European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2010:T085608.20101124 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 24 November 2010 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0856/08 | ||||||||
Anmeldenummer: | 97109083.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08J 3/16 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung von Polymerisatpulver | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF SE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Wacker Chemie AG | ||||||||
Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Hauptantrag: Merkmalskombination gemäß Anspruch 2: erfinderische Tätigkeit (nein) Hilfsantrag: eingeschränkt auf Merkmalskombination gemäß Anspruch 1: erfinderische Tätigkeit (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Erteilung des europäischen Patents auf die europäische Patentanmeldung 97 109 083.2, die am 5. Juni 1997 im Namen der Firma BASF Aktiengesellschaft (jetzt BASF SE) angemeldet worden war, wurde am 5. September 2001 im Patentblatt 2001/36 bekanntgemacht.
Das Patent wurde mit 31 Ansprüchen erteilt, von denen die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 wie folgt lauten:
"1. Verfahren zu Herstellung von zur Modifikation von mineralischen Bindebaustoffen geeignetem Polymerisatpulver durch Trocknung einer wäßrigen Polymerisatdispersion, deren Film eine Glasübergangs temperatur Tg <30ºC aufweist, nach Zusatz von Trocknungshilfsmittel, dadurch gekennzeichnet, daß der wäßrigen Polymerisatdispersion vorab ihrer Trocknung als Trocknungshilfsmittel nur im mit Wasser gebrauchsfertig angemachten mineralischen Bindebaustoff verflüssigend wirkende Trocknungshilfsmittel zugesetzt werden und dem nach der Trocknung resultierenden Polymerisatpulver im Anschluß an die Trocknung wenigstens noch ein im mit Wasser gebrauchsfertig angemachten mineralischen Bindebaustoff verfestigend wirkendes Hilfsmittel als feinteiliger Feststoff zugemischt wird."
"2. Verfahren zu Herstellung von zur Modifikation von mineralischen Bindebaustoffen geeignetem Polymerisatpulver durch Trocknung einer wäßrigen Polymerisatdispersion, deren Film eine Glasübergangs temperatur Tg <30ºC aufweist, nach Zusatz von Trocknungshilfsmittel, dadurch gekennzeichnet, daß der wäßrigen Polymerisatdispersion vorab ihrer Trocknung als Trocknungshilfsmittel nur im mit Wasser gebrauchsfertig angemachten mineralischen Bindebaustoff verfestigend wirkende Trocknungshilfsmittel zugesetzt werden und dem nach der Trocknung resultierenden Polymerisatpulver im Anschluß an die Trocknung wenigstens noch ein im mit Wasser gebrauchsfertig angemachten mineralischen Bindebaustoff verflüssigend wirkendes Hilfsmittel als feinteiliger Feststoff zugemischt wird."
Die Ansprüche 3 bis 27 sind abhängige Ansprüche.
Anspruch 28 ist auf ein Polymerisatpulver, erhältlich nach einem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 27 gerichtet.
Die Ansprüche 29 bis 31 betreffen
- die Verwendung von Polymerisatpulvern gemäß Anspruch 28 zur Modifikation von mineralischen Bindebaustoffen (Anspruch 29);
- mineralische Bindebaustoffe enthaltend Polymerisatpulver gemäß Anspruch 28 (Anspruch 30) sowie
- eine Trockenmörtelzubereitung mit 0,1 bis 20 Gew.-% Polymerisatpulver gemäß Anspruch 28 als wesentlichem Bestandteil (Anspruch 31).
II. Gegen das Patent legte die Wacker Polymer Systems GmbH & Co. KG, nunmehr Wacker Chemie AG, am 14. Mai 2002 Einspruch ein und beantragte, gestützt auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ, den vollständigen Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
Die Einsprechende stützte ihr Vorbringen unter anderem auf folgende Dokumente:
D1 DE-A 24 45 813;
D2 DE-A 20 49 114;
D3 EP-A 0 632 096;
D4 Broschüre "Vinnapas®-Dispersionspulver", Firmenschrift Nr. 3828.195, Wacker-Chemie GmbH;
B4 Wacker-Chemie GmbH: Sonderdruck aus TIZ, No. 9, 1995 "Redispersionspulver im Zement"; und
D6 EP-A 0 680 993.
