T 0376/08 () of 11.7.2011

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2011:T037608.20110711
Datum der Entscheidung: 11 Juli 2011
Aktenzeichen: T 0376/08
Anmeldenummer: 00962340.6
IPC-Klasse: G01N 21/55
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR BESTIMMUNG VON SUBSTANZEN MITTELS DER EVANESZENZFELDMETHODE
Name des Anmelders: Stiftung für Diagnostische Forschung
Leuze electronic GmbH + Co .KG
Name des Einsprechenden: Bayer HealthCare AG(DE)/Bayer Technology Services
GmbH(DE)/Bayer HealthCare LLC(US)
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention R 80 (2007)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) richten ihre Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 20. Dezember 2007 über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents 1 204 856 in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags.

Die Beschwerdegebühr wurde am 19. Februar 2008 bezahlt. Die Beschwerdebegründung ging am 18. April 2008 ein.

II. Mit dem Einspruch war das Patent gemäß den in Artikel 100 (a) EPÜ 1973 aufgeführten Einspruchsgründen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden. Zum Beleg dafür wurden in der Einspruchsschrift inter alia folgende Druckschriften genannt:

D2: EP-A-0 671 622

D12: WO98/02732

III. Mit Schreiben vom 18. April 2008 wurde die Beschwerde mit den Voraussetzungen des Art. 100(a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit, Art. 56 EPÜ), Art. 100(c) EPÜ (unzulässige Erweiterung, Art. 123(2) und (3) EPÜ) und einem Verstoß gegen Regel 80 EPÜ begründet. In der Beschwerdebegründung wurden zum Beleg des Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit die folgenden weiteren Druckschriften genannt:

D21: WO95/02703

D22: WO93/07466

D23: US-A-4 461 829.

Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Weiter beantragten sie hilfsweise eine mündliche Verhandlung.

IV. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 beantragten die Patentinhaberinnen (Beschwerdegegnerinnen), die Beschwerde zurückzuweisen. Außerdem beantragten sie hilfsweise eine mündliche Verhandlung.

V. In einer Mitteilung nach Regel 100(2) EPÜ vom 28. Dezember 2009 äußerte die Beschwerdekammer bezüglich der Ansprüche 1 und 22 Zweifel an der Erfüllung der formellen Anforderungen der Artikel 123(2) und (3) EPÜ und forderte die Beteiligten auf, dazu zunächst schriftlich Stellung zu nehmen.

VI. Daraufhin beantragten die Beschwerdeführerinnen mit einem am 22. April 2010 eingegangenen Schreiben, die Beschwerde nach Aktenlage zu entscheiden.

VII. In einem Schreiben vom 1. Juli 2010 beantragten die Beschwerdegegnerinnen die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung gewährten Fassung (Hauptantrag) oder in der diesem Schreiben beigefügten Fassung (Hilfsantrag).

VIII. Sodann lud die Kammer mit einem Ladungsbescheid vom 30. Juli 2010 die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung, in welcher die Frage der Zulässigkeit der Ansprüche 1 und 22 des Hauptantrags bzw. Anspruch 1 des Hilfsantrags zu diskutieren sei.

IX. Die Beschwerdeführerinnen teilten darauf mit Schreiben vom 24. August 2010 mit, dass eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht erfolgen werde.

X. Während der mündlichen Verhandlung am 30. November 2010 beantragten die Beschwerdegegnerinnen, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent auf der Grundlage von Ansprüchen 1 - 23 des Hauptantrags und einzigen Antrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.

Am Ende der mündlichen Verhandlung erklärte der Vorsitzende die sachliche Debatte zu den in der Verhandlung erörterten Fragen für beendet und erklärte weiter, dass das Verfahren auf der Grundlage des in der Verhandlung überreichten Hauptantrags schriftlich fortgesetzt werde.

