European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2010:T105407.20100915 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 15 September 2010 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1054/07 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00117504.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61B 5/15 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Blutlanzettenvorrichtung zur Entnahme von Blut für Diagnosezwecke | ||||||||
Name des Anmelders: | Roche Diagnostics GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Unzulässige Erweiterung (nein) Zulässigkeit von Änderungen (ja) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 20. Februar 2007 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen.
Die Beschwerdeschrift wurde am 17. März 2007 eingereicht und die Beschwerdegebühr am selben Tag bezahlt.
Die Beschwerdebegründung wurde am 14. Juni 2007 eingereicht.
II. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des mit der Entscheidung abgelehnten Hauptantrags zu erteilen. Hilfsweise beantragt sie die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der Unterlagen, die der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ 1973 vom 21. September 2004 zugrundelagen, und eine mündliche Verhandlung für den Fall, daß der Beschwerde nicht stattgegeben werden könne.
III. Am 21. September 2004 wurde die Mitteilung gemäß Regel 51(4) EPÜ 1973 zur Post gegeben.
Anspruch 1 gemäß dem Druckexemplar lautet wie folgt:
Blutlanzettenvorrichtung (2) zur Entnahme von Blut aus einem Körperteil (9) für Diagnosezwecke, umfassend
ein Gehäuse (1) mit einer Austrittsöffnung (8) für die Spitze (7) der Lanzette und einer die Austrittsöffnung umgebenden, zum Anlegen an das Körperteil vorgesehenen Kontaktfläche (1O);
einen in dem Gehäuse (1) entlang einem vorbestimmten
Einstichweg beweglichen Lanzettenhalter (3) zur Halterung der Lanzette (6),
eine Lanzettenführung (13), von der der Lanzettenhalter (3) auf dem vorbestimmten Einstichweg geführt wird und
einen Lanzettenantrieb (5) mit einem von einer Antriebsfeder (17) angetriebenen in eine Drehrichtung (28) drehbaren Antriebsrotor (16), durch den die Entspannungsbewegung der Antriebsfeder (17) in eine Einstichbewegung umgesetzt wird, bei der die von dem Lanzettenhalter (3) gehaltene Lanzette (6) mit hoher Geschwindigkeit entlang dem vorbestimmten Einstichweg in Einstichrichtung (14) bewegt wird, bis ihre Spitze (7) aus der Austrittsöffnung (8) austritt, um in einem an der Kontaktfläche (10) anliegenden Körperteil (9) eine Wunde zu erzeugen und durch den der Lanzettenhalter (3) in eine Position zurückgeführt wird, bei der sich die Spitze (7) der Lanzette (6) in dem Gehäuse (1) befindet,
wobei
der Antriebsrotor eine nach radial außen gerichtete Druckfläche (23) aufweist, die in variierendem Achsabstand derartig um die Rotationsachse (15) herum verläuft, daß sie einen Scheitelpunkt (27) mit maximalem Achsabstand und einen dem Scheitelpunkt (27) entgegen der Drehrichtung (28) folgenden Vortriebsabschnitt (30) mit entgegen der Drehrichtung (28) abnehmendem Achsabstand aufweist,
die Antriebsfeder (17) so ausgebildet ist, daß sie in einem Vortriebs-Drehwinkelbereich des Antriebsrotors (16) über ein Druckelement (24) einen Druck mit einer radial in Richtung auf die Rotationsachse (15) gerichteten Komponente auf den Vortriebsabschnitt (30) der Druckfläche (23) ausübt, so daß der Antriebsrotor (16) durch den Druck der Antriebsfeder (17) auf die Druckfläche in dem Vortriebsabschnitt (30) in Drehrichtung (28) angetrieben wird,
der Antriebsrotor (16) über einen abtriebsseitigen
Kopplungsmechanismus derartig mit dem Lanzettenhalter
(3) gekoppelt ist, daß die Spitze (7) der Lanzette
(6) aus der Austrittsöffnung (8) austritt, während sich der Antriebsrotor (16) in dem Vortriebs-Drehwinkelbereich befindet,
und die Druckfläche (23) einen entgegen der Drehrichtung (28) dem Scheitelpunkt (27) vorausgehenden Spannabschnitt (31) mit entgegen der Drehrichtung zunehmendem Achsabstand aufweist, der beim Spannen des Lanzettenantriebs (5) von dem Druckelement(24) abgefahren wird.
