T 1830/07 () of 23.10.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T183007.20091023
Datum der Entscheidung: 23 October 2009
Aktenzeichen: T 1830/07
Anmeldenummer: 02001665.5
IPC-Klasse: B21B 37/42
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Berechnung der Walzspaltkontur
Name des Anmelders: Siemens VAI Metals Technologies GmbH & Co
Name des Einsprechenden: SMS Demag AG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - ja
Erfinderische Tätigkeit - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 24. Januar 2002 unter Inanspruchnahme einer österreichischen Priorität vom 14. März 2001 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 02001665.5 wurde das europäische Patent Nr. 1 240 955 mit 26 Ansprüchen erteilt.

Die unabhängigen Ansprüche 1, 18 und 21 lauten:

"1. Verfahren zur Berechnung der Walzspaltkontur in einem Walzgerüst, bestehend aus zwei Arbeitswalzen (a), dadurch gekennzeichnet, dass die Walzspaltkontur online aus den Ergebnissen einer vorab durchgeführten Vorab-Berechnung der Walzspaltkontur und einer online durchgeführten Online-Berechnung der Walzspaltkontur zusammengesetzt wird.

18. Verfahren zur Regelung einer Walzstraße mit zumindest einem Walzgerüst, bei dem die Walzspaltkontur eines Walzgerüstes (1) in Echtzeit berechnet wird, mit einem vorgegebenen Wert verglichen wird und außerhalb der vorgegebenen Toleranz liegende Abweichungen der Walzspaltkontur in Echtzeit durch Verändern von Stellgrößen, wie beispielsweise der Biegekraft und/oder der Arbeitswalzenverschiebung, korrigiert werden, dadurch gekennzeichnet, dass die Walzspaltkontur nach einem der Ansprüche 1 bis 17 berechnet wird.

21. Vorrichtung zur Berechnung der Walzspaltkontur in einem Walzgerüst, bestehend aus zwei Arbeitswalzen und einer Berechnungseinheit, dadurch gekennzeichnet, dass die Walzspaltkontur in der Berechnungseinheit online aus den Ergebnissen einer vorab durchgeführten Vorab-Berechnung der Walzspaltkontur und einer online durchgeführten Online-Berechnung der Walzspaltkontur berechenbar ist."

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) EPÜ, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.

III. Der Einspruch wurde von der Einspruchsabteilung mit ihrer am 16. Oktober 2007 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.

Die Einspruchsabteilung kam zu dem Ergebnis, dass die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche neu seien und auf erfinderischer Tätigkeit beruhten.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 30. Oktober 2007 Beschwerde ein und entrichtete am gleichen Tag die Beschwerdegebühr.

Mit ihrer am 6. Februar 2008 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Beschwerdebegründung verfolgte sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents weiter, wobei sie sich auf den im Einspruch vorgebrachten Stand der Technik nach E1 bis E3 stützte.

V. Die Beschwerdekammer teilte in ihrem Bescheid vom 15. Juli 2009 zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mit, wonach sie keinen Fehler in der Beurteilung der Patentfähigkeit durch die Einspruchsabteilung erkenne.

VI. Mit Schreiben vom 23. September 2009 reichte die Beschwerdeführerin noch eine neue Entgegenhaltung ein:

"Theoretische Untersuchung der mechanisch einstellbaren Bereiche für die Walzspaltform an unterschiedlichen Walzwerksbauarten" von Gerd Beisemann, Verlag Stahleisen mbH Düsseldorf 1987

VII. Am 23. Oktober 2009 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Von den in der Beschwerdebegründung herangezogenen Entgegenhaltungen E1 bis E3:

E1: A Mathematical Model for Strip Profile Prediction Using Influence Coefficients and Boussinesq´s Eqations, R.-M. Guo, PED-Vol. 68-2, Manufacturing Science and Engineering, Volume 2, ASME 1994, Seiten 651 bis 662

E2: Strip profile control technology and economic impact of target profiles, D. A. Shaw et al., Iron and Steel Engineer, September 1995, Seiten 22 bis 30

E3: Selection of optimum strip profile and flatness technology for rolling mills V. B. Ginzburg et al., Iron and Steel Engineer, July 1997, Seiten 30 bis 38

wurden nur noch E1 und E2 aufgegriffen.

Das einen Monat vor der mündlichen Verhandlung neu eingereichte Dokument wurde als unbestrittenes Hintergrundwissen des Fachmannes, jedoch nicht relevanter als der Stand der Technik nach E1 bis E3, nicht näher erörtert.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 240 955.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VIII. Die Beschwerdeführerin verfolgte den Einwand mangelnder Neuheit nicht weiter und argumentierte, das Verfahren nach Anspruch 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Der einschlägige Fachmann kenne den eindeutigen Zusammenhang zwischen der Walzspaltgeometrie und der Geometrie des gewalzten Bandes gemäß der "Übertragungsfunktion". Die einzige Möglichkeit, das Endprodukt zu beeinflussen, bilde der Eingriff in die Steuerung des Walzspaltes. Deshalb liege es auf der Hand, Abweichungen des gewalzten Profils vom Sollprofil in Stellgrößen für die Walzspaltgeometrie umzusetzen. Beide in E1 und in E2 offenbarten Verfahren seien bei fachmännischer Betrachtung äquivalent zur beanspruchten Lösung, die deshalb nicht erfinderisch sei.