III. Mit der am 18. November 2003 mündlich verkündeten und am 4. Dezember 2003 schriftlich begründeten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent mit der Begründung, dass der Gegenstand des Anspruchs 2 des erteilten Patents gegenüber D4 nicht neu sei.
IV. Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin Beschwerde ein (T 90/04-3.3.09). Mit Entscheidung vom 20. September 2006 hob die Beschwerdekammer die Entscheidung der Einspruchs abteilung auf und verwies die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Einspruchsver fahrens zurück mit der Begründung, dass der Gegenstand der Ansprüche 1, 2 und 28 bis 31 des erteilten Patents gegenüber den Offenbarungen in den Dokumenten D1 bis D4 neu sei.
V. Mit der am 7. Februar 2008 mündlich verkündeten und am 6. März 2008 schriftlich begründeten Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück. Einziger Diskussionspunkt im wiederaufgenommenen Einspruchsver fahren war die erfinderische Tätigkeit.
Bezüglich der Merkmalskombination gemäß erteiltem Anspruch 1, nämlich Zusatz eines verflüssigend wirkenden Trocknungshilfsmittels zur Polymerisatdispersion vor der Trocknung und Zusatz eines verfestigend wirkenden Trocknungshilfsmittels nach der Trocknung, argumentierte die Einspruchsabteilung, dass weder aus D1 noch aus B4 die Auswahl eines Polymerisats mit der anspruchsgemäßen Glasübergangstemperatur (nachfolgend: Tg) von weniger als 30ºC aus der Vielzahl der für die Modifizierung von Bindebaustoffen in Frage kommenden Polymerisate mit unterschiedlichen Tg-Werten hervorgehe. Auch könne D6 in Kombination mit D1 die erfinderische Tätigkeit nicht in Frage stellen, da sich D6 nicht mit der Problematik der Beeinflussung des Fließverhaltens von modifizierten Bindebaustoffen befasse.
Bezüglich der Merkmalskombination gemäß erteiltem Anspruch 2, Zusatz eines verfestigend wirkenden Trocknungshilfsmittels zur Polymerisatdispersion vor der Trocknung und Zusatz eines verflüssigend wirkenden Trocknungshilfsmittels nach der Trocknung (also der umgekehrten Vorgehensweise wie gemäß Anspruch 1), argumentierte die Einspruchsabteilung folgendermaßen:
Zwar beschreibe D4 ein Vinnapas®-Dispersionspulver des Typs RE 545 Z mit einer im beanspruchten Bereich liegenden Tg von -7ºC in Kombination mit Polyvinyl alkohol, der gemäß den Angaben der Patentinhaberin in der Patentschrift als verfestigend wirke, jedoch enthalte D4 keinen Hinweis, der dem Fachmann einen Anreiz geben würde, aus der Vielzahl der in D4 genannten Additive für Betonreparaturmörtel gezielt einen Betonverflüssiger auszuwählen und diesen nach der Trocknung zuzusetzen.
Obige Argumente gälten sinngemäß auch für den Gegenstand der Ansprüche 28 bis 31.
VI. Am 24. April 2008 legte die Einsprechende (nachfolgend: Beschwerdeführerin) unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Beschwerde begründung ging am 2. Juli 2008 ein.
Die Beschwerdeführerin hielt ihre im vorangegangenen Einspruchsverfahren vorgebrachten Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit aufrecht und sah die Dokumente D1 oder D2 als nächstliegenden Stand der Technik für die Ausführungsform gemäß Anspruch 1 sowie D3 oder D4 als nächstliegenden Stand der Technik für die Ausführungsform gemäß Anspruch 2 des Streitpatents an.
VII. Die Patentinhaberin (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) verteidigte im Schreiben vom 23. Januar 2009 das Patent in der erteilten Fassung.