IV. Mit Schreiben vom 09. März 2005 reichte die Anmelderin einen geänderten Satz Anmeldungsunterlagen ein, bei dem in Anspruch 1 Merkmale gestrichen wurden, und beantragte die Erteilung auf der Basis dieser Unterlagen.
Der geänderte Anspruch 1 lautet wie folgt:
Blutlanzettenvorrichtung (2) zur Entnahme von Blut
aus einem Körperteil (9) für Diagnosezwecke, umfassend
einen in einem Gehäuse (1) entlang einem vorbestimmten Einstichweg beweglichen Lanzettenhalter (3) zur Halterung einer Lanzette (6)
eine Lanzettenführung (13), von der der Lanzettenhalter (3) auf dem vorbestimmten Einstichweg geführt wird und
einen Lanzettenantrieb (5) mit einem von einer Antriebsfeder (17) angetriebenen in eine Drehrichtung (28) drehbaren Antriebsrotor (16), durch den die Entspannungsbewegung der Antriebsfeder (17) in eine Einstichbewegung umgesetzt wird, bei der die von dem Lanzettenhalter (3) gehaltene Lanzette (6) mit hoher Geschwindigkeit entlang dem vorbestimmten Einstichweg in Einstichrichtung (14) bewegt wird, um die zur
Erzeugung einer Wunde in dem Körperteil (9) erforderliche Einstich- und Rückführbewegung durchzuführen,
wobei
der Antriebsrotor eine nach radial außen gerichtete Druckfläche (23) aufweist, die in variierendem Achsabstand derartig um die Rotationsachse (15) herum verläuft, daß sie einen Scheitelpunkt (27) mit maximalem Achsabstand und einen dem Scheitelpunkt (27) entgegen der Drehrichtung (28) folgenden Vortriebsabschnitt (30) mit entgegen der Drehrichtung (28) abnehmendem Achsabstand aufweist,
die Antriebsfeder (17) so ausgebildet ist, daß sie in
einem Vortriebs-Drehwinkelbereich des Antriebsrotors
(16) über ein Druckelement (24) einen Druck mit einer radial in Richtung auf die Rotationsachse (15) gerichteten Komponente auf den Vortriebsabschnitt (30) der Druckfläche (23) ausübt, so daß der Antriebsrotor (16) durch den Druck der Antriebsfeder (17) auf die Druckfläche in dem Vortriebsabschnitt (30) in Drehrichtung (28) angetrieben wird,
der Antriebsrotor (16) über einen abtriebsseitigen
Kopplungsmechanismus derartig mit dem Lanzettenhalter
(3) gekoppelt ist, daß die maximale Auslenkung der Lanzette (6) erreicht wird, während sich der Antriebsrotor (16) in dem Vortriebs-Drehwinkelbereich befindet,
und die Druckfläche (23) einen entgegen der Drehrichtung (28) dem Scheitelpunkt (27) vorausgehenden Spannabschnitt (31) mit entgegen der Drehrichtung zunehmendem Achsabstand aufweist, der beim Spannen des Lanzettenantriebs (5) von dem Druckelement(24) abgefahren wird.
V. Nach zwei weiteren sachlichen Bescheiden der Prüfungsabteilung und zwei weiteren Stellungnahmen der Anmelderin beschloss die Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen.
Die wesentlichen Gründe für die Zurückweisung können wie folgt zusammengefasst werden:
Die Prüfungsabteilung lasse in Ausübung des Ermessens, das ihr Regel 86 (3) EPÜ 1973 zuschreibt, nach ergangener Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ 1973 nur solche Änderungen zu, die die Vorbereitungen für die Erteilung nicht merklich verzögerten. Die vorgeschlagenen Änderungen erfüllten nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ und seien daher nicht zuzulassen.
