T 1596/07 (Fernsteuerung eines Feldgeräts/ENDRESS & HAUSER) of 23.2.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T159607.20100223
Datum der Entscheidung: 23 Februar 2010
Aktenzeichen: T 1596/07
Anmeldenummer: 97119053.3
IPC-Klasse: G05B 19/418
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Anordnung zum Fernsteuern und/oder Fernbedienen eines Feldgeräts mittels eines Steuergeräts über einen Feldbus
Name des Anmelders: Endress + Hauser GmbH + Co. KG, et al
Name des Einsprechenden: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 R 64
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde (bejaht)
Klarheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0213/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent Nr. 0913750 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, in der Fassung eines zweiten Hilfsantrags den Erfordernissen des Übereinkommens genügten.

II. Anspruch 1 gemäß dieses zweiten Hilfsantrags lautet:

"Anordnung zum Fernsteuern und/oder Fernbedienen eines Sensors (201) mittels eines Steuergeräts (208) über einen Feldbus (206), dadurch gekennzeichnet, dass in dem Sensor (201) als Geräteanwendung ein die Funktionalität dieses Sensors beschreibender, plattformunabhängiger Programmcode gespeichert ist, dass der Sensor (201) einen den plattformunabhängigen Programmcode verarbeitenden Prozessor (205) enthält, in dem der plattformunabhängige Programmcode ausführbar ist, und dass das Steuergerät (208) mit einer Run-Time-Umgebung (209) ausgestattet ist, in der der plattformunabhängige Programmcode nach Übertragung vom Sensor (201) zum Steuergerät (208) über den Feldbus (206) lauffähig ist, so dass die Fernsteuerung und/oder Fernbedienung des Sensors (201) durch Übertragung von Sensor-Parametern über den Feldbus (206) unter der Run-Time-Umgebung (209) durchführbar ist."

Der unabhängige Anspruch 2 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 dadurch, dass "Sensor" durch "Aktor" ersetzt worden ist.

III. In der angefochtenen Entscheidung wurde weiterhin festgestellt, dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung sowie in der Fassung eines Hilfs antrags 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) beruhten. Es wurde unter anderem auf die folgenden Druckschriften verwiesen:

D1: K. Feldmann et al: "Einsatz von Java-Anwendungen zum Bedienen und Beobachten", erschienen im Kongressband "Echtzeit '97, Kongress & Messe für Industrielle Busse und Netze", 9. - 11. September 1997, Wiesbaden, Seiten 199-205

D3: WO 97/26587

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende am 14. August 2007 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde be gründung ist am 22. Oktober 2007 eingegangenen.

V. In der Erwiderung auf die Beschwerde beantragten die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen) die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents gemäß dem zweiten Hilfsantrag. Weiterhin vertraten die Beschwerdegegnerinnen die Auffassung, die Beschwerde sei unzulässig, da in der Beschwerdebe gründung nicht die Tatsachen und Beweismittel angeführt seien, weshalb die beanspruchten Gegenstände nicht neu oder nicht erfinderisch seien. Es wurde beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

VI. In einer am 24. April 2009 ergangenen Mitteilung nahm die Kammer vorläufig Stellung.

VII. Die Beschwerdegegnerinnen haben in einer am 1. September 2009 eingegangenen Eingabe weitere Argumente vorgebracht. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

VIII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 23. Februar 2010 statt. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerinnen beantragten, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen oder sie als unbegründet zurückzuweisen.

Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit

Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss sich eine für die Zulässigkeit einer Beschwerde ausreichende Begründung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (T 213/85, Abl 1987, 482).

Die tragenden Gründe für die angefochtene Entscheidung sind auf den Seiten 7 bis 9 der Entscheidungsgründe genannt. Demnach hat die Einspruchsabteilung einen Programmcode dann als "Feldgeräte anwendung" gesehen, wenn er "die Intelligenz des Sensors bzw. Aktors ausmacht", und aus diesem Grund die Hinzufügung "als Geräte anwendung" als klare Ein schränkung erachtet (Absätze (a) und (b) am Ende der Seite 7). Weiterhin hat die Einspruchsabteilung argumentiert, der beanspruchte Gegenstand beruhe aufgrund des hinzugefügten Merkmals auf einer erfinderischen Tätigkeit, (Absatz (f) auf Seite 8), da die in D1 genannten Applets lediglich als Gerätebeschreibung anzusehen seien und die Problematik der Inkonsistenz zwischen Gerätebeschreibung und Geräteanwendung auch nicht in D3 erwähnt sei.

In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin dargelegt, das Merkmal "als Geräteanwendung" sei nicht klar, da ein Fachmann der Automatisierungstechnik keinen bestimmten Inhalt mit diesem Merkmal verknüpfen könne. Ferner sei aus der Beschreibung nicht ersichtlich, inwie weit der Programmcode als Geräteanwendung verwendet werde oder eine Gerätebe schreibung enthalte oder repräsen tiere. Falls die Geräteanwendung eine Appli kation im Sinne der D1 sei, sei sie nicht geeignet, den beanspruchten Gegenstand gegen den Stand der Technik abzugrenzen und eine Patentwürdigkeit zu begründen.

Der Vortrag in der Beschwerdebegründung greift somit die oben genannten tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags an, und es ist für die Kammer nachvollziehbar, warum die Beschwerdeführerin diese Gründe als unrichtig erachtet. Die Beschwerde ist somit begründet worden und erfüllt damit das Erfordernis des dritten Satzes des Artikels 108 EPÜ 1973. Die Beschwerde ist daher zulässig.

2. Klarheit und Auslegung von Anspruch 1 (Artikel 84 EPÜ)

Wie bereits unter Punkt 1 dargelegt, stützt sich der Klarheitseinwand der Beschwerdeführerin darauf, der Begriff "Geräteanwendung" habe keine klare Bedeutung, und der Unterschied zwischen einer Geräteanwendung und einer Gerätebeschreibung sei nicht ersichtlich.

Gemäß dem Vortrag der Beschwerdegegnerinnen ist eine Geräteanwendung ein auf einem Prozessor lauffähiges Programm, während eine Gerätebeschreibung lediglich die Attribute von Feldgeräteparametern oder die Beziehungen zwischen Attributen und Parametern auflistet; insbe sondere ist eine Gerätebeschreibung kein auf einem Prozessor ausführbarer Code.

Mit diesem Verständnis führt der Ausdruck "als Geräte anwendung" nicht zu einer Unklarheit im Anspruch. Durch diesen Ausdruck wird zusätzlich unter strichen, dass der die Funktionalität des Sensors beschreibende Programm code ein auf einem Prozessor lauffähiges Programm sein muss. Ob neben den Anweisungen für den Prozessor zusätzlich, wie in Absatz [0008] des Patents erwähnt, Parameterattribute oder Abhängigkeiten in diesen Programmcode eingefügt sind, ist für die Klarheit unerheblich, denn dadurch wird die Lauffähigkeit des Programmcodes auf einem Prozessor nicht berührt.

Somit erfüllt Anspruch 1 das Erfordernis des Artikels 84 hinsichtlich der Klarheit.

2.1 Jedoch kann die Kammer nicht erkennen, dass durch das zusätzliche Merkmal "als Geräte anwendung" dem Anspruch 1 sachlich etwas hinzugefügt wird. Bereits in der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde "ein die Funktionalität dieses Feldgeräts beschreibender, plattformunabhängiger Code" als ein ablauffähiges Programm verstanden (Seite 5, letzter Absatz, Seite 6, zweiter Absatz) und an diesem Verständnis ändert sich nichts durch die Hinzufügung "als Geräteanwendung". Die Kammer kommt daher zum Ergebnis, dass durch den Zusatz "als Geräteanwendung" der Anspruch 1 lediglich im Wortlaut, nicht aber sachlich verändert wird.

3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

3.1 Die Parteien erachten D1 als den relevantesten Stand der Technik, und auch die Einspruchsabteilung ist in der angefochtenen Ent scheidung von D1 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen. Die Kammer sieht keine Veranlassung, dies in Frage zu stellen.

3.2 D1 befasst sich mit dem auch in Absatz [0003] des Patents angesprochenen Problem, Automatisierungsgeräte in ein bestehendes System einzufügen oder ein Bedien- und Beobachtungssystem bei sich ändernden Automati sierungs geräten an die neuen Verhältnisse anzu passen. Eine solche Anpassung erfordert üblicher weise einen bedeuten den Aufwand bei der Konfiguration des Bedien systems, vgl. Seite 200 bis zum ersten vollständigen Absatz auf Seite 201. Zur Vereinfachung der Konfigura tion des Bediensystems wird in D1 vorgeschlagen, Programme für die Installation, die Bedienung und die Beobachtung eines Feldgeräts auf dem Feldgerät selbst zu speichern und bei Bedarf von einem Client zu laden (Seite 201, zweiter vollständiger Absatz). Als Feldgeräte werden in D1 die in einem industriellen Fertigungsprozess eingesetzten Sensoren und Aktoren bezeichnet (vgl. Bild 1 von D1). Durch die Ausführung der geladenen Programme wird der Client zum Steuergerät und steuert und beobachtet das Feldgerät; D1 nennt als Beispiele für Steuer- oder Beobachtungs funktionen die Änderung der Konfiguration oder das Abrufen von Prozesswerten. Die vom Client geladenen und ausgeführten Programme stellen somit die Geräteanwendung gemäß der oben in Punkt 2 vorgenommenen Auslegung dieses Begriffs dar. Weiterhin wird in dem benannten Absatz von D1 vorgeschlagen, die Programme in der Programmiersprache "Java" abzufassen, so dass jeder Rechner, der eine virtuelle Maschine von Java implementiert hat, als Client verwendet werden kann.

3.3 Die Anordnung gemäß Anspruch 1 unterscheidet sich von dem in D1 beschriebenen System dadurch, dass der Sensor einen den plattformunabhängigen Programmcode verarbeitenden Prozessor enthält, in dem der plattformunabhängige Programmcode ausführbar ist.

3.4 Durch dieses unterscheidende Merkmal wird der Sensor zum intelligenten Sensor, auf dem Teile der Steuer- und Beobachtungsfunktionen durchgeführt werden können und nicht zentral im Steuergerät ablaufen müssen. Ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik stellt sich somit dem Fachmann die technische Aufgabe, die Steuerung des in D1 offenbarten Systems zu dezentralisieren.

3.5 D3 beschreibt ein Automatisierungssystem mit einer Vielzahl von dezentral arbeitenden Automatisierungs geräten für ein global verteiltes Produktionssystem. Jedes Automatisierungsgerät beinhaltet einen Prozessor 12 zur Verarbeitung eines plattformunab hängigen Codes (Seite 4, Zeile 16 bis Seite 5, Zeile 3), und es werden zusätzlich dezentrale Subsysteme in Form von intelli gen ten Feldgeräten eingesetzt, wobei auf jedem Feldgerät ein Steuerprogramm in Form eines oder mehre rer objektorientierter Software-Bausteine ausgeführt wird (Seite 7, Zeilen 11 bis 28). Zur Lösung der oben unter Punkt 3.4 genannten Aufgabe würde der Fachmann durch das Dokument D2 angeleitet, die in D1 vorhandenen Feldgeräte durch intelligente Feldgeräte mit einem plattformunab hängigen Steuerprogramm und einem Prozessor zum Ausführen des Steuerprogramms zu ersetzen und würde somit in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

3.6 Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten, dem Steuergerät gemäß Anspruch 1 entspreche in D1 die Leitebene, die mit den tieferen Funktionsebenen über ein TCP/IP-Netzwerk, jedoch nicht über einen Feldbus verbunden sei. Dieses Detail ist nach Auffassung der Kammer ohne Belang, da die Anordnung gemäß Anspruch 1 nur eine Übertragung von Daten bzw. Parametern über einen Feldbus vorsieht, jedoch nicht auf eine Verbindung zwischen Steuergerät und Feldgerät ausschließlich über den Feldbus ein ge schränkt ist; da in D1 ein Teil der Übertragungs strecke zwischen Leitebene und Feldebene aus dem Feldbus besteht (vgl. Bild 2), kann aus diesem Detail kein Unterschied hergeleitet werden.

Die Kammer teilt weiterhin nicht die Auffassung der Beschwerdegegnerinnen, die in D1 verwendeten Applets könnten jeweils nur einzelne Steuerungsfunktionen wahrnehmen, seien jedoch kein das Feldgerät in seiner Gesamtheit beschreibender Programmcode; weder findet sich in D1 ein Hinweis, dass die Funktion eines Applets auf einzelne Steuerungsfunktionen beschränkt sein soll, noch stellt das Patent irgendwelche Anforderungen an die Vollständigkeit des gespeicherten Programmcodes hinsichtlich der Funktionalität des Sensors.

Schließlich sieht die Kammer entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerinnen keinen Unterschied darin begründet, dass in D1 die Steuerprogramme mittels eines sogenannten Zellen rechners vom Feldgerät angefordert werden. Diese Eigenschaft des in D1 offenbarten Systems ist für das Patent unwesentlich, denn es findet sich im Patent kein Hinweis, dass es für die Erfindung von Belang wäre, welches Gerät die Übertragung der Programme an das Steuergerät initiiert.

3.7 Die Kammer gelangt somit zu dem Schluss, dass die Anordnung gemäß Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und somit nicht das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ erfüllt.

4. Da die unter Punkt 3 festgestellte mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht und vom Beschwerdegegner keine weiteren Anträge vorliegen, ist das Patent zu widerrufen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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