European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2010:T039608.20100504 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 04 Mai 2010 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0396/08 | ||||||||
Anmeldenummer: | 02764705.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B23G 7/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Gewindeformer oder -bohrer | ||||||||
Name des Anmelders: | Fette GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | OSG Corporation | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulassung neuen Vorbringens - nein Neuheit - ja Erfinderische Tätigkeit - ja |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 17. Juli 2002 unter Inanspruchnahme einer europäischen Priorität vom 25. Juli 2001 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 02764705.6 wurde das europäische Patent Nr. 1 409 185 mit 13 Ansprüchen erteilt.
II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) EPÜ, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.
Mit ihrer am 10. Dezember 2007 zur Post gegebenen Entscheidung hielt die Einspruchsabteilung das europäische Patent in eingeschränktem Umfang mit 7 Ansprüchen nach dem neuen Hauptantrag aufrecht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Der aufrecht erhaltene Anspruch 1 lautet:
"Gewindeformer oder -bohrer mit einem Schaft, der an einem Ende einen Einspannabschnitt und am anderen Ende einen Form- oder Schneidprofilabschnitt aufweist, wobei der Form- oder Schneidprofilabschnitt als separates Profilelement(20, 40) ausgebildet ist, und mittels einer Befestigungsvorrichtung zentrisch und unverdrehbar am Schaft (10) befestigbar ist, wobei das Profilelement (20, 40) nur eine geringe axiale Länge und einen Einlauf- bzw. Anschnittkegel aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß am Ende des Schaftes (10) Rippen (24) und auf der dem Schaft (10) zugekehrten Seite des plattenförmigen Profilelements (20) zu den Rippen (24) komplementäre Nuten (18) geformt sind, die formschlüssig ineinandergreifen, daß eine automatische Zentrierung des Profilelements (20) am Schaft (10) erfolgt, wenn das Profilelement (20) am Schaft (10) angesetzt wird, wobei die Rippen (24) und Nuten (18) seitlich zur Achse des Schaftes (10) bzw. des Profilelements (20) geneigte Fläche aufweisen, die zum Zweck der Drehmomentübertragung in Eingriff stehen und die Rippen (24) und die Nuten (18) kreuzweise radial so angeordnet sind, daß der Mittelpunkt des Kreuzes auf der Achse des Schaftes (10) bzw. des Profilelements (20) liegt, wobei der Schaft (10) aus einem bezüglich Biegung und Torsion hoch beanspruchbaren Material, insbesondere aus Stahl und das Profilelement (20, 40) aus einem geeigneten Hartstoff besteht."
III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 19. Februar 2008 Beschwerde ein und bezahlte am gleichen Tag die Beschwerdegebühr.
Mit ihrer am 18. April 2008 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Beschwerdebegründung verfolgte sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents weiter.
IV. Die Beschwerdekammer teilte in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mit, wonach die Entscheidung der Einspruchsabteilung im Hinblick auf vorgenommene Änderungen des Patents sowie die Neuheit des Patentsgegenstands nicht zu beanstanden sei. Insbesondere werde die erfinderische Tätigkeit zu diskutieren sein.
V. Am 4. Mai 2010 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der folgende Entgegenhaltungen eine Rolle spielten:
E1: DE-A-35 37 087
E2: DE-A-19 50 718
E3: WO-A-98/19 813
E7: JP-U-62-127 729
E9: US-A-6 146 060.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 409 185.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Die Beschwerdeführerin brachte vor, der Patentanspruch müsse breit ausgelegt werden, da er eine Reihe von Unklarheiten enthalte. So sei weder über die Gestalt und Dimensionierung der Nuten und Rippen noch über das Hartstoffmaterial etwas ausgesagt, so dass keine Rückschlüsse auf die behaupteten vorteilhaften Eigenschaften der beanspruchten Lösung möglich seien.
Gehe man einem Gewindeformer oder -bohrer aus, wie sie aus E1 oder E7 bekannt seien, dann bleibe als einziger Unterschied, dass die verdrehfeste Verbindung nicht durch einen unrunden Konus, sondern durch Nuten in Verbindung mit Rippen bewirkt werde. Eine entsprechende drehfeste hohe Drehmomente übertragende und leicht lösbare Verbindung bei einem Schneidwerkzeug sei aus E3 bekannt. Bei diesem Stand der Technik würde der Fachmann die allgemeine Lehre betrachten und sein Hauptaugenmerk nicht im Detail auf die Anordnung der Nuten am Schaft und der Rippen am Schneidwerkzeug legen, da die umgekehrte Lösung genauso funktioniere, zumal beim dort zugrundeliegenden Stand der Technik nach D2 gerade diese umgekehrte Anordnung gleichermaßen in Frage komme. Somit gelange er allein durch fachmännische Betrachtungsweise des Standes der Technik und ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Eine ebenfalls naheliegende Lösung werde durch E9 aufgezeigt, die eine kreuzweise Anordnung von gegenüberliegenden Nuten und Rippen offenbare. Diese in Fig. 2A bis 2C gezeigte für diesen Zweck geeignete Verbindung eines Schneidwerkzeugs mit einem Schaft würde der Fachmann beim Streben nach einer sicheren, hohe Drehmomente übertragenden und leicht lösbaren Verbindung ebenso bei einem aus E1 oder E7 bekannten Gewindeformer oder -bohrer anwenden und so die beanspruchte Lösung ohne erfinderische Leistung erhalten.
VII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei die von der Kammer und der Beschwerdeführerin angenommene Aufgabe - eine verdrehsichere, leicht lösbare und hohe Drehmomente übertragende Verbindung herzustellen - noch durch den Aspekt der Materialeinsparung zu ergänzen. Die aus E1 oder E7 bekannten Lösungen ließen sich nicht ohne weiteres auf die Erfindung übertragen, da durch die konischen Kontaktflächen zu hohe Sprengkräfte auf die jeweiligen Profilelemente wirkten. Die aus E3 bekannte Anordnung sei ungeeignet, da bei der Anformung einer Rippe am spröden Hartstoff Bruchgefahr bestehe, was bei einer Nut vermieden werde. Dagegen könne die Rippe am Ende des Stahlschaftes die Kräfte wesentlich besser aufnehmen, weil dieses Material nicht spröde sei. Im übrigen gehe es dort nur um die Verbesserung der Rippenform.
Auch D9 könne nicht zur Erfindung anregen, weil dieses Dokument einerseits keinen Gewindeformer oder -bohrer betreffe und andererseits keine kreuzförmige Anordnung von Nuten und Rippen offenbare. Es gehe dort lediglich um die Verbindung in verschiedenen Winkelpositionen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen (Art. 123 EPÜ)
Gegen die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen des Anspruchs 1 wurden in der Beschwerdebegründung keine Einwände vorgebracht. Die in der mündlichen Verhandlung seitens der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage eines Mangels der ursprünglichen Offenbarung wurde in Ausübung des der Kammer in Artikel 13 (1) VOBK eingeräumten Ermessens nicht zugelassen und berücksichtigt, da der Einwand erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht wurde und der behauptete Mangel prima facie nicht erkennbar ist.
3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)
Die Neuheit war zwischen den Parteien nicht strittig. Die Kammer kommt bei der Beurteilung der Neuheit zum gleichen Ergebnis wie die Einspruchsabteilung.
4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
4.1 E3 und E7 offenbaren jeweils einen Gewindeformer oder -bohrer mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Bei der Ausführung nach E3 erfolgt infolge des konischen Profilquerschnitts die Kraftübertragung durch Form- und Reibschluss während in E7 nur ein konischer Sitz erkennbar ist, so dass dort die Kraft nur durch Reibschluss übertragen wird. Als nächstkommender Stand der Technik wird daher E3 angenommen.
Weiterhin offenbart E3 direkt das Merkmal, dass eine automatische Zentrierung des Profilelements am Schaft erfolgt, wenn das Profilelement am Schaft angesetzt wird, sowie implizit die Merkmale, dass der Schaft aus einem bezüglich Biegung und Torsion hoch beanspruchbaren Material und das Profilelement aus einem geeigneten Hartstoff besteht.
4.2 Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom bekannten Gegenstand dadurch, dass am Ende des Schaftes Rippen und auf der dem Schaft zugekehrten Seite des Profilelements zu den Rippen komplementäre Nuten geformt sind, die formschlüssig ineinandergreifen, wobei die Rippen und Nuten geneigte Flächen aufweisen, die zur Drehmomentübertragung in Eingriff stehen und die Rippen und die Nuten kreuzweise radial so angeordnet sind, dass der Mittelpunkt des Kreuzes auf der Achse des Schaftes bzw. des Profilelements liegt.
4.3 Da auch beim Gewindeformer nach D1 das Formteil relativ geringe Abmessungen hat, ist hiervon ausgehend die ursprüngliche Aufgabe überholt, einen Gewindeformer oder -bohrer zu schaffen, der mit einem geringen Aufwand an Material und Fertigung hergestellt werden kann. Als objektive Aufgabe bleibt, zwischen dem Einspannabschnitt (Schaft) und dem Profilelement eine verdrehsichere, leicht lösbare Verbindung herzustellen, mit der das erforderliche Drehmoment sicher übertragen werden kann.
Zur Lösung dieses technischen Problems schlägt die Erfindung einen Gewindeformer oder -bohrer mit den Merkmalen des Anspruchs 1 vor.
4.4 Aus E3 ist ein Werkzeug für spanende Bearbeitung bekannt, bestehend aus einem Werkzeugkörper und einer aufsetzbaren Werkzeugspitze aus einem härteren Material. Die Verbindung zwischen Werkzeugkörper und Schneidspitze erfolgt durch am Werkzeugkörper angeformte Nuten und an der Werkzeugspitze angeformte, zu den Nuten komplementäre Rippen, die formschlüssig ineinandergreifen, wobei die Rippen und Nuten geneigte Flächen aufweisen, die zur Drehmomentübertragung in Eingriff stehen und die Rippen und die Nuten kreuzweise radial so angeordnet sind, dass der Mittelpunkt des Kreuzes auf der Achse des Werkzeugs liegt.
4.5 Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, der Fachmann würde diese Anordnung im Rahmen seines allgemeinen Fachwissens so verstehen, dass eine solche Befestigung mit Drehmomentübertragung gleich wirkend mit der Anordnung der Rippen am Werkzeugkörper und der Nut an der Werkzeugspitze sein könne und entsprechend auf einen Gewindeformer oder -bohrer gemäß E1 anwenden. Aus dem in E3 beschriebenen Stand der Technik nach E2 (Figuren 5 bis 7) sei diese umgekehrte Anordnung ja bereits bekannt. Die Tatsache, dass der Erfinder des Werkzeugs nach E3 die im Vergleich zu E2 umgekehrte Anordnung gewählt hat weist jedoch darauf hin, dass das durchaus eine Sinn ergibt. Der Druckschrift E3 selbst ist hierzu nichts entnehmbar. Möglicherweise war die Anformung der gekrümmten Seitenflächen der Rippen an der Werkzeugspitze, z.B. beim Sintern einfacher zu bewerkstelligen. Zumindest erscheint es einfacher, in die Stirnfläche des Werkzeugkörpers Nuten einzufräsen, als Rippen mit einer bestimmten Kontur stehen zu lassen. Jedenfalls würde der Fachmann bei der Betrachtung der Lehre von E3 nicht auf die Lösung nach E2 zurückgehen, weil diese ja gerade verbessert werden soll. Aus diesem Grund ist es für den Fachmann nicht naheliegend, die bekannte Rippen-Nuten-Anordnung umzukehren und auf den Gegenstand von E1 anwenden.
4.6 Als weiteren zur Erfindung führenden Stand der Technik bezog sich die Beschwerdeführerin noch auf E9. Dieses Dokument offenbart u.a. ein Werkzeug, bestehend aus einem Werkzeugschaft 11 und einem Schneidkopf 12, wobei an der Stirnfläche sich kreuzende, mit Rippen abwechselnde Nuten vorgesehen sind und an der komplementären Schneidkopffläche pyramidenförmige Erhebungen in einem waffelartigen Muster vorgesehen sind (Figuren 2A bis 2C). Die Nuten am Schaft bilden jedoch keine kreuzweise Anordnung, bei der der Mittelpunkt des Kreuzes auf der Achse des Schaftes liegt. Vielmehr fehlt genau an der Schnittlinie 2F-IIF, welche das Kreuz vervollständigen würde, eine Nut. In der entsprechenden Gegenfläche des Schneidkopfes kann man sich zwar eine kreuzförmige Nutanordnung vorstellen. Diese ist jedoch nicht auf den ersten Blick erkennbar und beruht eher auf einer rückschauenden Betrachtung in Kenntnis der Erfindung, da die Fläche am Schaftende gerade nicht die Kreuzform mit Mittelpunkt auf der Achse zeigt. Jedenfalls offenbart E9 nur einen Gegenstand mit Rippen und Nuten in jeder der beiden Kontaktflächen und nicht Rippen auf der einen Fläche und Nuten in der Gegenfläche, wie es das Patent vorschlägt.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher durch den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht nahegelegt und gilt deshalb als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend. Das Patent wurde in der zuletzt beanspruchten Form zu Recht aufrecht erhalten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.