Das Streichen des Merkmals der Austrittsöffnung für die Spitze ergebe sich nicht aus der Gesamtoffenbarung. Dieses Merkmal werde in den ursprünglichen Unterlagen immer in unmittelbarem Zusammenhang mit den übrigen Merkmalen der Erfindung offenbart. Die Prüfungsabteilung teile die Auffassung der Anmelderin nicht, wonach das Austreten (oder Nicht-Austreten) der Spitze aus dem Gehäuse in keinerlei Beziehung zu den wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen stehe. Es komme nicht darauf an, ob ein Fachmann erkennen würde, dass die nach dem Streichen des Merkmals verbleibende Kombination dem offenbarten Zweck diene, sondern vielmehr sei zu prüfen, ob ein erweiterter Anspruch unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Gesamtoffenbarung ableitbar sei. Im vorliegenden Fall sei das streitige Merkmal ein integraler Bestandteil der Blutlanzettenvorrichtung, und es gebe keinen Hinweis darauf, dass dieses Merkmal weggelassen werden könne. Der Fachmann würde daher nicht unmittelbar erkennen, dass dieses Merkmal nicht als wesentlich anzusehen sei.
Da keine von der Anmelderin gebilligte Fassung im Sinne von Art. 113 (2) EPÜ vorliege, werde die Anmeldung zurückgewiesen.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Es fehle der Entscheidung eine Begründung der Ermessensausübung gemäss Regel 86(3) EPÜ 1973 für die Nichtzulassung der beantragten Änderungen.
Die streitigen Änderungen seien beantragt worden, weil der Anmelderin Blutlanzettenvorrichtungen bekannt geworden seien, bei denen die zum Anlegen an das Körperteil vorgesehene Hautkontaktfläche und die von dieser Fläche umschlossene Gehäuseöffnung so ausgebildet seien, dass sich die Haut beim Andrücken des Fingers in die Öffnung hineinwölbe. In einem solchen Fall sei es nicht mehr unbedingt notwendig, dass die Lanzettenspitze aus der Austrittsöffnung hinausrage.
Die Streichung des Austrittsöffnungsmerkmals erfülle die drei Kriterien der Entscheidung T 331/87, die im übrigen auch in den Prüfungsrichtlinien enthalten seien.
Von den drei Kriterien sei sowieso nur das Kriterium der Wesentlichkeit streitig.
Zwar sei an keiner Stelle in der Anmeldung diese Austrittsöffnung als unwesentlich bezeichnet worden, jedoch könne dies kein Grund sein, eine Streichung zu verbieten, da sonst die entsprechenden Kriterien sinnlos wären und eine Streichung niemals möglich wäre.
Im vorliegenden Fall liege der Erfindung gemäß dem ursprünglichen Anmeldungstext die Aufgabe zu Grunde, eine Blutlanzettenvorrichtung zur Verfügung zu stellen, bei der ein präzises und vibrationsarmes Einstichverhalten mit reduziertem Herstellungsaufwand und demzufolge verminderten Kosten erreicht werde. Die in den ursprünglichen Unterlagen offenbarten Merkmale des kennzeichnenden Teiles des Anspruchs richteten sich ausschließlich auf die Art des Antriebs beziehungsweise auf die Konstruktion des Antriebsmechanismus. Das gestrichene Merkmal werde im Zusammenhang mit der Lösung der Aufgabe an keiner Stelle erwähnt. Es sei daher im vorliegenden Fall für den Fachmann klar, dass das in Rede stehende Merkmal bei der Lösung der Aufgabe keinerlei Rolle spiele.
Die Zurückweisung der beantragten Änderung auf der Grundlage von Art. 123 (2) EPÜ sei daher nicht gerechtfertigt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die vorliegende Entscheidung wird nach dem Inkrafttreten der revidierten Fassung des Europäischen Patentübereinkommens am 13. Dezember 2007 getroffen. Da die betroffene europäische Patentanmeldung zu dieser Zeit anhängig war, sind die Übergangsbestimmungen gemäß der Entscheidung des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen gemäß Artikel 7 der Revisionsakte des EPÜ und die die Ausführungsordnung zum EPÜ 2000 revidierende Entscheidung des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006 anzuwenden.
