T 0773/08 () of 15.12.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T077308.20091215
Datum der Entscheidung: 15 Dezember 2009
Aktenzeichen: T 0773/08
Anmeldenummer: 97890249.2
IPC-Klasse: C21D 9/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Profiliertes Walzgut und Verfahren zu dessen Herstellung
Name des Anmelders: Voest-Alpine Schienen GmbH
Name des Einsprechenden: Corus UK Ltd.
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Unzulässige Änderung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die am 4. Februar 2008 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 849 368 zurückgewiesen wurde, hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 14. April 2008 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 13. Juni 2008 eingereicht. Dabei wurde unter anderem von der Beschwerdeführerin unter Artikel 100(c) EPÜ geltend gemacht, dass die erteilten Ansprüche nicht durch die Beschreibung gestützt seien und damit gegen Artikel 123(2) EPÜ verstießen.

II. In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid teilte die Kammer den Parteien unter anderem ihre vorläufige Einschätzung mit, dass das Merkmal, wonach "nur der Schienenkopf aus unterem Bainit besteht", in den erteilten Ansprüchen 1 und 7 möglicherweise nicht durch die ursprünglich eingereichten Anmeldungs unter lagen gestützt werde.

III. Am 15. Dezember 2009 fand vor der Kammer eine mündliche Verhandlung statt, an deren Ende die folgenden Anträge vorlagen:

- Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 849 368.

- Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 5 des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hauptantrags aufrechtzuerhalten.

IV. Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung von Fahr- oder Eisenbahn schienen bestehend aus einem Schienenkopf, einem Schienenfuß und einem diese Bereiche verbindenden Steg, aus einer Eisenbasislegierung enthaltend Kohlenstoff, Silicium, Mangan, gegebenenfalls Chrom, sonderkarbidbildende sowie das Umwandlungsverhalten des Werkstoffes beeinflussende Elemente und/oder Mikrolegierungszusätze, Rest Eisen und herstellungsbedingte sowie übliche Verunreinigungen, mit über den Querschnitt zumindest teilweise durch beschleunigte Abkühlung aus dem Austenitgebiet der Legierung gebildeter Gefügestruktur, wobei die Eisenbasislegierung eine Konzentration der Elemente in Gew.-%:

Kohlenstoff 0.51 bis 1.3

Mangan 0.31 bis 2.55

Silicium max 0.93

Aluminium max 0.06

20 Silicium plus Aluminium unter 0.99

gegebenenfalls

Chrom 0.21 bis 2.45

Molybdän bis 0.88

Wolfram bis 1.69

25 Vanadin bis 0.39

Niob und/oder Tantal und/oder Zirkon und/oder Hafnium und/oder Titan einzeln

oder in Summe bis 0.28

Nickel bis 2.4

Bor bis 0.006

30 Rest Eisen

und im Bereich der unteren Bainitstruktur eine Härte von mindestens 400 HB, insbesondere von 420 HB bis 600 HB,

aufweist.

und wobei über die Längserstreckung der Schiene nur im Kopf eine im unteren Bainitbereich gebildete Gefügestruktur vorliegt, welche Gefügestruktur bis zu einer Tiefe unter der Oberfläche von mindestens 10 mm, vorzugsweise von mindestens 15 mm, reicht, mit über den Querschnitt zumindest teilweise durch beschleunigte Abkühlung aus dem Austenitgebiet der Legierung gebildeter Gefügestruktur, wobei zumindest Teile der Oberfläche der im Austenitgebiet bereitgestellten Schiene mit Kühlmittel beaufschlagt oder in dieses eingebracht werden, dadurch gekennzeichnet,

- dass die Zusammensetzung der Legierung in engen Grenzen ausgewählt, deren Umwandlungsverhalten bei einer Abkühlung aus dem Austenitgebiet ermittelt und aus der ausgewählten Legierung das Walzgut hergestellt werden,

- dass die Schiene in einem ersten Schritt in eine Kühlflüssigkeit vollumfangsmäßig getaucht, nach einem Erreichen einer Temperatur eines Oberflächenbereiches von mindestens 2ºC, insbesondere jedoch 160ºC, über dem Martensitpunkt der Legierung aus dem Kühlmittel zumindest teilweise ausgebracht und

- in einem zweiten Schritt ausschließlich der Bereich mit hoher Massekonzentration, das ist der Schienenkopf auf eine Temperatur im Bereich von 5ºC bis 110ºC, über dem Martensitpunkt abgekühlt und das Gefüge im unteren Bainitbereich isotherm umwandeln gelassen wird,

- wobei er gegebenenfalls zeitweise im Tauchbad belassen oder in dieses zeitweise eingebracht wird."

V. Die Beschwerdeführerin argumentierte wie folgt:

Die Ausführungen der ursprünglichen Anmeldung, dass "zumindest Teilbereiche, insbesondere der Schienenkopf", aus unterem Bainit bestehen sollen, sei nicht gleichbedeutend damit, dass diese Struktur "nur" und ausschließlich im Schienenkopf vorliege und in den anderen Teilen der Schiene nicht, wie dies der vorliegende Anspruch festlege. Die Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung liefere dafür keine Grundlage. Das Patent sei mithin in einer Weise geändert worden, dass es über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Anspruch 1 erfülle damit nicht die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ.

VI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:

Entscheidend beim beanspruchten Verfahren sei, dass der Kopf der fertigen Schiene aus unterem Bainit bestehe. Deshalb habe man im Prüfungsverfahren den Gegenstand von Anspruch 1 "nur" auf den Schienenkopf beschränkt, um sich u.a. vom Stand der Technik abzugrenzen. Es sei ganz und gar nebensächlich, ob diese Struktur auch im Steg und Fuß der Schiene vorliege. Diese wesentliche Tatsache werde in der ursprünglichen Beschreibung durch die Wortwahl "zumindest im Schienenkopf", "zumindest in einem Bereich des Querschnitts, insbesondere im Kopf der Schiene", die sich in Spalte 5, Zeilen 38 bis 48, Spalte 9, Zeilen 5 bis 15 und in den ursprünglichen Ansprüchen 5, 11 und 13 finden, ausgedrückt. Zwar enthielten die ursprünglichen Unterlagen kein Beispiel mit einem Schienenkopf aus unterem Bainit und einem Steg und Fuß aus einem anderen Gefüge, doch lasse die Formulierung "zumindest der Schienenkopf" darauf schließen, dass diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen worden sei. In jedem Fall sei nur ein Schienenkopf aus unterem Bainit Ziel des beanspruchten Verfahrens. Ein Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ liege nicht vor.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen, Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Anspruch 1 des angefochtenen Patents richtet sich auf ein Verfahren zur Herstellung von Eisenbahnschienen, bestehend aus einem Kopf, einem Steg und einem Fuß mit dem Merkmal, dass "über die Längserstreckung der Schiene nur im Kopf eine im unteren Bainitbereich gebildete Gefügestruktur vorliegt" (Hervorhebung von der Kammer).

Die Änderung "nur im Kopf" war im Prüfungsverfahren von der Beschwerdegegnerin zur Abgrenzung gegen den Stand der Technik vorgenommen worden. Es ist deshalb zu prüfen, ob die genannte Beschränkung durch die ursprünglich eingereichten Anmeldungs unterlagen gestützt ist oder ob - wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen - der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

2.2 Der ursprüngliche Anspruch 1 ist auf eine Fahr- oder Eisenbahnschiene gerichtet, bei der "zumindest in Teilbereichen des Walzgutquerschnitts über dessen Längserstreckung" eine Gefügeausbildung aus unterem Bainit vorliegt. Der ursprüngliche Anspruch 5 betrifft eine Eisenbahnschiene aus Schienenkopf, Schienenfuß und einem diese Bereich verbindenden Steg, bei welchem "zumindest in einem Bereich des Querschnitts, insbesondere im Kopf der Schiene", eine im unteren Bainitbereich gebildeter Gefügestruktur vorliegt. Weiter wird nach dem ursprünglichen Verfahrensanspruch 11 "zumindest ein Teil des Querschnitts des profilierten Walzgutes mit erhöhter Massekonzentration" einer beschleunigten Abkühlung unterworfen. In der bevorzugten Ausführungsform des Verfahren nach dem ursprünglichen Anspruch 13, auf den sich das nun beanspruchten Verfahren gründet, wird das Walzgut in einem ersten Schritt vollumfänglich durch das Eintauchen in eine Kühlflüssigkeit abgekühlt und dann in einem zweiten Schritt ausschließlich im Bereich mit hoher Massekonzentration im Tauchbad belassen. Nach den Aussagen der ursprünglichen Beschreibung Spalte 7, Zeilen 2 bis 12 und Spalte 9, Zeilen 5 bis 11 werden in dieser zweiten Stufe des Verfahrens "nur Bereiche hoher Volumskonzentration und vergleichsweise höherer Temperatur, dies ist insbesondere der Schienenkopf", einer intensiven Kühlung unterworfen. Entsprechend den Zeilen 38 bis 48 in Spalte 5 weist die Eisenbahnschiene "zumindest in einem Bereich des Querschnitts, insbesondere im Kopf der Schiene", die im unteren Bainitbereich gebildete Gefügestruktur auf.

Aus dem Gesamtinhalt der ursprünglichen Anmeldung entnimmt der Fachmann, dass das beanspruchte Verfahren unzweifelhaft darauf abzielt, zumindest im Schienenkopf, welcher einer hohe Massekonzentration aufweist, eine Gefügestruktur aus unterem Bainit zu erzeugen. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass auch andere Teile der Schiene mit hoher Massekonzentration, wie der Schienenfuß, zu unterem Bainit umgewandelt werden. In noch weiterem Sinn vermittelt die ursprüngliche Beschreibung in Spalte 7, Zeilen 2 bis 21 ein zweistufiges Verfahren entsprechend dem Verfahren des nun geltenden Anspruchs 1, wobei durch eine auf die Massekonzentration des (Schienen) Profils abgestimmte Kühlmittel beaufschlagung der Oberfläche (der Schiene) "eine Gefügeumwandlung im Bereich der unteren Zwischenstufe über im wesentlichen den gesamten Querschnitt erfolgt". Danach bestehen alle Teile der Schiene aus unterem Bainit. Auch wenn es aufgrund einer etwas anderen Stahlzusammensetzung nicht mehr unter den geltenden Anspruch 1 fällt und deshalb in der Patentschrift nicht mehr enthalten ist, so bestätigt auch das Beispiel in Spalte 8, Zeile 48 bis Spalte 9, Zeile 20 der ursprünglichen Anmeldung dieses Ergebnis. Darin wird ein dreistufiges Abkühlverfahren einer Eisenbahnschiene beschrieben, wobei die nachfolgenden Materialunter suchungen das Ergebnis erbrachten, dass bei der so hergestellten Schiene über den gesamten Querschnitt ein Gefüge mit einer Struktur der unteren Bainitstufe vorlag.

Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, dass das ursprünglich beanspruchte Verfahren darauf ausgerichtet war, eine Struktur aus unterem Bainit zumindest im Schienenkopf, vorzugsweise aber auch im Fuß und insbesondere in allen Teilen der Schiene einzustellen. Diese Bewertung der technischen Aussagen der ursprünglich eingereichten Anmeldung ist von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten worden.

2.3 Nach den vorangehenden Ausführungen bedeutet die Bezeichnung "zumindest" jedoch nicht, dass "nur" und ausschließlich der Schienenkopf ein Gefüge aus unterem Bainit aufweist. Eine solche beschränkende Auswahl lässt sich aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht ableiten. Daraus kann weder in eindeutiger Weise entnommen, noch direkt oder indirekt darauf geschlossen werden, dass das beanspruchte Verfahren so durchzuführen ist, dass ausschließlich (und "nur") der Schienenkopf eine Struktur aus unterem Bainit aufweist und eine solche Struktur für den Steg und Schienenfuß ausschlossen wird. Auch besteht an keiner Stelle der ursprünglichen Anmeldung ein Hinweis, dass diese Teile der Schiene absichtlich aus einem anderen Gefüge bestehen müssen. Selbst unter Berücksichtung des zwei- bzw. dreistufigen Verfahrens, wobei "nur" der Schienenkopf eine getrennte Kühlbehandlung erfährt, wird ein solches Ergebnis nicht erreicht und auch nicht angestrebt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin ist an keiner Stelle der Beschreibung erkennbar, dass durch die Einhaltung bestimmter Verfahrensparameter auf jeden Fall die Ausbildung von unterem Bainit im Steg und Schienenfuß gezielt vermieden werden soll.

Eine solche Beschränkung fordert jedoch der geltende Anspruch 1. Danach soll über die Längserstreckung der Schiene eine im unteren Bainit vorliegende Gefüge struktur nur im Kopf vorliegen, in den anderen Teilen aber nicht. Durch diese Änderung erfährt der Gegenstand von Anspruch 1 eine Sinnverschiebung in eine Richtung, die für den fachkundigen Leser der ursprünglichen Anmeldung weder als beabsichtigt, noch in einer anderen Weise daraus zu entnehmen ist. Auch durch die meist bevorzugte zweistufige Verfahrensvariante, gemäß dem ursprünglichen Anspruch 13 und dem geltenden Anspruch 1, wonach gezielt die Bereiche hoher Massekonzentration, insbesondere der Schienenkopf, eine gesonderte Abkühlung erfahren und das Gefüge der so abgekühlten Schiene in einer Warmhaltekammer in einer dritten Stufe umgewandelt wird, entsteht letztendlich eine Schiene, die über den gesamten Querschnitt aus unterem Bainit besteht. Dies belegen die Aussagen in Spalte 9, Zeilen 29 bis 37 der ursprünglichen Anmeldung.

Damit steht das nun beanspruchte Verfahren gemäß dem geänderten Anspruch 1 im Widerspruch zu den technischen Aussagen der ursprünglichen Anmeldung. Daraus folgt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 über den Inhalt der ursprünglichen eingereichten Anmeldung hinausgeht und somit die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ nicht erfüllt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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