XI. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2010 reichten die Beschwerdegegnerinnen neue Seiten 2, 3, 7 und 12 bis 14 der veröffentlichten Patentschrift mit handschriftlichen Änderungen ein, wobei die Beschreibung an die in der mündlichen Verhandlung geänderten Ansprüche angepasst worden und der im Einspruchsverfahren als relevant erachtete Stand der Technik zitiert worden war. Sie beantragten die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage dieser Unterlagen.

XII. Schließlich lud die Kammer mit einem am 20. Dezember 2010 erlassenen Bescheid die Beteiligten ein, sich ggf. zur Frage der Patentierbarkeit, insbesondere der erfinderischen Tätigkeit der Ansprüche des vorliegenden Hauptantrags zu äußern. Die Kammer stellte fest:

a) Zur Frage der Patentierbarkeit, insbesondere der erfinderischen Tätigkeit, haben die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) in ihrem Schreiben vom 18. April 2008 Stellung genommen. Die Beschwerdegegnerinnen haben mit einem am 12. November 2008 eingereichten Schriftsatz ihre Auffassung dargelegt.

b) In dem Schreiben vom 18. April 2008 hatten die Beschwerdeführerinnen hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt. Anschließend hatten sie in ihrer Eingabe vom 19. April 2010 eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt und mit ihrem Schreiben vom 24. August 2010 angekündigt, dass sie an der mündlichen Verhandlung am 30. November 2010 nicht teilnehmen würden.

c) Die Beschwerdegegnerinnen hatten in ihrem Schreiben vom 12. November 2008 ebenfalls hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.

d) Da alle Beteiligten zur Frage der Patentierbarkeit ausführliche schriftliche Stellungnahmen eingereicht haben, hält die Kammer die Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlung für diese Frage nicht für erforderlich. Der Antrag der Beschwerdeführerinnen auf mündliche Verhandlung wird im Hinblick auf ihre Schreiben vom 19. April 2010 und 24. August 2010 als erledigt angesehen.

Den Beteiligten wurde eine Frist von zwei Monaten nach Erhalt dieser Mitteilung für Äußerungen eingeräumt. Schließlich kündigte die Kammer ihre Absicht an, nach Ablauf dieser Frist im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.

XIII. Auf diesen Bescheid haben die Beteiligten sich inhaltlich nicht geäußert.

XIV. Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Verfahren zur Bestimmung von Substanzen, umfassend die Schritte

- Bereitstellen einer Oberfläche, welche mindestens einen lyophilisierten Reaktionspartner R**(1) an der Oberfläche einer Küvette oder Mikrotiterplatte gebunden umfaßt,

- Kontaktieren der Oberfläche mit einer Lösung, welche mindestens die zu bestimmende Substanz, mindestens eine Fluorophor-haltige Verbindung und mindestens einen Farbstoff umfaßt,

worin sich an dem Reaktionspartner R**(1) auf der Oberfläche ein Komplex ausbildet und worin dieser Komplex neben dem Reaktionspartner R**(1) mindestens die zu bestimmenden Substanz und die mindestens eine Fluorophor-haltige Verbindung umfaßt, und

- Anregen des auf der Oberfläche gebundenen Fluorophors durch das Evaneszenzfeld einer Lichtquelle und Messen der erzeugten Fluoreszenz, wobei der Farbstoff im Absorptions- und Emissionsbereich des Fluorophors absorbiert, und wobei das Kontaktieren dadurch erfolgt, daß die zu bestimmende Substanz in Lösung in die Küvette oder Mikrotiterplatte zugegeben wird, und der mindestens eine Farbstoff und die Fluorophor-haltige Verbindung lyophilisiert in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorliegen".

Die Ansprüche 2 bis 23 sind abhängige Ansprüche.

XV. Die Argumente der Beschwerdeführerinnen in ihrer Beschwerdebegründung vom 18. April 2008 lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) wird folgendermaßen begründet: Im Beschluss der Einspruchsabteilung wurde festgestellt, dass aus der Druckschrift D2 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 bekannt sind, mit Ausnahme des Merkmals, dass

der Reaktionspartner R**(1),

mindestens ein Farbstoff und

eine Fluorophor-haltige Verbindung

lyophilisiert in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorliegen.

Dieses Merkmal ist jedoch ebenfalls aus dem Stand der Technik bekannt. Die Gefriertrocknung oder Lyophilisation oder Sublimationstrocknung ist die Trocknung von Stoffen in gefrorenem Zustand. Der so getrocknete Stoff ist das Lyophilisat. Insbesondere offenbart die Druckschrift D2 bezüglich des Reaktionspartners R**(1) bereits, dass die Reaktionspartner R**(1) in Form von Antikörpern (antibody 3, Fig. 1) an den Wellenleiter gebunden sind. Folglich liegt dieser Antikörper (3) aus dem Dokument D2 als Lyophilisat vor. Auch offenbart die D2, dass die Farbstoffe Blue 50p und Cyanogen 1P wasserlöslich sind (Sp. 19, Z. 33-51 und Sp. 20, Z. 20-30). Ferner werden Kohlenstoffpartikel als geeignete Farbstoffe in der D2 genannt. Diese liegen bekanntlich als Feststoffe vor. Ein Lyophilisat ist ein Feststoff. Der Fachmann bekommt hier also bereits den Hinweis, dass er festförmige Stoffe sowie wasserlösliche Farbstoffe verwenden kann. Den Farbstoff in Form eines Feststoffes - Lyophilisats - zu verwenden, stellt somit eine nicht erfinderische Alternative dar. Es ist für den Fachmann naheliegend, einen wasserlöslichen Farbstoff als Lyophilisat einzusetzen, zumal Farbstoffe auch Fluorophor-haltige Verbindungen umfassen, die bekanntermaßen, wie nachstehend ausgeführt, als Lyophilisat verwendet werden. Zu solchen Fluorophor-haltigen Verbindungen offenbart die D2 die Verwendung wenigstens einer solchen Verbindung (siehe die Fig. 1).

Weiter offenbart das Dokument D12 bereits die Verwendung lyophilisierter Antikörper auf Gefäßwänden, d.h. auf der reaktiven Oberfläche; siehe S. 28, Z. 6-11.

Das Dokument D21 offenbart auf den S. 3 bis 5 zahlreiche Lyophilisate, umfassend:

Reaktionspartner R**(1),

Fluorophor-haltige Verbindung.

Das Dokument D22 offenbart auf der S. 3, Z. 31 bis 35; S. 4, Z. 1 bis 9; S. 12, Z. 1 bis 18; und S. 14, Z. 17 bis 20 Lyophilisate, umfassend Komponenten wie:

Reaktionspartner R**(1),

Fluorophor-haltige Verbindung.

Schließlich offenbart das Dokument D23 ein Lyophilisat (Anspruch 8), umfassend:

Reaktionspartner R**(1),

Fluorophor-haltige Verbindung.

Es ist daher für den Fachmann auf diesem Gebiet üblich, die Komponenten für einen spezifischen Bindungstest in Form eines Lyophilisats einzusetzen. Das betreffende Merkmal stellt daher in Kenntnis der Druckschrift D2 in Kombination mit einem der Dokumente D12, D21, D22 und/oder D23 eine nicht erfinderische Alternative da. Somit beruht der Anspruch 1 in der aufrechterhaltenen Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dies trifft ebenso auf die Unteransprüche zu.Der Anspruch 5 weist gegenüber der erteilten Fassung das Merkmal auf: "...wobei die weitere Verbindung gegebenenfalls lyophilisiert in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorliegt". Die Aufnahme dieses Merkmals ist nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst. Somit liegt ein Verstoß gegen Regel 80 EPÜ vor.

