T 0777/08 (Atorvastatinpolymorphe/WARNER-LAMBERT) of 24.5.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T077708.20110524
Datum der Entscheidung: 24 Mai 2011
Aktenzeichen: T 0777/08
Anmeldenummer: 01116338.3
IPC-Klasse: C07D 207/34
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Warner-Lambert Company LLC
Name des Einsprechenden: Teva Pharmaceutical Industries Ltd.
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: 1. Am Prioritätstag des Streitpatents hätte der Fachmann auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung gewusst, dass Polymorphie ein verbreitetes Phänomen bei Molekülen ist, die für die pharmazeutische Industrie interessant sind, und dass es sich empfiehlt, schon in einer frühen Phase der Arzneimittelentwicklung nach Polymorphen zu suchen. Mit den entsprechenden Routineverfahren hierfür wäre er vertraut gewesen. Die bloße Bereitstellung einer kristallinen Form einer bekannten pharmazeutisch wirksamen Verbindung kann daher nicht als erfinderisch angesehen werden, sofern kein technisches Vorurteil zu überwinden war und keine unerwartete Eigenschaft vorliegt.
2. Ausgehend von der amorphen Form einer pharmazeutisch wirksamen Verbindung als nächstliegendem Stand der Technik würde der Fachmann eindeutig erwarten, dass sich die Aufgabe der Bereitstellung eines Erzeugnisses mit verbesserten Filtrations- und Trocknungseigenschaften durch eine kristalline Form dieser Verbindung lösen ließe. Eine willkürliche Auswahl eines spezifischen Polymorphs aus einer Gruppe gleichermaßen geeigneter Kandidaten kann nicht als erfinderisch angesehen werden.
3. Eine potenziell geringere Löslichkeit und Bioverfügbarkeit im Vergleich zur amorphen Form würde den Fachmann auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung nicht davon abhalten, sich um die Herstellung einer kristallinen Form zu bemühen, sondern würde von ihm als Teil der Gesamtbilanz der zu erwartenden Vor- und Nachteile dieser zwei Feststoffkategorien gesehen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (verneint) - vorhersehbare Verbesserungen durch kristalline Formen gegenüber amorphen Formen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1066/03
T 1110/03
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2007/11
T 0643/12
T 1422/12
T 1555/12
T 2397/12
T 2114/13
T 0517/14
T 1744/14
T 1872/14
T 1667/15
T 0325/16
T 0500/16
T 1684/16
T 2730/16
T 0041/17
T 0478/17
T 1326/18
T 1442/18
T 1831/18
T 1126/19
T 0215/20
T 0672/21
T 1825/21
T 2086/21
T 1994/22
T 1354/23

Sachverhalt und Anträge

I. Das Streitpatent (europäisches Patent Nr. 1 148 049) wurde auf die Anmeldung Nr. 01 116 338.3 erteilt, eine Teilanmeldung zur Stammanmeldung EP-A-0 848 705, die ihrerseits auf der internationalen Anmeldung WO 97/03959 beruhte. Es umfasst 14 Ansprüche betreffend kristalline Atorvastatinhydrate der Formen II und IV sowie entsprechende pharmazeutische Zusammensetzungen und Verwendungen.

Der unabhängige Anspruch 7 in der erteilten Fassung lautet wie folgt (vollständige chemische Bezeichnung von Atorvastatin von der Kammer ausgelassen):

"7. Kristallines Atorvastatin (…) -Hydrat der Form IV mit einem Pulver-Röntgenbeugungsmuster, das die folgenden unter Verwendung von CuK?-Strahlung ermittelten 2?-Werte enthält: 7,997 und 9,680."

II. Es wurde Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent gemäß Artikel 100 c), 100 b) und 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) in vollem Umfang zu widerrufen.

