T 0460/08 () of 10.8.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T046008.20100810
Datum der Entscheidung: 10 August 2010
Aktenzeichen: T 0460/08
Anmeldenummer: 00910861.4
IPC-Klasse: A23L 1/314
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Umrötungsmischung für Fleischerzeugnisse
Name des Anmelders: Karl Müller GmbH & Co.
Name des Einsprechenden: Chr. Hansen A/S
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
G 0007/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Erteilung des Europäischen Patents Nr. 1 162 893 auf die am 18. März 2000 im Namen der Firma Karl Müller GmbH & Co. eingereichte internationale Anmeldung PCT/EP2000/002421 mit der europäischen Anmeldenummer 00 910 861.4 wurde am 8. Juni 2005 im Patentblatt 2005/23 bekanntgemacht.

Das Patent wurde mit einundzwanzig Ansprüchen erteilt, von denen die unabhängigen Ansprüche 1, 10 und 20 wie folgt lauteten:

"1. Umrötungsmischung für Fleischerzeugnisse, insbesondere Brühwurst, enthaltend, 1 x 10**(8) bis 5 x 10**(10) Zellen eines getrockneten, lebensmitteltauglichen nitratreduzierenden Mikroorganismus und ein getrocknetes Gemüseerzeugnis entsprechend 10 bis 2000 g Frischgewicht, jeweils bezogen auf 1 kg Fleisch- oder Wurstmasse, wobei das Gemüseerzeugnis einen natürlichen Nitratgehalt von 100 bis 5000 mg pro kg rischgewicht [sic] Gemüseerzeugnis hat."

"10. Verfahren zur Umrötung von Fleischwaren, insbesondere Brühwurst, dadurch gekennzeichnet, daß man einer gewürzhaltigen, aber nitritfreien Fleisch- oder Wurstmasse pro kg Fleisch- oder Wurstmasse 1 x 10**(8) bis

5 x 10**(10) Keime eines lebensmitteltauglichen nitratreduzierenden Mikroorganismus zusammen mit einem pflanzlichen Produkt, insbesondere ein Gemüseerzeugnis, entsprechend 10 bis 2000 g Frischgewicht des pflanzlichen Produktes pro kg Fleisch- oder Wurstmasse zusetzt, wobei der natürliche Nitratgehalt 100 bis 5000 mg pro kg Frischgewicht des pflanzlichen Produktes beträgt, die Fleischware 6 bis 72 h reifen läßt und gegebenenfalls anschließend erhitzt."

"20. Fleischerzeugnis, erhältlich aus einer gewürzhaltigen, aber nitritfreien Fleisch- oder Wurstzubereitung unter Verwendung von 1 x 10**(8) bis 5 x 10**(10) Keimen eines getrockneten, lebensmitteltauglichen nitratreduzierenden Mikroorganismus pro kg Fleisch- oder Wurstzubereitung zusammen mit, einem pflanzlichen Produkt, insbesondere eines Gemüseerzeugnisses, entsprechend 10 bis 2000 g Frischgewicht des pflanzlichen Produktes pro kg Fleisch- oder Wurstmasse, wobei das pflanzliche Produkt einem [sic] natürlichen Nitratgehalt von 100 bis 5000 mg pro kg Frischgewicht hat."

Die restlichen Ansprüche waren abhängige Ansprüche.

II. Gegen das Patent legte die Firma

Chr. Hansen A/S

am 8. März 2006

Einspruch ein und beantragte, gestützt auf Artikel 100 a) EPÜ, den vollständigen Widerruf des Patents, da nach ihrer Ansicht der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Zur Stütze ihrer Argumentation nannte die Einsprechende unter anderem die Dokumente:

D2/D2a Y. Kako et al., Animal Products Processing Research Laboratory: "Studies on the Color-Development of Meat Products by Some Vegetable Juices" - Japanisches Originaldokument D2 und englische Übersetzung D2a dieses Artikels, erschienen im Jahr 1975; und

D3 US-A 4 013 797.

III. Mit ihrer am 6. November 2007 mündlich verkündeten und am 1. Februar 2008 schriftlich begründeten Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück.

Die Einspruchsabteilung vertrat die Ansicht, dass eine Kombination von D3 mit D2/D2a den beanspruchten Gegenstand nicht nahelege.

Ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik sah die Einspruchsabteilung die Aufgabe darin, eine effektive Umrötungsmischung zur Verfügung zu stellen, in der die Umrötung durch einen nitratreduzierenden Mikroorganismus (MO) und eine natürliche Nitratquelle erreicht werde. Zwar werde gemäß D2/D2a pflanzliches Nitrat als Nitratquelle bei der Umrötung von Fleisch verwendet, jedoch solle jede exogene Einwirkung - auch von nitratreduzierenden MO - auf das Umrötungssystem vermieden werden. Da jedoch eine endogene Umrötung im industriellen Maßstab extrem langsam ablaufe, sei es für den Fachmann nicht naheliegend gewesen, dass mit einer Kombination von pflanzlichem Nitrat und nitratreduzierenden MO ein zu D3 äquivalentes Umrötungssystem zur Verfügung stehe.

Gehe man von D2/D2a als nächstliegendem Stand der Technik aus, so gelange man ebenfalls nicht zur beanspruchten Erfindung, da die Lehre von D2/D2a dahingehe, die entstehende Nitritmenge möglichst gering zu halten und daher von einem Zusatz überschüssigen Nitrats und eines externen Nitriterzeugers in Form von nitratredu zierenden MO gemäß D3 wegführe.

IV. Am 4. März 2008 legte die Einsprechende (nachfolgend: Beschwerdeführerin), unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr am 5. März 2008, Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 9. Mai 2008 eingereicht.

In der Beschwerdebegründung und mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 wurden weitere Dokumente zitiert, die jedoch nicht entscheidungserheblich sind und auf die daher im Folgenden nicht weiter eingegangen wird.

Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit wurde aufrechterhalten.

V. Die Patentinhaberin (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) verteidigte in ihrer Erwiderung vom 30. Dezember 2008 das Patent in der erteilten Fassung und beantragte die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag).

Als Reaktion auf einen Bescheid der Kammer vom 23. Juli 2010, in dem unter anderem Zweifel bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des mit Anspruch 20 beanspruchten und durch product-by-process Merkmale definierten Fleischerzeugnisses geäußert wurden, reichte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 3. August 2010 zwei Hilfsanträge ein.

a) In den Hilfsanträgen 1 und 2 wurden die erteilten Ansprüche 20 und 21 (product-by-process-Ansprüche) gestrichen.

b) Im Hilfsantrag 2 wurde zudem die Definition des nitratreduzierenden Mikroorganismus gemäß erteiltem Anspruch 3 in den Anspruch 1 aufgenommen. Bedingt durch diese Änderung wurde auch der abhängige Anspruch 2 gestrichen.

VI. Am 10. August 2010 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, in deren Verlauf die Beschwerde gegnerin noch einen Hilfsantrag 3 einreichte.

Hilfsantrag 3 richtete sich nur noch auf die Produktansprüche 1 bis 7 des Hilfsantrags 2, die Verfahrensansprüche 10 bis 19 sind gestrichen worden.

Die für die Entscheidung relevanten Ansprüche sind somit die auf eine Umrötungsmischung gerichteten Ansprüche 1 sämtlicher Anträge, wobei der erteilte Anspruch 1 (Punkt I) und Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 identisch sind. Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 2 und 3 sind ebenfalls materiell identisch und unterscheiden sich von dem erteilten Anspruch 1 durch die weiter einschränkende Definition der nitratreduzierenden Mikroorganismen.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lautete wie folgt:

"1. Umrötungsmischung für Fleischerzeugnisse, insbesondere Brühwurst, enthaltend 1 x 10**(8) bis 5 x 10**(10) Zellen eines getrockneten, lebensmitteltauglichen nitratreduzierenden Mikroorganismus und ein getrocknetes Gemüseerzeugnis entsprechend 10 bis 2000 g Frischgewicht, jeweils bezogen auf 1 kg Fleisch- oder Wurstmasse, wobei das Gemüseerzeugnis einen natürlichen Nitratgehalt von 100 bis 5000 mg pro kg Frischgewicht Gemüseerzeugnis hat und der nitratreduzierende Mikroorganismus ein handelsüblicher Stamm der Spezies S. carnosus S. xylosus, S. equorum oder Kocuria varians ist."

VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich der erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten Umrötungs mischung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Ausgehend von D2/D2a als nächstliegendem Stand der Technik ergebe sich aus den Seiten 5 und 6 der englischen Übersetzung D2a, dass Gemüse Nitrat enthält, das sich mit den im Fleisch vorhandenen nitratreduzierenden Bakterien zu Nitrit reduzieren lässt und dessen Konzentration im Gemüse die Farbentwicklung im Fleisch beeinflusst. Die in der Tabelle 1 des japanischen Originaldokuments D2 angegebenen Nitratgehalte verschiedener Gemüsesorten entsprächen den im Anspruch 1 auf ein kg Frischgemüse bezogenen Nitratgehalten. Auf Seite 2 der englischen Übersetzung D2a werde prinzipiell auch auf die Gefriertrocknung von Gemüsesäften hingewiesen.

Die beanspruchte Umrötungsmischung unterscheide sich von den in D2/D2a beschriebenen Gemüseprodukten dadurch, dass externe nitratreduzierende Mikroorganismen in Trockenform zugesetzt seien.

Die zu lösende Aufgabe sei daher darin zu sehen, eine verbesserte Umrötung zu erzielen.

Der Zusatz von externen nitratreduzierenden Mikro organismen zur Bildung der roten Farbe in Fleischerzeugnissen sei jedoch aus D3, beispielsweise Spalte 3, Zeilen 56 bis 60, bekannt.

Die beanspruchte Umrötungsmischung sei somit durch die Kombination von D2/D2a mit D3 nahegelegt.

Insbesondere im schriftlichen Verfahren ging die Beschwerdeführerin auch von D3 als nächstliegendem Stand der Technik aus und sah die gegenüber diesem Dokument zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen Nitratquelle zu dem in D3 benutzten "synthetischen" Nitrat. Die Verwendung einer Nitratquelle auf Pflanzenbasis war jedoch in Anbetracht der Offenbarung von D2/D2a naheliegend.

VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte folgendermaßen:

D2/D2a sei ein wissenschaftlicher Aufsatz, der sich mit der Frage beschäftige, in welchem Umfang Gemüsesäfte geeignet seien, eine Umrötung von Fleisch durchzuführen, die über die Stufen: Nitrat - Nitrit - Stickstoffmonoxid - Nitrosomyoglobin verlaufe. Darin werde festgestellt, dass sich verschiedene Gemüse in unterschiedlicher Weise für die Umrötung eigneten. Rettichsaft sei gut, Kohl dagegen nur eingeschränkt geeignet.

Aus dem vorletzten Absatz der Seite 5 und dem ersten Absatz der Seite 6 von D2a gehe hervor, dass die für die Umrötung maßgebliche Reduktion von Nitrat zu Nitrit ein langsamer Prozess sei, der durch die reduzierenden Eigenschaften des Fleisches, durch nitratreduzierende Bakterien im Fleisch sowie - im Falle von Rettichsaft - durch nitratreduzierende Substanzen im Saft selbst in Gang gesetzt werde. Dieses Zusammenspiel bilde ein komplexes System, das noch nicht eindeutig verstanden sei, so dass Verfahren zur Umrötung von Fleisch auf natürlichem Wege nicht sicher beherrschbar seien.

Die beanspruchte Umrötungsmischung sei das Ergebnis einer komplexen Entwicklung, die sich den natürlichen Nitratgehalt in getrocknetem Gemüse im Zusammenspiel mit getrockneten nitratreduzierenden Mikroorganismen zu Nutze mache.

Der Schwerpunkt der Offenbarung im Dokument D3 liege bei der Umrötung einer für Salami geeigneten Wurstmischung mit relativ geringem Feuchtigkeitsgehalt in Gegenwart von anorganischem Nitrat, extern zugesetzten nitratreduzierenden Mikroorganismen und Milchsäure produzierenden Bakterien zur weiteren Absenkung des pH-Wertes. Die Testberichte 1 bis 4 sowie die Beispiele 2 und 3 von D3 zeigten, dass nur der spezielle Mikro organismus NRRL-B-8048, insbesondere im Zusammenwirken mit Milchsäure produzierenden Bakterien, die für eine Hartsalami erwünschten Eigenschaften hinsichtlich Farbe und würzigen Geschmacks erzeugten.

D3 vermittle somit die Lehre, dass endogene im Fleisch vorhandene nitratreduzierenden Mikroorganismen zu einer zufriedenstellenden Umrötung von Fleisch nicht ausreichten.