Schließlich wurde im Anspruch 22 im von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Anspruchssatz das Merkmal "...und mindestens eine Lösung nach Anspruch 22" gestrichen. Es fehlt jegliche Offenbarung im Streitpatent für ein Kit ohne Lösung gemäß dem ursprünglich erteilten und gestrichenen Anspruch 22. Folglich liegt eine unzulässige Erweiterung nach Art. 123(2) EPÜ vor. Außerdem ist der Schutzumfang des Anspruchs 22 unzulässig erweitert, da dieser nunmehr ein Kit unter Schutz stellt, das nicht zwingend ein Lösungsmittel aufweist. Folglich liegt auch eine unzulässige Erweiterung nach Art. 123(3) EPÜ vor.

Im Ergebnis basiert der Gegenstand der Ansprüche des Streitpatents gemäß der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, und es liegt ein Verstoß gegen Artikel 123 EPÜ sowie ein Verstoß gegen Regel 80 EPÜ vor. Das Streitpatent ist deshalb in vollem Umfang zu widerrufen.

XVI. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

In der Mitteilung vom 28. Dezember 2009 hatte die Beschwerdekammer Bedenken gemäß Art. 123(2) und (3) EPÜ gegen die Formulierung des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Anspruchs 1 geäußert. Der Anspruch wurde deshalb neu formuliert. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der im vorliegenden Anspruch 1 genannte mindestens eine lyophilisierte Farbstoff und die lyophilisierte Fluorophor-haltige Verbindung nach Zugabe der die zu bestimmende Substanz enthaltenden Lösung in diese Lösung übergehen. Somit wird erfindungsgemäß die Oberfläche, in Übereinstimmung mit dem vorliegenden Anspruch 1, mit einer Lösung kontaktiert, welche mindestens die zu bestimmende Substanz, mindestens eine Fluorophor-haltige Verbindung und mindestens einen Farbstoff umfaßt. Die Tatsache, dass nach Zugabe der die zu bestimmende Substanz enthaltenden Lösung die lyophilisierten Bestandteile in Lösung gehen, und demgemäß die Lösung in der Küvette neben der zu bestimmenden Substanz auch mindestens eine Fluorophor-haltige Verbindung und mindestens einen Farbstoff enthält, ist für den Fachmann selbstverständlich. Diese Lösung kontaktiert dann erfindungsgemäß die Oberfläche der Küvette oder Mikrotiterplatte. Somit ist Anspruch 1 eindeutig von der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt, z.B. auf S. 15, Z. 4-9.

Zum Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurde die Druckschrift D2 als der nächstgelegene Stand der Technik angesehen. Diese Druckschrift beschreibt ein Verfahren zur Bestimmung von Substanzen, bei dem ein Ligand gebunden an der Oberfläche eines optischen Lichtwellenleiters vorliegt. Die D2 beschreibt nicht ein Verfahren, bei dem ein oberflächengebundenes Fluorophor in herkömmlichen Küvetten oder Mikrotiterplatten angeregt und detektiert werden kann, oder bei dem die notwendigen Reagenzien bereits in lyophilisierter Form in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorliegen. Somit ist die objektive technische Aufgabe, die dem angegriffenen Patent zugrunde liegt, die Bereitstellung eines Verfahrens zur Bestimmung von Substanzen, bei dem ein oberflächengebundenes Fluorophor mit Hilfe von evaneszentem Licht in herkömmlichen, billigen und leicht herstellbaren Küvetten oder Mikrotiterplatten angeregt und detektiert werden kann, und bei dem die notwendigen Reagenzien bereits in lyophilisierter Form in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorliegen, so dass nur die gelöste, zu detektierende Substanz zugegeben werden muss. Diese technische Aufgabe wird durch das in Anspruch 1 des angegriffenen Patents definierte Verfahren gelöst.

