T 1219/07 () of 2.2.2010

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2010:T121907.20100202
Datum der Entscheidung: 02 Februar 2010
Aktenzeichen: T 1219/07
Anmeldenummer: 96118511.3
IPC-Klasse: H01T 1/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Beeinflussung des Folgestromlöschvermögens von Funkenstreckenanordungen und Funkenstreckenanordnungen hierfür
Name des Anmelders: Dehn + Söhne GmbH + Co. KG
Name des Einsprechenden: J. Pröpster GmbH
Phoenix Contact GmbH & Co
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden 01 richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die festgestellt hat, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das europäische Patent Nr. 0 789 434 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung unter anderem fest, dass die Ansprüche 1 und 4 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vom 21. Mai 2007 eingereichten Antrag nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoßen.

Die weitere Einsprechende 02 ist gemäß Artikel 107 EPÜ am Beschwerdeverfahren beteiligt.

II. In der Anlage zu einer Ladung zu mündlicher Verhandlung teilte die Kammer unter anderem mit, dass mehrere Fragen bezüglich der Auslegung der unabhängigen Ansprüche 1 und 4 zu klären waren.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 und mit Bezug auf eine der oben erwähnten Fragen schlug die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) eine Klarstellung des Anspruchs 4 vor.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2009 erhob die Beschwerdeführerin mehrere Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ.

Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 2. Februar 2010 statt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 01) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 789 434.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die als Verfahrensbeteiligte geladene Einsprechende 02 nahm an der Verhandlung nicht teil und stellte auch im schriftlichen Verfahren keinen Antrag.

III. Der unabhängige Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung lautet:

"Verfahren

a) zum Betreiben von geschlossenen Funkensstreckenanordnungen

b) mit zwei Elektroden,

c) die innerhalb eines quasi-druckdichten Gehäuses angeordnet sind,

d) wobei innerhalb des Gehäuses ein Löschgas vorgesehen ist,

gekennzeichnet durch

e) eine Abstimmung der Größe des zu löschenden Folgestroms auf das Volumen des Innenraums des Gehäuses (5)

f) derart, dass eine kurzzeitige Erhöhung des Innendrucks des Gehäuses (5) auf ein Vielfaches des atmosphärischen Druckes auf 10.10**(5) Pa - 60.10**(5) Pa (10 - 60 bar) zur Beeinflussung des Folgestromlöschvermögens bewirkt wird,

g) wobei die Druckerhöhung in dem die Elektroden aufweisenden Innenraum (1) durch den Lichtbogen des Folgestroms selbst produziert wird

h) mit der Folge einer druckabhängigen Beeinflussung der Bogenfeldstärke und der Bogenspannung

i) auch bei kleinen Gehäuseabmessungen,

j) wobei der im Gehäuse (5) auftretende Überdruck langsam abgebaut wird und

k) der Abbau des Überdrucks durch Dimensionierung von Be- und Entlüftungskanälen über verschiedene Zeiten einstellbar ist."

Der unabhängige Anspruch 4 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung lautet:

"Funkenstreckenanordnung

a) mit zwei Elektroden,

b) die im Innenraum eines geschlossenen,

c) quasi-druckdichten Gehäuses angeordnet sind,

d) zur Durchführung des Verfahrens nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4 [sic],

dadurch gekennzeichnet, dass

e) der die Elektroden (2a, 2b) beinhaltende Innenraum (1) von einer druckfesten Gehäuseanordnung (5) umgeben ist,

f) wobei das Volumen des Innenraums derart bemessen und auf die Höhe des zu erwartenden Folgestroms abgestimmt ist,

g) dass durch den Lichtbogen des Folgestroms

h) eine Druckerhöhung eines im Innern des Elektrodenraums vorgesehenen Gases, insbesondere eine [sic] Löschgases auf ein Vielfaches des atmosphärischen Druckes auf 10.10**(5) Pa - 60.10**(5) Pa (10 - 60 bar) erreicht wird,

i) weiterhin zur Einstellung der Ansprechspannung der Funkenstrecke die beiden Elektroden (2a, 2b) auf einen Abstand (a) gehalten sind und dass bevorzugt dieser Abstand (a) veränderbar ist,

j) die Wände (20) des Abstands zwischen den Elektroden (2a, 2b) vom Abstand (a) her nach außen hin verlaufend zwischen sich eine konische Erweiterung des Luftspalts bilden

k) und dass zum Angleichen des Innendrucks der Gehäuseanordnung (5) an den atmosphärischen Druck Be- und Entlüftungskanäle (9) vorgesehen sind."

Die Merkmalsgliederung wurde in beide Ansprüche von der Kammer eingefügt.

Die in dem Brief vom 23. Dezember 2009 vorgeschlagene Klarstellung des Anspruchs 4 betrifft Merkmal j), das gemäß Vorschlag der Beschwerdeführerin wie nachstehend geändert werden könnte:

"... die Wände 20 der Elektroden 2a, 2b vom Abstand a) her nach außen hin verlaufend zwischen sich eine konische Erweiterung bilden ...".

IV. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123(2) EPÜ).

Die ursprüngliche Anmeldung offenbare lediglich, dass die Funkenstrecke bzw. deren Gehäuse geschlossen ist, und nicht, dass die gesamte Funkenstreckenanordnung geschlossen ist, wie im Merkmal a) des Anspruchs 1 definiert ist;

Gemäß Merkmal i) des Anspruchs 1 sind die Gehäuseabmessungen "klein". Dieses Merkmal entspreche aber nicht der Offenbarung der in diesem Zusammenhang von der Beschwerdegegnerin zitierten Textstelle (Spalte 4, Zeilen 21 und 22 der veröffentlichten Anmeldung), wo von "sehr kleinen Abmessungen" die Rede ist. Die weiteren relevanten Stellen in der Beschreibung könnten dieses geänderte Merkmal nicht stützen, weil sie sich entweder auf das Innenvolumen des Gehäuses, und daher nicht auf deren äußere Abmessungen, oder auf einen Vergleich mit dem Stand der Technik beziehen.

Das Streichen des Worts "hermetisch" an drei Stellen in der Beschreibung ändere die Lehre des Patents in unzulässiger Weise, da die Funkenstrecke des Ausführungsbeispiels der Figur 1 in der ursprünglichen Anmeldung ausnahmslos als hermetisch bezeichnet wurde.

V. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Artikel 123(2) EPÜ erlaube die volle Ausschöpfung der Offenbarung der ursprünglich eingereichten Anmeldung. Das Merkmal i) sei durch die gesamte Lehre, die aus mehreren Stellen der Beschreibung (Spalte 3, Zeilen 53 bis 58; Spalte 4, Zeilen 21 und 22; Spalte 5, Zeilen 8 bis 14; Spalte 6, Zeilen 7 bis 23 und 27 bis 33 der veröffentlichten Anmeldung) hervorgeht, gestützt. Insbesondere sehe die Offenbarung in der ursprünglichen Anmeldung vor, das Ziel der Erfindung "mit einem relativ kleinvolumigen Gehäuse" (Spalte 6, Zeilen 27 bis 33) "bei sehr kleinen Abmessungen des Gehäuses" (Spalte 4, Zeilen 21 und 22) zu erreichen. Die Änderung der Beschreibung des ersten Ausführungsbeispiels sei ebenfalls zulässig, da die Anmeldung hermetische und nicht-hermetische Funkenstrecken offenbart.

Was das Merkmal a) des Anspruchs 1 betrifft, müsse berücksichtigt werden, dass der Begriff "Funkenstreckenanordnung" Anordnungen aus mehreren Funkenstrecken erfasse, z.B. Anordnungen mit drei Funkenstrecken für Mehrphasensysteme.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Aus den folgenden Gründen geht nach Auffassung der Kammer das Patent in der durch die Einspruchsabteilung genehmigten Fassung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und verstoßt daher gegen Artikel 123(2) EPÜ.

2.1 Merkmal a) des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom ursprünglichen Anspruch 1 darin, dass die Funkenstreckenanordnungen als "geschlossen" bezeichnet sind. Die Anmeldung in der ursprünglichen Fassung erwähnt sowohl "Funkenstrecken" als auch "Funkenstreckenanordnungen". Nach der Patentinhaberin werden mit dem Begriff "Funkenstreckenanordnung" Anordnungen erfasst, die aus mehreren Funkenstrecken bestehen. Es ist daher ersichtlich, dass der Begriff "Funkenstreckenanordnung" allgemeinere Gegenstände als der Begriff "Funkenstrecke" als solche bezeichnet. Zweifellos werden in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht (siehe insbesondere Spalte 7, Zeilen 37 bis 43; Spalte 11, Zeilen 13 bis 19; Spalte 12, Zeilen 21 bis 27) geschlossene, nicht ausblasende Funkenstrecken offenbart. Ob eine Funkenstreckenanordnung, die eine oder mehrere solche geschlossene Funkenstrecke enthält, selbst als Ganze als geschlossen anzusehen ist, geht aus der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht nicht unmittelbar und eindeutig hervor. Der einzige direkte Hinweis in der ursprünglichen Anmeldung auf eine geschlossene Funkenstreckenanordnung befindet sich in Spalte 9, Zeilen 25 bis 28 ("Fig. 1 ... zeigt eine hermetisch abgedichtete Funkenstreckenanordnung", wobei eine hermetisch abgedichtete Anordnung zwangsläufig geschlossen wäre). Nach der ursprünglichen Beschreibung handelt es sich bei dem in Fig. 1 dargestellten Modul aber in der Tat um eine "in sich geschlossene, nicht ausblasende Funkenstrecke" (Spalte 11, Zeilen 13 bis 19). Der Satz auf Spalte 9, Zeilen 25 bis 28 kann daher nicht als unmittelbare und eindeutige Offenbarung verstanden werden, dass die gesamte Funkenstreckenanordnung hermetisch abgedichtet (und daher geschlossen) sein sollte.

