European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2010:T158907.20100701 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 01 Juli 2010 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1589/07 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00954384.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08J 7/06 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung von antimikrobiellen Kunststoffkörpern mit verbessertem Langzeitverhalten | ||||||||
Name des Anmelders: | Guggenbichler, J. Peter, et al | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Ciba Specialty Chemicals Holding Inc. | ||||||||
Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Neuer Hauptantrag: Änderungen zulässig, Klarheit (ja); Durchführbarkeit (ja); Neuheit (ja) Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Erteilung des europäischen Patents Nr. 1 210 386 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 00954384.4, angemeldet am 28. Juli 2000 als internationale Anmeldung PCT/DE00/02493, im Namen von J. Peter Guggenbichler und Andreas Hirsch, wurde am 7. Juli 2004 im Patentblatt 2004/28 bekannt gemacht.
Das Patent wurde mit 14 Ansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 12 lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines antimikrobiellen Kunststoffkörpers, umfassend das Formen eines Vorprodukts, dadurch gekennzeichnet, daß vor dem Formen mindestens ein Bestandteil des Vorprodukts mit einem Metallkolloid behandelt wird und dem Vorprodukt anorganische Teilchen zugegeben werden."
"12. Kunststoffkörper erhältlich nach einem der Ansprüche 1 bis 11."
II. Gegen das Patent legte die Firma Ciba Specialty Chemicals Holding Inc. am 7. Mai 2005 Einspruch ein und beantragte den vollständigen Widerruf des Patents. Der Einspruch wurde darauf gestützt, dass der beanspruchte Gegenstand weder neu noch erfinderisch sei (Artikel 100 a) EPÜ).
Der Einspruch stützte sich unter anderem auf folgende Dokumente:
E1: EP 0 711 113 B1;
E2: WO 95/20878 A1;
E3: http://www.roempp.com, Datenbestand März 2002, Stichwort "Kolloide", Dokumentkennung RD-11-01598;
E4: 17 Artikeln aus Infection 26,(1998), Suppl. 1, MMV Medizin Verlag GmbH München, Seiten 1-86;
E7: WO 94/15462 A1;
E8: WO 94/15463 A1;
E9: Infection 27, (1999) Suppl. 1, MMV Medien & Medizin Verlags GmbH München, Seite 21; und
E16: EP 0 318 196 A2.
Folgende Dokumente wurden von der Einsprechenden verspätet eingereicht:
E17: Tarasankar Pal et al, Analyst, December 1986, vol 111, Seiten 1413-1415;
E18: DE 196 40 364 A1;
E19: Derwent Abstract Nr 92-059451/08;
E20: EP 0 606 762 A2;
E21: EP 0 695 501 A1;
E22: US 2 806 798 A;
E23: Römpp Lexikon Chemie, 1996, 10. Auflage, Seiten 2209-2213; und
E24: CRC Handbook of Chemistry and Physics, 61. Auflage, 1980-81, F-98.
Folgende Dokumente wurden von den Patentinhabern eingereicht:
Anlage 2 : Lehrbuch der Anorganischen Chemie, Holleman Wiberg, 101. Auflage, 1995, Seite 1345; und
Anlage 3 : Chemikalien-Lexikon, http://www.omicron-
online.de/cyberchem/cheminfo/7321-lex.htm.
III. Die Patentinhaber reichten während des Einspruchs verfahrens mit Schreiben vom 19. April 2007 einen neuen Hauptantrag und einen Hilfsantrag I ein.
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 12 des Hauptantrags lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines antimikrobiellen Kunststoffkörpers, umfassend das Formen eines Vorprodukts, wobei dem Vorprodukt anorganische Teilchen zugegeben werden, dadurch gekennzeichnet, daß vor dem Formen mindestens ein Bestandteil des Vorprodukts mit einem Metallkolloid behandelt wird, wobei das Metallkolloid durch Reduktion einer Metallsalzlösung hergestellt wird."
"12. Kunststoffkörper erhältlich nach einem der Ansprüche 1 bis 11."
