T 0274/08 () of 30.9.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T027408.20100930
Datum der Entscheidung: 30 September 2010
Aktenzeichen: T 0274/08
Anmeldenummer: 02780817.9
IPC-Klasse: E21D 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Ermitteln und Bewerten von Abbauverfahren sowie Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens
Name des Anmelders: Sandvik Mining and Construction GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0641/00
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 17. Juli 2007, die Europäische Patentanmeldung No. 02 780 817.9 gemäß Artikel 97(1) EPÜ 1973 zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1, eingereicht am 22. Dezember 2003, den Erfordernissen der erfinderischen Tätigkeit nicht genüge (Artikel 56 EPÜ).

II. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) hat die Beschwerde am 12. September 2007 eingelegt und am 7. September 2007 die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 19. November 2007 eingegangen.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Grundlage der am 22. Dezember 2003 eingereichten Ansprüche 1 bis 3 und den Beschreibungsseiten 1 bis 5.

IV. Der unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"1. Vorrichtung zum Ermitteln und Bewerten des günstigsten Abbauverfahrens beim Vortrieb von Strecken oder Tunnels, dadurch gekennzeichnet, daß sie einen Speicher und eine Eingabemaske für die Gesteinsparameter, wie Würfeldruckfestigkeit, Zähigkeit und/oder Brüchigkeit, für umweltspezifische Parameter, wie Bewetterung, Entstaubung, und für Parameter für die Gebirgssicherung, wie Einbringen von Ortsbeton oder Setzen von Ankern, und einen Speicher für mit dem Betrieb verbundene Kosten, wie Verfügbarkeit, Stillstandszeiten, den Zeitaufwand, Investitionskosten, sowie den Aufwand für die Logistik unterschiedlicher Arbeitsverfahren enthält und daß ein Komparator vorgesehen ist, welcher unter Berücksichtigung von Kennlinienfeldern der einzelnen vorgegebenen Parameter unterschiedliche Abbauverfahren berechnet, gegenüberstellt und das geeignete Verfahren ermittelt."

V. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Die Erfindung nach Anspruch 1 betreffe nicht nur einen Speicher, eine Eingabemaske und einen Komparator als solche, wie sie üblicher Weise auf dem Gebiet der Datenverarbeitung vorgesehen seien, sondern speziell für die Durchführung des gegenständlichen Bewertungsverfahrens angepasste Bauelemente. Daraus folge unmittelbar, dass die funktionellen bzw. verfahrensmäßigen Angaben in Anspruch 1, durch welche der Speicher, die Eingabemaske und der Komparator näher spezifiziert werden, als unterscheidende Merkmale zu betrachten seien. Die objektive Aufgabe könne somit in der Schaffung einer Vorrichtung gesehen werden, die für das Ermitteln und die Bewertung des günstigsten Abbauverfahrens beim Vortrieb von Strecken oder Tunnels geeignet sei. Dieses Bewertungsverfahren betreffe zwar auch wirtschaftliche Aspekte, ein nicht unwesentlicher Teil der Merkmale befasse sich jedoch mit technischen Gegebenheiten, wie die konkrete Auswahl von vier Kategorien teils technischer Parametertypen, sodass Anspruch 1 keinesfalls eine bloße Computerimplementierung einer wirtschaftlichen Abschätzung darstelle. So liegen dieser Kategorisierung zweifellos technische Überlegungen zugrunde, denn erst dadurch gelinge eine besonders effiziente und zielführende Abwägung der Vor- und Nachteile der einzelnen Abbauverfahren. Die von der Prüfungsabteilung getroffenen Aussagen, wonach der Fachmann nicht nur die technischen Parameter verschiedener Abbauverfahren unmittelbar miteinander vergleichen würde, sondern auch globale Vergleiche mit Parametern wie den Investitionsaufwand für bestimmte Verfahrensweisen, die erforderliche Arbeitszeit und die aufzuwendenden Kosten anstellen würde, seien reine Spekulation und durch keinerlei Dokumente belegt. Und schließlich erfolge die Auswertung in einem Komparator unter Berücksichtigung von Kennlinienfeldern der einzelnen vorgegebenen Parameter, wobei auch dieses technische Merkmal in keiner Weise als bekannt oder nahe liegend nachgewiesen wurde. Die Vorrichtung nach Anspruch 1 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit und erfinderische Tätigkeit

(Artikel 54 und 56 EPÜ)

2.1 Die Kammer stimmt mit der Auffassung der Beschwerdeführerin überein, dass Anspruch 1 eine Vorrichtung betrifft, die für die Durchführung des in Anspruch 1 angesprochenen Bewertungsverfahrens entsprechend funktionell angepasste Bauelemente einer Datenverarbeitungsanlage enthält.

