T 0731/07 () of 21.4.2008

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2008:T073107.20080421
Datum der Entscheidung: 21 April 2008
Aktenzeichen: T 0731/07
Anmeldenummer: 04738910.1
IPC-Klasse: B23P 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Zerspanen eines Werkstücks aus einer Titan-Basislegierung
Name des Anmelders: Technische Universität Braunschweig
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Späte Änderungen des Vorbringens (zulässig)
Neuheit (ja)
Zurückverweisung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 28. November 2006 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung wurde die Europäische Patentanmeldung mit der Nummer 04738910.1 zurückgewiesen. Die Patentanmeldung beruht auf der internationalen Anmeldung mit der Nummer PCT/DE2004/001496.

II. Die Prüfungsabteilung begründete ihre Entscheidung damit, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 16 und 21 des einzigen Antrags nicht neu im Sinne von Artikel 54(1) und (2) EPÜ 1973 sei. In der Zusammenfassung des Sachverhalts wies die Prüfungsabteilung auf die im internationalen vorläufigen Prüfungsbericht nach dem PCT festgestellte Patentfähigkeit des Gegenstands der Ansprüche 1 bis 15 hin.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Anmelderin) am 6. Dezember 2006 Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Mit der am 27. März 2007 eingegangenen Beschwerdebegründung verfolgte die Beschwerdeführerin ihren der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrag weiter und reichte zwei Hilfsanträge ein.

IV. Im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Beschwerdekammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mit, wonach keiner der vorliegenden Anträge gewährbar sei. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung in Bezug auf den Anspruch 16 des Hauptantrags sei nach vorläufiger Beurteilung zutreffend. Daneben bezog sich die Kammer auf die im Recherchenbericht genannte, aber von der Prüfungsabteilung nicht berücksichtigte Druckschrift

D7 : EP-A-0 479 212,

deren Inhalt den Gegenstand des Anspruchs 21 des Haupt- und ersten Hilfsantrags offenbare. Unter Hinweis auf die ihr durch Artikel 114(1) EPÜ 1973 verliehene Befugnis, weitere Veröffentlichungen in das Verfahren einzuführen, verwies die Kammer auf:

D8 : Hydrogen in Metals and Alloys, B.A. Kolachev, Metal Science and Heat Treatment, Vol. 41, Nos. 3-4, 1999, und

D9 : Effect of the structure on the cutability of Titanium alloys, Yu. B. Egorova et al. Metal Science and Heat Treatment, Vol. 45, Nos. 3-4, March 2003,

Diese schienen die Patentfähigkeit des im Prüfungsverfahren von der Prüfungsabteilung für patentfähig gehaltenen Gegenstand des Anspruchs 1 und die eines Großteils seiner abhängigen Ansprüche, insbesondere wegen fehlender Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1, in Frage zu stellen.

V. Am 21. April 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Basis der während der Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 13 zu erteilen.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zum Zerspanen eines Werkstücks aus einer Titan-Basislegierung mit folgenden Schritten:

a) Befreien des Werkstücks zumindest bereichsweise von Oberflächenoxiden und/oder weiteren Deckschichten, und anschließendes

b) Erhitzen des Werkstücks in einer wasserstoffhaltigen Atmosphäre, die unter einem Druck von etwa 5·10**(3) Pa steht, auf eine Glühtemperatur von etwa 973 K, wobei das Werkstück Wasserstoff aufnimmt;

c) Abkühlen des Werkstücks, in der wasserstoffhaltigen Atmosphäre

d) spanabhebende Bearbeitung des Werkstücks;

e) Erhitzen des Werkstücks in einer wasserstofffreien Atmosphäre, wobei Wasserstoff herausgelöst wird.

Der unabhängige Anspruch 13 lautet:

"TiAl6V4-Legierung mit einem Anteil von 0,3-1,5 Atom-% Lanthan, das im Grundgefüge vollständig ausgeschieden ist und die Ausscheidungen nahezu reines Lanthan sind, die Partikel eine durchschnittliche Größe von 12 µm haben, die Verteilung der Lanthanausscheidungen auf die Korngrenzen und das Korninnere zwischen den Dendriten des Gussgefüges beschränkt sind und Sauerstoff und Stickstoff nicht nachweisbar sind."