III. Im Einspruchs-/Beschwerdeverfahren wurden unter anderem folgende Dokumente angeführt:

(1) WO 94/16693

(2) EP-A-0 409 281

(10) S. Byrn et al., Pharmaceutical Research, Juli 1995, 12(7), 945 - 954

(25) Bericht GMS-CFEP-2007-20, "Filtration and Drying Study on Amorphous and Form IV Atorvastatin Calcium", eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung

(27) B. C. Hancock et al., Pharmaceutical Research, Juni 1995, 12(6), 799 - 806

(28) M. Bavin, Chemistry & Industry, 21. August 1989, 527 - 529

(30) Bericht EC20082069.02.01 vom 23. Februar 2009, eingereicht mit Schreiben der <FSU> Beschwerdeführerin vom 26. April 2011

IV. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent nach Artikel 101 (2) und (3) b) EPÜ zu widerrufen.

Der Entscheidung lagen ein Hauptantrag (die Ansprüche in der erteilten Fassung), ein mit Schreiben vom 21. September 2007 eingereichter erster Hilfsantrag sowie ein in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichter zweiter Hilfsantrag zugrunde.

Es wurde festgestellt, dass der Hauptantrag nicht den Erfordernissen des Artikels 100 c) EPÜ entsprach.

Der erste und der zweite Hilfsantrag genügten laut Einspruchsabteilung den Erfordernissen der Artikel 100 c), 123 (2) und (3) sowie 100 b) EPÜ.

Die Neuheit wurde ebenfalls anerkannt, da keine Nachweise dafür vorgelegt worden seien, dass die in Beispiel A des Dokuments (1) und in Beispiel 10 des Dokuments (2) erhaltenen Produkte die gleichen Pulver-Röntgenbeugungsmuster bzw. Festkörper-13C-NMR-Spektren aufwiesen wie die beanspruchten kristallinen Formen.

Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit wertete die Einspruchsabteilung die Dokumente (1) und (2) als nächstliegenden Stand der Technik und sah die zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung weiterer kristalliner Formen von Atorvastatin, die gegenüber den im Stand der Technik offenbarten überraschende Eigenschaften haben. Die vorgelegten Vergleichsdaten hielt die Einspruchsabteilung nicht für relevant, weil für den Vergleich die amorphe und nicht die in den Dokumenten (1) und (2) offenbarte kristalline Form als Feststoffform gewählt worden sei. Im Übrigen könne die erfinderische Tätigkeit selbst dann nicht auf die vorgelegten Vergleichsdaten gestützt werden, wenn die amorphe Form als Vergleichsmaßstab anerkannt würde, weil der Fachmann bei kristallinen Formen im Vergleich zu amorphen Formen eine Verbesserung von Stabilität, Filtrierbarkeit und Trocknungseigenschaften erwarten würde.

V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Ihr Hauptantrag war identisch mit dem in der angefochtenen Entscheidung geprüften ersten Hilfsantrag.

VI. In ihrer Erwiderung vom 6. November 2008 ging die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) nicht auf die Frage der Neuheit ein, sondern hielt ihren Einwand wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit aufrecht, wobei sie sich auf die Begründung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung (s. Nr. IV oben) berief. In einem Schreiben vom 23. Dezember 2008 verwies die Beschwerdegegnerin auf die von dieser Kammer in einer anderen Zusammensetzung getroffene Entscheidung T 1066/03, die für den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ relevant sei.

VII. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung legte die Kammer ihre vorläufige Stellungnahme zu mehreren Fragen dar und führte die zwei weiteren, vorstehend unter Nummer III aufgelisteten Dokumente (27) und (28) an, die zur Beurteilung des allgemeinen Fachwissens am Prioritätstag des Streitpatents dienen.

VIII. Mit Schreiben vom 26. April 2011 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag mit Ansprüchen ein, die kristallines Atorvastatinhydrat der beiden Formen II und IV betreffen, sowie einen Hilfsantrag, der nur die Form IV betrifft. Anspruch 3 des Hauptantrags ist identisch mit Anspruch 1 des Hilfsantrags und lautet wie folgt:

FORMULA/TABLE/GRAPHIC

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IX. Am 24. Mai 2011 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

X. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es entscheidungserheblich ist, wie folgt zusammenfassen:

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin stellt die aus den Dokumenten (1) und (2) bekannte amorphe Form von Atorvastatin den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die zu lösende Aufgabe liege in der Bereitstellung einer alternativen Form von Atorvastatin mit verbesserten Filtrations- und Trocknungseigenschaften. Diese Aufgabe sei, wie die Filtrationsversuche in Dokument (25) zeigten, durch die nun beanspruchten spezifischen Polymorphe gelöst worden. Das Dokument (10) erkannte die Beschwerdeführerin zwar nicht als Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ an, zog es aber zur Stützung ihres Arguments heran, dass dem Fachmann allgemein bekannt sei, dass amorphe Formen generell eine höhere Löslichkeit und Bioverfügbarkeit hätten als ihre kristallinen Entsprechungen. Der Fachmann habe daher keinen Anreiz, letztere als Lösung für die oben genannte Aufgabe in Betracht zu ziehen. Er habe auf der Grundlage des angeführten Stands der Technik nicht vorhersehen können, dass die beanspruchten spezifischen Polymorphe die nachgewiesenen verbesserten Eigenschaften aufweisen würden, durch die sie sich leichter im großen Maßstab verarbeiten ließen.

I. Die Beschwerdegegnerin bestätigte in der mündlichen Verhandlung, dass sie gegen die neu eingereichten Anträge, insbesondere im Hinblick auf Artikel 100 c) EPÜ, keine formalen Einwände habe. Zur Frage der ausreichenden Offenbarung verwies sie auf aktenkundiges früheres Vorbringen. Die Neuheitseinwände wurden nicht aufrechterhalten. Bei der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit berief sich die Beschwerdegegnerin nochmals auf die Begründung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung.

XII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder ersatzweise des Hilfsantrags, die beide mit Schreiben vom 26. April 2011 eingereicht worden waren.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

XIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen (Artikel 100 c), 123 (2) und (3) EPÜ)

Die Kammer ist der Überzeugung, dass die geänderten Ansprüche gemäß dem Hauptantrag und dem Hilfsantrag formal gewährbar sind. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.

3. Ausreichende Offenbarung (Artikel 100 b), 83 EPÜ)

Angesichts des Ausgangs dieses Beschwerdeverfahrens unter dem Aspekt der erfinderischen Tätigkeit (s. Nr. 5 der Entscheidungsgründe unten) erübrigt es sich, die Frage der ausreichenden Offenbarung zu erörtern.

4. Neuheit (Artikel 52 (1), 54 EPÜ)

In dem als Dokument (30) eingereichten Versuchsbericht zeigt die Beschwerdeführerin, dass man bei Wiederholung des Umkristallisationsschritts unter denselben Bedingungen wie in Beispiel A von Dokument (1) und Beispiel 10 von Dokument (2) einen amorphen Feststoff erhält. Daher ist die Kammer überzeugt, dass die im Haupt- und Hilfsantrag beanspruchten Polymorphe von Atorvastatinhydrat gegenüber dem angezogenen Stand der Technik neu sind. Diese Feststellung wurde von der Beschwerdegegnerin nicht angefochten.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 52 (1), 56 EPÜ)

5.1 Wie vorstehend unter Nummer VIII ausgeführt, sind Anspruch 3 des Hauptantrags und Anspruch 1 des Hilfsantrags identisch und beziehen sich auf kristallines Atorvastatinhydrat der Form IV.

Die Kammer ist wie die Beschwerdeführerin der Ansicht, dass die amorphe Form von Atorvastatin, die man anhand der in den Dokumenten (1) und (2) beschriebenen Verfahren erhält (s. Nr. 4 der Entscheidungsgründe oben), den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

Die Beschwerdeführerin definierte die gegenüber diesem Stand der Technik zu lösende Aufgabe als die Bereitstellung von Atorvastatin in einer Form mit verbesserten Filtrations- und Trocknungseigenschaften.

