T 0466/08 () of 10.6.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T046608.20100610
Datum der Entscheidung: 10 Juni 2010
Aktenzeichen: T 0466/08
Anmeldenummer: 03011200.7
IPC-Klasse: B60T 13/66
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 69 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Feststellbremsanlage und Verfahren zum Betreiben einer Feststellbremsanlage
Name des Anmelders: KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: Haldex Brake Products GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 366 964 wurde mit der am 28. Dezember 2007 zur Post gegebenen Entscheidung in geänderter Fassung aufrechterhalten. Dagegen wurde von der Patentinhaberin am 14. Februar 2008 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 23. April 2008 eingereicht.

II. Es würde am 10. Juni 2010 mündlich verhandelt. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Der erteilte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Feststellbremsanlage, insbesondere für Nutzfahrzeuge, mit

- einer Ventilanordnung (10, 12) zum Belüften und zum Entlüften von Federspeicherzylindern (14, 16) und

- einem elektrischen Betätigungselement (18) mit mehreren Einstellmöglichkeiten zum Wählen verschiedener Zustände der Feststellbremsanlage, das mit einer elektronischen Steuerung (20') für die Feststellbremsanlage kommunizieren kann,

dadurch gekennzeichnet,

- dass die elektronische Steuerung (20') für die Feststellbremsanlage zumindest teilweise in eine elektronische Steuerung (24) einer elektronischen Luftaufbereitungsanlage mit Kreisschutzeinrichtung integriert ist, und

- dass die Ventilanordnung eine in die elektronische Luftaufbereitungsanlage integrierte Ventileinheit (40, 40') zum Belüften und Entlüften der Federspeicherzylinder (14, 16) umfasst, wobei die Ventileinheit (40, 40') mittels der elektronischen Steuerung (20') steuerbar ist."

III. Die Beschwerdeführerin legte dar, dass der von D1 (EP-A1-0 207 275) ausgehende Fachmann im Hinblick auf den weiteren Stand der Technik gemäß D10 (DE-C1-196 38 226) nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gelangen würde. Zunächst sei festzustellen, dass D1 eine Feststellbremsanlage offenbare, bei der das Be- und Entlüftungsventil als Bestandteil des elektrischen Teils dieser Anlage elektrisch vom Handbremsventil gesteuert werde. D10 offenbare hingegen eine Druckluftaufbereitungsanlage für ein Kraftfahrzeug mit einer Steuerelektronik zum Absperren eines Sperrventils in einer zu den Federspeicherzylindern einer Feststellbremse führenden Versorgungsleitung, wobei jedoch das eigentliche Be- und Entlüftungsventil 31 ein Teil der Feststellbremse sei. Das vorliegende Streitpatent offenbare andererseits im Unterschied zu D1 und D10 eine Feststellbremsanlage bei der die "Ventileinheit zum Belüften und Entlüften der Federspeicherzylinder", d.h. das Be- und Entlüftungsventil, samt dazugehöriger elektrischer Steuerung in die Druckaufbereitungsanlage des Kraftfahrzeugs eingebunden sei. Somit stellten D1, D10 und der Patentgegenstand drei völlig unterschiedliche Konzepte dar. Folglich ließe sich der Patentgegenstand aus der Betrachtung von D1 und D10 auch nicht in naheliegender Weise ableiten. Dies werde insbesondere durch die folgenden weiteren Überlegungen deutlich. Entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung, werde der Fachmann durch sein Bestreben den Verrohrungsaufwand zu verringern nicht zu der beanspruchten Lösung geleitet, weil ein solcher Vorteil mit dem Patentgegenstand ohnehin nicht verwirklicht werde. Gemäß D10 sei auch das Handbremsventil 31 als das Be- und Entlüftungsventil anzusehen, welches entsprechend herkömmlicher Technik in der Fahrerkabine "lokalisiert" und von den Federspeicherzylindern weit entfernt sei. Dieser Sachverhalt widerspreche der Lehre von D1, die ein - Dank der elektrischen Steuerung - "delokalisiertes" Be- und Entlüftungsventil impliziere, mit kürzerer pneumatischer Verbindungsleitung zu den Federspeicherzylindern. Schließlich sei auch gegenüber D1 die besondere Anordnung des Be- und Entlüftungsventils gemäß dem Streitpatent nicht als vorteilhaft sondern eher als nachteilig anzusehen, weil die Integration des Be- und Entlüftungsventils in die Druckluftaufbereitungsanlage des Kraftfahrzeugs eine im Vergleich zu D1 längere pneumatische Verbindungsleitung vom Be- und Entlüftungsventil zu den Federspeicherzylindern erforderlich mache und somit hinsichtlich der Energiebilanz ungünstiger sei.

Trotz dieser Nachteile sei aber festzustellen, dass die beanspruchte Lösung den Vorteil einer rationalen und kompakten Anordnung biete und durch den vorliegenden Stand des Technik nicht nahegelegt werde.

Auch bei Betrachtung von D10 als Ausgangspunkt für die Erfindung und im Hinblick auf den weiteren Stand der Technik D1 gelange man insgesamt auch zum Ergebnis, dass der erteilte Anspruchsgegenstand für den Fachmann nicht naheliegend sei.

IV. Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, die Darstellung des Standes der Technik durch die Beschwerdeführerin gebe nur unvollständig die tatsächlichen Gegebenheiten wieder. Zunächst sei in der Feststellbremsanlage von D1 das Be- und Entlüftungsventil 14 (Figur 1) für die Feststellbremse nicht als elektrisches sondern als elektropneumatisches Ventil ausgebildet und sei somit als solches im pneumatischen Schaltkreis der einkreisig ausgebildeten Druckluftversorgung 19 eingebunden. D1 sage zudem explizit aus (Spalte 3, Zeilen 50-55; Spalte 4, Zeilen 23-28), dass bei mehrkreisiger Ausbildung der Druckluftversorgung das Be- und Entlüftungsventil 14 entsprechend aus einem dieser Druckluftversorgungskreise mit Druckluft versorgt werde und damit im dazugehörigen pneumatischen Schaltkreis eingebunden sei. Folglich könne dieses Ventil ganz sicher nicht dem rein elektrischen Teil der Festsstellbremsanlage, sprich den Handbremsventilen 5 und 6 und den Elektronik-Schaltkreisen 9 und 10, zugeordnet werden. Weiterhin sei auch nicht zutreffend, dass gemäß D10 das Be-und Entlüftungsventil ausschließlich als Teil der Feststellbremsanlage anzusehen sei, weil das Be- und Entlüftungsventil bekanntermaßen notwendig ein Sperrventil enthalte, siehe z.B. das Ventil 26 in Fig. 4 von D1, und eben dieses Sperrventil 41 (Figur 2), oder das dazu äquivalente Teil des Wegeventils 30" (Figur 1), sei in der Vorrichtung von D10 gerade offensichtlich nicht in das Handbremsventil 31 der Feststellbremsanlage integriert, sondern eben in die Druckluftversorgungsanlage oder als gesondertes Ventil ausgeführt. Darüber hinaus offenbare D10 ein Konzept, welches sowohl bei einem singulären Anlagenteil, z.B. bei einem Steuergerät, als auch bei einer Anlage, die mehrere verschiedene singuläre Elemente aufweise, z.B. bei einer Druckluftaufbereitungsanlage, verwirklicht werden könne (Spalte 2, Zeilen 53-60). Daraus ergebe sich für den Fachmann insgesamt die Anregung, das bereits in eine einkreisige oder mehrkreisige Druckluftversorgung eingebundene Ventil 14 der Anlage von D1 voll und ganz in die Druckkluftaufbereitungsanlage zu integrieren. Die elektronische Steuerung des die Sperrfunktion erfüllenden Ventils 41 bzw. 30" der Anlage von D10 sei gemäß D10 auch bereits in die elektronische Steuerung 18 der Druckluftaufbereitungsanlage integriert. Somit sei es auch naheliegend nach der Integration des Be- und Entlüftungsventils in die Druckluftaufbereitungsanlage auch dessen elektronische Steuerung in diese Anlage vollständig zu integrieren. Insgesamt sei also festzustellen, dass der Fachmann in naheliegender Weise ausgehend von D1 im Hinblick auf den weiteren Stand der Technik gemäß D10 zum Gegenstand des beanspruchten Anspruchs 1 gelangen würde.

Aufgrund ähnlicher Überlegungen gelange der Fachmann ausgehend von D10 im Hinblick auf D1 in naheliegender Weise ebenfalls zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Feststellbremsanlage von D1 zeigt unstreitig die Oberbegriffsmerkmale des erteilten Anspruchs 1 und zusätzlich auch, dass die Ventilanordnung eine Ventileinheit 14 zum Belüften und Entlüften der Federspeicherzylinder (D1, Figur 1) umfasst, die mittels der elektronischen Steuerung 9, 10 (D1, Figur 1) steuerbar ist. Von diesem Stand der Technik ausgehend stellt sich für den Fachmann die objektive Aufgabe, eine rationale und kompakte Anordnung der Ventileinheit zu treffen, derart, dass bspw. der Montageaufwand verringert werden kann und eine Vereinfachung der pneumatischen und elektrischen Schaltung bewirkt wird.

3. D1 offenbart bereits eine Feststellbremsanlage bei der das Be- und Entlüftungsventil 14 in die pneumatische Schaltung einer einkreisigen Druckluftversorgungsanlage 19 (Spalte 4, Zeilen 16 bis 23; Spalte 3, 50-55) eingebunden ist und sagt weiter ausdrücklich aus, dass "selbstverständlich ... die Druckluftversorgung mittels eines Mehrkreisschutzventils in üblicher Weise aufgebaut werden" kann, "so dass die EP-Wandler 11, 12, 13 und gegebenenfalls 14 aus unterschiedlichen Kreisen druckluftversorgt werden". Hieraus entnimmt der Fachmann, dass bei üblicher Mehrkreisausbildung der Druckluftversorgung das Be- und Entlüftungsventil 14 im pneumatischen Schaltkreis des Mehrkreisschutzventils, d.h. der Luftaufbereitungsanlage, eingebunden ist, und aus einem dieser Druckluftkreise versorgt wird. Daraus ergibt sich bei der gegebenen Aufgabe eine erste Anregung, das Be- und Entlüftungsventil 14 in die Luftaufbereitungsanlage auch zu integrieren, weil dadurch offensichtlich durch die geringere Anzahl einzelner Komponenten der pneumatischen Schaltung der Montageaufwand deutlich verringert und gleichzeitig eine Vereinfachung der Schaltung erreicht wird. Der Fachmann würde aber auch im Stand der Technik bei Feststellbremsanlagen mit mehrkreisig ausgebildeter Druckluftversorgung nach möglichen Lösungen der gestellten Aufgabe suchen und würde dort in D10 eine weitere Anregung finden, das Be-und Entlüftungsventil in die Luftaufbereitungsanlage zu integrieren. D10 lehrt nämlich, dass das für die Belüftungsfunktion wesentliche Sperrventil des Handbremsventils 31 als gesondertes Bauteil vom Handbremsventil getrennt (siehe Sperrventil 41, Figur 2) oder sogar als in die Luftaufbereitungsanlage integriertes Bauteil ausgebildet sein kann. Damit bewirkt gemäß D10 das Handbremsventil 31 lediglich die Entlüftungsfunktion der Feststellbremsanlage. Hierdurch bekommt der Fachmann angesichts der gestellten Aufgabe (siehe Punkt 2 oben) eine weitere Anregung, das gemäß D1 bereits in die Druckluftversorgungsschaltung eingebundene Be- und Entlüftungsventil bei Mehrkreisausbildung der Druckluftversorgung vollständig in die Luftaufbereitungsanlage zu integrieren. Die dazugehörige elektronische Steuerung würde der Fachmann dann, wie für die Belüftungsfunktion gemäß D10 bereits geschehen (siehe Steuerelektronik 18, Figur 1), ebenfalls in die elektronische Steuerung der Luftaufbereitungsanlage integrieren. Dies alles wird insbesondere auch dadurch erleichtert, dass gemäß D1 das Handbremsventil 5,6 rein elektrisch wirkt, womit das Be- und Entlüftungsventil und dessen Steuerung ohne zusätzlichen Verrohrungsaufwand in die Luftaufbereitungsanlage bzw. in dessen Steuerung integriert werden können. Insgesamt würde also der Fachmann in naheliegender Weise zum erteilten Anspruchsgegentand gelangen (Art. 56 EPÜ 1973).

4. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin konnte die Kammer aus den folgenden Gründen nicht folgen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Fachmann würde die erfindungsgemäße Lösung wegen der damit verbundenen Nachteile nicht in Erwägung ziehen, wird nicht geteilt. Zunächst gilt allgemein, dass bei nahezu jeder technischen Lösung die damit verbundenen Vor- und Nachteile vom Fachmann gegeneinander sorgfältig abzuwägen sind. Das Vorhandensein von Nachteilen reicht für sich allein nicht aus, um den Fachmann davon abzubringen, einen bestimmten Lösungsweg einzugehen, es sei denn, diese Nachteile sind derart gravierend, dass sie für ihn ein echtes Hindernis gegen diesen Weg darstellen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang ist aber nicht überzeugend. Erstens ist festzuhalten, dass weder die ursprüngliche Anmeldung, noch die Patentschrift, in irgendwelcher Weise die vermeintlichen Nachteile erwähnt und sie den geltend gemachten Vorteilen der beanspruchten Erfindung gegenüberstellt. Zweitens befasst sich D1 - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - nicht mit einer günstigeren Energiebilanz aufgrund einer "Delokalisierung" des Be- und Entlüftungsventils, sondern mit der Ausfallsicherheit einer elektro-pneumatischen Festsstellbremse. Drittens hat die Beschwerdeführerin nicht einmal überzeugend dargelegt, dass die patentgemäße Feststellbremsanlage tatsächlich eine ungünstigere Energiebilanz aufweist als die Anlage gemäß D1. Durch die Integration des Be-und Entlüftungsventil in die Luftaufbereitungsanlage wird die pneumatische Verbindungsleitung vom Druckluftspeicher des jeweiligen Druckluftversorgungskreises zum Be- und Entlüftungsventil erheblich verkürzt. Dies wirkt sich offensichtlich positiv auf die Energiebilanz aus, weil bei jeder auf die Entlüftung folgende Belüftung der Federspeicherzylinder die Druckluft über einen viel kürzeren Weg vom jeweiligen Druckluftspeicher der mehrkreisigen Druckluftversorgungsvorrichtung zum Be-und Entlüftungsventil gelangt. Bei gleichbleibender Gesamtlänge der pneumatischen Leitung vom Druckluftspeicher über das Be- und Entlüftungsventil bis zu den Federspeicherzylindern würde somit durch die Integration des Be- und Entlüftungsventils in die Luftaufbereitungsanlage die Energiebilanz im wesentlichen neutral bleiben.

5. Da der Einspruchsgrund gemäß Art. 100 a) EPÜ in Verbindung mit Art. 56 EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegensteht, konnte dem Antrag der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation