T 0024/08 () of 14.6.2012

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2012:T002408.20120614
Datum der Entscheidung: 14 Juni 2012
Aktenzeichen: T 0024/08
Anmeldenummer: 01120528.3
IPC-Klasse: C08G 63/78
C08G 63/183
C08G 63/85
C08G 63/90
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Polyestern mit reduziertem Gehalt an freiem Acetaldehyd
Name des Anmelders: Uhde Inventa-Fischer GmbH
Name des Einsprechenden: EASTMAN CHEMICAL COMPANY
ZIMMER A.G.
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag und Hilfsantrag 1 (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag: nein; Hilfsantrag 1: ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Pateninhaberin (Beschwerdeführerin 01) und der Einsprechenden 01 (Beschwerdeführerin 02) richten sich gegen die am 6. November 2007 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent EP 1 188 783 (Anmeldenummer 01 120 528.3) in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde.

II. Das erteilte Patent enthielt 32 Ansprüche, die mit den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1-32 identisch waren. Die Ansprüche 1, 28 und 30-32 lauteten wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Polyestern mit reduziertem Gehalt an freiem Acetaldehyd aus Terephthalsäure und Ethylenglykol über eine katalysierte Polykondensation in der Schmelze, bei dem

a) der Katalysator vor der Polykondensation zugesetzt wird,

b) nach Erreichen einer intrinsischen Viskosität (IV) der Schmelze zwischen 0,63 und 1,00, die ohne Festphasennachkondensation erreicht wird, ein Inhibitor zur Desaktivierung des Katalysators zugesetzt wird und

c) anschließend ein Überschuß einer den freien Acetaldehyd bindenden Substanz zugesetzt wird, so dass auch nachträglich freigesetzter Acetaldehyd gebunden wird.

wobei während des gesamten Ablaufs der Polykondensation eine Temperatur unterhalb von 280 ºC eingehalten wird."

"28. Verfahren nach mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass in den Schritten b) und c) aus einem aus einer kontinuierlichen Polykondensation stammenden Schmelzestrom ein Teilstrom der Schmelze abgezweigt wird, in den in einem Extruder mit Entgasungsmöglichkeit die Zusatzstoffe dosiert und vermischt werden, wobei die niedermolekularen Abbauprodukte durch ein Vakuum aus der Schmelze entfernt werden, und der Teilstrom anschließend wieder mit dem Hauptstrom der Schmelze vereint und intensiv vermischt wird."

"30. Verwendung des Verfahrens nach mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche zur Herstellung von Verpackungen für Nahrungsmittel und Getränke."

"31. Verwendung des Verfahrens nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 29 zur Herstellung von Getränkeflaschen."

"32. Verwendung des Verfahrens nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 29 zur Herstellung von Verpackungsfolien."

Die abhängigen Ansprüche 2-27 und 29 betrafen bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1.

III. Gegen das Patent wurde am 23. Dezember 2004 (Einsprechenden 01 und 02) Einspruch erhoben. Die Einsprechenden stützten sich auf die Einwände mangelnder Offenbarung gemäß Art. 100 (b) EPÜ (Einsprechende 01), fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischen Tätigkeit gemäß Art. 100 (a) EPÜ (Einsprechenden 01 und 02).

Mit einer aufgrund mündlicher Verhandlung verkündeten Entscheidung wurde das strittige Patent in geändertem Umfang gemäß Hilfsantrag 1 aufrechterhalten.

Der Hilfsantrag 1 enthielt 31 Ansprüche, wobei Anspruch 1 wie folgt lautete:

"1. Verfahren zur Herstellung von Polyestern mit reduziertem Gehalt an freiem Acetaldehyd aus Terephthalsäure und Ethylenglykol über eine katalysierte Polykondensation in der Schmelze, bei dem

a) der Katalysator vor der Polykondensation zugesetzt wird,

b) nach Erreichen einer intrinsischen Viskosität (IV) der Schmelze zwischen 0,63 und 1,00, die ohne Festphasennachkondensation erreicht wird, ein Inhibitor zur Desaktivierung des Katalysators zugesetzt wird und

c) anschließend ein Überschuß einer den freien Acetaldehyd bindenden Substanz zugesetzt wird, so dass auch nachträglich freigesetzter Acetaldehyd gebunden wird.

wobei während des gesamten Ablaufs der Polykondensation eine Temperatur unterhalb von 280 ºC eingehalten wird und

in den Schritten b) und c) aus einem aus einer kontinuierlichen Polykondensation stammenden Schmelzestrom ein Teilstrom der Schmelze abgezweigt wird, in den in einem Extruder mit Entgasungsmöglichkeit die Zusatzstoffe dosiert und vermischt werden, wobei die niedermolekularen Abbauprodukte durch ein Vakuum aus der Schmelze entfernt werden, und der Teilstrom anschließend wieder mit dem Hauptstrom der Schmelze vereint und intensiv vermischt wird."

Die Ansprüche 2-27 und 28-31 entsprachen den Ansprüchen 2-27 und 29-32 der ursprünglichen Anmeldung.

In ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass der Hilfsantrag 1 die Erfordernisse der Art. 54, 56, 83, 123(2), 123(3) EPÜ erfüllte. Die Argumentation stützte sich unter anderem auf folgende Dokumente:

D1: WO-A-98 41 559

D7: DE-A-195 03 053

IV. Gegen diese Entscheidung legten die Patentinhaberin am 19. Dezember 2007 und die Einsprechende 01 am 4. Januar 2008 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Einsprechende 02 hat keine Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt.

V. In ihrer am 14. März 2008 eingereichten Beschwerdebegründung nahm die Patentinhaberin zu ihrem Hauptantrag, die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, Stellung. Mit Schreiben vom 17. September 2008 reichte sie weitere Argumente bezüglich des Hauptantrags, der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung (Hilfsantrag I), sowie eines mit demselben Schreiben eingereichten Hilfsantrags II ein. Weiteres Vorbringen enthielt das Schreiben vom 12. April 2012.

VI. In der am 10. März 2008 eingegangenen Beschwerdebegründung beantragte die Einsprechende 01 den Widerruf des Patents und reichte ferner fünf Dokumente ein, unter anderem

D12: US 5 376 702

D13: US 5 656 719

Weiteres Vorbringen erfolgte mit Schreiben vom 22. Juli 2008.

VII. Die Einsprechende 02/Beschwerdegegnerin beantragte mit Schreiben vom 20. November 2008 und 10. April 2012 die Zurückweisung des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge I und II der Patentinhaberin.

VIII. Am 14. Juni 2012 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer in Anwesenheit aller Parteien statt.

IX. Die für diese Entscheidung relevante Argumentation der Patentinhaberin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag

a) Der Gegenstand nach dem erteilten Anspruch 1 sollte in Zusammenhang mit der Beschreibung und der Figur des Streitpatents gelesen werden, so dass ein "Überschuß einer den freien Acetaldehyd bindenden Substanz" einer ausreichenden Menge entspreche, um das nach der Einspeisestelle in der Schmelze bis zur Granulierung noch entstehende Acetaldehyd zu binden. Es sei nicht möglich, diese Menge in absoluter Weise zu definieren. Der Verlauf der Polykondensation von Polyestern sei üblich und in den Absätzen [0051] bis [0056] des Streitpatents näher beschrieben. Somit sei der Katalysator gemäß Stufe a) bei der zweiten Veresterungsetappe gemäß Absatz [0052] zuzugeben und sei die Temperatur von "unterhalb 280ºC" ab Zugabe des Katalysators (Anfang der Polykondensation) bis zur Wirkung des Katalysatorinhibitors einzuhalten. Der Begriff "anschließend" in Stufe c) bedeute keine zeitliche, sondern eine räumliche Begrenzung d.h. dass der Acetaldehydscavenger an einer Stelle in den Extruder eingespeist wird, die sich nach der Einspeisestelle des Katalysatorinhibitors befindet. Daher gäbe es keinen Widerspruch zwischen Anspruch 1 und Absatz [0056] des Streitpatents.

b) Die spezifische Kombination der Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 sei in D1 nicht explizit offenbart und höchstens nach mehrmaliger Auswahl aus verschiedenen, nicht miteinander verknüpften Passagen zu erreichen. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheide sich insbesondere von Beispiel 3 aus D1 durch folgende Merkmale:

- die Verwendung des Katalysatorinhibitors und dessen Zugabe nach Erreichen einer bestimmten Viskosität;

- das Einhalten einer Temperatur unterhalb von 280ºC während des gesamten Ablaufs der Polykondensation;

- die räumlich getrennte Zugabe des Acetaldehydscavengers und des Katalysatorinhibitors;

- die spezifische Herstellung aus Terephthalsäure und Ethylenglykol.

Es wurde anerkannt, dass die inhärente Viskosität von 0,75 gemäß Beispiel 3 aus D1 einer intrinsischen Viskosität gemäß Anspruch 1 des Patents entspricht.

c) Der erteilte Anspruch 1 unterscheide sich von den Beispielen 9 und 11 aus D7 durch folgende Merkmale:

- die Zugabe des Katalysators (Merkmal a));

- die Zugabe des Katalysatorinhibitors nach Erreichen einer bestimmten Viskosität;

- der "Überschuß" an Acetaldehydscavenger. Es könne nicht festgestellt werden, ob die in D7, Beispielen 9 und 11, verwendete Menge von 0.3 Gew.% einen "Überschuß" gemäß Anspruch 1 des Streitpatents darstellt;

- das Einhalten einer Temperatur unterhalb von 280ºC während des gesamten Ablaufs der Polykondensation. Die in D7 genannten Temperaturen beträfen die Schmelzeleitung; D7 enthalte jedoch keine Angaben über die Temperatur in den Veresterungs-, Vorkondensations- und Polykondensationsreaktoren.

Es wurde anerkannt, dass die intrinsische Viskosität von 0.79 dl/g gemäß D7 einer intrinsischen Viskosität gemäß Anspruch 1 des Streitpatents entspricht.

d) Was die erfinderische Tätigkeit betrifft, sei D7, insbesondere Beispiel 9, der nächstliegende Stand der Technik. Die zu lösende Aufgabe liege in der Bereitstellung eines vereinfachten Verfahrens zur Herstellung von Polyestern mit verringertem freien Acetaldehydgehalt. Der Vergleich zwischen dem Beispiel 5 des Streitpatents und dem Beispiel 9 aus D7 zeige, dass diese Aufgabe erfolgreich gelöst wurde. Insbesondere wurde auf die Werte an freiem Acetaldehyd von 1,5 ppm im Beispiel 5 und von 3,5 bzw. 2,3 ppm in den Beispielen 9 und 11 aus D7 hingewiesen. Dabei stellten die Beispiele 1-4 des Streitpatents lediglich Test- oder Vorversuche bzgl. der Zugabe des Acetaldehydscavengers dar und sollten nicht als Darstellung des gesamten beanspruchten Verfahrens gemäß der Erfindung dienen. Es wurde ferner erläutert, dass Beispiel 5 des Streitpatents in einer Versuchsanlage durchgeführt wurde, was sowohl extrem Zeit- und Personalaufwendig als auch sehr teuer war. Somit sei die Durchführung von weiteren (Vergleichs)versuchen nicht zumutbar.

Keines der im Verfahren zitierten Dokumente enthielte einen Hinweis, dass das Einhalten einer niedrigen Temperatur während des gesamten Ablaufs der Polykondensation einen Einfluss auf den Gehalt an freiem Acetaldehyd habe. Somit sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 erfinderisch.

Hilfsantrag 1

e) Anspruch 1 stelle eine Kombination der Ansprüche 1 und 28 des Streitpatents dar und hätte schon in der Einspruchsschrift angegriffen werden können. D12 sei erst mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 01, und somit verspätet, eingereicht. D12, die in D1 zitiert wird, sei jedoch den Einsprechenden vorher bekannt gewesen. Aus diesen Gründen sollte D12 nicht ins Verfahren zugelassen werden.

f) Die Verwendung eines Bypass gemäß dem erteilten Anspruch 28 führe zu einer intensiven Vermischung und somit zu einer verbesserten Aktivität der in den Stufen b) und c) gemäß Anspruch 1 verwendeten Additive. Da D7 diese Lösung nicht offenbare, sei diese Maßnahme nicht trivial. D12 betreffe ein Verfahren, das es ermögliche, mit einer Anlage zwei unterschiedliche Produkte herzustellen. D12 habe somit mit der im Streitpatent gelösten Aufgabe nichts zu tun. Selbst wenn der Fachmann die Dokumente D7 und D12 hätte kombinieren können, hätten die Einsprechenden nicht gezeigt, warum er diese Kombination tatsächlich vorgenommen hätte (could/would). Somit sei der Gegenstand der Ansprüche 1-31 erfinderisch.

g) Die Anordnung gemäß ursprünglichem Anspruch 28 betreffe übrigens einen "Bypass", keinen "Masterbatch".

X. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Einsprechenden können wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag

a) Die folgenden Merkmale des erteilten Anspruchs 1 seien vage und sollten breit gelesen werden:

- ein "Überschuß" einer den freien Acetaldehyd bindenden Substanz;

- Anfang und Ende der Polykondensationsreaktion, insbesondere weil die beanspruchten Verfahren kontinuierliche Prozesse sind.

b) Die Zugabe des Katalysators vor der Polykondensation (Merkmal a) des erteilten Anspruchs 1) sei eine übliche, triviale Maßnahme, welche in jedem bekannten Verfahren implizit offenbart sei.

c) Die Merkmale von Anspruch 1 seien durch D1, insbesondere durch die Kombination von Beispiel 3 mit verschiedenen Passagen der Beschreibung bzgl. der Zugabe eines Katalysatorinhibitors oder der Verwendung von Terephthalsäure und Ethylenglykol als Ausgangsprodukte für die Herstellung des Polyesters, bereits offenbart. Die Zugabe des Inhibitors nach Erreichen einer bestimmten Viskosität sei in D1 empfohlen (Seite 11, Zeilen 17-20). Der Fachmann würde ferner aus D1 schließen, dass die im Beispiel 3 offenbarte Temperatur von 270 ºC die höchste während der Polykondensation verwendete Temperatur darstellt. Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber D1 nicht neu.

d) Aufgrund der Information in D7, Beispiele 9 und 11, dass in der Schmelzeleitung auf 280ºC erhitzter Stickstoff eingespeist wird, würde der Fachmann annehmen, dass die Temperatur vorher niedriger gewesen sein musste, da sonst die Zugabe von heißem Gas keinen Sinn machen würde. Diese Schlussfolgerung würde ferner durch die Empfehlung (D7, Seite 4, Zeilen 10-17) unterstützt, den Abbau des Polyesters durch erhöhten Temperaturen zu verhindern. Somit sei die Einhaltung einer Temperatur unterhalb von 280ºC während des gesamten Ablaufs der Polykondensation in D7 implizit offenbart. Dass ein Überschuß einer freien Acetaldehyd bindenden Substanz in den Beispielen 9 und 11 der D7 eingesetzt wurde, belegten die angegebenen Acetaldehydendwerte von 3,5 bzw. 2,3 ppm. Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber den Beispielen 9 und 11 der D7 nicht neu.

e) Was die erfinderische Tätigkeit betrifft, sei D7 der nächstliegende Stand der Technik. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von D7, insbesondere Beispiel 11, höchstens durch die in D7 nicht explizit offenbarte Temperatur von "unterhalb von 280ºC". Aus den im Streitpatent enthaltenen Angaben sei nicht ersichtlich, ob die Beispiele 1-5 des Streitpatents dem erteilten Anspruch 1 entsprechen oder nicht. Ein Vergleich zwischen den Beispielen des erteilten Patents und denen von D7 sei nicht möglich, da die Verfahren unter unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt wurden. Die Patentinhaberin habe ferner kein direktes Vergleichsbeispiel gemäß D7 eingereicht. Somit sei die zu lösende Aufgabe lediglich darin zu sehen, ein alternatives Verfahren zu dem aus D7 bekannten Verfahren zur Herstellung von Polyestern mit niedrigem Gehalt an freiem Acetaldehyd bereitzustellen. Da es unstreitig war, dass dem Fachmann vor dem Prioritätstag bekannt war, dass hohe Temperaturen zwar mit einer Beschleunigung des Verfahrens, aber gleichzeitig zur Produktion von Acetaldehyd führen, stelle der Gegenstand von Anspruch 1 lediglich eine Optimierung des Verfahrens gemäß D7 dar. Somit sei es naheliegend gewesen, die oben gestellte Aufgabe durch Einhaltung einer Temperatur unterhalb von 280ºC während des gesamten Ablaufs der Polykondensation zu lösen.

f) Das im Anspruch 1 definierte Verfahren enthalte keine Limitierung bzgl. Entgasungsapparatur. Somit könne die Abwesenheit einer Entgasungsapparatur bei der Formulierung der Aufgabe nicht berücksichtigt werden.

Hilfsantrag 1

g) Entgegenhaltung D12 sollte ins Verfahren zugelassen werden, da sie prima facie hochrelevant sei und zusammen mit der Beschwerdebegründung, d.h. am frühest möglichen Zeitpunkt, eingereicht wurde.

h) Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheide sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur durch den "Bypass" gemäß dem erteilten Anspruch 28. Dieses Merkmal sei, wie aus D12 zu sehen, üblich, insbesondere für die Zugabe von Additiven in Polyestern. D12 sei sogar in D1 zitiert worden. Der Gegenstand von Anspruch 1 ergäbe sich auf naheliegender Weise aus der Kombination von D7 mit der Kenntnis des Fachmanns einerseits (verringerte Temperatur) und mit D12 andererseits ("Bypass"). Eine solche Kombination sei erlaubt, da im Streitpatent zwei unterschiedliche, nicht miteinander zusammenhängende Aufgaben gelöst seien, nämlich die Reduzierung des freien Acetaldehydgehalts einerseits und die einfachere Zugabe bei gleichzeitig verbesserter Verteilung des Acetaldehydscavengers in der Schmelze andererseits.

i) Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 28 entspreche übrigens der Zugabe eines Additivs mittels Masterbatch, was in der Industrie eine sehr übliche Technik sei. Darin könne keine erfinderische Tätigkeit liegen.

XI. Die Beschwerdeführerin 01 (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents aufgrund des erteilten Patents als Hauptantrag oder hilfsweise in der Fassung gemäß Hilfsantrag 1, wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten, oder gemäß Hilfsantrag 2, wie eingereicht mit Schreiben vom 17. September 2008.

Die Beschwerdeführerin 02 (Einsprechende 01) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 188 783.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 02) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Einsprüche und Beschwerden

1.1 Die Einspruchsabteilung hat in den Formularen 2339 und 2327 angegeben, dass die Einsprüche der Einsprechenden 01 und 02 unzulässig seien. Diese Feststellung steht in Widerspruch sowohl zu der unter Paragraph "II.1. Zulässigkeit" der Entscheidungsgründe getroffene Aussage als auch zur Tatsache, dass die Einspruchsabteilung den Hauptantrag und den Hilfsantrag behandelt und hierüber in der Sache entschieden hat. Die Zulässigkeit der Einsprüche wurde ferner während des ganzen Verfahrens nicht in Frage gestellt. Somit stellen die in den Formularen 2339 und 2327 getroffenen Aussagen nicht die wahre Absicht der Einspruchsabteilung dar. Die Einsprüche der Einsprechenden 01 und 02 sind somit als zulässig zu betrachten. Daher ist auch die Beschwerde der Einsprechende 01 zulässig und ist Einsprechende 02 als Verfahrensbeteiligte an dem Beschwerdeverfahren beteiligt.

1.2 Aufgrund der am 15. Juli 2008 und 1. August 2008 von der Beschwerdeführerin 01 eingereichten Dokumente ist die Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin gegeben.

Hauptantrag

2. Neuheit

2.1 Gegendstand der Ansprüche

2.1.1 Der Begriff "mit reduziertem Gehalt an freiem Acetaldehyd" ist im Streitpatent nicht eindeutig definiert, insbesondere ist keine Referenz für die angegebene "Reduktion" angegeben. Somit ist der Begriff in seinem breitesten Sinn zu lesen. Da sowohl D1 (Beispiel 3) als auch D7 (Seite 2, Zeilen 3-5 und die Beispiele) sich mit der Bereitstellung von Polyestern mit niedrigem Gehalt an freiem Acetaldehyd befassen, ist dieses Merkmal als in diesen Dokumenten offenbart zu betrachten.

2.1.2 Die Stufe a) des Verfahrens gemäß Anspruch 1 verlangt, dass "der Katalysator vor der Polykondensation zugesetzt wird".

Die Polykondensation von Polyestern ist ein an sich bekanntes Verfahren, das im Streitpatent folgendermaßen beschrieben wird: nach einer ersten Veresterung von Terephthalsäure mit Ethylenglykol (Absatz [0051]), erfolgt eine zweite Veresterungsreaktion in Anwesenheit eines Katalysators (Absatz [0052]). Dann folgen die Vorkondensation (Absatz [0053]), die Endstufe der Polykondensation (Absatz [0054]), die Zugabe des Katalysatorinhibitors und des Acetaldehydscavengers (Absatz [0056]). Somit sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen:

- Wie auch von der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer argumentiert, beginnt die Polykondensation mit der Zugabe des Katalysators, d.h. hier im zweiten Veresterungsreaktor gemäß Absatz [0052]. Somit ist das Merkmal a) des Anspruchs 1 für jedes Verfahren, in dem ein Katalysator eingesetzt wird, implizit erfüllt.

- Beim beanspruchten Verfahren soll "eine Temperatur unterhalb von 280ºC" ab der Zugabe des Katalysators und bis zum Ende der Polykondensation, d.h. bis der Katalysatorinhibitor seine Wirkung entfaltet, eingehalten werden.

2.1.3 Der Begriff "anschließend" in Stufe c) von Anspruch 1 ist, wie von der Patentinhaberin argumentiert, als eine räumliche - und keine zeitliche - Begrenzung zu lesen d.h. dass sich die Einspeisestelle des Acetaldehydscavengers nach der Einspeisestelle des Katalysatorinhibitors befinden soll. Eine auf einer zeitlichen Begrenzung basierende Interpretation dieses Begriffs würde zu einem Widerspruch zwischen den erteilten Ansprüchen 1 und 14 führen und ist somit auszuschließen. Diese Interpretation ist auch im Einklang mit Absatz [0056], Zeilen 38-40: "Gleichzeitig, jedoch an einer anderen Einspeisstelle, wird …".