Als Antwort auf einen Bescheid der Kammer, der den Parteien am 5. November 2010 per Fax übermittelt wurde und in dem auf Unklarheiten bezüglich der Antragslage hingewiesen wurde, reichte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 10. November 2010 einen Anspruchssatz als Basis für einen einzigen Hilfsantrag ein, dessen Ansprüche die Merkmalskombination gemäß Anspruch 2 des erteilten Patents nicht mehr enthielten, indem die erteilten Ansprüche 2, 4, 6 und 9 gestrichen worden waren; die Ansprüche waren entsprechend umnummeriert und die Bezugnahmen angepasst worden.
VIII. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 24. November 2010 wurden ausschließlich die erfinde rische Tätigkeit der beiden auf den erteilten Ansprüchen 1 und 2 basierenden Ausführungsformen diskutiert und von der Beschwerdegegnerin eine an die Ansprüche des Hilfsantrags vom 10. November 2010 angepasste Beschreibung eingereicht.
IX. Die schriftlich und mündlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Nächstliegender Stand der Technik für die Ausführungsform gemäß Anspruch 1 - Zusatz des verflüssigenden Trocknungshilfsmittels vor und des verfestigenden Trocknungshilfsmittels nach der Trocknung der Polymerisatdispersion sei - D1. Daraus sei ein Kunststoffpulver aus einer Polymerisat-dispersion bekannt, der vor der Trocknung ein Betonverflüssiger zugesetzt worden sei. Die in D1 genannten Polymere besäßen - mit Ausnahme von PVC - eine Tg von kleiner 30ºC. Deren Eignung als Zusatz für hydraulisch abbindende Massen werde im letzten Absatz auf der Seite 5 erwähnt. Laut Absatz 1 auf der Seite 5 könnten weitere Zusatzstoffe - beispielsweise Polyvinylalkohol oder Cellulosederivate, die nach den Angaben in der Patenschrift Beton verfestigend wirkten - zugesetzt werden. Zwar werde nicht beschrieben, ob diese Zusatzstoffe vor oder nach der Trocknung zugegeben werden, jedoch wisse der Fachmann, dass eine nachträgliche Zugabe vorteilhaft sei, da damit die empirische Ermittlung der optimalen Menge des Zusatzstoffes einen geringeren apparativen Aufwand erfordere und die Endeigenschaften des Polymerpulvers besser steuerbar seien. Polyvinylalkohol sei in Wasser auch nur mäßig löslich und damit in die Dispersion schlecht einrührbar. Eine Zugabe vor der Trocknung der Dispersion würde daher den zusätzlichen Einsatz von Wasser erforderlich machen, so dass während der Sprühtrocknung erhebliche Wassermengen verdampft werden müssten.
Auch sei eine Auswahl von Polymerisaten mit einer Tg von kleiner 30ºC nicht erfinderisch, da aus B4 bekannt sei, dass Redispersionspulver mit einer Tg von kleiner 30ºC zur Modifizierung von Zementmassen besonders gut geeignet seien. Dies sei auch logisch, da Zementmassen üblicherweise bei Temperaturen unter 30ºC verarbeitet würden und die mechanische Festigkeit des Zements durch Filmbildung des Polymerisats erhöht würde.
Zudem sei dem Fachmann bekannt, dass der - gemäß D1 einsetzbare - Polyvinylalkohol Beton verfestigend wirke. Polymerisatpulver mit einem Zusatz von Polyvinylalkohol seien nämlich schon seit über 50 Jahren bekannt, so dass sich in diesem Zeitraum seine verfestigende Wirkung dem Fachmann erschlossen habe. In diesem Zusammenhang sei auf D4 zu verweisen, das ein "Vinnapas®-Dispersionspulver mit der Bezeichnung "RE 545 Z" auf der Basis eines Polymerisats mit einer Tg von -7ºC sowie Polyvinylalkohol als Schutzkolloid beschreibe. Seine rheologischen Eigenschaften in Kombination mit Zement würden gemäß der Tabelle auf der letzten Seite als "neutral" bezeichnet. Dagegen hätten Dispersionspulver, die zusätzlich noch das verflüssigende Melaminsulfonat-Kondensat enthielten - beispielsweise das Dispersionspulver mit der Bezeichnung "EPMZ 0" - in Kombination mit Zement verflüssigende Eigenschaften. Der Vergleich der rheologischen Eigenschaften von "RE 545 Z" (nur mit Polyvinylalkohol) mit "EPMZ 0" (mit Polyvinylalkohol plus Melaminsulfonat) lasse daher auf die Beton verfestigende Tendenz von Polyvinylalkohol schließen.