VII. Als Grundlage für die vorgenommenen Änderungen nannte die Beschwerdeführerin folgende Stellen der ursprünglichen internationalen Patentanmeldung: Anspruch 1 beruhe auf dem ursprünglichen Anspruch 1 ergänzt durch die Merkmale der abhängigen Ansprüche 3, 4, 6 und 12. Die zusätzlichen Merkmale im abhängigen Anspruch 12 und im unabhängigen Anspruch 13, die auf die ursprünglichen Ansprüche 16 und 17 bzw. 21 zurückgingen, stammten aus der ursprünglichen Beschreibung, Seite 10, Zeile 22 bis Seite 11, Zeile 1.

Die Beschwerdeführerin führte weiter aus, dass weder D8 noch D9 das Merkmal a) und die im Merkmal b) enthaltenen Glüh-Bedingungen des Anspruchs 1 offenbarten, so dass sein Gegenstand neu sei (Artikel 54 EPÜ 1973). Ebenso sei die im Anspruch 13 definierte Struktur des Lanthan-Anteils in der Titan-Legierung weder aus D7 noch aus irgendeinem anderen im Verfahren befindlichen Dokument bekannt, so dass auch sein Gegenstand neu sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit des verspätet vorgelegten Hauptantrags

Nach Artikel 13(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

Die Änderungen erfolgten während der mündlichen Verhandlung, also zu einem extrem späten Zeitpunkt. Aus Gründen der Verfahrensökonomie können Änderungen in einem so späten Verfahrensstadium ausnahmsweise dann zugelassen werden, wenn stichhaltige Gründe für die Zulassung sprechen, zum Beispiel wenn sie als Reaktion auf Einwände der Kammer oder der Einsprechenden erfolgen, der Diskussionsrahmen durch sie nicht ausgedehnt wird und sie eindeutig gewährbar sind (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 5. Auflage 2006, VII.D.14.2).

Die Änderungen an den Ansprüchen wurden in Erwiderung auf erstmals von der Kammer in ihrer Mitteilung im Anhang der Ladung und in der mündlichen Verhandlung erhobene Einwände vorgenommen. Diese Einwände beruhten dabei auf Stand der Technik, der im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht berücksichtigt war (D7) bzw. noch nicht vorlag (D8, D9). Der eingeführte Stand der Technik ließ erhebliche Zweifel an der Patentfähigkeit der mit der Beschwerdebegründung weiter verfolgten Patentansprüche, insbesondere des von der Prüfungsabteilung offenbar für patentfähig gehaltenen Anspruchs 1, aufkommen. Unter diesen Umständen musste der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben werden, diese Einwände durch geeignete Änderungen auszuräumen. Da die geänderten Ansprüche, wie unten im Einzelnen dargelegt, den Erfordernissen des EPÜ genügen, soweit eine Überprüfung im gegenwärtigen Beschwerdeverfahren stattfindet, werden sie zugelassen.

3. Artikel 123 (2) EPÜ

3.1 Anspruch 1 beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 1. Merkmal a), das neu in den Anspruch aufgenommen wurde, geht auf den ursprünglichen abhängigen Anspruch 12 zurück. Merkmal b) des Anspruchs 1 beruht auf dem ursprünglichem Merkmal a), ergänzt durch die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4. In das Merkmal c), das auf dem ursprünglichen Merkmal b) basiert, wurde das Merkmal des ursprünglichen Anspruchs 6 aufgenommen. Die Änderungen des Anspruchs 1 erfüllen somit das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ.

3.2 Der unabhängige Anspruch 13 beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 21. Es wurde der Lanthananteil in der Legierung eingeschränkt und zusätzlich weitere Eigenschaften des Lanthans im Legierungsgefüge angegeben. Der aus den Änderungen resultierende Gegenstand ist auf Seite 10, Zeile 22 bis Seite 11, Zeile 1 ursprünglich offenbart. Diese Änderungen erfüllen daher das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ.