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags I lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines antimikrobiellen Kunststoffkörpers, umfassend das Formen eines Vorprodukts, wobei dem Vorprodukt anorganische Teilchen zugegeben werden, dadurch gekennzeichnet, daß vor dem Formen mindestens ein Bestandteil des Vorprodukts mit einem Metallkolloid behandelt wird, wobei das Metallkolloid durch Reduktion einer Metallsalzlösung hergestellt wird, wobei zur Stabilisierung des entstehenden Kolloids Schutzstoffe eingesetzt werden."
"12. Kunststoffkörper erhältlich nach einem der Ansprüche 1 bis 12."
IV. Mit ihrer am 19. Juni 2007 mündlich verkündeten und am 18. Juli 2007 schriftlich begründeten Zwischenentschei dung hielt die Einspruchsabteilung das Patent in geändertem Umfang gemäß Hauptantrag aufrecht.
Die verspätet eingereichten Dokumente E17, E20 und E21 wurden wegen ihrer prima facie Relevanz in das Verfahren zugelassen. Ebenso ließ die Einspruchsabteilung den erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ zu. Sie kam jedoch zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Hauptantrags so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann ihn ausführen könne.
Da keines der zitierten Dokumente die Abscheidung von kolloidalem Silber auf einer polymeren- oder anorganischen Trägeroberfläche explizit oder implizit offenbare, sei der beanspruchte Gegenstand neu.
Unabhängig davon, ob E1 oder E7 als nächstliegender Stand der Technik verwendet würde, beruhe der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Fachmann, der sich mit der Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zur Herstellung von antimikrobiellen Kunststoffkörpern beschäftige, würde keinerlei expliziten Hinweis für die Verwendung von Metallkolloiden im Stand der Technik finden.
V. Am 20. September 2007 legte die Einsprechende (Beschwer deführerin) Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein und entrichtete die Beschwerdegebühr am gleichen Tag. Sie beantragte die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und den Widerruf des Patents in vollem Unfang. Die Beschwerdebegründung ist am 19. November 2007 eingegangen.
Folgende zusätzliche Dokumente wurden mit der Beschwerdebegründung eingereicht:
D25: A. Götz et al, "Self-Sterilizing Surfaces", Science, 1942, Seiten 537-538;
D26: Seymour S. Block, "Disinfection, Sterilization, and Preservation", 2. Auflage, 1977, Seiten 808 und 828;
D27: Internet Dokument;
http://www.public.asu.edu/~jpbirk/qual/qualanal/ silver.html; und
D28: Ullmann et al, "Enzyklopädie der technischen Chemie", 2. Auflage, 1940, Seiten 52 und 719.
VI. Mit dem am 14. Juli 2008 eingegangenen Schreiben verteidigten die Patentinhaber (Beschwerdegegner) im Wesentlichen die Entscheidung der Einspruchsabteilung. Hilfsweise wurde der Hilfsantrag I aus dem Einspruchsverfahren aufrecht erhalten. Als Beweis für die Neuheit des beanspruchten Verfahrens und des Product-by-process-Anspruchs reichten sie die Anlagen D1 und D2 ein.
Anlage D1:
Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) an Kunst stoffschläuchen mit BaSO4-Ag-Partikeln; und
Anlage D2:
Zusammenfassung der Ergebnisse aus Vergleichs untersuchungen zwischen dem Erlanger Silber -Katheter und einem nach der Lehre der EP 1 210 386 hergestellten Katheter.
Weitere Hilfsanträge II-VI wurden mit Schreiben vom 3. Mai 2010 eingereicht.
VII. Mit Schreiben vom 1. Juni 2010 erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie an der für den 1. Juli 2010 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Sie hielt aber ihren Antrag, die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen, aufrecht. Außerdem wies sie darauf hin, dass der in allen Anträgen (d. h. Haupt- und Hilfsanträge I-VI) enthaltene Product-by-process-Anspruch gegenüber den zitierten Dokumenten nicht neu sei.
VIII. Am 1. Juli. 2010 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der die Beschwerdeführerin, wie angekündigt, nicht vertreten war.
Nach der Diskussion des bis dahin vorliegenden Hauptantrags (d. h. die von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Ansprüche) im Hinblick auf die Dokumente E1, E4 (Seite 49) und E21, zogen die Beschwerdegegner diesen Antrag zurück und machten den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag I (Ansprüche 1-11) zu ihrem neuen Hauptantrag. Dieser Hilfsantrag I entsprach, abgesehen von der Streichung eines abhängigen Anspruchs und aller Produktansprüche, dem bereits der Einspruchsabteilung vorliegenden Hilfsantrag I.
Der einzige unabhängige Anspruch 1 des neuen Hauptantrags lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines antimikrobiellen Kunststoffkörpers, umfassend das Formen eines Vorprodukts, wobei dem Vorprodukt anorganische Teilchen zugegeben werden, dadurch gekennzeichnet, daß vor dem Formen mindestens ein Bestandteil des Vorprodukts mit einem Metallkolloid behandelt wird, wobei das Metallkolloid durch Reduktion einer Metallsalzlösung hergestellt wird, und zur Stabilisierung des entstehenden Kolloids Schutzstoffe eingesetzt werden."
Die Ansprüche 2-11 waren abhängige Ansprüche und betrafen bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1.
IX. Die für diese Entscheidung wichtigen, schriftlich eingereichten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Das Verfahren des von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten Anspruchs 1 (und damit auch der Product-by-process-Anspruch 12) schließe die Möglichkeit ein, dass bei der Reduktion der Metallsalzlösung auf die Verwendung von Schutzstoffen verzichtet werde. Diese Möglichkeit sei weder durch die Beschreibung gestützt noch könne sie durch den Fachmann realisiert werden.
- Der Gegenstand des Product-by-process-Anspruchs 12 sei gegenüber den Dokumenten E1, E2, E4, E7, E8, E9, E16, E19 und E21 nicht neu. Es wurde von den Beschwerdegegnern, welche die Beweislast tragen, nicht gezeigt, dass sich jedes in den Schutzbereich fallende Produkt von den im Stand der Technik beschriebenen Produkten unterscheide. Diese Argumentation betreffe auch die Product-by-process- Ansprüche der vorgelegten Hilfsanträge.
- Das Verfahren gemäß aufrecht erhaltenem Anspruch 1 sei gegenüber E21 nicht neu, da dieses Dokument alle Verfahrensmerkmale des beanspruchten Verfahrens offenbare.
- Außerdem würden die Gegenstände der aufrecht erhaltenen Ansprüche gegenüber E1 (nächstliegender Stand der Technik) in Kombination mit E21 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
X. Die für diese Entscheidung wichtigen, von den Beschwerdegegnern schriftlich eingereichten und mündlich vorgetragenen Argumente können wie folgt zusammengefasst werden:
- Da der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte, neue Hauptantrag nur mehr weiter eingeschränkte Verfahrensansprüche enthielt, seien die Einwände der Beschwerdegegnerin hinsichtlich mangelnder Stützung durch die Beschreibung und mangelnder Ausführbarkeit hinfällig. Darüber hinaus sei das nun beanspruchte Verfahren gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik neu.
- Da die Frage der erfinderischen Tätigkeit des nun vorliegenden Antrags in der angefochtenen Entscheidung nicht behandelt wurde, insbesondere unter der Einbeziehung von E21, sollte die Angelegenheit an die erste Instanz zurückverwiesen werden.
XI. Die Beschwerdeführerin beantragte im schriftlichen Verfahren die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 210 386.
Die Beschwerdegegner beantragten, das Patent auf Basis der Ansprüche 1 bis 11, eingereicht während der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag I (jetzt Hauptantrag), aufrecht zu erhalten.
Hilfsweise beantragten sie auch, die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurück zu verweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. In der mündlichen Verhandlung haben die Beschwerdegegner den von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Hauptantrag durch einen neuen Antrag ersetzt. Somit ist die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung hinfällig und aufzuheben. Der neue Antrag ist, obwohl in einem sehr späten Verfahrensstadium eingereicht, auch zulässig, da er, abgesehen von der Streichung eines abhängigen Anspruchs und aller Produktansprüche, dem bereits der Einspruchsabteilung vorliegenden Hilfsantrag I entspricht.