Die in Anspruch 3 des Hauptantrags und Anspruch 1 des Hilfsantrags dargelegte Lösung bezieht sich auf ein spezifisches Polymorph von Atorvastatin.

Angesichts der Versuchsergebnisse in Dokument (25), wonach Form IV kürzere Filtrations- und Trocknungszeiten hat als die amorphe Form, hält es die Kammer für erwiesen, dass die Aufgabe gelöst wurde.

5.2 Zu untersuchen bleibt nun noch, ob die vorgeschlagene Lösung in Anbetracht des Stands der Technik und des einschlägigen allgemeinen Fachwissens für den Fachmann naheliegend gewesen wäre.

Dem Fachmann auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung wäre das in den Dokumenten (10), (27) und (28) wiedergegebene allgemeine Fachwissen bekannt gewesen.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin bestreitet, dass das Dokument (10) zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ gehört. Dieses Dokument wurde 1995 in der Juliausgabe der Zeitschrift "Pharmaceutical Research" abgedruckt, d. h. im selben Monat, in dem auch das maßgebliche Prioritätsdatum (17. Juli 1995) liegt. An welchem Tag genau das Dokument (10) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, konnte zwar nicht festgestellt werden, doch ist ein solcher Übersichtsartikel definitionsgemäß ein Bericht über das allgemeine Fachwissen und den Stand der Technik vor dem Datum seiner Veröffentlichung. Dies bestätigen auch die Offenbarungen der Dokumente (27) und (28), wie nachstehend noch näher ausgeführt wird. Nach Auffassung der Kammer bildet das Dokument (10) daher eine legitime Ausgangsbasis für den Nachweis des allgemeinen Fachwissens am Prioritätstag des Streitpatents (vgl. T 1110/03, ABl. EPA 2005, 302, Nr. 2 der Entscheidungsgründe).

Aufgrund dieses allgemeinen Fachwissens wäre dem Fachmann zunächst bekannt, dass Polymorphie bei Molekülen, die für die pharmazeutische Industrie interessant sind, ein verbreitetes Phänomen ist, wie beispielsweise aus dem folgenden Textabschnitt in Dokument (28) hervorgeht (s. Seite 527, linke Spalte, dritter Absatz):

"Polymorphe weisen Kristallgitter auf, die sich dadurch unterscheiden, wie das gleiche Molekül in der Elementarzelle gebunden ist. Die Unterschiede können darin bestehen, wie die Moleküle in der Zelle gepackt sind, oder in Konformationsänderungen, die sehr groß sein können. Hier spielen bei den meisten Molekülen, die für die pharmazeutische Industrie interessant sind, Wasserstoffbrücken-Bindungen eine Rolle."

Der Fachmann hätte auch gewusst, dass es sich empfiehlt, schon in einer frühen Phase der Arzneimittelentwicklung nach Polymorphen zu suchen, wie in Dokument (28) auf Seite 528, linke Spalte, erster Absatz erläutert (vgl. auch Dokument (10), S. 946, erster vollständiger Absatz):

"Um jedem Entwicklungskandidaten die besten Erfolgsaussichten einzuräumen, erscheint es zweckmäßiger, nach Polymorphen zu suchen, anstatt ihr Auftreten der Zeit und dem Zufall zu überlassen und die resultierenden Behinderungen in Kauf zu nehmen."

Ebenso hätte der Fachmann die behördlichen Vorgaben hinsichtlich der Bereitstellung von Daten zum Auftreten polymorpher, hydratisierter oder amorpher Formen eines Wirkstoffs gekannt (vgl. Dokument (10), S. 945, linke Spalte, erster und zweiter Absatz). Außerdem wäre er vertraut mit den Routineverfahren zur Suche nach Polymorphen durch Kristallisation aus einer Reihe unterschiedlicher Lösungsmittel unter unterschiedlichen Bedingungen (vgl. Dokument (28), S. 528, linke Spalte, erster Absatz und Dokument (10), S. 946, rechte Spalte, letzter Absatz).

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass es am Prioritätstag des Streitpatents zu den Routineaufgaben eines Fachmanns auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung gehörte, nach Feststoffformen eines Arzneistoffs zu suchen. Der Vollständigkeit halber hält die Kammer fest, dass die bloße Bereitstellung einer kristallinen Form einer bekannten pharmazeutisch wirksamen Verbindung (entgegen der Aussage in Absatz [0011] des Streitpatents) nicht als erfinderisch angesehen werden kann, sofern kein technisches Vorurteil zu überwinden ist, was die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht hat. Die Beschwerdeführerin stützte sich jedoch in diesem Beschwerdeverfahren zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit auf die verbesserten Filtrations- und Trocknungseigenschaften von Atorvastatinhydrat der Form IV gegenüber der amorphen Form (s. Nr. 5.1 der Entscheidungsgründe oben). Es ist daher zu entscheiden, ob der Fachmann in Erwartung dieser verbesserten Eigenschaften einen Anreiz hatte, zur vorliegenden Lösung zu gelangen.

Wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt, wird amorphen Formen gemeinhin eine höhere Löslichkeit und Bioverfügbarkeit zugeschrieben als ihren kristallinen Entsprechungen. Allerdings ist bei amorphen Formen im Allgemeinen auch mit verschiedenen Nachteilen zu rechnen, insbesondere hinsichtlich der chemischen und physikalischen Instabilität (s. Dokument (27), S. 799, linke Spalte und Dokument (10), S. 952, Überschrift "Amorphous Forms").

In Dokument (28) heißt es außerdem (s. S. 527, linke Spalte, erster Satz):

"Kristalline Produkte sind generell am leichtesten zu isolieren, zu reinigen, zu trocknen und im Chargenbetrieb zu handhaben sowie zu formulieren."

Vor dem Hintergrund des in diesem Auszug aus Dokument (28) wiedergegebenen allgemeinen Wissens hätte der Fachmann somit ausgehend von der amorphen Form einer pharmazeutisch wirksamen Verbindung als nächstliegendem Stand der Technik eindeutig erwartet, dass sich die vorstehend unter Nummer 5.1 definierte Aufgabe durch eine kristalline Form dieser Verbindung lösen ließe. Auch wenn dies nicht auf alle erhältlichen kristallinen Formen zutreffen mag (vgl. Dokument (28), S. 527, linke Spalte, zweiter und dritter Satz), lag es dennoch nahe und erforderte kein eigenes erfinderisches Zutun, diesen Weg mit guten Erfolgsaussichten auszuprobieren.

Der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann durch eine potenziell geringere Löslichkeit und Bioverfügbarkeit im Vergleich zur amorphen Form davon abgehalten würde, sich um die Herstellung einer kristallinen Form zu bemühen, kann die Kammer nicht folgen. Der Fachmann würde diesen Punkt vielmehr als Teil der Gesamtbilanz der zu erwartenden Vor- und Nachteile dieser zwei Feststoffkategorien, wie oben ausgeführt, sehen.

Die Beschwerdeführerin brachte ferner vor, für eine erfinderische Tätigkeit spreche auch, dass ein spezifisches Polymorph beansprucht werde und nicht kristalline Formen im Allgemeinen. Die Kammer bestreitet nicht, dass es weitere Lösungsmöglichkeiten für die gestellte Aufgabe geben mag (s. z. B. Absatz [0036] des Streitpatents). Eine willkürliche Auswahl aus einer Gruppe gleichermaßen geeigneter Kandidaten kann jedoch nicht als erfinderisch angesehen werden.

5.3 Daher stellt der Gegenstand von Anspruch 3 des Hauptantrags bzw. von Anspruch 1 des Hilfsantrags eine naheliegende Lösung der Aufgabe dar und beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Da über einen Antrag nur als Ganzes entschieden werden kann, muss keiner der übrigen Ansprüche geprüft werden.

Somit werden der Haupt- und der Hilfsantrag der Beschwerdeführerin wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit von Anspruch 3 bzw. Anspruch 1 zurückgewiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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