In Artikel 2 der Entscheidung des Verwaltungsrates vom 7. Dezember 2006 zur Änderung der Ausführungsordnung des EPÜ 2000 heißt es: "Die Ausführungsordnung zum EPÜ 2000 ist auf alle dem EPÜ 2000 unterliegenden europäischen Patentanmeldungen, anzuwenden."
Artikel 1 der Entscheidung des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen gemäß Artikel 7 der Revisionsakte des EPÜ sieht vor, dass Artikel 94 (Prüfung der europäischen Patentanmeldung), Artikel 97 (Erteilung oder Zurückweisung) und Artikel 123 (Änderungen) auf die bei ihrem Inkrafttreten anhängigen europäischen Patentanmeldungen anzuwenden sind.
Im vorliegenden Fall ist daher Regel 71 EPÜ, betreffend das Prüfungsverfahren, und Regel 137 EPÜ, betreffend Änderungen der europäischen Anmeldung, anstatt der Regeln 51 und 86 EPÜ 1973 anzuwenden.
3. Verfahrensaspekte
Die Beschwerdeführerin hat die geänderten Unterlagen nach Erhalt der Mitteilung nach Regel 71(3) EPÜ eingereicht.
Dies ist grundsätzlich möglich.
Bei der Zulassung solcher Änderungen sollen jedoch nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Interesse des Amts an einem schnellen Abschluss des Verfahrens gegen das Interesse des Anmelders an der Erteilung eines Patents mit den geänderten Ansprüchen abgewogen werden. Eine Ermessensentscheidung zuungunsten der Anmelderin ist nach Regel 111(2) EPÜ zu begründen.
Im vorliegenden Fall hat die Prüfungsabteilung, obwohl sie nach der angegriffenen Entscheidung beschlossen hatte, die geänderten Unterlagen gemäß Regel 137(3) EPÜ nicht zuzulassen, ausführlich begründet, warum die geänderten Unterlagen den Erfordernissen des Artikel 123(2) EPÜ nicht genügen und warum sie die Gegenargumente der Anmelderin nicht gelten lässt.
Die Prüfungsabteilung hat außerdem nach dem Einreichen der geänderten Unterlagen und vor ihrer Zurückweisungsentscheidung in zwei Bescheiden zu den Änderungen und den Argumenten der Anmelderin ausführlich Stellung genommen. Sie hat also die Änderungen geprüft und ist offensichtlich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ nicht erfüllt waren.
De facto hat die Prüfungsabteilung folglich die geänderten Unterlagen zugunsten der Anmelderin zugelassen, das Prüfungsverfahren wieder aufgenommen und die Anmeldung wegen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ zurückgewiesen.
Die Frage, ob die Prüfungsabteilung ihr Ermessen nach Regel 137(3) EPÜ richtig ausgeübt und begründet hat, spielt somit im vorliegenden Fall keine Rolle.
Die Kammer kann sich unter diesen Umständen auf die Überprüfung des tatsächlichen Entscheidungsgrundes, nämlich ob die geänderten Unterlagen den Erfordernissen von Artikel 123(2) EPÜ genügen, beschränken.
4. Zulässigkeit der Änderungen unter Artikel 123(2) EPÜ
4.1 Im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 sowie auch in Anspruch 1 gemäß dem von der Prüfungsabteilung für die Erteilung vorgeschlagenen Druckexemplar ist erwähnt:
a) dass die Blutlanzettenvorrichtung ein Gehäuse (1) umfasst mit einer Austrittsöffnung (8) für die Spitze (7) der Lanzette und einer die Austrittsöffnung umgebenden, zum Anlegen an das Körperteil vorgesehenen Kontaktfläche (10),
b) dass die Blutlanzettenvorrichtung einen Lanzettenantrieb (5) mit einem von einer Antriebsfeder (17) angetriebenen in eine Drehrichtung (28) drehbaren Antriebsrotor (16), durch den die Entspannungsbewegung der Antriebsfeder (17) in eine Einstichbewegung umgesetzt wird, bei der die von dem Lanzettenhalter (3) gehaltene Lanzette (6) mit hoher Geschwindigkeit entlang dem vorbestimmten Einstichweg in Einstichrichtung (14) bewegt wird, bis ihre Spitze (7) aus der Austrittsöffnung (8) austritt, um in einem an der Kontaktfläche (10) anliegenden Körperteil (9) eine Wunde zu erzeugen und durch den der Lanzettenhalter (3) in eine Position zurückgeführt wird, bei der sich die Spitze (7) der Lanzette (6) in dem Gehäuse (1) befindet,
c) dass der Antriebsrotor (16) über einen abtriebsseitigen Kopplungsmechanismus derartig mit dem Lanzettenhalter (3) gekoppelt ist, dass die Spitze (7) der Lanzette (6) aus der Austrittsöffnung (8) austritt, während sich der Antriebsrotor (16) in dem Vortriebs-Drehwinkelbereich befindet.