3. Zulässigkeit der Dokumente E25-E28
Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung erstmals die Dokumente E25-E28 eingereicht. In erster Linie sollen die Dokumente die Argumentation der Beschwerdeführerin hinsichtlich mangelnder Neuheit stützen.
Diese Dokumente wurden als Reaktion auf die angefochtene Entscheidung und zum frühest möglichen Zeitpunkt in das Beschwerdeverfahren eingeführt. Außerdem erachtet sie die Kammer als hilfreich für die Beurteilung des allgemeinen Fachwissens. In Ausübung ihres Ermessens lässt sie die Kammer daher zu (Artikel 114(2) EPÜ).
4. Änderungen - Artikel 123 EPÜ
4.1 Der Gegenstand des neuen Anspruchs 1 basiert auf einer Kombination des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 mit folgenden Textstellen der ursprünglich eingereichten Beschreibung:
- Seite 3, Zeilen 8-12 (anorganische Teilchen werden dem Vorprodukt zugegeben), und
- Seite 3, Zeilen 23-26 (das Metallkolloid wird durch Reduktion einer Metallsalzlösung hergestellt, und zur Stabilisierung des entstehenden Kolloids werden Schutzstoffe eingesetzt).
Somit ist der Gegenstand des neuen Anspruchs 1 eindeutig in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart und erfüllt die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
4.2 Gegenüber dem erteilten Anspruch 1 (Punkt I oben) ist der Gegenstand des neuen Anspruchs 1 durch die Aufnahme des Herstellungsverfahrens des Metallkolloids weiter eingeschränkt, so dass der neue Anspruch 1 auch die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ erfüllt.
4.3 Die abhängigen Ansprüche 2-11 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2-4 und 6-12, bzw. den erteilten Ansprüchen 2-11, so dass auch diese Ansprüche die Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) EPÜ erfüllen.
5. Klarheit - Artikel 84 EPÜ
Die gegenüber dem erteilten Anspruch 1 neu aufgenommenen Merkmale, dass das Metallkolloid durch Reduktion einer Metallsalzlösung hergestellt wird, und zur Stabilisierung des entstehenden Kolloids Schutzstoffe eingesetzt werden, sind klar und durch die Beschreibung gestützt. Einwände unter Artikel 84 EPÜ ergeben sich aus diesen Änderungen nicht.
6. Offenbarung der Erfindung - Artikel 83 EPÜ
Durch das Hinzufügen des Merkmals, dass zur Stabilisierung des entstehenden Kolloids Schutzstoffe eingesetzt werden, greift der ursprünglich von der Beschwerdeführerin erhobene Einwand der mangelnden Ausführbarkeit (die Herstellung eines Kunststoffkörpers, in dessen Verlauf ein Metallkolloid durch Reduktion einer Metallsalzlösung hergestellt wird, ist ohne die Verwendung von Schutzstoffen und Kolloidstabilisatoren nicht möglich) nicht mehr. Zudem zeigen die Beispiele 1, 3 und 4 des Streitpatents, dass durch die Verwendung eines Schutzstoffes, nämlich Gelatine, kolloidales Silber durch die Reduktion einer Metallsalzlösung erhalten wird. Beispiel 6 des Streitpatents beweist die antibakterielle Wirksamkeit eines Katheters, der nach dem anspruchsgemäßen Verfahren hergestellt worden ist.
Einwände unter Artikel 83 EPÜ gegen das nunmehr beanspruchte Verfahren gemäß Anspruch 1 bestehen somit nicht.
7. Neuheit - Artikel 54 EPÜ
7.1 Wie bereits erwähnt, basieren die Ansprüche des vorliegenden Antrags auf den Verfahrensansprüchen des Hilfsantrags I aus dem Einspruchsverfahren, der von den Beschwerdegegnern zunächst auch im Beschwerdeverfahren aufrecht erhalten worden ist (siehe Schreiben vom 14. Juli 2008). Gegen die Verfahrensansprüche dieses Hilfsantrags I hat die Beschwerdeführerin nie Neuheitseinwände erhoben. Auch in ihrem Schreiben vom 1. Juni 2010 greift sie lediglich die Product-by-process-Ansprüche des ehemaligen Hilfsantrags I an, die aber im vorliegenden Antrag gestrichen worden sind.
7.2 Angesichts des vorliegenden Standes der Technik, insbesondere auch E21, ist das nun beanspruchte Verfahren in der Tat neu.
7.2.1 E21 betrifft einen Kunststoffkörper mit antibakterieller Oberfläche, wobei Keramik- oder Metallteilchen, welche dispersiv an ihnen fixierte Silbermetallteilchen mit einem mittleren Durchmesser von 0,0001 bis 0,1 mym aufweisen, an seiner Oberfläche eingebettet sind. Beispiel 8 offenbart ein Verfahren zur Herstellung eines solchen Kunststoffkörpers mit antibakterieller Oberfläche und umfasst folgende Schritte:
- das Formen eines Vorprodukts (Mischen von Titandioxidpartikeln, auf denen Silberteilchen abgeschieden worden sind, mit einem ABS-Polymer),
- dem Vorprodukt werden somit anorganische Teilchen zugegeben, nämlich die Titandioxidpartikel,
- vor dem Formen wird mindestens ein Bestandteil des Vorprodukts mit einem Metallkolloid behandelt (Silberteilchen werden auf Titandioxidpartikeln abgeschieden, wobei die Silberteilchen eine Größe von 0,0001 bis 0,1 mym (0,1 bis 100 nm) aufweisen, d. h. die Silberpartikel liegen in kolloidaler Form vor, wie E3 und E23 belegen),
- das Metallkolloid wird durch Reduktion einer Metallsalzlösung hergestellt (eine wässrige Silber nitratlösung wird mit Hilfe von Glukose reduziert).
Weder das Beispiel 8 noch die allgemeine Beschreibung der E21 offenbaren aber die Verwendung von Schutzstoffen zur Kolloidstabilisierung. Somit ist das Verfahren gemäß Anspruch 1 gegenüber E21 allein aus diesem Grund neu.
7.2.2 Die Beschwerdegegner haben argumentiert, dass die homogene Verteilung der Silberteilchen in der Polymermatrix ein weiteres Unterscheidungsmerkmal des erfindungsgemäßen Verfahrens gegenüber der E21 sei. In den gemäß E21 erhaltenen Produkten seien die Silberteilchen nur an der Oberfläche der erhaltenen Kunststoffkörper. Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen, da sich im Anspruch 1 des vorliegenden Antrags kein Hinweis auf eine homogene Verteilung der Silberteilchen findet. Auch das Argument, dass die Partikel der E21 ausschließlich an der Oberfläche des geformten Produktes zu finden seien, trifft nicht zu. Im Beispiel 8 (Seite 6, Zeilen 11 bis 13) wird explizit ausgeführt, dass nur eine große Zahl der Titandioxidpartikel an der Oberfläche der erhaltenen Folie eingebettet ist. Dies kann nach Ansicht der Kammer nur bedeuten, dass auch im Inneren der Folie Silberteilchen sind, wenn auch zu einem geringeren Anteil.
8. Zurückverweisung - Artikel 111(1) EPÜ
8.1 Es bleibt zu untersuchen, ob das beanspruchte Verfahren auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, insbesondere im Hinblick auf die Offenbarung von E21.
8.2 Die Kammer stellt jedoch fest, dass die erfinderische Tätigkeit des nun beanspruchten Verfahrens in der angefochtenen Entscheidung nicht abgehandelt worden ist. Außerdem kristallisierte sich die Relevanz des Dokuments E21 für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung heraus. Da die Beschwergegner zudem hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz beantragt haben, macht die Kammer von ihrem Ermessen gemäß Artikel 111(1) EPÜ Gebrauch und verweist die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurück, um die erfinderische Tätigkeit auf der Grundlage der vorliegenden Ansprüche 1 bis 11 zu prüfen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 11, eingereicht als Hilfsantrag I während der mündlichen Verhandlung vom 1. Juli 2010 (jetzt Hauptantrag), zurück verwiesen.