantaten von D3 oder D1 die gebietsfremden Dokumente D4 und D5 nicht in Betracht ziehen würde. Überdies würde der Fachmann weder von D3 noch von D1 ausgehend zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.

3.7 Folglich beruht das Verfahren des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Dies gilt auch für den unabhängigen Anspruch 8, der ein Programm zur Durchführung des Verfahrens gemäß Anspruch 1 definiert. Die Vorrichtung gemäß unabhängigem Anspruch 10 beinhaltet die strukturellen Merkmale, die dem Verfahren des Anspruchs 1 entsprechen, und ist somit ebenfalls patentierbar.

4. Da die geltenden Unterlagen alle Erfordernisse des EPÜ erfüllen, erübrigt sich die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an das Organ der ersten Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf der Basis folgender Unterlagen zu erteilen:

Ansprüche: Nr. 1 bis 10 eingereicht am 3. Mai 2011;

Beschreibung: Seiten 1, 3 und 6 wie ursprünglich eingereicht;

Seiten 2a, 4 und 5 eingereicht am 3. Mai 2011;

Seite 2b (als Einschub auf Seite 2a) eingereicht am 7. Juli 2011;

Zeichnungen: Blatt 1/3 bis 3/3 wie ursprünglich eingereicht.

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