T 0863/07 () of 23.11.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T086307.20091123
Datum der Entscheidung: 23 November 2009
Aktenzeichen: T 0863/07
Anmeldenummer: 04027486.2
IPC-Klasse: B60R 21/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 26 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Als Fussgängerschutz ausgelegte Kraftfahrzeug-Fronthaube
Name des Anmelders: Volkswagen AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Ausführbarkeit (nein)
Klarheit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 04 027 486.2 wurde mit der am 21. Februar 2007 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen. Die Prüfungsabteilung befand, dass die Anmeldung nicht den Erfordernissen von Art. 83 und Art. 84 EPÜ 1973 genügte. Dagegen hat die Anmelderin am 19. April 2007 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 4. Mai 2007 eingereicht. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der Unterlagen, die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegen, d.h. in der ursprünglich eingereichten Fassung.

Der Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Als Fußgängerschutz ausgelegte Kraftfahrzeug-Fronthaube, gekennzeichnet durch eine schalenartige Unterstruktur (1), die bevorzugt alle Beschläge der Fronthaube trägt, und eine obere Deckschale (2), die von einer energieabsorbierenden Zwischenschicht in einem Abstand von der Unterstruktur (1) ohne direkte Abstützung an der Unterstruktur (1) an dieser gehalten ist, wobei dieser Abstand und die Steifigkeiten von Unterstruktur (1) und Deckschale (2) derart gewählt sind, dass örtliche Verbeulungen der Deckschale (2) durch betriebsbedingte Beanspruchungen und durch Kopfaufprall eines Fußgängers mit Kindsgröße ausgeschlossen sind, dass ferner der von der energieabsorbierenden Zwischenschicht (3) definierte Abstand als Deformationsweg (x) für den Kopfaufprall eines Fußgängers mit Kindsgröße gewählt ist, und dass bleibende Verformungen der Unterstruktur (1) erst nach dieser Energieabsorption durch die Zwischenschicht (3) beim Kopfaufprall eines Fußgängers mit Erwachsenengröße auftreten."

II. In der Mitteilung vom 13. März 2009 äußerte die Kammer die Meinung, dass sie die in der angegriffenen Entscheidung angeführten Gründe im Wesentlichen teile.

III. Die Beschwerdeführerin vertrat in ihrer Beschwerdebegründung und mit Schreiben vom 13. Mai 2009 die Auffassung, dass die Begrifflichkeiten "Fußgänger mit Kindsgröße" und "Fußgänger mit Erwachsenengröße" in der Hinsicht klar seien, dass diese für Aufprallsituationen unterschiedlicher Schwere zwei unterschiedliche Deformations- und damit Energieabsorptionseigenschaften einer Fronthaube bestimmen würden, aus denen sich entsprechend konkret über die als Deformationsweg auszubildende Dicke der Zwischenschicht beim Aufprall zunächst die Komprimierung der Zwischenschicht und sodann bei noch vorhandener Aufpralleinwirkung eine Deformation der Unterstruktur ergebe. Somit seien diese Begrifflichkeiten so zu verstehen, dass damit zwei unterschiedliche Deformationssituationen für eine Fronthaube definiert würden, und zwar im Sinne einer, relativ zueinander gesehen, kleineren bzw. größeren Aufprallenergie. Folglich sei für den Fachmann die Richtung der Fronthaubenauslegung vorgegeben, ohne hierzu genauere Angaben zu Gewicht, Körpergröße etc. zu benötigen. Dieses Verständnis der Erfindung ergebe sich aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung und insbesondere aus Absatz [0006] der veröffentlichten Anmeldung (im Folgenden als EP-A bezeichnet).

Der Fachmann wisse auch, dass zur Ausbildung eines vorgegebenen Deformationsweges die Stärke der Zwischenschicht so zu wählen sei, dass in Abhängigkeit von der jeweiligen Aufprallhärte unterschiedliches Deformationsverhalten der Fronthaube zur Verfügung gestellt werde. Somit sei auch der Einwand haltlos, dass der Anspruch 1 ausschließlich Wirkungsangaben enthalte.

Entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung gehe aus Spalte 4, Zeilen 42 ff. der EP-A lediglich hervor, dass bis zum Erreichen der maximalen Geschwindigkeit bei einer kleineren Masse (Kindsgröße) keine Deformation der Unterstruktur, während bei einer höheren Masse (Erwachsenengröße) eine Deformation der Unterstruktur erfolge. Damit sei wiederum konsistent offenbart, dass die Erfindung grundsätzlich von zwei unterschiedlichen Aufprallverhalten mit zwei unterschiedlichen Massen ausgehe, denen natürlich bei gleicher Aufprallgeschwindigkeit eine unterschiedliche Aufprallenergie zuzuordnen sei.