4.2 Diese Merkmale oder Teilmerkmale wurden in der Fassung gemäß Hauptantrag folgendermaßen verallgemeinert:
a) wurde gestrichen,
b) wurde dahingehend geändert, dass die Blutlanzettenvorrichtung einen Lanzettenantrieb (5) mit einem von einer Antriebsfeder (17) angetriebenen in eine Drehrichtung (28) drehbaren Antriebsrotor (16), durch den die Entspannungsbewegung der Antriebsfeder (17) in eine Einstichbewegung umgesetzt wird, bei der die von dem Lanzettenhalter (3) gehaltene Lanzette (6) mit hoher Geschwindigkeit entlang dem vorbestimmten Einstichweg in Einstichrichtung (14) bewegt wird, um die zur Erzeugung einer Wunde in dem Körperteil (9) erforderliche Einstich- und Rückführbewegung durchzuführen,
c) wurde dahingehend geändert, dass der Antriebsrotor (16) über einen abtriebsseitigen Kopplungsmechanismus derartig mit dem Lanzettenhalter (3) gekoppelt ist, dass die maximale Auslenkung der Lanzette (6) erreicht wird, während sich der Antriebsrotor (16) in dem Vortriebs- Drehwinkelbereich befindet.
Diese Änderungen laufen darauf hinaus, dass nicht mehr erwähnt wird, dass das Gehäuse mit einer Austrittsöffnung für die Spitze der Lanzette und einer die Austrittsöffnung umgebenden Kontakfläche versehen ist und dass die Lanzette bewegt wird, bis ihre Spitze aus der Austrittsöffnung austritt, um in einem an der Kontaktfläche anliegenden Körperteil eine Wunde zu erzeugen ("Austrittsöffnung-Merkmal").
4.3 Es geht im vorliegenden Fall um die Frage, ob die Streichung dieses Merkmals vorgenommen werden kann, obwohl, was unbestritten ist, in den ursprünglich eingereichten Unterlagen keine Fassung des Anspruchs 1 ohne dieses Merkmal explizit offenbart wurde und auch in der Beschreibung eine solch allgemeine Formulierung des Anspruchs 1 nicht explizit zu finden ist.
4.4 Nach der Entscheidung T 331/87 (ABl. EPA 1991, 022) und der darauf basierenden ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern verstößt das Ersetzen oder Streichen eines Merkmals aus einem Anspruch nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ, wenn
1. das Merkmal in der Offenbarung nicht als wesentlich hingestellt worden ist,
2. es als solches für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe, die sie lösen soll, nicht unerlässlich ist und
3. das Ersetzen oder Streichen keine wesentliche Angleichung anderer Merkmale erfordert.
Die Kammer bezieht sich bei den Rückbeziehungen in diesem Zusammenhang auf die veröffentlichte Version der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen (A2-Schrift).
4.5 Das oben erwähnte gestrichene Austrittsöffnung-Merkmal wird in der Anmeldung nirgends als wesentlich hingestellt, was auch von der Prüfungsabteilung nicht bestritten wurde. Entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung ist es in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, dass die Anmeldung einen Hinweis darauf enthält, dass das Merkmal weggelassen werden könnte oder dass es als unwesentlich bezeichnet wird. Auch die Tatsache, dass das Merkmal in allen Ausführungsbeispielen und den Zeichnungen enthalten ist, bedeutet nicht, dass das Merkmal als wesentlich hingestellt worden ist. Seine Nennung in den Absätzen [0001] und [0002] bezieht sich lediglich auf den bekannten Stand der Technik [0003].