b) Nächstliegender Stand der Technik für die Ausführungsform gemäß Anspruch 2 - Zusatz des verfestigenden Trocknungshilfsmittel vor und des verflüssigenden Trocknungshilfsmittel nach der Trocknung der Polymerisatdispersion - sei D3. Daraus seien redispergierbare Dispersionspulver zur Modifizierung von Baustoffen auf Basis von mit Polyvinylalkohol modifizierten Polymerisaten bekannt. Der Polyvinylalkohol werde vor der Trocknung der wässrigen Dispersion zugegeben. Die in den Beispielen von D3 verwendeten Basispolymeri sate hätten allesamt eine Tg von kleiner 30ºC. Weitere Zusatzstoffe, beispielsweise Zementver flüssiger, könnten zugegeben werden, wobei deren Zugabe auch später - d.h. nach der Trocknung der Dispersion - möglich sei (Seite 3, Zeilen 50 bis 54). Der Fachmann, der die zementverfestigende Wirkung von Polyvinylalkohol kompensieren will, würde einen Verflüssiger zusetzen und gemäß der Offenbarung in D3 die Alternative der späteren Zugabe nach der Trocknung der Dispersion in Betracht ziehen.
X. Die Beschwerdegegnerin argumentierte folgendermaßen:
Die Erfindung betreffe kein Verfahren zur Modifizierung von Polymerisatpulvern. Vielmehr betreffe das Patent die Modifizierung von Bindebaustoffen mit Hilfe von Poly merisatpulvern, die eine spezifische Fließfähigkeit des damit modifizierten Bindebaustoffs bewirkten. Es komme bei der beanspruchten Erfindung insbesondere darauf an, die Fließgrenze von Bindebaustoffen zwischen den Extremen Standfestigkeit und hohe Fließfähigkeit (z.B. Pumpfähigkeit) einzustellen. Eine derartige Zielsetzung sei aus keinem der zitierten Dokumente des Standes der Technik ableitbar.
a) Ausführungsform gemäß Anspruch 1
D1 beschreibe die Verbesserung der Biegezugfestigkeit von Zementen mit Hilfe von redispergierbaren Polymerisatpulvern, denen vor der Trocknung Zement verflüssiger zugesetzt worden seien. Über die Tg der eingesetzten Polymerisate sei in D1 nichts ausgesagt. Die genannten Polymerisate hätten eine Tg, die teilweise über 30ºC und teilweise unter 30ºC liege. Weitere Zusatzstoffe seien optional, wobei über ihren rheologischen Einfluss auf den zu modifizierenden Zement nichts vermerkt sei. Insbesondere finde sich in D1 kein Hinweis, dass der im ersten Absatz auf der Seite 5 genannte Polyvinylalkohol die Eigenschaft habe, Zement zu verfestigen. Diese Eigenschaft wurde erst durch eigene Versuche ermittelt. Andere in diesem Absatz genannte Zusatzstoffe, z.B. Kasein, wirkten dagegen verflüssigend. Zuverlässige Aussagen über die Rheologie der ebenfalls genannten Cellulosederivate könnten nicht getroffen werden, da diese je nach Derivatisierung, verfestigend oder verflüssigend wirkten.
Auch aus der Information in der Tabelle von D4, dass das Vinnapas®-Dispersionspulver mit der Bezeichnung "RE 545 Z" rheologisch neutral ist, lasse sich - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - kein eindeutiger Hinweis ableiten, dass der eingesetzte Polyvinylalkohol im Zement eine verfestigende Wirkung habe.
Gemäß Anspruch 5 von D1 würden die optionalen Zusatz stoffe vor dem Trocknen zugesetzt, was offensichtlich bevorzugt sei und dem Fachmann insofern entgegenkomme, als nur ein Mischvorgang nötig sei.