2.1.4 Der Begriff "Überschuß" ist im Streitpatent nicht in absoluter Weise sondern als funktionales Merkmal definiert (Seite 4, Zeilen 41-50), d.h. als eine Menge an Acetaldehydscavenger, die ausreicht, um nicht nur das an der Einspeisestelle im Polyester schon vorhandene freie Acetaldehyd zu binden, sondern darüber hinaus auch das nach der Einspeisestelle in der Schmelze bis zur Granulierung sowie das beim Wiederaufschmelzen und Spritzgießen noch entstehende Acetaldehyd.

2.1.5 Die "Verwendung eines Verfahrens" gemäß einem der Ansprüche 29-31 ist nichts anderes als das dort definierte Verfahren selbst.

2.2 D1 beschreibt ein Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung geformter Polyester Gegenstände, das die Produktion einer Polyesterschmelze und das Mischen eines Polyestermodifikators mit der Polyesterschmelze umfasst (Anspruch 1).

Gemäß Seite 7, Zeilen 9-14, kann das Polyester Polyethylenterephthalat (PET) entweder durch ein Veresterungsverfahren, d.h. aus Terephthalsäure und Ethylenglykol, oder durch ein Umesterungsverfahren, d.h. aus einem Dialkylester der Terephthalsäure wie Dimethylterephthalat und Ethylenglykol, hergestellt werden. Keine dieser Methoden wird in D1 bevorzugt.

Nach Anspruch 19 und Seite 9, Zeilen 11-20, können als Poyestermofdifikatoren unter anderem Katalysatorinhibitore und Acetaldehydescavengers verwendet werden. Die Zugabe dieser Additive kann während oder nach der Herstellung des Polyesters in der Schmelze, z.B. während oder nach der Entgasung, erfolgen (Anspruch 14; Seite 15, Zeilen 5-10; Fig. 1 und Seite 15, Zeile 21 bis Seite 16, Zeile 6). Was den Katalysatorinhibitor betrifft, ist eine Zugabe am Ausgang des Polymerisationsreaktors bevorzugt (Seite 11, Zeile 16 bis Seite 12, Zeile 9).

In Beispiel 3 wird PET mit einer inhärenten Viskosität von 0,75 bei 270ºC in der Schmelze bereitet. Die erhaltene Polyesterschmelze wird entgast, mit 0,5 Gew.% Polyamid (ein Acetaldehydscavenger gemäß D1, Seite 10, Zeile 11) gemischt und dann weiterverarbeitet. Der Gehalt an freiem Acetaldehyd vor und nach der Zugabe von Polyamid sinkt von 80 ppm auf 4 ppm. Somit ist davon auszugehen, dass die Menge von 0,5 Gew.% Polyamid einem "Überschuß" an Acetaldehydscavenger gemäß erteiltem Anspruch 1 (siehe Punkt 4.1.4 oben) entspricht. Die Parteien waren sich einig, dass eine inhärente Viskosität von 0,75 gemäß D1 (siehe Seite 16, Zeile 21 bis Seite 17, Zeile 2) einer intrinsischen Viskosität gemäß erteiltem Anspruch 1 des Streitpatents entspricht. Die Zugabe eines Katalysators bei der Herstellung von PET ist üblich und wurde von den Parteien, insbesondere während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, nie angezweifelt. Die Zugabe dieses Katalysators vor der Polykondensation ist, wie bereits erklärt, implizit (siehe Absatz 2.1.2).

2.2.1 Somit unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags von Beispiel 3 aus D1 zumindest durch i) die Verwendung der spezifischen Herstellungsmethode des Polyesters (aus Terephthalsäure und Ethylenglykol) und ii) die Zugabe eines Katalysatorinhibitors gemäß Stufe b). Es ist ferner unklar, ob die angegebene Temperatur von 270ºC in Beispiel 3 aus D1 lediglich die Temperatur der Polykondensation oder die "während des gesamten Ablaufs der Polykondensation" (d.h. Esterifikation, Vorkondensation und Polykondensation) verwendete Temperatur darstellt.

Daher kann die spezifische Kombination der Merkmale des unabhängigen Anspruchs 1 des Hauptantrags erst nach mehrmaliger Auswahl aus verschiedenen, nicht miteinander verknüpften Passagen in D1 erreicht werden (Beispiel 3, Veresterungsverfahren, Zugabe eines Katalysatorinhibitors).

2.2.2 Somit ist der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber D1 neu.

2.3 D7 betrifft ein kontinuierliches Verfahren zur direkten Herstellung von geformten, geschmacksneutralen Verpackungen aus thermoplastischen Polyestern, deren Diol-Komponente zu mindestens etwa 70 Gew.-% aus Ethylenglykol, bezogen auf Gesamt-Diol, besteht, wobei die Polyesterschmelze nach Austritt aus dem letzten Schmelzphasenpolykondensations-Reaktor in der Schmelzphase direkt der Formgebungsvorrichtung zugeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Herstellung des Polyesters durch Veresterung oder Umesterung und Schmelzepolykondensation in Gegenwart üblicher Katalysatoren und zusätzlich von 5 bis 60 ppm beim Veresterungsverfahren oder von 5 bis 120 ppm beim Umesterungsverfahren an Kobalt oder an Kobalt plus Mangan im molaren Verhältnis 1 : 1 bis 3 : 1 und der gleichen bis doppelten molaren Menge an Phosphor, jeweils in Form ihrer polyesterlöslichen Verbindungen, erfolgt, dass in die Polyesterschmelze, unmittelbar nach Austritt aus dem Reaktor, ein sich innert verhaltendes Gas in einer zur Verminderung des Gehaltes an freiem Acetaldehyd der Polyesterschmelze mindestens ausreichenden und maximal der Polyestermenge gewichtsmäßig gleichen Menge eingeleitet wird und in der Schmelze gleichmäßig verteilt wird, dass gleichzeitig oder unmittelbar benachbart zur Gaseinleitung der Polyesterschmelze 0,05 bis 1,0 Gew.-% einer schwerflüchtigen, acetaldehydreduzierenden Amid-Verbindung zugesetzt werden, dass die Polyesterschmelze unmittelbar vor Eintritt in die Formgebungsvorrichtung einer Vakuumentgasung unterworfen wird, und dass vom Austritt aus dem Reaktor bis zum Eintritt in die Formgebungsvorrichtung die Polyesterschmelze eine Temperatur von maximal 35º C über der mittels DSC gemessenen Kristallitschmelztemperatur des Polyesters bei einer Verweilzeit von maximal 30 min aufweist (Anspruch 1).

In den Beispielen 9 und 11 (Seite 5, Zeilen 16-28) wird Ethylenterephthalat-Copolyester mit einer intrinsischen Viskosität von 0,79 dl/g unter Verwendung einer Phosphorverbindung durch Veresterung hergestellt. Phosphorverbindungen dienen laut Streitpatent (Absatz [0034]) als Katalysatorinhibitore. Die Phosphorverbindung wird gemäß der Lehre von D7 vorzugsweise gegen Ende der Polykondensation, d.h. wenn die gezielte Viskosität (hier 0,79 dl/g) erreicht ist, zugesetzt (D7: Seite 3, Zeilen 66-68). Zu Beginn der Schmelzeleitung wird auf 280ºC erhitzter Stickstoff in die Polyesterschmelze eingeleitet und die Temperatur in der gesamten Schmelzeleitung bleibt bei 280ºC. Gleichzeitig oder unmittelbar benachbart zur Stickstoffeinleitung wird der Polyesterschmelze 0,3 Gew.% einer Acetaldehyd bindenden Amidverbindung, wie vorzugsweise aliphatisch-aromatische amorphe Polyamide, zugesetzt (D7: Seite 4, Zeilen 49-57).

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Der Gehalt an freiem Acetaldehyd vor und nach der Zugabe des Acetaldehydscavengers sinkt von 40 ppm auf 3,5 ppm (Beispiel 9) bzw. 2,3 ppm (Beispiel 11) (siehe Tabelle auf Seite 5). Somit ist davon auszugehen, dass die Menge von 0.3 Gew.% Polyamid einem "Überschuß" in Sinne des erteilten Anspruchs 1 entspricht (siehe Punkt 2.1.4 oben, sowie D7, Seite 4, Zeilen 57-62). Die Parteien waren sich einig, dass eine intrinsische Viskosität von 0,79 gemäß D7 (Seite 3, Zeilen 55-58) einer intrinsischen Viskosität gemäß erteiltem Anspruch 1 entspricht.

Es wurde von den Parteien, insbesondere während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, nicht bestritten, dass die Zugabe eines Katalysators für ein Veresterungsverfahren üblich ist. Die Zugabe dieses Katalysators vor der Polykondensation ist implizit (siehe Absatz 2.1.2 oben).

Die in D7 angegebene Temperatur von "unterhalb 280ºC" betrifft die Schmelzeleitung. D7 enthält aber keine Information bzgl. der im Veresterungsverfahren verwendeten Temperatur wie z.B. die Temperatur in den Veresterungs-, Vorkondensations- und Polykondensations-reaktoren. Die Tatsache, dass erhitzter Stickstoff verwendet wird, um die vorher herrschende Temperatur zu erhöhen, wie von den Einsprechenden argumentiert, ändert daran nichts. Aus den vorhandenen Beweismitteln kann auch nicht geschlossen werden, dass dieses Merkmal in D7 implizit offenbart sei.

2.3.1 Somit unterscheidet sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von den Beispielen 9 und 11 aus D7 lediglich dadurch, dass während des gesamten Ablaufs der Polykondensation eine Temperatur unterhalb von 280ºC eingehalten wird.

2.3.2 Folglich ist der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber D7, insbesondere den Beispielen 9 und 11, neu.

2.4 Da die Ansprüche 2-32 bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 sind (siehe auch Punkt 2.1.5 oben), ist deren Gegenstand gegenüber D1 und D7 ebenfalls neu.

2.5 Weitere im Verfahren zitierte Dokumente wurden zur Neuheit nicht herangezogen.

2.6 Somit ist der Gegenstand des Hauptantrags neu.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Nächstliegender Stand der Technik

3.1.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polyestern mit reduziertem Gehalt an freiem Acetaldehyd aus Terephthalsäure und Ethylenglykol über eine katalysierte Polykondensation in der Schmelze (Absatz [0001]; Anspruch 1).

3.1.2 Ein solches Verfahren ist aus Dokument D7 bekannt, das nach Ansicht aller Parteien den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Diesbezüglich sind die Beispiele 9 und 11, welche die einzigen Beispiele sind, die ein Veresterungsverfahren unter Verwendung eines Polyamids als Acetaldehydscavengers betreffen, besonders relevant. Da Beispiel 9 ein Vergleichsbeispiel ist (D7: Seite 5, Zeile 36), kann es jedoch nicht als illustrativ für die Lehre von D7 betrachtet werden. Somit stellt Beispiel 11 den nächstliegenden Stand der Technik dar.