Zum Verständnis der Ausführung dieses in die Vorrichtung implementierten Bewertungsverfahrens beschreibt Anspruch 1 jedoch lediglich vage, dass es auf die Ermittlung und Bewertung des "günstigsten" (vgl. Anspruch 1, erste Zeile) bzw. "geeigneten" (vgl. Anspruch 1, letzte Zeile) Abbauverfahrens abziele. Zur Klärung dieses Sachverhalts entnimmt der Fachmann der Anmeldung, dass hierzu ausschließlich ein wirtschaftlicher Vergleich unterschiedlicher Vortriebsmethoden angestellt werden soll, um somit im Sinne des Anspruchs 1 eine "vollständige Evaluierung" des jeweils günstigsten Abbauverfahrens zu erzielen (vgl. Seite 1, die letzten 5 Zeilen; Seite 2, Zeilen 9 bis 12 und 14 bis 20; und Seite 3, Zeilen 29 bis 35; wie veröffentlicht).

Dieser wirtschaftliche Vergleich zum Ermitteln und Bewerten des günstigsten Abbauverfahrens wird in der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 dadurch bewerkstelligt, dass

i) Gesteinsparameter, wie Würfeldruckfestigkeit, Zähigkeit und/oder Brüchigkeit;

ii) umweltspezifische Parameter, wie Bewetterung, Entstaubung; und

iii) Parameter für die Gebirgssicherung, wie Einbringen von Ortsbeton oder Setzen von Ankern;

eingegeben und gespeichert werden und dass

iv) mit dem Betrieb verbundene Kosten, wie Verfügbarkeit, Stillstandszeiten, den Zeitaufwand, Investitionskosten, sowie den Aufwand für die Logistik unterschiedlicher Arbeitsverfahren;

gespeichert sind (und daher zwangsläufig zuvor ebenfalls eingegeben wurden),

wobei dann unter Berücksichtigung von Kennlinienfeldern der einzelnen vorgegebenen Parameter unterschiedliche Abbauverfahren berechnet, gegenübergestellt und das geeignete (Abbau-)Verfahren ermittelt wird.

Zu dem unklaren Verfahrensschritt, wie denn eine "Berücksichtigung von Kennlinienfeldern der ... Parameter" zu verstehen sei, entnimmt der Fachmann der Anmeldung, dass aufgrund der Ermittlung und Speicherung der jeweils charakteristischen Parameter (in quantifizierter Form und gesondert voneinander) die Voraussetzung geschaffen werde, Kennlinienfelder zu speichern, d.h., es wird offenbar jedem gespeicherten Parameter eines bestimmten Abbauverfahrens eine wie immer geartete "Kennlinie" zugeordnet (vgl. Seite 4, Zeilen 14 bis 27; wie veröffentlicht).

Ein möglicher Weg zur Ausführung des erfindungsgemäßen Bewertungsverfahrens mittels der in Anspruch 1 beanspruchten Vorrichtung kann nach Ansicht der Kammer daher beispielsweise darin gesehen werden, in Abhängigkeit der Kennlinienfelder der Parameter i) bis iv) die Kosten für (mindestens) zwei Abbauverfahren zu berechnen und gegenüberzustellen, um dann das billigere, und somit das günstigste (bzw. geeignete) beider Abbauverfahren, im wirtschaftlichen Vergleich zu ermitteln.

2.2 Zur Beurteilung der Neuheit des Anspruchs 1 ist zunächst von Bedeutung, wie sich das in die Vorrichtung implementierte Bewertungsverfahren als solches vom bekanntgewordenen Stand der Technik unterscheidet.

Die Kammer folgt der Auffassung der Prüfungsabteilung, wonach die Parameter i) bis iv) dem mit dem Vortrieb von Strecken und Tunnel befassten Techniker (technische Parameter) beziehungsweise Kaufmann ("nicht-technische" Parameter) hinlänglich vorbekannt sind, etwa bei der Kostenschätzung zur Vorbereitung von Ausschreibungsunterlagen solcher Bauwerke. Eine Belegung dieser Parameter durch Literaturstellen ist daher entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch nicht vonnöten. Das beschriebene Bewertungsverfahren unterscheidet sich somit nach Ansicht der Kammer vom Stand der Technik dadurch, dass hierfür die (an sich bekannten) Parameter i) bis iv) ausgewählt, eingegeben, und gespeichert werden, und dass die unterschiedlichen Abbauverfahren unter Berücksichtigung von Kennlinienfeldern der einzelnen vorgegebenen Parameter berechnet, gegenübergestellt, und das geeignete Verfahren ermittelt wird.

Die Implementierung des an sich neuen Bewertungsverfahrens durch entsprechend funktionale Anpassung der Bauteile der Vorrichtung nach Anspruch 1 ist daher zwingend ebenfalls neu.