4.6 Die Erfindung betrifft eine Blutlanzettenvorrichtung zur Entnahme von Blut für Diagnosezwecke, zum Beispiel für Diabetiker. Zweck einer solchen Vorrichtung ist es, einen Bluttropfen zu gewinnen, der es ermöglicht, eine Diagnose zu erstellen. Die Funktionsweise einer solchen Blutlanzettenvorrichtung ist allgemein bekannt, und stellt sich prinzipiell so dar: die Vorrichtung wird gegen die Haut gedrückt, und sodann ein Einstichvorgang ausgelöst, bei dem die Lanzette in eine Stichrichtung bewegt wird, bis ihre Spitze die zur Gewinnung des Bluttropfens erforderliche Wunde erzeugt. Da ein solcher Vorgang je nach Krankheitsbild teilweise mehrmals pro Tag durchgeführt werden muss, soll er für den Patienten möglichst schmerzlos sein.
Im Stand der Technik gibt es schmerzarme Blutlanzettenvorrichtungen, bei denen jedoch die Konstruktion des Antriebmechanismus der Lanzette relativ kompliziert geformte Bauteile erfordert, so dass deren Herstellung aufwändig und kostspielig ist. Ein solcher Stand der Technik wird in der Einleitung der Beschreibung auch erwähnt. Die dort zitierte Patentschrift US-A-5318584 offenbart eine Lanzettenvorrichtung, bei der sich der Antriebsmotor um eine zur Einstichrichtung parallele Drehachse dreht. Die Umwandlung der Rotationsbewegung in die erforderliche lineare Bewegung des Lanzettenhalters erfolgt mittels eines Drehschiebegetriebes. Eine solche Konstruktion mit sich ineinander drehenden und linear bewegenden Teilen, die die erforderliche Bewegung der Spitze bewirken, erfordert ein präzises Herstellen und Zusammenwirken der entsprechenden Bauteile.
Dementsprechend (siehe Absatz [0008] der ursprünglichen Offenbarung) liegt der Erfindung die Aufgabe zu Grunde, eine Blutlanzettenvorrichtung zur Verfügung zu stellen, bei der ein präzises und vibrationsarmes Einstichverhalten mit reduziertem Herstellungsaufwand und demzufolge verminderten Kosten erreicht wird.
Die vorgeschlagene Lösung basiert auf einem geänderten Lanzetten-Antriebsmechanismus, bei dem der Druck einer Antriebsfeder auf die radial nach außen gerichteten Druckflächen eines Antriebsrotors Letzteren in Rotation, und dabei eine mit ihm über eine der gewünschten Bewegung der Lanzette entsprechend geformte Steuerbahn verbundene Lanzette in Stichbewegung versetzt.
In der ursprünglich eingereichten Beschreibung wird ausführlich beschrieben, wie der erfindungsgemäße Antriebsmechanismus aufgebaut sein soll. Ein erstes Ausführungsbeispiel wird in den Absätzen [0014] bis einschließlich [0024] zusammen mit den Figuren 1 bis 3, ein zweites Ausführungsbeispiel in den Absätzen [0025] bis einschließlich [0027] zusammen mit den Figuren 4 bis 7 beschrieben. Absatz [0028] handelt von weiteren Ausgestaltungen des Antriebsrotors, und letztendlich werden in Absatz [0029] die Vorteile des erfindungsgemäßen Antriebsmechanismus nochmals wiederholt und es wird erklärt, wieso dessen Bauteile besonders kostengünstig realisierbar sind.
Auch der kennzeichnende Teil des ursprünglichen Anspruchs 1 ist auf die Merkmale des Antriebsrotors, der Antriebsfeder, also des Antriebsmechanismus, gerichtet.