Im beanspruchten Verfahren wird, im Gegensatz zur Offenbarung der D2, nicht die Oberfläche eines optischen Wellenleiters als Boden des Reaktionsvolumens verwendet, sondern die Oberfläche einer herkömmlichen, billigen und leicht herstellbaren Küvette oder Mikrotiterplatte. Diese Lehre wird dem Fachmann durch Dokument D2 nicht nahegelegt, da sich diese ausschließlich auf einen optischen Lichtwellenleiter bezieht.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen dem Verfahren aus Dokument D2 und dem in Anspruch 1 des angegriffenen Patents definierten Verfahrens ist, dass in letzterem die notwendigen Reagenzien, d.h. der oberflächengebundene Reaktionspartner, mindestens ein Farbstoff und eine Fluorophor-haltige Verbindung bereits in lyophilisierter Form in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorliegen. Dadurch wird eine überraschend einfache Handhabung ermöglicht, da zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens lediglich noch die gelöste zu bestimmende Substanz zugegeben werden muss. So ist das erfindungsgemäße Verfahren weniger zeit- und arbeitsaufwendig als das Verfahren aus Dokument D2, bei dem die jeweiligen Substanzen getrennt in Lösung gebracht und dann kombiniert werden müssen, und kann auch von ungeschultem Personal, z.B. im Rahmen der Routinediagnostik, durchgeführt werden. Darüber hinaus ist die Lagerfähigkeit von lyophilisierten Substanzen im Gegensatz zu in Lösung vorliegenden Substanzen vorteilhafterweise deutlich verlängert. Auch die Möglichkeit, die notwendigen Reagenzien in lyophilisierter Form in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorzulegen, werden einem Fachmann aus Dokument D2 nicht nahegelegt. Die Argumentation der Einsprechenden, der oberflächengebundene Antikörper und der Farbstoff aus Dokument D2 lägen als Lyophilisat vor, kann nicht nachvollzogen werden, da die D2 lyophilisierte Reagenzien weder offenbart noch dem Fachmann nahelegt. Auch mit Hilfe seines allgemeinen Fachwissens würde der Fachmann, ohne rückschauende Betrachtungsweise und ohne erfinderisches Zutun, nicht zu dieser Lösung kommen. In diesem Zusammenhang führen die Einsprechenden in der Beschwerdebegründung die Dokumente D12 und D21 bis D23 an, die angeblich die Verwendung von lyophilisierten Reagenzien offenbaren. Tatsächlich beschreiben die Dokumente D12 und D21 bis D23 einzelne lyophilisierte fluoreszenzmarkierte Antikörper, einzelne lyophilisierte Liganden, einzelne lyophilisierte Rezeptor-Ligand-Komplexe oder Lyophilisate einzelner in einer Matrix eingeschlossener Reagenzien. Allerdings liegt keines der genannten Dokumente auf dem gleichen technischen Gebiet wie das angegriffene Patent, so dass ein Fachmann keinerlei Motivation gehabt hätte, diese Dokumente bei dem Versuch in Betracht zu ziehen, die technische Aufgabe, die der Erfindung des angegriffenen Patents zugrunde liegt, zu lösen. Des Weiteren definiert Anspruch 1 des angegriffenen Patents, wie auch schon von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung festgestellt wurde (vgl. Abschnitt 3.4, letzter Absatz), den speziellen Fall, dass mehrere verschiedene Stoffe, die verschiedene Aufgaben erfüllen (oberflächengebundener Reaktionspartner, Farbstoff und Fluorophor-haltige Verbindung), lyophilisiert vorliegen, so dass ein Fachmann selbst bei Kenntnis der Dokumente D12 und D21 bis D23 nicht ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des angegriffenen Patents gekommen wäre. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents nicht nur neu, sondern beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dies gilt auch für den Gegenstand der weiteren Ansprüche, die direkt oder indirekt von Anspruch 1 abhängig sind.

Bezüglich des Anspruchs 5 haben die Beschwerdeführerinnen einen angeblichen Verstoß gegen Regel 80 EPÜ bemängelt, da diese Änderung gegenüber der erteilten Fassung des Patents nicht durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sei. Dieser Einwand kann nicht nachvollzogen werden, da im Einspruchsverfahren ein Vorwurf gegen Anspruch 5 wegen angeblich mangelnder erfinderischer Tätigkeit erhoben worden war (vgl. Abschnitte 5.1 und 5.2 der Einspruchsschrift). Die Änderung des Anspruchs 5 gegenüber der erteilten Fassung stand in direktem Zusammenhang mit diesem Vorwurf. Somit sind die Bedingungen der Regel 80 EPÜ erfüllt.

Die Einwände der Beschwerdeführerinnen gemäß Art.123 (2) und (3) EPÜ gegen Anspruch 22 wurden durch Streichung dieses Anspruchs aus der vorliegenden Anspruchsfassung überwunden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1 Anspruch 1

In ihrem Bescheid vom 28. Dezember 2009 hatte die Kammer die Frage der Zulässigkeit der Änderungen im aufrechterhaltenen Anspruch 1 gestellt und die Stützung dieses Anspruchs im vorliegenden Wortlaut durch den Abschnitt 1 auf Seite 15 der ursprünglichen Patentanmeldung angezweifelt. Während der mündlichen Verhandlung am 30. November 2010 haben die Beschwerdegegnerinnen einen neuen Wortlaut des Anspruchs 1 eingereicht. Die Kammer interpretiert diesen Anspruch folgendermaßen, dass die Oberfläche mit einer Lösung kontaktiert wird, und dass diese Lösung vor dem Kontaktieren nur die zu bestimmende Substanz enthält. Nach dem Kontaktieren gehen die Fluorophor-haltige Verbindung und der Farbstoff in Lösung und sind dann Teil dieser Lösung. Dies steht in Einklang mit der vorher zitierten Passage auf Seite 15, Absatz 1 der ursprünglichen Beschreibung und ist daher zulässig nach Artikel 123 EPÜ.

2.2 Anspruch 5

In ihrer Beschwerdebegründung hatten die Beschwerdeführerinnen bemängelt, dass die Änderung des Anspruchs 5 nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst sei und deshalb gegen Regel 80 EPÜ verstoße. Die Beschwerdegegnerinnen hatten dazu ausgeführt, dass Anspruch 1 in der Einspruchsschrift mit dem Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden sei, weshalb die vorgenommene Änderung dieses Anspruchs nicht gemäß Regel 80 EPÜ zu beanstanden sei. Dem stimmt die Kammer zu. Außerdem stellt sie fest, dass die Änderung in diesem Anspruch von Seite 15, Absätzen 1 und 2, der ursprünglichen Offenbarung gestützt ist. Die Änderung des Anspruchs 5 ist deshalb zulässig.

2.3 Die Einwände der Beschwerdeführerinnen gegen Anspruch 22 der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung wurden durch Streichung dieses Anspruchs ausgeräumt.

2.4 Die mit Schreiben vom 10. Dezember 2010 eingereichten angepassten Beschreibungsseiten 2, 3 und 7 sind ebenfalls nicht zu beanstanden.

3. Patentierbarkeit

3.1 Neuheit

Die Neuheit des beanspruchten Verfahrens war von den Beschwerdeführerinnen nicht angezweifelt worden.

3.2 Erfinderische Tätigkeit

3.2.1 Die Beteiligten sind, wie die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung, der Auffassung, dass die Druckschrift D2 als nächstliegender Stand der Technik für Anspruch 1 anzusehen ist. Die Einspruchsabteilung hatte ausgeführt, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem aus D2 bekannten Verfahren dadurch unterscheidet, dass der Reaktionspartner R**(1), mindestens ein Farbstoff und eine Fluorophor-haltige Verbindung lyophilisiert in der Küvette oder Mikrotiterplatte vorliegen. Diese Meinung haben auch die Beschwerdeführerinnen in der Beschwerdebegründung vertreten.

3.2.2 Nach Auffassung der Beschwerdegegnerinnen wird beim Verfahren aus der Druckschrift D2 nicht die Oberfläche einer Küvette oder Mikrotiterplatte, sondern die Oberfläche eines optischen Wellenleiters als Boden des Reaktionsvolumens verwendet.

3.2.3 In diesem Punkt stimmt die Kammer der Einspruchsabteilung zu, die auf Seite 9, Absatz 2 der angefochtenen Entscheidung dargelegt hatte, dass das in den Figuren 1, 6, 7 und 8 der Druckschrift D2 dargestellte Behältnis 2, 12 ("reaction vessel") als eine "Küvette" angesehen werden kann. Zum Beispiel zeigt die Figur 1, dass der optische Wellenleiter Teil des Reaktionsgefäßes 2 ist. Dies wird von der Beschreibung, Spalte 17, Zeilen 50-52 bestätigt ("A reaction vessel 2 is formed unitary body on one side of the slab-type optical waveguide"), weshalb das Reaktionsgefäß 2 als Einheitskörper transparent ist.

3.2.4 Die in Punkt 3.2.1 supra genannten Unterschiede des beanspruchten Verfahrens zur Lehre der D2 lösen die technische Aufgabe, das Verfahren zur Bestimmung von Substanzen oder die Handhabung dieses Verfahrens zu vereinfachen (vgl. Seite 9, vorletzter Absatz der Entscheidung der Einspruchsabteilung). Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist das Einsetzen von Komponenten für einen Bindungstest in Form eines Lyophilisats für den Fachmann üblich und stellt ein solches Einsetzen daher keine erfinderische Alternative da. Dazu haben die Beschwerdeführerinnen die weiteren Druckschriften D12, D21, D22 und D23 genannt.

3.2.5 Den Beschwerdeführerinnen ist zuzustimmen, dass diese Dokumente D12 und D21 bis D23 lyophilisierte Verbindungen offenbaren. Das technische Fachgebiet dieser Druckschriften ist der Nachweis einzelner, z.B. fluoreszierender Verbindungen in Testvorrichtungen, z.B. Assays. Da sowohl die Druckschrift D2 als auch das vorliegende Patent diesem Fachgebiet zuzuordnen ist (siehe [0027] der Patentschrift), kann die Kammer dem Argument der Beschwerdegegnerinnen nicht zustimmen, dass diese Dokumente nicht auf dem gleichen technischen Fachgebiet wie das Patent liegen, weshalb der Fachmann diese bei der Lösung der technischen Aufgabe, das Verfahren aus der D2 zu vereinfachen, nicht herangezogen hätte.

3.3 Allerdings haben die Beschwerdeführerinnen nach Auffassung der Kammer nicht überzeugend darlegen können, weshalb der Fachmann sämtliche in Anspruch 1 definierten Stoffe, nämlich den Reaktionspartner R**(1), den Farbstoff, und die Fluorophor-haltige Verbindung in lyophilisierter Form in der Küvette oder Mikrotiterplatte bereitgestellt hätte, da diese Stoffe im Stand der Technik zwar einzeln in lyophilisierter Form bekannt sind, jedoch nicht zusammen auf der Oberfläche einer Testvorrichtung. Da diese Stoffe unterschiedliche Aufgaben erfüllen (vgl. Seite 11, 2. Absatz der Entscheidung der Einspruchsabteilung) und zusammen mit den weiteren Merkmalen des Anspruchs 1 die technische Aufgabe lösen, das Bestimmungsverfahren zu vereinfachen, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3.3.1 Die Ansprüche 2 bis 23 sind abhängige Ansprüche und erfüllen daher ebenfalls die Bedingungen des Übereinkommens.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche: 1 bis 23, eingereicht in der

mündlichen Verhandlung vom

30. November 2010;

Beschreibung: Seiten 2, 3 und 7, eingegangen am 10.

Dezember 2010;

Seiten 4 bis 6 und 8 bis 12 der Patentschrift;

Zeichnungen: Figuren 1 bis 8 der Patentschrift.

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