Die Kammer stimmt daher mit der Auffassung der Beschwerdeführerin und der Prüfungsabteilung überein, wonach Anspruch 1 die Erfordernisse der Neuheit erfüllt.

2.3 Der gängigen Rechtsprechung folgend, ist die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach dem Aufgabe-Lösung-Ansatz grundlegend technischer Art. Daher ist zu untersuchen, welche Wirkung(en) die beanspruchte Erfindung nach Anspruch 1 gegenüber dem Stand der Technik erreicht, um dadurch zur Lösung irgendeiner technischen Aufgabe beizutragen: siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 6.Auflage, I.D.8.1 und insbesondere T 641/00 (Leitsätze I und II).

Nach Ansicht der Kammer dienen im vorliegenden Fall die gegenüber dem Stand der Technik durch das Bewertungsverfahren durchgeführten Verfahrensschritte, wie die Auswahl der Parameter und deren Eingabe und Speicherung, sowie die darauffolgende Berechung zum "Ermitteln und Bewerten" des "günstigsten" Abbauverfahrens, stets einem einzigen Ziel: es soll eine Abschätzung der Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Abbauverfahren erreicht werden (siehe insbesondere die Beschreibung auf Seite 2, Zeilen 9 bis 40; wie veröffentlicht; und die Ausführungen unter Punkt 2.1 dieser Entscheidung)

Auch die vage Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach vor allem durch die konkrete Auswahl der Parametertypen eine besonders "effiziente" und "zielführende Abwägung" der "Vor- und Nachteile" der einzelnen Abbauverfahren gelingt, kann die Kammer nicht vom Gegenteil überzeugen, da die Parameter nur beispielhaft genannt sind und der Auswahl keine belegbare technische Wirkung zugeschrieben werden kann.

Somit kann aus der Anmeldung für die Unterscheidungsmerkmale des Bewertungsverfahrens als solches keine technische Aufgabe abgeleitet werden, und diese Verfahrensmerkmale können daher auch nicht zum Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 beitragen, da jede Erfindung im Sinne des Artikels 52 EPÜ technischen Charakter aufweisen muss.

2.4 Dennoch stellt sich die Frage, ob die Verfahrensschritte des an sich nicht patentfähigen Bewertungsverfahrens vielleicht spezielle Anforderungen an die Art und Weise der (technischen) Implementierung in die beanspruchte Vorrichtung stellen, d.h. ob die Eingabe der Parameter unter Verwendung einer Eingabemaske, die Speicherung in einen Speicher und die anschließende Berechnung unter Berücksichtigung von Kennlinienfeldern der einzelnen vorgegebenen Parameter in einem Komparator besondere technische Überlegungen nach sich ziehen.

So kann also ausgehend vom allgemein bekannten Stand der Technik eine den Unterscheidungsmerkmalen der Vorrichtung zugrunde liegende technische Aufgabe darin gesehen werden, die in Anspruch 1 angegebenen Verfahrensschritte zum Ermitteln und Bewerten des günstigsten Abbauverfahrens in eine Datenverarbeitungsanlage zu implementieren. Für die Lösung einer solch technischen Aufgabe ist stets ein Fachmann auf technischem Gebiet zuständig, im vorliegenden Fall der Datenverarbeitungsfachmann bzw. Softwareingenieur (und nicht etwa ein Kaufmann für Wirtschaftlichkeitsberechnungen).

Das Erstellen einer Eingabemaske und deren Programmierung zur Eingabe der Parameter, sowie das Abspeichern der Parameter in einem Speicher und die Programmierung eines Komparators zur Gegenüberstellung der unterschiedlichen Abbauverfahren mittels (irgendeiner) Berechnungsmethode unter Berücksichtigung von Kennlinienfeldern so wie in Anspruch 1 beschrieben, stellen jedoch für den Fachmann nach Auffassung der Kammer nur triviale Routinearbeiten dar.

So ist auch der Beschreibung der Anmeldung, wo die Durchführung des Bewertungsverfahrens mittels einer "einfachen Datenverarbeitungsanlage" erfolgen soll, kein Hinweis zu entnehmen, dass an die Implementierung des Verfahrens irgendwelche besondere technische Anforderungen gestellt werden (vgl. Seite 2, Zeilen 14 bis 20; wie veröffentlicht).

2.5 Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die beanspruchte Erfindung nach Anspruch 1, was ihren technischen Charakter betrifft, im Lichte des allgemein bekannten Standes der Technik nahe gelegt ist. Die Kammer folgt also sinngemäß der Ansicht der Prüfungsabteilung, dass Anspruch 1 als einfache Computerimplementierung einer wirtschaftlichen Abschätzung anzusehen ist.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt daher nicht die Erfordernisse der erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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