3.3 Der vom Anspruch 1 abhängige Anspruch 12 geht auf die ursprünglich eingereichten Ansprüche 16 und 17 zurück und wurde durch die ebenfalls in den Anspruch 13 aufgenommenen Merkmale ergänzt. Auch hier ist das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.

4. Artikel 84 EPÜ 1973

Die Kammer hat keine Bedenken hinsichtlich der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973, da die Ansprüche klar sind und von der Beschreibung gestützt werden.

5. Artikel 54 EPÜ 1973

5.1 D8 und D9 ist zu entnehmen, dass die Schnittkraft an Werkstücken aus Titan-Legierungen herabgesetzt werden kann, wenn das Werkstück vor der spanenden Bearbeitung mit Wasserstoff beladen wird (z.B. D8, Seite 96, rechte Spalte vierter und fünfter Absatz).

D8 und D9 enthalten keine Angaben über die Behandlung des Werkstücks vor und über die Bedingungen bei dem Beladen mit Wasserstoff. Insbesondere sind das Merkmal a) und die Temperatur- und Druck-Bedingungen des Merkmals b) weder in D8 noch in D9 offenbart.

Wie bereits im Prüfungsverfahren festgestellt wurde, offenbart auch keines der im Recherchenbericht genannten Dokumente alle Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 1 und folglich auch nicht die des nun verfolgten weiter eingeschränkten Anspruchs.

Anspruch 1 und die von ihm abhängigen Ansprüche 2 bis 12 erfüllen somit die Bedingungen des Artikels 54(1) und (2) EPÜ 1973 hinsichtlich des vorliegenden Stands der Technik.

5.2 D7 offenbart in Tabelle 1 in den Beispielen 16 bis 21 TiAl6V4-Legierungen, die einen Lanthan-Anteil von 0,06 bis 1,53 Gewichts-% aufweisen und sich daher besser mit einem Bohrer bearbeiten lassen. Über die Struktur des Lanthans im Legierungsgefüge, insbesondere Partikel-Größen und Verteilung sind keine Angaben gemacht. Die bekannten Legierungen weisen außerdem zwischen 0,12 und 0,2 Gewichts-% Sauerstoff auf, so dass D7 die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 13 nicht in Frage stellt.

Auch von den weiteren im Recherchenbericht genannten Druckschriften offenbart keine die Merkmalskombination des Anspruchs 13.

Folglich erfüllt Anspruch 13 das Neuheitserfordernis des Artikels 54(1) und (2) EPÜ 1973 hinsichtlich des vorliegenden Stands der Technik.

6. Zurückverweisung

Nach Artikel 111 (1) EPÜ 1973 liegt es im Ermessen der Kammer, im Rahmen des Zuständigkeit der Prüfungsabteilung tätig zu werden oder die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an diese zurückzuverweisen. Von der Kammer wurde neuer Stand der Technik (D8 und D9) in das Verfahren eingeführt, der dazu geführt hat, dass die Beschwerdeführerin den von der Prüfungsabteilung für patentfähig erachteten Anspruch 1 durch die Aufnahme von Merkmalen der abhängigen Ansprüchen eingeschränkt hat. Während der internationalen Recherche wurde kein Stand der Technik ermittelt, der Neuheit oder erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des ursprünglichen Anspruchs 1 in Frage stellte. Somit ist zumindest fraglich, ob die Recherche den Gegenstand der abhängigen Ansprüche erfasst hat. Ähnliches gilt in Bezug auf die Merkmale, die der Beschreibung entnommen wurden und den Gegenstand des Anspruchs 13 (ursprünglicher Anspruchs 21) weiter einschränken. Außerdem wurde in der angefochtenen Entscheidung die erfinderische Tätigkeit nicht behandelt. Unter diesen Umständen hält es die Kammer für sachgerecht, die Sache an die erste Instanz zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens zurückverwiesen.

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