4.7 Nach Auffassung der Kammer ist daher für den Leser der ursprünglichen Anmeldung klar, dass die Erfindung auf einen neuartigen Antriebsmechanismus für die Lanzette einer Blutlanzettenvorrichtung gerichtet ist. Die Austrittsöffnung wird, wie oben schon erwähnt, nirgendwo als wesentlich dargestellt und spielt dabei keine bedeutende Rolle.
Im Gegenteil, der fachkundige Leser weiß genau, dass es der Hauptzweck einer solchen Lanzettenvorrichtung ist, einen Bluttropfen zu gewinnen. Einen indirekten Hinweis auf die Unwichtigkeit des Austretens der Spitze aus der Austrittsöffnung bekommt der Leser nach Auffassung der Kammer in Absatz [0024], wo ein Mechanismus zum Einstellen der Einstichtiefe beschrieben wird. Ein Einstellen der Einstichtiefe ist nur deshalb sinnvoll, weil es eben Zweck einer solchen Lanzettenvorrichtung ist, eine Wunde zu erzeugen, die einen Bluttropfen hervorbringt. Schließlich wäre es sinnlos, eine gewisse, noch dazu schmerzhaftere, Einstichtiefe beizubehalten, wenn schon eine geringere und damit weniger schmerzhafte Einstichtiefe den erwünschten Zweck erfüllt. Dementsprechend ergibt es auch keinen Sinn, unbedingt ein Austreten der Spitze aus der Austrittsöffnung erzielen zu wollen, wenn dies z.B. aufgrund einer Wölbung der Haut in die Öffnung hinein nicht notwendig ist und die gewünschte Wunde ohne Austreten der Spitze aus der Öffnung erzeugt werden kann.
Es ist auch offensichtlich, dass das Generieren eines schmerzarmen Einstichs, beziehungsweise eine kostengünstige Herstellung des Antriebsmechanismus, nicht von dem Vorhandensein einer Austrittsöffnung abhängt und auch nicht davon, ob die Spitze der Lanzette aus der Austrittsöffnung austritt oder nicht.
4.8 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich auch, dass das Weglassen des Merkmals keine Angleichung der anderen Merkmale, insbesondere des hier wichtigen Antriebsmechanismus, verlangt.
4.9 Das gestrichene Merkmal ist also in der Offenbarung nicht als wesentlich hingestellt worden, es ist als solches für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe, die sie lösen soll, nicht unerlässlich, und das Streichen erfordert keine Angleichung anderer Merkmale.
Die in der T 331/87 definierten Kriterien sind somit erfüllt, so dass die gewünschte Streichung keine Verletzung des Artikels 123(2) EPÜ darstellt.
4.10 Die in den Teilmerkmalen b) und c) hinzugefügten allgemeinen Formulierungen ergeben sich schon aus der Funktionsweise des Lanzettenantriebs, sind aber auch den Absätzen [0014] und [0021] zu entnehmen.
Die übrigen Merkmale des Anspruchs 1 ergeben sich aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 3 sowie dem Absatz [0005] der Beschreibung, was im übrigen nicht in Frage gestellt wurde.
5. Da die Prüfungsabteilung schon eine Erteilung vorgeschlagen hatte, hat sie wohl die übrigen Erfordernisse des EPÜ als erfüllt betrachtet. Die Kammer sieht keinen Grund, dies in Frage zu stellen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an das Organ der ersten Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent zu erteilen auf Basis folgender Unterlagen:
Beschreibung, Seiten
2, 3, 3a, 4-9, 11-14 gemäß der Mitteilung nach Regel 51(4) EPÜ 1973 vom 21. September 2004
1, 10 eingegangen am 12. März 2005 mit Schreiben vom 09. März 2005;
Ansprüche, Nr.
3-7 gemäß der Mitteilung nach Regel 51(4) EPÜ 1973 vom 21. September 2004
1, 2, 8-12 eingegangen am 12. März 2005 mit Schreiben vom 09. März 2005;
Zeichnungen, Blätter
1/3-3/3 gemäß der Mitteilung nach Regel 51(4) EPÜ 1973 vom 21. September 2004.