2.2 Das Merkmal i) des Anspruchs 1 definiert zusätzlich zum ursprünglichen Anspruch 1, dass die in den vorhergehenden Merkmalen definierte Wirkung "auch bei kleinen Gehäuseabmessungen" entsteht. Als Stütze für dieses Merkmal zitierte die Beschwerdegegnerin folgende Stellen in der ursprünglichen Beschreibung (in der veröffentlichten Fassung): Spalte 3, Zeilen 53 bis 58; Spalte 4, Zeilen 21 und 22; Spalte 5, Zeilen 8 bis 13; Spalte 6, Zeilen 7 bis 23 und 27 bis 33.

Die Passage auf Spalte 4 spricht ausdrücklich von "sehr kleinen Abmessungen des Gehäuses", nicht von kleinen Abmessungen. Die Begriffe "sehr klein" und "klein" sind zwar relative Begriffe. Die Kammer stellt aber fest, dass der ganze Absatz der Beschreibung, in dem diese Passage eingebettet ist, die sehr kleinen Abmessungen als eng mit der Erfindung verbunden darstellt, so dass daraus keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung von lediglich kleinen Abmessungen entsteht. Dies wird auch durch die Beschreibung auf Spalte 9, letzte Zeile bis Spalte 10, Zeile 6, bestätigt, aus der hervorgeht, dass die Abmessungen erfindungsgemäßer Funkenstrecken aus der Fig. 1 und 4 abgelesen werden können. Damit ist dem Fachmann klar, dass die sehr kleinen Abmessungen des Gehäuses den aus der Fig. 1 bzw. 4 messbaren Gehäuseabmessungen entsprechen müssen, so dass für den Fachmann, der die ursprüngliche Anmeldung liest, ein Unterschied zwischen "sehr kleinen" und "kleinen" Gehäuseabmessungen erkennbar ist.

Von den weiteren von der Beschwerdegegnerin zitierten Stellen, beziehen sich die aus Spalte 3 und beide aus Spalte 6 auf Vergleiche mit dem in der Anmeldung zitierten Stand der Technik, so dass sie das Merkmal i) von Anspruch 1 nicht stützen können. Die zitierte Passage aus Spalte 5 und die erste zitierte Passage aus Spalte 6 beziehen sich nicht auf die Gehäuseabmessungen, sondern auf das Volumen des Innenraums des Gehäuses. Diese zwei Parameter sind zwar im allgemeinen Sinn miteinander verbunden, deren direkten Vergleich ist aber nicht möglich, weil für bestimmte Gehäuseabmessungen das Innenvolumen von der Dicke der Wände abhängt. Die weiteren von der Beschwerdegegnerin zitierten Passagen offenbaren daher das Merkmal i) auch nicht.

2.3 In der von der Einspruchsabteilung genehmigten Fassung der Beschreibung ist das Wort "hermetisch(e)" an drei Stellen gestrichen worden (Spalte 9, Zeile 27 und Spalte 12, Zeilen 24 und Zeilen 47 und 48 der veröffentlichten Anmeldung), die sich alle auf das Ausführungsbeispiel der Fig. 1 beziehen. Aus der ursprünglichen Beschreibung dieses Ausführungsbeispiels geht eindeutig hervor, dass die Funkenstrecke gemäß Fig. 1 bzw. deren Abdichtung hermetisch ist. In der geänderten Fassung ist das nicht mehr unbedingt der Fall, so dass die geänderte Beschreibung eine andere Lehre als die ursprüngliche enthält. Es stimmt zwar, dass die Anmeldung auch nicht-hermetisch abgedichtete Funkenstrecken beschreibt. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die in der ursprünglichen Anmeldung beschriebene Funkenstrecke des Ausführungsbeispiels der Fig. 1 eindeutig hermetisch war.

2.4 Die von der Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 vorgeschlagene Klarstellung des Anspruchs 4 ändert nichts daran, dass der Anspruch 1 in der durch die Einspruchsabteilung genehmigten Fassung über den ursprünglichen Inhalt der Anmeldung hinausgeht.

3. Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das Patent in der von der Einspruchsabteilung genehmigten Fassung die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt.

Das Patent war somit zu widerrufen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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