Zudem resultierten aus der erfindungsgemäßen Zugabe des verflüssigenden Trocknungshilfsmittels vor und des verfestigend wirkenden Trocknungshilfsmittels nach der Trocknung der Dispersion überraschende Vorteile hinsichtlich der Redispergierbarkeit des Polymerisatpulvers und der Fließeigenschaften des mit dem Polymerisatpulver modifizierten Zements. So ergebe sich aus dem Beispiel in der Patentschrift, dass sich die erfindungsgemäßen Pulver P2 und P3 (Tabelle 1) ohne nennenswerte Koagulatbildung redispergieren lassen und dem modifizierten Zement zu einer sehr guten Standfestigkeit verhelfen (Tabelle 2). Hingegen ließen sich die nicht erfindungsgemäßen Polymerisatpulver P4 und P5, denen beide Trocknungs hilfsmittel vor der Trocknung zugegeben wurden, nur unter deutlicher Koagulatbildung redispergieren. Ausserdem sei die Standfestigkeit des mit P4 und P5 modifizierten Zements schlechter.
b) Ausführungsform gemäß Anspruch 2
Aus D3 sei der gezielte Einsatz von Polymerisaten mit einer Tg kleiner 30ºC nicht ableitbar. Die genannten Polymerisate hätten eine Tg von sowohl größer als auch kleiner 30ºC. Zudem müsse der Ansicht der Beschwerdeführerin, dass sich nur Polymerisatpulver mit einer Tg von kleiner 30ºC zur Modifizierung von Zementmassen eignen, widersprochen werden. So zeige das von der Beschwerdegegnerin hergestellte und vertriebene EMU-Pulver 120 FD eine Tg von größer 100ºC. Auch Absatz [0006] der Streitpatenschrift erwähne zur Modifi zierung von Zementmassen geeignete Polymerisate mit einem Tg-Bereich von -60 bis +180ºC. Der Fachmann müsse daher aus einem sehr großen Bereich auswählen um zu den anspruchsgemäßen Polymerisaten zu gelangen.
D3 enthalte auch keinen eindeutigen Hinweis, den Zementverflüssiger gezielt nach der Trocknung zuzusetzen. Der Zementverflüssiger sei nur einer von mehreren in D3 genannten Zusatzstoffen, die entweder vor der Trocknung oder später eingemischt werden könnten. Die Zugabe vor der Trocknung werde jedoch als bevorzugt angegeben. Auch hier müsse der Fachmann eine gezielte, nicht naheliegende Auswahl treffen.
XI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
XII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder, als Hilfsantrag, die Aufrechterhaltung des Patents mit den Ansprüchen 1 bis 27, eingereicht mit Schreiben vom 10. November 2010 und der in der mündlichen Verhandlung angepassten Beschreibung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Änderungen
2. Die in den Ansprüchen gemäß Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen (Streichungen von Ansprüchen) sind im Einklang mit den Erfordernissen der Artikel 84 und 123(2)/(3) EPÜ. Diesbezüglich wurden von der Beschwerde führerin auch keine Einwände erhoben.
Neuheit
3. Die Neuheit des Gegenstandes des erteilten Patents wurde in der Entscheidung T 90/04-339 festgestellt. Diese muss damit auch hinsichtlich des demgegenüber eingeschränkten Gegenstandes des Hilfs antrags gegeben sein.
Erfinderische Tätigkeit
4. Der Gegenstand des Patents
Das Patent betrifft die Herstellung von redispergier baren Polymerisatpulvern durch Trocknung von wässrigen Polymerisatdispersionen sowie deren Verwendung zur Modifizierung mineralischer Baustoffe. Ziel ist es, lagerfähige Trockenzubereitungen von mineralischen Bindebaustoffen zu schaffen, die zum Gebrauch lediglich mit Wasser angerührt werden müssen (Absätze [0001] bis [0004] und [0009] der Patentschrift).