Die Dokumente E1 (Richtlinie 2003/102/EG), E2 (EEVC Working Group 17 Report und E3 ("Fußgängerschutz bei Fahrzeugen", BEW-Projekt 20533) seien von der Beschwerdeführerin hauptsächlich zu dem Zweck eingeführt worden, um nachzuweisen, welches Fachwissen der Fachmann auf dem Gebiet des Fußgängerschutzes bzw. was er bei der Auslegung der Fronthaube im Hinblick auf die konkreten Parameter zu berücksichtigen habe, insbesondere hinsichtlich der Begrifflichkeiten "Kindsgröße" und "Erwachsenengröße". Diese Druckschriften wiesen explizit auf bestimmte Tests hin, z.B. unter Punkt 3.2.2 von E1 auf eine Prüfung mit Kinderkopfform-Schlagkörpern, die dem Fachmann ganz konkrete Vorgaben mache, da E1 als europäische Richtlinie zwingend beachtet werden müsse. Somit bedürfe es auch nicht konkreterer und weiterer technischen Angaben um die technische Lehre des Anspruchs umzusetzen.

Insgesamt ergebe sich aus diesen Ausführungen, dass der Anspruch 1 eine ausführbare und klare technische Lehre vermittle.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der vorliegende Anspruch 1 definiert eine Kraftfahrzeug-Fronthaube, bestehend aus einer durch eine Zwischenschicht im Abstand zu einer Deckschale liegenden Unterstruktur, im Wesentlichen durch die Angabe von (a) externen Größen wie "Fußgänger mit Kindsgröße" bzw. "mit Erwachsenengröße", und (b) von reinen Wirkungsangaben, die das Verhalten des von der Zwischenschicht definierten Abstandes (x) als Deformationsweg bei einem Aufprall beschreiben, während (c) keine Angaben zu weiteren externen Größen, wie z.B. Aufprallwinkel und Aufprallgeschwindigkeit und zu (d) etwaige strukturellen Merkmale kennzeichnende Parameter, wie z.B. Steifigkeit von Deckschale, Unterstruktur und Zwischenschicht sowie Abstand zwischen Deckschale und Unterstruktur, gemacht werden.

Die Kammer stellt zunächst zu den Größen (a) fest, dass die genaue Definition dieser Begriffe für das Erreichen der Verformungscharakteristik der Fronthaube gemäß (b) wesentlich ist. Das Gewicht des Kinderkopfform-Schlagkörpers bzw. des Erwachsenenkopfform-Schlagkörpers ist nämlich für die Aufprallenergie derart ausschlaggebend, dass es maßgeblich davon abhängt, ob bei einer gegebenen Aufprallgeschwindigkeit bleibende Verformungen der Unterstruktur auftreten. Genauso ist die Angabe der unter (c) und (d) genannten externen Größen bzw. Parameter für die faktische Ausbildung der Fronthaube unentbehrlich. Die Aufprallgeschwindigkeit ist für die Aufprallenergie mitbestimmend und der Aufprallwinkel bestimmt welcher Anteil der Aufprallenergie auf die Fronthaube einwirkt. Schließlich sind auch Steifigkeiten von Deckschale, Zwischenschicht und Unterstruktur, sowie der durch die Dicke der Zwischenschicht vorgegebene Abstand (x) für die Erzielung der bezweckten Wirkungsweise (b) unentbehrlich. Diese Größen sind folglich allesamt mit entscheidend für die Beantwortung der erfindungsmäßig zentralen Frage, ob und in welchem Falle örtliche Verbeulungen an der Deckschale oder bleibende Verformungen der Unterstruktur auftreten.

Die beabsichtigte Verformungscharakteristik der Fronthaube ergibt sich somit aus einer Vielzahl von externen Größen und Parametern, wobei zumindest vier externe Größen vorgegeben sein müssen (siehe oben (a), (c)) und die restlichen (ebenfalls mindestens vier (siehe oben (d))) Parameter, wobei die Steifigkeit wiederum vom Elastizitätsmodul des spezifischen Materials und von der spezifischen Konfiguration der jeweiligen Schicht oder Schale abhängig ist, so zu bestimmen sind, dass die erfindungsgemäß erwünschte Verformungscharakteristik entsprechend erreicht wird. Hiermit ist offensichtlich, dass selbst bei Angabe konkreter Werte für die externen Größen (a) und (c), der Fachmann bei der Bestimmung der restlichen Parameter gemäß (d), einschließlich der Konfigurationsmöglichkeiten, auf Grund derer Anzahl und der verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten vor einer komplexen und umfangreichen Aufgabenstellung stehen würde.