Da gemäß D2/D2a nur endogene Reduktionspotentiale zur Umrötung genutzt würden und auf der Seite 5 von D2a die Wirksamkeit des Nitrats hinsichtlich der Umrötungs wirkung im Zusammenhang mit der verwendeten Gemüsesorte gesehen wird, würde der Fachmann die Dokumente D2/D2a und D3 nicht kombinieren, um zu der beanspruchten Umrötungsmischung zu gelangen.

Hinsichtlich der Einschränkung auf spezielle Mikroorganismen in Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 2 und 3 sei darauf hinzuweisen, dass es für den Fachmann nicht nahegelegen habe, dass gerade diese speziellen Stämme der Spezies S. carnosus, S. xylosus, S. equorum oder Kocuria varians besonders geeignet seien, das Nitrat aus pflanzlicher Quelle zu nutzen.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Sie beantragte im Weiteren, den Hilfsantrag 3 der Beschwerdegegnerin als verspätetes Vorbringen nicht zum Verfahren zuzulassen.

X. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Abweisung der Beschwerde. Hilfsweise beantragte sie, das Patent auf Basis eines der Hilfsanträge 1 oder 2, beide eingereicht mit Schreiben vom 3. August 2010, oder auf Basis des Hilfsantrags 3, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, beschränkt aufrechtzu erhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung des Hilfsantrags 3 zum Verfahren

Die Beschwerdeführerin hatte in der mündlichen Verhandlung die Zulässigkeit des Hilfsantrags 3 mit dem Argument bestritten, dass der Antrag verspätet gestellt und sie daher von den darin vorgenommenen Einschränkungen überrascht worden sei.

Dieser Argumentation kann sich die Kammer nicht anschließen. Der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von der erteilten Anspruchsfassung durch die Streichung der Verfahrensansprüche 10 bis 19 und der Erzeugnisansprüche 20 und 21 sowie durch die Aufnahme des Anspruchs 3 in den Anspruch 1 (und der daraus resultierenden Streichung des Anspruchs 2).

Diese Änderungen bringen keine neuen Tatsachen ein, die eine Verlagerung der Diskussion des Erfindungsgegen standes in eine andere Richtung erforderlich gemacht hätten. Zum einen vereinfachen die Streichungen den Sachverhalt und zum anderen kann eine Einschränkung durch Kombination zweier erteilter Ansprüche für die Beschwerdeführerin nicht überraschend sein, da von ihr das Patent im gesamten erteilten Umfang, und damit auch im Umfang des Anspruchs 3, angegriffen worden war.

Die Kammer macht daher von der Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern Gebrauch und lässt den Hilfsantrag 3 zum Verfahren zu.

3. Neuheit

Mangelnde Neuheit unter Artikel 100 a) EPÜ wurde von der Einsprechenden/Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht und ist daher kein Diskussionsgegenstand (G 9/91, ABl. EPA 1993, 408; G 7/95, ABl. EPA 1996, 626).

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Der Patentgegenstand

Das Patent befasst sich mit der Umrötung von Fleisch/ Wurstmassen mittels einer Umrötungsmischung, die sich im Wesentlichen aus einem nitrathaltigen pflanzlichen Produkt und nitratreduzierenden Mikroorganismen zusammensetzt (Patentschrift, Absatz [0001]). Insbesondere wird angestrebt, den Zusatz von "künstlichem", anorganischen Nitrat zu vermeiden und dafür den natürlichen Nitratgehalt von pflanzlichen Produkten unter Einhaltung lebensmittelrechtlicher Bestimmungen für die Umrötung auszunutzen (Absatz [0003]).

Gemäß Anspruch 1 in der erteilten Fassung und in der Fassung des Hilfsantrags 1 wird eine Umrötungsmischung zur Verfügung gestellt, die aus einem getrockneten lebensmitteltauglichen nitratreduzierenden Mikro organismus und einem getrockneten nitrathaltigen Gemüseerzeugnis zusammengesetzt ist. Gemäß Anspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge 2 und 3 sind spezielle Mikroorganismen definiert.

Bei den Mikroorganismen handelt es sich um in der Lebensmitteltechnologie eingeführte handelsübliche Mikroorganismen (Patentschrift, Absätze [0009] und [0011]).

Anspruchsgemäß sind folgende Mengenangaben definiert:

Mikroorganismen: 1 x 10**(8) bis 5 x 10**(10) Zellen pro kg Fleisch- oder Wurstmasse;

Getrocknetes Gemüseerzeugnis: Entsprechend 10 bis 2000 g Frischgewicht, bezogen auf 1 kg Fleisch- oder Wurstmasse, mit einem natürlichen Nitratgehalt von 100 bis 5000 mg pro kg Frischgewicht.

Da sich diese Mengenangaben nicht unmittelbar die Zusammensetzung der beanspruchte Umrötungsmischung beziehen, müssen sie als Dosierungsanleitung verstanden werden, indem sie die Mengenbereiche an Mikroorganismen und getrocknetem Gemüseerzeugnis angeben, die jeweils einem kg der zu umrötenden Fleisch- oder Wurstmasse zuzusetzen sind. Dies wird durch die Aussage der Beschwerdegegnerin gestützt, dass die beanspruchte Umrötungsmischung nicht nur als Gemisch von Mikroorganismen und Gemüseerzeugnis vorliegen kann, sondern bevorzugt als 2-Komponenten-Kit in den Handel kommt, der eine getrennte Dosierung zulässt.

4.2 Der nächstliegende Stand der Technik

Die Kammer betrachtet D3 als den nächstliegenden Stand der Technik. Darin wird die Umrötung von Fleisch- und Wurstmassen mit Hilfe von anorganischem Nitrat/ Nitritsalz und extern zugesetzten nitratreduzierenden Mikroorganismen beschrieben. Der Mikroorganismus entstammt der Gattung der für die Zwecke der Umrötung handelsüblichen Micrococcen, insbesondere Micrococcus sp. NRRL-B-8048, welcher - wie sich aus dem Test 4 (Spalte 9) berechnen lässt - in einer im beanspruchten Bereich liegenden Menge von 3,4 x 10**(10) Zellen pro kg Wurstmasse eingesetzt wird. Der Mikroorganismus kommt als entwässertes, rehydrierbares Konzentrat zum Einsatz (Spalte 6, Zeilen 60 bis 68). Als Nitrat werden pro kg Fleisch 634 mg Natriumnitrat (entsprechend 462 mg NO3**(-)) eingesetzt (Mengenangabe im Beispiel 1 von D3: 1,44 g NaNO3 für 2270g Fleisch), was ebenfalls im beanspruchten Bereich liegt.

Das System Micrococcus NRRL-B8048/anorganisches Nitrat gemäß D3 ist dabei - entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin - nicht nur für Salami, sondern auch für - patentgemäß bevorzugt umzurötende - Brühwürste (z.B. Frankfurter) mit kurzer Fermentierzeit von 4 Stunden oder weniger geeignet (Spalte 3, Zeilen 38 bis 50). Somit stellt D3 in der Tat den geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar.

4.3 Erfinderische Tätigkeit der Umrötungsmischung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags und Hilfsantrags 1

Die beanspruchte Umrötungsmischung unterscheidet sich von D3 im Wesentlichen dadurch, dass das entwässerte Konzentrat des Mikroorganismus in Trockenform und anstelle des anorganischen Nitrats ein nitrathaltiges Gemüseerzeugnis als Trockenprodukt eingesetzt werden.

4.3.1 Aufgabe

Die objektiv gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zu lösende Aufgabe sieht die Kammer darin, eine Umrötungsmischung auf Basis handelsüblicher nitratreduzierender Mikroorganismen und einer alternativen Nitratquelle bereitzustellen.

Gelöst wird diese Aufgabe durch die Verwendung einer "natürlichen" Nitratquelle aus getrockneten Gemüseerzeugnissen.

4.3.2 Naheliegen

Der Einsatz eines getrockneten Gemüseprodukts als Nitratquelle für die Umrötung von Fleisch war aus D2/D2a bereits bekannt. Darin wird beschrieben, dass die Aufnahme von Nitrat (und Nitrit) durch pflanzliche Organismen allgemein bekannt und daher die Anwesenheit von Nitrat/Nitrit in Pflanzensäften zu erwarten ist (Seite 5, 1. Absatz unter Punkt 2 der englischen Übersetzung D2a).

Im Zuge der Untersuchung des Nitratgehalts in verschiedenen Pflanzensäften wird im folgenden Absatz festgestellt, dass Rettichsaft den höchsten und Zwiebelsaft den niedrigsten Nitratgehalt aufweist und ein direkt proportionaler Zusammenhang zwischen der Intensität der Farbentwicklung bei Fleisch und der Höhe des Nitratgehalts im pflanzlichen Produkt hergestellt. Laut Figur 2 im japanischen Originaldokument D2 übertrifft die Farbintensität einer mit Rettichsaft (höchster Nitrat gehalt) umröteten Wurstmasse sogar die durch Zugabe von Kaliumnitrat (KNO3) erzielte Farbintensität.

Die in Tabelle 1 von D2 aufgelisteten Nitratgehalte einiger Pflanzensäfte (in ppm) mit dem höchsten Wert von 2147 ppm für Rettich und dem niedrigsten Wert von 142 ppm für Zwiebel entsprechen 2147 mg und 147 mg, bezogen auf 1 kg Saft, so dass diese Grenzwerte einen Bereich vorgeben, der im beanspruchten Bereich von 100 bis 5000 mg pro kg Frischgewicht liegt.

Im vierten Absatz unter Punkt 2 von D2a wird die Schlussfolgerung gezogen, dass der Mechanismus der Farbentwicklung bei Verwendung von Nitrat im Pflanzensaft dem Reifungsprozess von Fleisch unter Zugabe nur von Nitrat sehr ähnlich ist. Daraus konnte der Fachmann ohne weiteres ableiten, dass das Nitrat in anorganischer Form - wie in D3 beschrieben - dem in Pflanzen eingebetteten Nitrat gemäß D2/D2a hinsichtlich der Wirksamkeit bei der Umrötung von Fleisch/Wurstmassen äquivalent ist.

Der Ersatz von anorganischem Nitrat durch pflanzliches Nitrat war daher durch Kombination von D3 mit D2/D2a nahegelegt. Nach Vergleich der aus D3 (Beispiel 1, Test 4) errechenbaren Nitratmenge pro kg Fleisch und der in Tabelle 1 von D2 angegebenen Nitratmengen in verschiedenen Pflanzensorten würde der Fachmann Mengen an Gemüseerzeugnis einsetzen, die einem gemäß D3 äquivalenten Nitratgehalt entsprechen, und die im beanspruchten Bereich liegen, da er erwarten konnte, dass damit eine wirksame Umrötung gewährleist ist.

Gemäß D2a (Seite 2, Punkt 1 "(3) Autoclaved juice") können die Pflanzensäfte prinzipiell auch in gefriergetrockneter Form eingesetzt werden. Ferner sind gemäß der Patentschrift, Absatz [0025] gefrier getrocknete nitratreduzierende Mikroorganismen handelsüblich. Der Fachmann war somit ohne erfinderisches Zutun in der Lage, sowohl das Gemüseerzeugnis, als auch den Mikroorganismus als Trockenprodukt anzuwenden, zumal diese Anwendungsform gewichtssparend ist und die Lagerfähigkeit des Produkts erhöht und im Übrigen kein besonderer unerwarteter Effekt durch diese Maßnahme nachgewiesen wurde.

Die Umrötungsmischung gemäß erteiltem Anspruch 1 (Hauptantrag) und identischem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4.4 Erfinderische Tätigkeit der Umrötungsmischung gemäß Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3

Im Unterschied zum Hauptantrag und Hilfsantrag 1 ist der Einsatz des nitratreduzierenden Mikroorganismus auf einen Stamm der Spezies S. carnosus, S. xylosus, S. equorum oder Kocuria varians eingeschränkt.

Da die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen hat, dass die Verwendung der Spezies S. carnosus, S. xylosus, S. equorum und Kocuria varians in Verbindung mit Nitrat aus Gemüseerzeugnissen unerwartete und/oder vorteilhafte Auswirkungen hat, ist die in den Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 2 und 3 vorgenommene Einschränkung nicht geeignet, die für den Hauptantrag und den Hilfsantrag 1 geltenden Einwände hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit zu entkräften.

Zudem wird in den Absätzen [0009] und [0011] der Patentschrift ausgeführt, dass es sich bei allen Mikroorganismen und insbesondere auch bei den vorstehend genannten (siehe [0011]) um handelsübliche, für die Umrötung von Fleischwaren bewährte Mikroorganismen handelt. Die Verwendung solcher handelsüblicher Mikroorganismen, wie sie jetzt in Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 definiert sind, war daher für den Fachmann naheliegend.

5. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 3 auf Grund mangelnder erfinderischer Tätigkeit der beanspruchten Umrötungsmischung nicht gewährbar sind.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Europäische Patent 1 162 893 wird widerrufen.

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