3.1.3 Die Beschwerdeführerin 02 hat während des schriftlichen Verfahrens auch D1 und D13 als möglichen nächstliegenden Stand der Technik betrachtet. Diese Dokumente sind jedoch nicht relevanter als Beispiel 11 der D7, was während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer nicht bestritten wurde. Daher sind D1 und D13 weniger als nächstliegender Stand der Technik geeignet.

3.2 Die zu lösende Aufgabe

3.2.1 Absatz [0019] des Streitpatents definiert die zu lösende Aufgabe als die Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung eines hochmolekularen Polyestergranulats für die Herstellung von Behältern für Nahrungsmittel und Getränke mit einem niedrigen Gehalt an Acetaldehyd im Endprodukt ohne Verwendung der Festphasennachkondensation sowie aufwendiger Entgasungsapparaturen.

3.2.2 Da die im Anspruch 1 definierten Verfahren keine Limitierung bzgl. einer Entgasungsapparatur enthalten, kann jedoch die Abwesenheit einer Entgasungsapparatur bei der Formulierung der Aufgabe nicht berücksichtigt werden.

Die Abwesenheit der Festphasennachpolykondensation ist ferner in D7 bereits offenbart und kann nicht als Teil der zu lösenden Aufgabe gegenüber D7 berücksichtigt werden.

Im Streitpatent sind keine Vergleichsversuche zu finden, die eine Verbesserung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik D7 belegen. Weder im Prüfungs-, noch im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren sind Vergleichsversuche eingereicht worden. Ein direkter Vergleich des Gehalts an freiem Acetaldehyd nach Streitpatent mit dem Verfahren nach D7 ist nicht möglich, da die Verfahrensbedingungen und die verwendeten Additive nicht identisch sind (siehe z.B. unterschiedliche Viskositäten des hergestellten PET; unterschiedliche Menge und Natur des Acetaldehydscavengers; fehlende Information bzgl. der Natur der in D7 verwendeten Katalysator und Phosphorverbindung). Hohe Kosten für Vergleichsversuche können kein Grund sein, die Abwesenheit von Vergleichsversuchen zu akzeptieren und ohne sie anzunehmen, dass das beanspruchte Verfahren tatsächlich zu den behaupteten Vorteilen gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik führt.

3.2.3 Die zu lösende Aufgabe besteht somit in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Herstellung eines hochmolekularen Polyestergranulats für die Herstellung von Behältern für Nahrungsmittel und Getränke mit einem niedrigen Gehalt an Acetaldehyd im Endprodukt ohne Verwendung der Festphasennach-kondensation.

3.3 Lösung der Aufgabe

Beispiel 5 des Streitpatents, gelesen in Zusammenhang mit den Absätzen [0051]-[0056], wie von der Patentinhaberin während des Beschwerdeverfahrens erklärt, gibt den Gegenstand von Anspruch 1 wieder. Da die so hergestellten PET-Granulate und -Endprodukte einen Gehalt an freiem Acetaldehyd von 1,5 ppm bzw. 4 ppm aufweisen, kann eingeräumt werden, dass das beanspruchte Verfahren tatsächlich zu einem Produkt mit niedrigem Gehalt an freiem Acetaldehyd führt.

3.4 Naheliegen der Lösung

Es ist zu klären, ob es für den Fachmann naheliegend war, im Verfahren von Beispiel 11 aus D7 während des gesamten Ablaufs der Polykondensation des PET eine Temperatur unterhalb von 280ºC einzuhalten.

Alle Parteien waren sich während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer einig, dass es vor dem Prioritätstag des Streitpatents allgemein bekannt war, dass hohe Temperaturen einerseits zur Beschleunigung des Veresterungsverfahrens, andererseits gleichzeitig zur Produktion von Acetaldehyd führen. Es wurde ferner nie bestritten, dass Temperaturen unterhalb von 280ºC in einem Veresterungsverfahren zur Herstellung von PET mit einer intrinsischen Viskosität von 0,79 dl/g gemäß Beispiel 11 von D7 üblich waren. Somit ist es naheliegend, in dem aus Beispiel 11 von D7 bekannten Verfahren während des gesamten Ablaufs der Polykondensation eine beliebig mäßige, übliche Temperatur einzuhalten. Da nicht gezeigt wurde, dass eine Temperatur von weniger als 280ºC mit irgendeinem unerwarteten Effekt zusammenhängt, kann diesem Wert keine besondere Bedeutung zugemessen werden.

3.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags ist daher nicht erfinderisch.

Hilfsantrag 1

4. Änderungen

Die Ansprüche 1-31 ergeben sich durch Kombination des ursprünglichen Anspruchs 28 mit jeweils einem der ursprünglichen Ansprüche 1-27 und 29-32. Die Einsprechenden haben als einzigen Einwand eine fehlende erfinderische Tätigkeit erhoben. Die Beschwerdekammer sieht auch keinen Grund für die Erhebung eines weiteren Einwandes.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1 Die erfinderische Tätigkeit wird, wie für den Hauptantrag, mit Hilfe des Aufgabe-Lösung Ansatzes ausgehend von Beispiel 11 aus D7 als nächstliegenden Stand der Technik ermittelt.

5.2 Die zu lösende Aufgabe

Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hat die Patentinhaberin argumentiert, dass die zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung eines hochmolekularen Polyestergranulats für die Herstellung von Behältern für Nahrungsmittel und Getränke mit einem niedrigen Gehalt an Acetaldehyd im Endprodukt ohne Verwendung der Festphasennachkondensation und unter möglichst Verfahrensökonomischen Bedingungen bestehe.

Diese Aufgabe unterscheidet sich von der für den Hauptantrag gestellten Aufgabe nur durch die angegebenen "möglichst verfahrensökonomische Bedingungen". Eine solche Aufgabe lässt sich jedoch aus der ursprünglichen Offenbarung bzw. dem Streitpatent nicht herleiten. Die einzigen Passagen des Streitpatents, die sich mit einem vereinfachten Verfahren befassen, betreffen die Abwesenheit der Festphasennachpolykondensation und der Entgasung der Polyesterschmelze (siehe Absätze [0004]-[0006]; [0016]; [0019]).

Somit bleibt die zu lösende Aufgabe im Vergleich zum Hauptantrag unverändert: die Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Herstellung eines hochmolekularen Polyestergranulats für die Herstellung von Behältern für Nahrungsmittel und Getränke mit einem niedrigen Gehalt an Acetaldehyd im Endprodukt ohne Verwendung der Festphasennachkondensation.

5.3 Lösung der Aufgabe

Beispiel 5 des Streitpatents zeigt, dass die oben definierte Aufgabe tatsächlich gelöst ist.

5.4 Naheliegen der Lösung

5.4.1 D7 offenbart keinen Bypass gemäß dem erteilten bzw. ursprünglichen Anspruch 28 und kann an sich nicht zur jetzt beanspruchten Lösung gemäß Anspruch 1 führen.

5.4.2 D12 offenbart ein Verfahren zur direkten, kontinuierlichen Modifizierung von Polymerschmelzen wie Polyestern mit Additiven im Seitenstrom des zu modifizierenden Schmelzestroms durch Eintragung und Dispergierung mindestens eines Additivs mit anschließender Rückvermischung des Additivschmelzekonzentrats mit dem zu modifizierenden Schmelzestrom, das dadurch gekennzeichnet ist, dass im Seitenstrom das Additiv in einem Doppelwellenextruder zugegeben wird (Ansprüche 1 und 6; Figur). Dieses Verfahren entspricht somit einem Bypass gemäß dem ursprünglichen Anspruch 28, welches in keinem der anderen von den Einsprechenden zitierten Dokumente offenbart wird.

D12 wurde zusammen mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 01 eingereicht. D12 ist ferner aus den oben genanten Gründen für die vorliegende Entscheidung prima facie hoch relevant. Zwar hätte D12 früher, z.B. im erstinstanzlichen Verfahren, eingereicht werden können, insbesondere weil i) der geltende Anspruch 1 dem erteilten Anspruch 28 entspricht und ii) D12 in D1 zitiert wird und somit bei den Einsprechenden bekannt hätte sein sollen. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer es jedoch für angemessen gehalten, D12 gemäß Art. 12(4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern zuzulassen.

In D12 wird das Additiv bzw. Additivgemisch im ersten Extruderbereich allein vorgelegt und der Schmelzestrom in einem zweiten Bereich zugeführt (Anspruch 1; Spalte 2, Zeilen 42-68; Fig. 1-2). Die Kombination dieses Verfahrens mit dem Verfahren aus Beispiel 11 von D7 würde dazu führen, dass der Acetaldehydscavenger allein in eine ersten Extruderzone eingespeist würde und die Katalysatorinhibitor-enthaltende PET-Schmelze in einer zweiten Extruderzone zugeführt würde. Eine solche Anordnung wäre jedoch vom Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 unterschiedlich, da dort sowohl der Katalysatorinhibitor als auch der Acetaldehydscavenger mit einem Teilstrom der Polyesterschmelze "dosiert und vermischt werden" sollen und der Teilstrom anschließend wieder mit dem Hauptstrom der Schmelze vermischt wird.

Die Kombination der Lehre von D7 und D12 kann somit nicht zur beanspruchten Lösung gemäß dem geltenden Anspruch 1 führen.

5.4.3 Darüber hinaus war die Aufgabe von D12, Produktionslinien mit einem hohen Flexibilitätsgrad, d.h. solche, die gleichzeitig die parallele Herstellung unterschiedlicher Produkttypen, wie z.B. Fasern und Granulat, ermöglichen, bereitzustellen (Spalte 1, Zeilen 28-36; Spalte 3, Zeilen 40-65; Spalte 4, Zeilen 30-57; Fig. 1). Diese Aufgabe ist jedoch für die Anlage gemäß Beispiel 11 der D7 irrelevant.

5.4.4 Gemäß D7 wird der Acetaldehydscavenger "gleichzeitig oder unmittelbar benachbart zur Gaseinleitung der Polyesterschmelze (…) zugesetzt" (Anspruch 1; Seite 4, Zeilen 49-51). Eine Bypass-Lösung gemäß D12 würde jedoch diese Anforderung nicht erfüllen, da die volle Wirkung des Acetaldehydscavengers erst nach Rückvermischung des modifizierten Schmelzeseitenstroms mit dem Hauptschmelzestrom gegeben ist, was bedeutet, dass die Zugabe des Acetaldehydscavengers nicht "gleichzeitig oder unmittelbar" mit der Gaseinleitung gemäß D7 stattfinden kann.

Somit macht die Kombination der Lehren von D7 und D12 das im Anspruch 1 beanspruchte Verfahren nicht naheliegend.

5.4.5 Wie in D12 dargestellt (Spalte 1, Zeilen 39-57) sind "Masterbatch" und "Bypass" zwei unterschiedliche Techniken für die Zugabe von Additiven. Somit ist die Argumentation der Einsprechenden nach der der beanspruchte Gegenstand die Zugabe eines Additivs mittels Masterbatch betreffe, nicht überzeugend.

5.5 Der Gegenstand von Anspruch 1, und damit der der Ansprüche 2-31, ist daher erfinderisch.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 02 (Einsprechende 01) wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 01 (Patentinhaberin) wird hinsichtlich des Hauptantrags zurückgewiesen.

3. Das Patent wird in geändertem Umfang gemäß Hilfsantrag 1 in der von der Einspruchsabteilung gewährten Fassung aufrechterhalten.

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