IX. Die Beschwerdegegnerin brachte vor, die beanspruchte Lösung sei im Hinblick auf den Stand der Technik erfinderisch, denn weder in E1 noch in E2 würde aufgrund der Ergebnisse einer Vorab-Berechnung die Walzspaltgeometrie online errechnet. Nach E1 würden durch lange Rechenzeit erhaltene Ergebnisse in einer Tabelle abgelegt und dann online für den Betrieb abgerufen, was jedoch keine Online-Berechnung darstelle. In E2 werde ein Modell des gewalzten Profils errechnet und danach das tatsächliche Profil des gewalzten Produktes mit der errechneten Kontur verglichen. Das Ergebnis würde zur Optimierung des Modells verwendet. Im Stand der Technik sei kein Hinweis zu finden, der den Fachmann von der bekannten Berechnung der Bandkontur weg hin zu einer zweistufigen Online-Berechnung der Walzspaltkontur anregen könnte.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit (Artikel 54 (2) EPÜ)

2.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurde der Einwand mangelnder Neuheit seitens der Beschwerdeführerin nicht mehr aufrecht erhalten. Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass das Verfahren nach Anspruch 1 neu ist, weil keine der Entgegenhaltungen eine zusammengesetzte Berechnung der Walzspaltkontur aus den Ergebnissen einer vorab durchgeführten Vorab-Berechnung der Walzspaltkontur und einer mit diesen Ergebnissen online durchgeführten Online-Berechnung der Walzspaltkontur offenbart.

2.2 Das Verfahren nach Anspruch 18 ist neu, da es die Berechnung der Walzspaltkontur nach einem der Ansprüche 1 bis 17 umfasst.

2.3 Die Vorrichtung nach Anspruch 21 ist ein Mittel zur Durchführung des neuen Verfahrens nach Anspruch 1 und erfüllt daher ebenfalls das Neuheitserfordernis.

3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

3.1 Die Beschwerdeführerin ging zutreffend von E2 als nächstkommendem Stand der Technik aus. Dieses Dokument offenbart ein Verfahren zum Steuern des Walzspaltes in einem Walzgerüst mit Hilfe eines Modells der Kontur des gewalzten Bandes.

3.2 Das zugrunde liegende technische Problem ist dann darin zu sehen, die Steuerung des Walzgerüsts zu verbessern, um bessere Walzergebnisse zu erzielen, eine Aufgabe, die sich dem Fachmann in der täglichen Praxis stellt. Gelöst wird das Problem mit den Merkmalen der Verfahren nach Anspruch 1 und Anspruch 18 sowie mit der Vorrichtung gemäß Anspruch 21.

3.3 Bei dem aus E2 bekannten Verfahren (Seite 24, Fig. 6 "Data flow for strip profile and flatness model calibration") wird mit Hilfe eines Off-line Modells für die Walzendurchbiegung, PDI Data (portable database image data) und am Walzgerüst gemessener Daten ein Modell für das Bandprofil errechnet. Dieses errechnete Bandprofil wird mit dem tatsächlich erzeugten Bandprofil verglichen und aus dem Ergebnis des Vergleichs werden Stellgrößen zur Beeinflussung des Walzgerüsts ermittelt. Es mag zutreffen, dass der Fachmann unter diesem Verfahren eine Art Vorab-Berechnung der Walzspaltgeometrie verstehen kann. Eine Online-Berechnung aufgrund der Ergebnisse der Vorab-Berechnung findet jedoch nicht statt. Vielmehr werden die mit der Vorab-Berechnung erzeugten Parameter als variable Koeffizienten in einer Modell-Daten-Basis abgelegt, auf die der Benutzer zugreifen kann, um den Walzprozess mit diesen Eingabedaten zu steuern.

3.4 Zusammenfassend ist festzustellen, dass in E2 ein Modell des Bandprofils errechnet wird. Das real gewalzte Bandprofil wird mit dem errechneten Modell-(Soll-)profil verglichen. Bei Abweichungen werden die Stellgrößen angepasst, um das real gewalzte Profil in Richtung des errechneten Profils zu optimieren. Dass bei der Bestimmung dieser Stellgrößen überhaupt eine Online-Berechnung erfolgt, ist dem Dokument nicht entnehmbar. Damit wird dem Fachmann dort auch kein Hinweis gegeben, eine Online-Berechnung der Walzspaltkontur mit Ergebnissen aus einer Vorab-Berechnung zu kombinieren.

3.5 Auch im Verfahren nach E1 (Seite 660, rechte Spalte) wird mit einer Vorab-Berechnung, die lange Rechenzeit erfordert und daher nicht online durchführbar ist, eine Vorhersage für das erwartete Bandprofil getroffen. Die Ergebnisse dieser Vorab-Berechnung werden in einer mehrdimensionalen Nachschlagetabelle gespeichert und bei Bedarf abgerufen. Ein solches Abrufen und Verwenden gespeicherter Daten kann nach Überzeugung der Kammer nicht als Online-Berechnung der Walzspaltkontur bezeichnet werden, jedenfalls keine Berechnung der Walzspaltkontur durch Zusammensetzen der Ergebnisse aus einer Vorab-Berechnung und einer Online-Berechnung mit diesen Ergebnissen aus der Vorab-Berechnung. Zu dieser Maßnahme kann E1 daher keine Anregung vermitteln, so dass auch die Kombination von E2 mit E1 nicht zur beanspruchten Lösung führt.

3.6 Die weiteren im Verfahren zitierten Entgegenhaltungen liegen der Erfindung ferner als der oben behandelte Stand der Technik. Das Verfahren nach Anspruch 1 beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit. Gleiches gilt für die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 18 und 21, in denen die Merkmale des Anspruchs 1 als Verfahrensmerkmale oder in der gegenständlichen Ausprägung enthalten sind.

4. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 17, 19,20 und 22 bis 26 betreffen weitere Ausgestaltungen der Lösungen gemäß den Ansprüchen 1, 18 und 21 und sind somit ebenfalls beständig.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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