Die Herstellung der Polymerisatpulver erfolgt patentgemäß entweder
- gemäß Anspruch 1, wonach einer wässrigen Polymerisatdispersion, deren Film eine Tg von <30ºC besitzt, vor der Trocknung ein auf mineralische Bindebaustoffe verflüssigend wirkendes Trocknungshilfsmittel und im Anschluss an die Trocknung ein auf mineralische Bindebaustoffe verfestigend wirkendes Trocknungshilfsmittel zugesetzt wird, oder
- gemäß Anspruch 2, wonach umgekehrt verfahren wird, nämlich der wässrigen Polymerisatdispersion, deren Film eine Tg von <30ºC besitzt, das verfestigend wirkende Trocknungshilfsmittel vor der Trocknung und das verflüssigend wirkende nach der Trocknung zugesetzt wird.
5. Hauptantrag, Anspruch 2
5.1 Der nächstliegende Stand der Technik
Als nächstliegender Stand der Technik wird, wie von den Parteien akzeptiert, D3 angesehen. D3 beschreibt redispergierbare Polymerpulverzu sammensetzungen, die der Modifizierung von hydraulisch abbindenden Baustoffen dienen und in dieser Funktion die Haftzugfestigkeit der Baustoffe verbessern (Seite 2, Zeilen 1 bis 25). Als Basispolymer werden verschiedene Polymerisat-Typen eingesetzt, die auf der Seite 2, Zeilen 39 bis 52 genannt sind, über deren Tg jedoch nichts ausgesagt wird. Es ist davon auszugehen, dass die Tg teils über 30ºC (außerhalb des beanspruchten Bereichs) und teils unter 30ºC liegt. Diese Annahme stützt sich zum einen auf Absatz [0006] des Streitpatents, in dem zur Modifizierung von Zementmassen geeignete Polymerisate mit einem Tg-Bereich von -60 bis +180ºC erwähnt werden. Zum anderen hat die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang auf das von ihr hergestellte und vertriebene EMU-Pulver 120 FD mit einer Tg von größer 100ºC verwiesen.
Die Herstellung der Polymerpulver erfolgt durch Sprüh trocknung der wässrigen Polymerisatdispersionen, denen vor der Trocknung teilverseifter Polyvinylalkohol zugesetzt wurde (Seite 2, Zeilen 30 bis 38; Seite 3, Zeilen 45 bis 50 sowie die Beispiele 1, 2 und 11). Bezüglich des Einflusses von Polyvinylalkohol auf die Rheologie des zu modifizierenden Bindebaustoffs findet sich in D3 keine Offenbarung. Da aber gemäß der Lehre des Streitpatents teil- und vollverseifter Polyvinylalkohol als bevorzugter Zementverfestiger eingesetzt wird, muss davon ausgegangen werden, dass die verfestigende Wirkung auch bei dem gemäß D3 eingesetzten Polyvinylalkohol inhärent vorhanden ist.
Als weitere optionale Zusatzstoffe werden unter anderem Zementverflüssiger auf Basis sulfonatgruppenhaltiger Kondensationsprodukte (z. B. auf Basis von Melamin/Form aldehyd oder Phenolsulfonat/Formaldehyd) verwendet (Seite 3, Zeilen 25 bis 29). Diese entsprechen den patentgemäß bevorzugten Zementverflüssigern. In den Zeilen 50 bis 54 von Seite 3 wird angegeben, dass diese optionalen Zusatzstoffe vorzugsweise vor der Trocknung der Dispersion zugegeben werden, wobei jedoch ihre spätere Einmischung ebenfalls möglich ist.
5.2 Aufgabe
Das Verfahren gemäß Anspruch 2 unterscheidet sich von der in D3 beschriebenen Herstellungsweise durch die gezielte Auswahl von Polymerisaten mit einer Tg von <30ºC sowie die Einmischung des Zementverflüssigers nach der Trocknung. Für diese Variante wurden von der Beschwerdegegnerin - im Gegensatz zur Variante gemäß Anspruch 1 - keine experimentellen Ergebnisse vorgelegt, die zeigen würden, dass die vorstehenden Maßnahmen zu Polymerisatpulvern führen, die hinsichtlich ihrer Redispergierbarkeit gegenüber den Polymerisatpulvern gemäß D3 verbessert sind und die als Modifikatoren den modifizierten Bindebaustoffen vorteilhafte Eigenschafen verleihen.
Somit muss die objektiv zu lösende Aufgabe in einem alternativen Herstellungsverfahren von Polymerisatpulvern gesehen werden.
5.3 Naheliegen
Die Auswahl von Polymerisaten mit einer Tg von <30ºC aus der Liste der in D3 genannten Basispolymerisate war jedoch für den Fachmann naheliegend, zumal in B4 RD-Pulver zur Modifizierung von Zement auf Basis von Thermoplasten mit einer Tg <30ºC favorisiert werden. Ebenso muss es in Abwesenheit eines überraschenden Effekts als Routine für den Fachmann angesehen werden, die in D3 als Alternative genannte spätere Einmischung des Zementverflüssigers vorzunehmen. Da in D3 die "spätere" Einmischung der weiteren Zusatzstoffe ihrer Zugabe vor der Trocknung gegenübergestellt ist (Seite 3, Zeilen 50 bis 54), musste der Fachmann daraus schließen, dass mit "späterer Einmischung" die Zugabe nach der Trocknung gemeint ist.
5.4 Das Verfahren gemäß Anspruch 2 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Damit ist der Hauptantrag nicht gewährbar.
6. Hilfsantrag
Die Ansprüche gemäß Hilfsantrag beschränken sich (wie Anspruch 1 des Hauptantrages) auf die Ausführungsform der Zugabe des Zementverflüssigers vor und des Zementverfestigers nach der Trocknung der Polymerisatdispersion (Ansprüche 1 bis 23), das so erhaltene Polymerisatpulver (Anspruch 24), dessen Verwendung zur Modifikation von mineralischen Bindebaustoffen (Anspruch 25), die mit dem Polymerisat pulver modifizierten mineralischen Bindebaustoffe (Anspruch 26) sowie eine Trockenmörtelmischung mit dem Polymerisatpulver nach Anspruch 24 als wesentlichem Bestandteil (Anspruch 27).
6.1 Der nächstliegende Stand der Technik
Als nächstliegender Stand der Technik ist D1 anzusehen. Darin werden redispergierbare Kunststoffpulver als Zusatzmittel zu hydraulischen Massen sowie deren Herstellung beschrieben. Die Herstellung der Kunststoffpulver erfolgt durch Sprühtrocknung von wässrigen Polymerisatdispersionen, denen vor dem Trocknungsvorgang wasserlösliche sulfonsäure- oder sulfonatgruppenhaltige Konden sationsprodukte eines ein- oder mehrkernigen aro matischen Kohlenwasserstoffs mit Formaldehyd zugesetzt worden sind (Seite 2, Absätze 2 und 3; Seite 3, Absatz 2). Diese Kondensationsprodukte sind - von den Parteien unbestritten - als Zementverflüssiger bekannt. Geeignete Polymerisate sind auf der Seite 5, Absatz 2 genannt, wobei hinsichtlich ihrer Tg keine Angaben gemacht werden. Durch den Zusatz der Kondensationsprodukte wird die Redispergierbarkeit der Kunststoffpulver nach dem Trocknen verbessert (Seite 5, Absatz 3). Als Modifikatoren für hydraulisch abbindende Massen verbessern die Kunststoffpulver deren Druck-, Haft- und Biegzugfestigkeit (Seiten 5/6 verbrückender Absatz).
Die Polymerisatpulver können neben den Kondensationspro dukten noch andere übliche Zusatzstoffe enthalten, deren Zugabe vor oder nach der Sprühtrocknung der Polymerisat dispersion erfolgen kann. In einer Liste von möglichen Zusatzstoffen werden unter anderem Polyvinylalkohol, Cellulosederivate, Kasein und Inertstoffe genannt (Seite 5, Absatz 1), wobei Angaben über deren Einfluss auf die Rheologie der mit den Polymerisatpulvern modifizierten hydraulischen Massen fehlen. Laut den Angaben der Beschwerdegegnerin wirken die genannten Zusätze teils verflüssigend (Kasein), teils verfestigend (Polyvinylalkohol) oder, je nach Derivatisierung, verflüssigend oder verfestigend (Cellulosederivate).
6.2 Aufgabe
Das Verfahren des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der in D1 beschriebenen Herstellungsweise im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht, nämlich
a) durch die Auswahl eines Polymerisate mit einer Tg < 30ºC und
b) durch die gezielte Zugabe eines zementverfestigenden Trocknungshilfsmittels nach der Trocknung der das Polymerisat und den Zementverflüssiger enthaltenden wässrigen Dispersion.
Die in der Patentschrift dargestellten experimentellen Ergebnisse zeigen, dass die gezielte Zugabe des Verfestigers nach der Trocknung (Merkmal b)) zu einem Polymerisatpulver führt, das die folgenden Vorteile aufweist:
- die Redispergierbarkeit des Polymerisatpulvers wird gegenüber einem Polymerisatpulver, das nur ein vor der Trocknung zugegebenes verflüssigendes Trocknungs hilfsmittel enthält, nicht beeinträchtigt (Tabelle 1: Vergleich der Koagulatbildung nach Redispergierung von P1 und den erfindungsgemäßen Produkten P2 und P3); demgegenüber führt die weitere Zugabe eines Verfestigers vorab der Trocknung der Dispersion zu Produkten (P4, P5) mit verschlechterter Redispergier barkeit;
- das Fließverhalten (Standfestigkeit) von gebrauchs fertig angemachten Mörteln wird durch Modifizierung mit dem erfindungsgemäßen Polymerisatpulver deutlich verbessert (Tabelle 2: Benotung des Fließverhaltens von mit P1 bis P5 modifiziertem Mörtel. Bestnoten für die erfindungsgemäßen Produkte P2 und P3).
Somit besteht die zu lösende Aufgabe darin, Polymerisat pulver herzustellen, die sich gut redispergieren lassen und die Fließeigenschaften von hydraulisch abbindenden Massen verbessern.
6.3 Naheliegen
Keines der zitierten Dokumente enthält einen Hinweis, der den Fachmann veranlassen würde, dem Polymerisat pulver gemäß D1, das aus der Trocknung einer wässrigen Polymerisatdispersion mit einem Gehalt an verflüssigendem Trocknungshilfsmittel resultiert, nach dessen Trocknung ein verfestigend wirkendes Trocknungshilfsmittel mit dem Ziel zuzugeben, zu einem Modifikator für hydraulisch abbindende Massen zu gelangen, der das Fließverhalten dieser Massen verbessert. Selbst wenn der Fachmann - wie von der Beschwerde führerin geltend gemacht wurde - erkannt hätte, dass Polyvinylalkohol, der in D1 als optionaler Zusatzstoff genannt wird, ein verfestigendes Trocknungshilfsmittel ist, wäre er nicht veranlasst gewesen, diesen gezielt auszuwählen und nach der Trocknung zuzusetzen, um den von der Beschwerdegegnerin glaubhaft gemachten Effekt zu erzielen. Polyvinylalkohol wird nämlich, wie erwähnt, in einem Zug mit anderen Zusätzen genannt, die verfestigend oder verflüssigend wirken können (z.B. Kasein oder bestimmte Cellulosederivate) oder inert sind. Zudem fehlt jede Information, dass der Zeitpunkt seiner Zugabe die rheologischen Eigenschaften des Zements beeinflusst.
Das Verfahren des Anspruchs 1, das Polymerisatpulver gemäß Anspruch 24, dessen Verwendung gemäß Anspruch 25 sowie die mineralischen Bindebaustoffe und die Trockenmörtelzubereitung gemäß den Ansprüche 26 und 27 sind daher aus dem Stand der Technik nicht nahegelegt. Der Gegenstand der Ansprüche des Hilfsantrags beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
6.4 Der Hilfsantrag ist somit gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurück verwiesen, mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Beschreibung Seiten 2 - 12 wie eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 24. November 2010;
- Ansprüche 1 - 27, eingereicht mit Schreiben vom 10. November 2010.