Da aber insbesondere die unter (a) und (c) genannten externen Größen im Anspruch 1 und in der gesamtem Anmeldung nicht näher spezifiziert sind, folgt hieraus, dass kein konkreter Ausgangspunkt und keine Basis für die vom Fachmann zu bestimmenden freien Parameter gegeben sind. Die Vorgabe dieser externen Größen wäre aber die Voraussetzung für die praktische Umsetzung der beanspruchten Erfindung. Das Fehlen dieser Angaben ist ein grundsätzlicher Mangel der Anmeldung, welcher nicht behoben werden kann, weil der Fachmann die fehlenden externen Größen nicht durch spezifisch geeignete oder allgemein übliche Werte ersetzen kann. Allgemein anerkannte Werte gibt es für diese externe Größen nämlich nicht (siehe Punkt 3). Bei freier Wahl dieser Größen würde aber der Fachmann in Abhängigkeit von seiner dann getroffenen spezifischen Wahl jeweils zu einem anderen Anspruchsgegenstand gelangen. Somit liefert der Gegenstand des Anspruchs 1 in Verbindung mit der Gesamtoffenbarung der Anmeldung für den Fachmann keine klare und ausführbare Lehre zum technischen Handeln. Dies hat auch zur Folge, dass der Schutzumfang des Anspruchs nicht klar ersichtlich und abgrenzbar ist.

Aus den obigen Darlegungen ergibt sich insgesamt, dass Anspruch 1 nicht den Anforderungen von Art. 84 EPÜ 1973 genügt und dass die beanspruchte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, vgl. Art. 83 EPÜ 1973.

3. Die Kammer kann den Ausführungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Heranziehung der Dokumente E1 bis E3 zur Spezifizierung der externen Größen (a) bzw. (c) schon deshalb nicht folgen, da die vorliegende Anmeldung (EP-A) keine Bezugnahme auf eines dieser Dokumente enthält. Zum anderen stellen die in E1 bis E3 für die obigen Größen offenbarten Werte, auf die von der Beschwerdeführerin hingewiesen wurde (z.B. Punkt 3.2.2 oder 3.2.4 in E1), auch keine zum Prioritätszeitpunkt der Anmeldung bereits bestehende Normen oder Richtlinien und kein allgemeines Fachwissen dar. Speziell zu E1 ist festzustellen, dass obwohl es sich hierbei um eine europäische Richtlinie handelt, diese dennoch erst am 6. Dezember 2003 veröffentlicht wurde und erst am Tag danach in Kraft getreten ist (E1, Artikel 8). Angesichts des Prioritätsdatums der vorliegenden Anmeldung (21. Januar 1999) ist demnach E1, gleichermaßen wie Dokument E3, dessen Veröffentlichungsdatum nicht bekannt ist, nicht vorveröffentlicht. Damit gehören E1 und E3 nicht zum Stand der Technik und können demzufolge auch keinen Beleg für das allgemeine Fachwissen zum Prioritätszeitpunkt der Erfindung darstellen. Schließlich ist die Behauptung der Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar, dass E2 zum allgemeinen Fachwissen gehöre und die Erfindung von diesem Fachwissen ausgehe, wenn laut eigener Aussage der Beschwerdeführerin E2 nur sehr kurz vor dem Prioritätszeitpunkt der Anmeldung veröffentlicht wurde und der Beschwerdeführerin zum Prioritätszeitpunkt der Anmeldung noch nicht einmal selbst zur Verfügung stand (siehe Verfahren zur Stammanmeldung EP-A-1 022 199, Eingabe vom 26. Oktober 2004). Es stellt sich dann nämlich die Frage, wie die Beschwerdeführerin den Inhalt von E2 überhaupt als allgemeines, für die Umsetzung der Erfindung wesentliches Fachwissen betrachten kann, wenn ihr E2 nicht zur Verfügung stand und wenn sie selbst nicht in der Lage war, eine andere vorveröffentlichte und ihr bekannte Quelle als Beleg für dieses angeblich allgemeine Fachwissen anzugeben. Auf welchen anderen Weg und in welcher anderer Form der Inhalt von E2 der Fachwelt und der Beschwerdeführerin vor dem besagten Prioritätsdatum allgemein zugänglich bzw. bekannt gewesen sein soll, wurde von der Beschwerdeführerin weder dargelegt noch nachgewiesen. Folglich gibt es auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin keinen überzeugenden Grund zur Annahme, dass E2 zum fraglichen Zeitpunkt allgemeines Fachwissen darstellte und dieses Fachwissen implizit in der Offenbarung der Erfindung enthalten war. Im Hinblick auf die Tatsache, dass E2 lediglich das vorläufige Ergebnis einer Arbeitsgruppe war (siehe E2, "Summary", Seiten 2,3), weder ein allgemeines Nachschlagwerk war noch irgendwelche gültige Normen oder Richtlinien beinhaltete, sowie im Hinblick auf das Veröffentlichungsdatum (Dezember 1998) gibt es auch anderweitig keine berechtigten Gründe zu der Annahme, dass E2 zum Prioritätsdatum der Erfindung allgemeines Fachwissen wiedergab.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation